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JAHRBUCHER
FÜR
PHILOLOGIE und PÄDAGOGIK.
Eine kritische Zeitschrift
in Verbindung mit einem Verein von Gelehrten
herausgegeben
von
M. Joh. Christ. Jahn.
Dritter Jahrgang.
Erster Band. Erstes Heft.
Oder der ganzen Folge
Se chster Band. Erstes Heft.
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
18 2 8.
IT
Si quid novlsti rcctius isti»,
Candidas imperti ; si non , his uterc mecnm.
i n
d. Blbu-
x-Gv
omge-
ü
Mythologie,
Pr olegomena zu einer wissenschaftlichen My-
thologie, von Carl Otfried Müller. Mit einer antikritischeu
Zugabe. Göttingen, Vandenhück u. Ruprecht. 1825. XII u. 434
S. gr. 8. lThlr. 12 Gr.
[Eine Inhaltsanz. steht in Beck's Repert. 1825 Bd. III S. 300 — 306, u.
einen ausführlichen Inhaltshericht hat Thorbecfce in d. Bibl. crit.
nova III S. 146 — 58 geliefert. Eine scharf tadelnde und leiden-
schaftliche Rec. von Lange in der Jen. Lit. Zeit. 1825 Nr. 161
— 168 liefert sehr viel Lesenswerthes und Gutes, kann aber nicht
als gnügende Beurtheilung des Buchs gelten , weil sie nicht eine
ruhige Prüfung desselben anstellt, sondern, von andern Principien
ausgehend , Meinung gegen Meitfriyig setzt. Eine ebenfalls lei-
denschaftliche Rec. von VölckeVjn d. Hall. Lit. Zeit. 1827 E.
Bl. 121 — 124 rühmt MüHer's Buch' ausserordentlich und giebt
dessen allgemeinen Inhalt an , liefert aber keineswegs eine kriti-
sche Würdigung desselben , sondern sucht Müller's Grundsätze
gegen Lange's Ein«>S'irfe. zu schützen und gegen die Vossische
Schule zu rechtfertigen. 'VBaher wird auch an mehrern Stellen
gegen Voss gekämpft. Doch enthält auch diese Rec. manches
Beachtenswerthe und ist bei Benutzung der Müller'schen Schrift
zu vergleichen.]
"er Verf. hat bei der gegenwärtigen Schrift nach der Vorrede
die Absicht, die Begriffe vom Wesen und von der Entstehung
der Griechischen Mythen, die er für die Mahren und richtigen
hält, auch denen verständlich darzulegen, welche von dem
Fache nur eine geringe Kerihfuiss haben, und auf diese Weise
die Grundsäze, die er bey seinen bisherigen mythologischen
Untersuchungen mehr unbewusst befolgt habe , nun auch me-
thodisch zu entwickeln.
Die Schrift zerfällt in fünfzehn Kapitel, deren Idecngang wir,
wie es die Beurtheilung einer wissenschaftlichen Schrift erfor-
dert, zuerst, soviel möglich, mit den eigenen Worten des Verf.
kurz bezeichnen wro!len.
In dem ersten Kapitel , das die Untersuchung an den äu-
ssern Begriff des Mythus anknüpft, bestimmt der Verf. den My~
l*
4 Mythologie.
thus in dieser Hinsicht nach folgenden drey Hauptmerkmalen :
dass der Mythus die Erzählung einer Handlung oder Begeben-
heit ist, dass persönliche Wesen in ihm auftreten, und dass
die Begebenheiten, von welchen die Mythen reden, ihrem Zu-
sammenhang und ihrer Verflechtung nach alle eine frühere,
von der Geschichte ziemlich genau abgegrenzte Zeit betreffen.
Schritte zum innern Begriff des Mythus thut der Verf. im zwei-
ten Kapitel durch die Unterscheidung des Geschehenen und Ge-
dachten im Mythus, oder des Reellen und Ideellen, welche
beide Elemente bey den meisten Mythen sehr enge verknüpft
seyen. Von den weitern Bestimmungen über die Art , wie je-
des dieser beiden Elemente im Mythus sey, wird nachher die
Rede seyn. Im dritten Kapitel überblickt der Verf. die verschie-
denen Klassen der Schriftsteller, aus welchen unsere Kenntnis»
der Griechischen Mythen zu schöpfen ist, um im vierten hier-
aus das Resultat zu ziehen , dass wir bei keiner derselben auf
die eigentlichen und ursprünglichen Quellen des Mythus
kommen, dass wir zwar die Mythen häufig durch pottische
und wissenschaftliche Behandlung modificirt sehen, diese Mo-
dificationen aber doch immer einen Kern des Mythus vorfanden,
und stehen Hessen. Daher der Hauptsaz dieses Kapitels, das
die Frage von den Quellen der Mythen selbst oder die Entste-
hung derselben zum Gegenstand hat, „dass der ganze Begriff
der Erfindung, d. h. einer freien und absichtlichen Handlung,
durch welche etwas von dem Handelnden als unwahr Erkanntes
mit dem Scheine der Wahrheit umkleidet werden soll, als un-
passend für die Entstehung des Mythus von unserer Betrach-
tung zu entfernen ist. Oder mit andern Worten: dass bey der
Verbindung des Ideellen und Reellen, welche im Mythus ver-
einigt liegen, eine gewisse Nothwendigkeit obwaltete, dass die
Bildner des Mythus durch Antriebe, die auf Alle gleich wirk-
ten, darauf hingeführt wurden, und dass im Mythus jene ver-
schiednen Elemente zusammenwuchsen , ohne dass diejenigen,
durch welche es geschah, selbst ihre Verschiedenheit erkannt,
zum Bewusstseyn gebracht hätten, dass es der Begriff einer ge-
wissen Nothwendigkeit und Unbewusstheit im Bilden der alten
Mythen ist, worauf zu dringen ist." Mit dem hier aufgestell-
ten Hauptbegriff verbindet der Verf. die Unterscheidung von
zwei verschiedenen Klassen von Mythen, von welchen die eine
bey genauerer Betrachtung sehr mannigfache und verschieden-
artige Stoffe zu einem Ganzen verbunden hat, die andere aber
einen der Allegorie näher verwandten Character zeigt, und eine
durchgeführte Gedankenreihe in mythischer Rede dargelegt
zu erkennen gibt, eine Unterscheidung, auf die hier deswegen
aufmerksam gemacht wird, um auch von den Mythen der zwei-
ten Klasse den Begriff einer eigentlichen Allegorie fern zu hal-
ten, und auf sie, wenn sie auch offenbar einem Jüngern Zeital-
Müller: Prolegomena zu e. wisscnsch. Mythologie. 5
ter angehören, als die der erstem Klasse, im Ganzen doch
denselben allgemeinen Begriff anzuwenden. Die folgenden Ka-
pitel, Kap. V: Ueher die Bestimmung des Alters eines Mythus
nach der Erwähnung desselben in Schriftstellern, Kap. VI:
Bestimmung des Alters von Mythen nach historischen Ereig-
nissen, Kap. VII: Ausdehnung dieses Verfahrens bis In die
mythische Zeit, treffen Kap. VIII: Ueber das Alter der Haupt-
masse der Mythen, in das Ergehniss zusammen: dass die grö-
ssere Masse der Mythen ihre Wurzel in der mythischen Zeit
seihst (welche die Griechen selbst von der historischen be-
stimmt trennten) gehabt haben müsse, oder dass die Mythen
der Mehrzahl nach in der Zeit, von der sie im Ganzen reden,
entstanden sind, und sich von da an stetig fortgebildet haben.
Wie die zunächst vorhergehenden Kapitel den Mythus rück-
wärts verfolgten , so gibt das unmittelbar folgende neunte eine
ungefähre Bestimmung der Zeit, in welcher die Mythenbildung
thätig zu seyn aufhörte. Die zusammengestellten Data stim-
men in das Ergehniss zusammen, dass bis Olymp. 50 und viel-
leicht etwas weiter herab, d. h. bis prosaische Schriftstellerei
in Aufnahme kam, Gedanken und Meinungen mit Fakten ver-
schmolzen unter dem Griechischen Volke häufig die Gestalt
mythischer, wirklich geglaubter Erzählungen annahmen, spä-
ter aber nicht leicht mehr. Die Einwendung, weiche gegen
diesen Saz von den sogenannten astronomischen Mythen herge-
nommen werden könnte, die wohl Manchem als theilweise Er-
findung Alexandrinischer Gelehrten und Dichter gelten, und
doch von den Alten als Mythen behandelt werden , beantwor-
tet ein Anhang zu diesem Kapitel dahin: Die Sagen von den
Pleiaden, von Orion, von Sirius, und vielleicht noch von den
Hyaden seyen die einzigen astronomischen, d.h. aus Verhält-
nissen, Eigenschaften, geglaubten Wirkungen von Sternbil-
dern zu erklärenden Mythen, welche die Mythologie der Grie-
chen uns darbietet: in der folgenden Zeit seyen weder astrono-
mische Mythen, die man so nennen könne, entstanden, noch
überhaupt Mythologie und Astronomie Hand in Hand gegangen,
und wenn auch das Leztre desto meL" in den Schulen Alexan-
drinischer Grammatiker statt gefunden habe, so habe man
doch nicht aus der Gestalt des Sternbildes oder den Verhält-
nissen desselben zu andern mit fertiger Hand eiuen Mythus ge-
macht , sondern nur alte mythische Sagen zur Erklärung von
Sternbildern augewandt. (Einfacher und natürlicher scheint
dem Rec. , um dies hier sogleich zu bemerken, diese ganze
Frage so gefasst werden zu können, von welcher Periode an
bei der Tradition und der Bildung der Mythen, welche leztere
eigentlich so gut wie jene durch das ganze Alterthum fort-
dauerte, ein helleres durch Reflexion bestimmtes Bewusstseyn
statt gefunden habe ; welche Zeit allerdings mit dem Anfang
6 Mythologie.
der prosaischen Schriftstellerei, dem sprechendsten Erzeugniss
der jezt besonders hervortretenden Verstandesthätigkeit , zu-
sammenfällt.) Nach diesen Betrachtungen über den Begriff, die
Quellen, die Entstehungsart , das Alter des Griechischen My-
thus versucht der Verf. Kap. X den Weg näher zu zeichnen,
auf welchem man mit einiger Sicherheit zur Entzifferung des-
selben gelangen und seine erste und ursprüngliche Gestalt ken-
nen lernen kann. Dies kann nur dadurch geschehen , dass wir
abzulösen suchen, was die Schriftsteller als Ueb erlief erer des
Mythus hinzugethan haben, die poetische Ausschmückung, die
pragmatische Verbindung, die philosophische Deutung, wozu
allein die Kenntniss der verschiedenen Schriftsteller und ihrer
Verfahrungsweise führen kann. In dieser Beziehung folgen
einige Bemerkungen über das psychologische Motiviren der Be-
gebenheiten bey den Dichtern von Homer an und über den
Einfluss, den die Dichter gehabt haben, um eine gewisse
Gleichmässigkeit und Uebereinstimmung in allen Theilen der
Griechischen Mythologie zu bewirken, so wie über die von den
alten pragmatisirenden Historikern behandelten Mythen.
Weiter fortgesezt wird die Erörterung dieses Geschäfts der
Trennung in Kap. XI : Wie der mythische Stoff in seine ur-
sprünglichen Bestandteile aufzulösen sey; wobei als entschie-
dene Sache vorausgesezt wird , dass im Alterthum das Bestre-
ben herrschte, Sagen zu verbinden, um zusammenhängende
Ganze daraus zu bilden. Daher haben wir vor allen andern
Dingen den Zusammenhang zu vernichten und aufzulösen. Soll
aber dies Verfahren nicht mit Recht ein atomistisches , das
Leben des Mythus zerstörendes genannt werden , so kann das
Auflösen des Mythus nicht wohl geschehen , wenn ihm nicht
gleich das Verständniss desselben zu Hülfe kommt , und wenn
nicht, noch vor der vollständigen Deutung, drei Punkte eine
Bestimmung erhalten: Wo ist diese und jene mythische Erzäh-
lung entstanden (d. h. man muss jeden Mythus localisiren, weil
jeder Mythus an irgend einem Orte entstanden seyn muss),
durch welche Personen (wie es z. B. nicht immer die
geschichtlich bekannten Einwohner einer Landschaft, sondern
oft frühere und durch nachfolgende Völkerstämme verdrängte
sind) und woran (die meisten Sagen beziehen sich auf einen
bestimmten vorhandenen Gegenstand) hat sie sich gebildet.
Der leztere Punkt, welcher darauf aufmerksam macht, wie
wichtig es sey , das Vorhandene , seiner Natur nach nicht my-
thische zu kennen, an welches der Mythus sich anschliesst,
veranlasst die Behauptung: Es scheine kaum einem Zweifel
unterworfen, dass die Geschichte der Griechischen Götter-
dienste die bedeutendste Hülfswissenschaft für die Mythologie
sey, und in der Behandlung von ihr kaum getrennt werden
könne, obgleich sie nur zum Theile in mythischem Boden
Müller: Prolegomcna zu e. wissenschaftlichen Mythologie. K
wurzelt. Daher werden nun Kap. XII die nach der Ansicht
dos \ erf. flu* die Mythologie unthigeii Ilülfs - undLehrsäze üher
den Gottesdienst und die Symbolik der Griechen in 32 l'aragg.
aufgestellt, auf deren Inhalt wir liier nicht weiter Rücksicht zu
nehmen haben. Da sieh die vorhergehenden Kapitel zwar mit
der Angabe der Methode beschütteten, durch welche der My-
tliu> auf seine ursprünglichen Bestandteile zurückgeführt und
die Umstände und Beziehungen, unter denen derselbe entstan-
den, aufgefunden werden können, damit aber der Mythus selbst
noch nicht erklärt ist; so ist nun hap. XIII noch von der My-
thendeutuug selbst die Rede. Der Ilauptsaz , der hier aufge-
stellt wird, ist: Im Mythus spricht sich durchweg die Grund-
ansicht aus, dass Wesen den Menschenseelen analog, und von
ihnen nur durch mehr Einheit und innern Zusammenhang des
Thuns verschieden, in der physischen wie ethischen Welt leben-
dig und thätig sind, weswegen die gewöhnlichen menschlichen
Verhältnisse auf alle nicht menschlichen Wesen übertragen wer-
den, vor allen die Verhältnisse derGeschlechts-Verwandtschäft,
durch welche erstaunlich viel bezeichnet wird, das Verhältniss der
Kitern, Geschwister, Gatten. Die beiden noch übrigen Kapitel,
Kap. XIV: Beispiele des angegebenen Verfahrens , Kap. XV:
Vergleiehung anderer Ansichten mit den dargelegten, enthal-
ten nichts, was wir hier für den wissenschaftlichen Zusam-
menhang der Schrift noch besonders hervorheben müssten.
Beim Ueberblick der hiemit dargelegten Ideenreihe des
Verf. dringt sich uns sogleich als Mittelpunkt und Kern dersel-
ben der wichtige Saz auf, dass der Mythus nicht als Produkt
selbstbewusster Reflexion und wiilkührlicher Dichtung oder
wohl gar als „Erfindung einer Caste und Sekte von Schlaukö-
pfen1' angesehen werden dürfe, sondern nur aus einer gewis-
sen Mothwendigkeit, Unbewusstheit , Absichtlosigkeit be-
griffen werden könne, oder, wie wir dasselbe auch ausdrücken
können, dass demselben kein individuelles Bewusstseyn, son-
dern ein höheres allgemeines Vo'lksbewusstseyn zu Grunde
liege. Diesen Saz, die notwendigste Bedingung eines richti-
gen Verständnisses des alten Mythus , dessen Anerkennung
oder Verwerfung alle Ansichten über Mythologie sogleich von
vorn herein in zwei durchaus entgegengesezte scheidet, hat
der Verf. wenn auch keineswegs zuerst , do<ch aufs neue von
verschiedenen Seiten auf eine so lehrreiche und überzeugende
Weise auseinandergesezt, dass wir eben dies vor jed-er andern
Bemerkung als ein sehr wesentliches Verdienst dieser Schrift
um die wissenschaftliche Mythologie rühmen müssen. Je mehr
wir aber diesen Vorzug zu schäzen wissen und dem Verf. in
der angegebenen Hinsicht unsere volle Zustimmung geben; de-
sto weniger glauben wir auf der andern Seite unser Befremden
8 Mythologie.
darüber zurückhalten zu dürfen, dass der Verf. von dem Stand-
punkte aus , auf welchen er sich gestellt hat , nicht tiefer in
die wissenschaftliche Erörterung des Wesens des Mythus ein-
gedrungen ist, und die Untersuchung hierüber nicht so weit
fortgeführt hat , wie man doch mit Recht in Prolegomena zu
einer wissenschaftlichen Mythologie erwarten muss.
Der Verf. hat durchaus den Weg der empirischen Ab-
straction eingeschlagen , er geht von gegebenen Beispielen aus,
hebt aus diesen einzelne Hauptbegriffe hervor, um so auf all-
gemeine Folgerungen über das Wesen des Mythus zu gelangen.
Auf demselben Wege ergab sich nun auch dem Verf., indem er
die Spuren des Mythus rückwärts verfolgte, dass der Ursprung
desselben aus keiner literarisch bekannten Periode schriftstel-
lerischer Thätigkeit abgeleitet werden könne, sondern nur das
Erzeugiiiss einer über jede individuelle Willkühr hinausliegen-
den innern Nothwendigkeit sey. Allein, genauer betrachtet,
ist dies zunächst eine blos negative Bestimmung : wir wissen
nur, was der Mythus nicht ist , und haben somit auch solange
noch einen inhaltsleeren Begriff, solange nicht zu dem Negati-
ven auch ein Positives hinzugekommen ist. Dass nun aber die-
ses Positive nicht auf demselben Wege der empirischen Abstra-
ction zu finden ist, ergibt sich unmittelbar daraus, dass jener
nur zu etwas Negativem geführt hat. Was aus der Thätigkeit
einzelner Individuen nicht zu begreifen ist, gleichwohl aber
als eine periodisch allgemeine und characteristische Erschei-
nung sich kund gibt, kann nur aus dem innern Wesen des
menschlichen Geistes selbst abgeleitet werden, und der Begriff
des Mythus kann demnach , wenn er auch gleich als ein be-
stimmter historisch gegebener Begriff nur historisch aufgefasst
werden kann , dennoch gewissermassen nur a priori deducirt
werden , eine Behauptung , die niemand misverstehen wird,
wer überhaupt einen richtigen Begriff einer philosophischen
Deduction hat. Es liesse sich sogar , wenn wir schon hinzu-
nehmen wollten, was der Verf. S. 336 sq. über den Glauben
an das Göttliche sagt, aus den eigenen Behauptungen desselben
leicht darthun , dass der Begriff des Mythus , wenn auch nur
historisch aufgefunden, doch nicht blos historisch oder empi-
risch erklärt werden kann. Betrachten wir nun nach dem hier
bezeichneten Gesichtspunkt den Mythus im Allgemeinen, so
gibt sich uns als das allgemeinste Merkmal des Mythus dies zu
erkennen, dass er Ideen in einer eigenthümlichen Form dar-
stellt. Biese eigenthümliche üarstellungsweise ist aber keine
andere, als die indirecte oder bildliche, im Gegensaz gegen
die directe oder logische. Der Begriff des Mythus muss dem-
nach , wenn wir uns auch nur an dasjenige halten , was auch
unser Verf. so wenig , als irgend ein anderer , der das Wesen
Müller: Prolegomena zu e. wissenschaftlichen Mythologie. ö
des Mythus zum Gegenstand seines Nachdenkens gemacht hat,
verkennt, dass nemlich der mythische Ausdruck eine eigeuthüm-
liche Art der Darstellung ist (S. 279), auf den Begriff des
Bildes führen. Dem Bilde aberliegt, wir mögen es nehmen,
wie wir wollen, nothwendig immer eine Anschauung zu Grunde.
Somit gelangen wir auf diesem Wege zu dem einfachen Haupt-
saze , dass die mythische oder indirecte Darstellung sich zur
logischen oder directen auf dieselbe Weise verhält , wie sich
überhaupt das ganze menschliche Erkenntniss- und Darstel-
lungs- Vermögen in Begriff und Anschauung, als seine beiden
nothwendigen oder apriorischen Formen, theilt. Daraus ergibt
sich auch sogleich die Folgerung, dass nach demselben Ent-
wickelungsgeseze des geistigen Organismus des Menschen, nach
welchem überhaupt dem Begriffe immer die Anschauung voran-
geht , auch die mythische Form der Darstellung als die ältere
und älteste gesezt werden muss. Verfolgen wir den auf diese
Weise eingeschlagenen Weg weiter , so ist das Nächste , wor-
auf wir unsere Aufmerksamkeit richten müssen, die Unter-
scheidung des Bildes von der Anschauung. Das Bild ist zwar
auch eine Anschauung, aber keine sinnliche Anschauung im ge-
wöhnlichen Sinne. Die sinnliche Anschauung ist ein unmittel-
bar Gegebenes, eine für sich abgeschlossene Sphäre, über
welche hinauszugehen wir zunächst keine Nöthigung haben;
die bildliche Anschauung aber nöthigt uns , da ja das Bild sei-
ner Natur nach immer nur von etwas anderem abhängig seyn
kann, sogleich zu einem Höheren aufzublicken, wovon eben
sie der sinnliche Reflex, die in der Anschauung gegebene Form
ist. Diese formelle , oder bildliche Anschauung ist es , was
man in der Mythologie mit dem Namen des Symbols bezeich-
net , und der Mythus kann demnach , wenn er nach den Ele-
menten seiner Entstehung, d. h. wissenschaftlich betrachtet
werden soll, ebensowenig vom Symbol getrennt werden , als
in der psychologischen Analyse des Erkenntniss-Vermögens der
logische Begriff von der Anschauung zu trennen ist. ' Daher
musste es auch bey unserm Verf. von durchgehendem und we-
sentlichem Nachtheil für die Behandlung des Gegenstandes
seyn , dass er den Mythus nicht von vorn herein im Zusammen-
hang mit dem Symbol aufgefasst , vielmehr alles , was er über
die Beziehung des Symbols zum Mythus zu bemerken sich ver-
anlasst sah , erst Kap. XII unter die Hülfs - und Lehrsäze über
den Gottesdienst und die Symbolik der Griechen aufgenommen
hat (S. 258—266). Es hat dies vors erste die Folge gehabt,
dass auf diese Weise nicht einmal das mit allem Recht voran-
gestellte Hauptmerkmal des Mythus, der Begriff der Nothwen-
digkeit und Unbewusstheit in das rechte Licht gesezt werden
konnte. Dass die mythische Form der Darstellung keine blos
zufällige und wiilkührliche, sondern nothwendige und in lezter
10 Mythologie.
Beziehung a priori gegebene ist, kann doch dann erst vollkom-
men eingesehen werden, wenn sie aus der JNatur und Gesez-
mässigkeit des menschlichen Geistes, aus dem Weehselverhält-
niss der beiden Elemente aller Erkenntnis« , des Begriffs und
der Anschauung, des Ideellen und Reellen construirt wird. Ebenso
natürlich ist dann zweitens, dass dem Verf. nicht einmal die
Bestimmung des Begriffs des Mythus auf eine durchgreifende
und erschöpfende Weise gelingen konnte. Es wird zwar vor
allem ganz richtig auf die Unterscheidung der beiden Elemente
des Mythus, des Geschehenen und Gedachten, des Beeilen
und Ideellen hingewiesen; vergleichen wir aber die verschie-
denen Erklärungen, welche hierüber gegeben werden, so bleibt
im Ganzen doch immer etwas Schwankendes und Unbestimmtes
zurück. Der Verf. spricht nemlich von dem Verhältnis« des
Ideellen und Reellen im Mythus bald so, als gehörte es über-
haupt zum Wesen des Mythus , dass in ihm überall sowohl ein
Ideelles als ein Reelles ist, bald aber auch wieder so, als gäbe
es auch solche Arten von Mythen, in welchen entweder nur ein
Ideelles, oder nur ein Reelles zu erkennen ist. S. 100 wird
gesagt: „Das Ideelle ist mit dem Reellen im Mythus oft so eng
verwoben, so unzerreisslich verknüpft, dass man deutlich sieht,
der Mythus ist von Anfang an durch die Vereinigung und ge-
genseitige Durchdringung beider entstanden, und wir müssten
dem Dichter, wenn das Ideelle darin sein Werk seyn sollte, so-
gleich auch das Reelle zutheilen.u — „Ein Mythus ist oft durch-
aus ideell, und enthält keine Nachricht von faktischen Begeben-
heiten, und doch ist er deutlich an einem bestimmten Orte ent-
standen, und Werk der Bewohner einer einzelnen Land-
schaft." Dagegen gleich nachher S. 110: „Die eigenthümliche
Mischung von Idee und Faktum die das Characteristische in
der Mythologie ist, gehört zum ursprünglichen Wesen der
Mythen." Damit vergleiche man S. 70: „In der That findet
diese Verknüpfung (des Gedachten und Faktischen) bey den
meisten Mythen statt, und es möchten nicht viele seyn, in wel-
chen nicht etwas Reelles und etwas Ideelles nachgewiesen wer-
den könnte. — Daher auch die Unterscheidung der histori-
schen und philosophischen Mythen, auf die man früher oft
sehr grossen Werth legte , von verhältnissmässig geringer An-
wendbarkeit ist, und nur Weniges dadurch aus der ganzen
Masse herausgeschieden und classificirt werden kann." in dem-
selben Zusammenhang wird sodann zuerst nach dem Gedach-
ten, dem Ideellen im Mythus besonders gefragt und für die
Beantwortung dieser Frage nothwendig der theogonische Theil
der Mythologie von der übrigen Masse abgesondert, da in je-
nem dem Betrachtende/i sogleich eine Menge Ideen in ziemlich
klarem Ausdruck entgegen treten, in dem andern weit weniger.
Auf dieselbe Weise wird S. 80 das Faktische besonders be-
Müller: Prolegomcna zu e. wissenschaftlichen Mythologie. 11
trachtet. Von welcher Art dies seyn müsse, sey keine so
schwierige Frage. Denn da der Mythus die Form der Erzäh-
lung habe, faktische Begebenheiten aber in keiner andern Form
vorgetragen werden können, Ausdruck also und Inhalt sich
bey diesem Element der Mythologie weit mehr entsprechen als
bey dem andern, so sey auch weit leichter abzunehmen, was
für Classen von Begebenheiten vorgetragen werden , Genealo-
gien von Heroen, Abentheuer, Wanderungen, Vermählungen
derselben u. s. w. Fassen wir alles dies zusammen , so scheint
der Verf. mit der Unterscheidung des Ideellen und Reellen, für
welches leztere er wiederholt das Faktische [gleichbedeutend
sezt, eigentlich nur dies sagen zu wollen, es gebe zwei ver-
schiedene Classen von Mythen, die eine enthalte Gedachtes
oder Ideen , die andere Fakta oder Reelles : im Grunde also
doch dasselbe, was man auch durch die Unterscheidung phi-
losophischer und historischer Mythen mit Recht bezeichnet.
Damit erhalten wir aber noch keinen deutlichen Begriff über
das innere Wesen des Mythus, und alles, Avas im zweiten Ka-
pitel, welches dem innern Begriff des Mythus näher führen
soll, gesagt wird, fällt im Grunde wieder ganz mit dem Inhalt
des ersten Kapitels zusammen, welches vom äussern Begriff
des Mythus handelt, und diesen so bestimmt: der Mythus rede
zwar von Handlungen und handelnden Personen, betreffe aber
eine frühere von der eigentlichen Geschichte getrennte Zeit,
d. h. er sey in einer Hinsicht historisch, in einer andern nicht-
historisch. Oder wenn wir diese Bestimmung des Begriffs in
einem andern Sinne nehmen, als die vorige Unterscheidung
des Ideellen und Faktischen, und sie so verstehen, wie sie
nach Kap. I allerdings verstanden werden zu müssen scheint,
dass nemlich jeder einzelne Mythus in gewissem Sinne sowohl
historisch als nicht historisch sey, so führt vielmehr eben dies,
was der Verf. über den äussern Begriff des Mythus sagt, dem
innern Begriffe desselben weit näher als dasjenige, was er im
zweiten Kap. unter die Schritte zum innern Begriffe des My-
thus rechnet. Zum innern Begriffe des Mythus gelangen wir
nur dadurch , dass wir die beiden äusserlich gesonderten Ar-
ten des Mythus , wie es jede wissenschaftliche Deduction er-
fordert, unter einen höhern gemeinschaftlichen Begriff zusam-
menfassen, und es muss daher allerdings das Ideelle und Reelle
als gemeinschaftlicher Character jeder Art von Mythen aner-
kannt werden: woraus sich die Folgerung ergibt, dass ver-
schiedene Arten von Mythen nur so statt finden können , dass
sich das Verhältniss des Ideellen und Reellen in den einzelnen
Mythen bald so bald anders modificirt, bald das eine, bald
das andere Element das Uebergewicht hat. Da wir nun aber
bereits als wesentliches Merkmal des Mythus die Beziehung
desselben auf eine bildliche Anschauung gefunden haben, das
12 Mythologie.
Bild aber eben dadurch Bild ist, dass es an und für sich nichts
ist, sondern seine Bedeutung nur durch die Beziehung auf et-
was anders erhält; so wird hieraus von selbst klar, dass jenes
Reelle , das Wir im Mythus vom Ideellen unterscheiden , eben
das Bildliche sey. Wie wenig sich die Untersuchung des Verf.
dem Punkte genähert hat, auf welchem das Reelle des Mythus
in das Bildliche desselben zu sezen ist , erhellt am besten aus
dem S. 100 angeführten Beispiel eines durchaus ideellen My-
thus. Dass nemlich Kallisto, die Artemis als die INährerin des
Wildes in Feld und Wald , als die Göttin blühender Kraft dar-
stellend, in Arkadien in Gestalt einer Bärin erscheine, dies
sey etwas blos Gedachtes; denn es habe im Kreise sinnlicher
Erfahrung weder eine solche Göttin gegeben , noch sey sie je
als Bärin erschienen. Das Leztere ist allerdings auch die Mei-
nung des Rec. , da aber nun doch einmal die Artemis -Kallisto
in Arkadien die Gestalt einer Bärin hatte, so muss sie doch
wenigstens bildlich als Bärin erschienen seyn: der Mythus ist
demnach eigentlich ein Symbol, oder er enthält neben dem
Ideellen ein Reelles , weil jede aus der Natur genommene An-
schauung, durch welche eine Idee bildlich versinnlicht wird,
wie die Anschauung überhaupt , etwas Reelles ist. Wir kön-
nen aber auch bey dem bisher Bemerkten noch nicht stehen
bleiben, da wir ja das Bild, oder die bildliche Anschauung
auch das Symbol genannt haben, Symbol aber und Mythus so-
gleich als wesentlich verschiedene Formen erscheinen. Es muss
daher zu dem Merkmale der bildlichen Anschauung, sofern es
dem Mythus zuzueignen ist, noch etwas hinzukommen, wo-
durch erst der Mythus von der bildlichen Anschauung, wie sie
im Symbol statt findet, characteristisch unterschieden werden
kann. Dieses neue Merkmal wird uns dadurch gegeben, dass
wir auf dieselbe Weise, wie der sinnlichen Anschauung der
logische Begriff entgegen steht , auf die bildliche Anschauung
den Gegensaz zwischen Raum und Zeit, zwischen Momenta-
nem und Successivem, zwischen einer ruhenden Erscheinung
und einer fortschreitenden Handlung übertragen. Dadurch er-
halten wir die bestimmtere Unterscheidung zwischen Symbol
und Mythus. Das Reelle oder Bildliche im Mythus muss nun
nothwendig als ein Faktisches aufgefasst werden, d. h. die
Handlungen und Personen, die den eigenthümlichen Character
des Mythus ausmachen, sind nichts eigentlich Historisches,
sondern eine blose Form, die zur Darstellung des Ideellen
dient. Mit dieser historischen Form kann nun zwar allerdings
auch wirklich Historisches sich verbinden, woraus sich uns
die in der JNatur der Sache gegründete Unterscheidung zwi-
schen historischen und philosophischen Mythen ergibt, oder
jenes oben bemerkte auf mannigfache Art sich modificirende
Verhältniss des Ideellen und Reellen im Mythus ; aber von hi-
Müller: Prolegoniena zu e. wissenschaftlichen Mythologie. 13
storischen Mythen kann demungeachtet , wenn nicht ohne
Grund für Mythisches gehalten werden soll, was eigentlich
historisch ist, nur dann die Rede seyn, wenn wir bey irgend
einer gegebeneu Erzählung zum wenigsten darüber im Zweifel
sind, wie vieles in derselben wirklich historisch ist , oder als
blose äussere Form zur Darstellung einer Idee dient. Der
HauptbegrifF jedoch , an welchem wir hier festzuhalten haben,
ist, dass die mythischen Personen immer nur eine bildliche Be-
deutung haben können, dass sie sich, sofern sie Personen sind,
auf das Wesen des Mythus, und sofern sie symbolische Per-
sonen sind, auf den Zusammenhang des Mythus mit dem Sym-
bol und somit auch, da das Symbol immer eine Naturanschau-
ung ist, mit der Natur beziehen. Haben aber die Personen,
die die Träger der ganzen mythischen Handlung sind , selbst
nur eine bildliche Bedeutung, so versteht es sich von selbst,
dass auch alles, was von ihnen gesagt wird, nur in demselben
uneigentlichen Sinne verstanden werden kann, und es hängt
daher alles, was der Verf. erst Kap. XIII über die Mythendeu-
tung und den in der gewöhnlichen Mythologie durchgehenden
Grundsazsagt (S.210), dass die gewöhnlichen menschlichen Ver-
hältnisse auch auf alle nicht menschlichen Wesen übertragen
werden, mit der Deduction des Begriffs des Mythus selbst aufs
engste zusammen.
Das Bisherige betrifft übrigens nur die Form des Mythus,
die Form aber wird überall nothwendig durch den Inhalt be-
dingt. Wir können daher selbst das obige Merkmal der Unbe-
wusstheit und Notwendigkeit der mythischen Form der Dar-
stellung solange nicht mit wissenschaftlicher Ueberzeugung
zuerkennen , solange wir nicht die Frage näher untersucht ha-
ben, wie der Inhalt des im Mythus Darzustellenden gerade
diese eigenthümliche Form der Darstellung als eine nothwen-
dige herbeygeführt habe. Dem Verf. ist dieselbe schwankende
und unbestimmte Unterscheidung des Ideellen und Reellen im
Mythus , von welcher so eben gesprochen wurde, einer tiefern
Untersuchung wie der Form so auch des Inhalts des Mythus im
Wege gestanden. Sehen wir jedoch, wie der Verf. sich hier-
über äussert. Nach S. 71 machen theogonische Ideen einen
Theil der Mythologie aus, Gedanken über Welt und Gott und
über der Menschen Verhältniss zu einer höhern Natur, Gedan-
ken, deren Zusammenhang, wenn wir das Religiöse darin zur
Seite lassen, eine Art Philosophie bildet. Nach S. VI ist es
klar, dass die mythischen Erzählungen „ein Ausdruck des Glau-
bens an die Götter des Landes, der Religion sind, wenn wir
auch immer die Quellen dieser Religion noch ganz unbestimmt
lassen, und nicht einmal darüber entscheiden wollen, ob die
Götter etwa aus Philosophemen entstanden seyen. So ist Reli-
gion neben der Geschichte das einzige Element , welches bey
14 Mythologie.
der ersten Betrachtung der heroischen oder lokalen Mythologie
hervortritt. Für den aber, der tiefer einzudringen sucht , ge-
winnt der Götterglaube in der Mythologie bald immer mehr
Raum und Bedeutung." Doch will der Verf. nicht blos auf
Ideen der Religion den Inhalt der Mythologie beschrankt wis-
sen. Wir haben nach S. 77 „überhaupt keinen Grund, von der
mythischen Darstellung irgend eine Klasse von Ideen und Gedan-
ken zum voraus auszuschliessen, wenn irgend denkbar ist, dass
sie innerhalb des Kreises der geistigen Thätigkeit jener frü-
hern Menschen gelegen haben hönne. Ganz im Gegentheil ist
es sehr wahrscheinlich, dass eine Gesammtheit von Wissen
und Denken in der Mythologie enthalten ist. Denn auf jeden
Fall ist der mythische Ausdruck, der alle Wesen zu Personen
und alle Beziehungen zu Handlungen macht, ein so eigeu-
thümlicher, dass wir zu seiner Ausbildung eine besondere
Epoche der Cultur eines Volks annehmen müs; en." Diese lez-
tere Bemerkung über die Allgemeinheit des Inhalts der Mytho-
logie ist in gewisser Hinsicht ganz ricbtig, bedarf aber doch
einer Modifikation. Bey genauerer Betrachtung kann uns nicht
entgehen, dass der Mythus , so mannigfaltig und verschieden-
artig auch sein Inhalt seyn mag, doch immer irgend eine Be-
ziehung auf das Göttliche ausdrückt, wie derVevf. selbst auch
anzuerkennen scheint , wenn er S. 72 sagt : „Lesen wir die
Mythen einfach mit einer gewissen Beseitigung des Bestrebens
zu erklären: so ist es besonders nur ein Punkt, wo uns das Ge-
dachte übei-all in die Augen fällt, das beständige Einwirken
der Götter." Dieses beständige Einwirken der Götter, wel-
ches sich nicht blos auf die Form, sondern auf den innern Zu-
sammenhang zwischen Form und Inhalt bezieht, ist es eben,
was die mythische Handlung characteristisch von der histori-
schen unterscheidet. Das Uebernatürliche und Wundeibare
ist das wahre Element des Mythus, die Götterwelt reflectirt
sich in der sichtbaren Ordnung der Dinge, eine persönliche
und absichtliche Causalität ist bald offener bald versteckter die
Urheberin und Lenkerin aller Handlungen und Ereignisse.
Selbst die Genealogien, deren die Mythologie eine so grosse
Menge enthält, tragen neben der Aufstellung idealer Personen
Statt wirklicher Personen den Character des Mythischen nur
deswegen an sich, weil sie die ganze Reihe der Geschlechter
in lezter Beziehung immer an einen göttlichen Stammvater an-
knüpfen, und nicht eher einen festen Punkt gefunden zu haben
glauben, als bis sie zur höchsten Einheit gekommen sind.
Halten wir uns demnach auch blos an die empirische /Vbstra-
ctiou, so können wir unmöglich verkennen, dass die Idee der
Keligion oder das Göttliche ^cn allgemeinsten und eigenthi'im-
lichsten Inhalt der Mythologie ausmacht. Aber von diesem
Punkt aus muss nun erst die wissenschaftliche Untersuch uns:
Müller : Prolcgomena zu e. wissenschaftlichen Mythologie. 15
eine höhere Richtung nehmen, und das empirisch Gegebene an
das Apriorische angeknüpi't Meiden, d. h. eben an die Idee der
Religion im allgemeinsten Sinne, die auch der Verf. S. 236 aut
eine überzeugende Weise aus sinnlichen Eindrücken und darauf
gebauten Schlüssen abzuleiten für unmöglich hält. Haben wir
uns aber einmal zu diesem Standpunkt erhoben, den Glauben
an das Göttliche als eine in dem unmittelbaren Bewusstseyn
des Menschen mit innerer Notwendigkeit sich aussprechende
Idee anzusehen , so können wir auch die in der Mythologie er-
scheinende Religion nur als eine besondere Form betrachten,
in welcher sich die Idee der Einen und allgemeinen Religion
auf eine eigentümliche Weise abspiegelt. Daraus ergibt sich
sodann für den wissenschaftlichen Begriff des Mythus und der
Mythologie zweierlei: 1) Das obige in dem Mythus anerkannte
Merkmal der Notwendigkeit und Unbewusstheit erhält jezt
erst, da die Form durch den Inhalt bestimmt ist, seinen be-
stimmtem Sinn und seine feste Haltung. Ist das religiöse Be-
wusstseyn von clemSelbsibewusstseyn überhaupt nicht zu tren-
nen, so müssen die Ideen der Religion auch auf jeder Stufe des
sich entwickelnden menschlichen Geistes ihren eigenthümli-
chen Ausdruck finden, und die symbolisch-mythische Form ist
diejenige, die als die concreto und sinnliche der abstracten
und logischen Erkenntniss- und Darstellungswcise vorangeht.
Es ist ein innerer unabweisbarer Drang, der den Menschen
nöthigt, was das ahnungsvolle Gemüth und die fühlende Brust
bewegt, auch äusserlich auszusprechen und darzustellen; aber
durch welche andere Mittel sollte ihm dies gelingen, als nur
durch solche, an welche er nach dem Crrade seiner ganzen
geistigen Bildung gebunden ist*? Das Uebersinnliche hüllt sich
ihm in sinnliche Form, und die Natur, mit welcher sein ei-
genes Leben noch so innig zusammengewachsen ist, bietet ihm
die Typen des Göttlichen dar. Daher die in der mythischen
Ansicht, wie auch der Verf. S. 2(19 bemerkt, durchaus er-
scheinende Identität des Menschengeistes mit dem Naturgeiste,
daher dann auch, indem ja die Symbole, obgleich verhüllt,
doch nichts anders ausdrücken , als wozu jeder den Schlüssel
in seinem eigenen Innern findet, die Macht der Tradition und
der Glaube an die Ueberlieferung als eine göttliche Offenba-
rung. 2) Wie sich aus der blosen Entwickelung des Begriffs
der Religion der allgemeine Inhalt derselben nach den einzel-
nen Lehren a priori ableiten lässt, so gewinnen wir nun hier-
aus auch, da das Allgemeine immer auch in dem Besondern
enthalten Seyn muss, die formelle Grundlage, auf welcher ein
gewisses System der Mythologie errichtet, und jedem einzel-
nen Mythus, sobald wir einmal darüber Gewissheit haben, wie
sein Inhalt zu deuten ist, die ihm gebührende durch den wis-
senschaftlichen Zusammenhang des Ganzen bestimmte Stelle
16 Mythologie.
angewiesen werden kann. Nach unserer Ueberzeugung ist dies
eine der wichtigsten Aufgaben, welche in Prolegomena zu je-
der Wissenschaft, und somit auch in Prolegomena zu einer
wissenschaftlichen Mythologie zur Sprache kommen muss ; sie
kann aber natürlicher Weise nicht gelöst werden, so lange man
den Begriff des Mythus blos als einen historischen durchaus
nur von der äussern Erfahrung gegebenen betrachtet , und den
Begriff des Apriorischen dadurch verwirrt und aufhebt, dass
man zwischen der in unserm höhern Bewusstseyn sich ausspre-
chenden Idee und den einzelnen allerdings nur historisch er-
kennbaren Formen einer solchen Idee nicht gehörig unterschei-
det. Rec. glaubt diese Bemerkung um so mehr machen zu
dürfen, da der Verf. Vorrede S. V selbst gesteht, der Leser
werde ihm wohl glauben, dass er nicht im Geringsten die Mei-
nung von sich hege , durch diese Schrift etwas Aehnliches für
die Mythologie geleistet zu haben , was ein bekanntes philoso-
phisches Werk von grosser Bedeutung unter demselben Namen
leistete, sondern nur etwa die : etwas Sehnliches thue der My-
thologie gerade jezt am meisten Noth.
Wissenschaftlich in strengem Sinne soll also nach der ei-
genen Forderung des Verf. der Begriff der Mythologie be-
stimmtwerden. Jede wissenschaftliche Bestimmung ist aber nur
dadurch möglich, dass wir den gegebenen Begriff, um dessen wis-
senschaftliche Bestimmung es uns zu thun ist, auf den höhern Be-
griff, unter welchem er enthalten ist, zurückführen. Auf diesem al-
lein möglichen Wege müssen wir nun auch den Begriff der Mytho-
logie auf den der Religion zurückführen, und aus dieser einfachen
aber nothwendigen Voraussezung ergeben sich uns alle bisher
entwickelten Bemerkungen , gegen welche Jeder einer solchen
Aufgabe und des sie betreffenden Gegenstandes kundige nicht
wohl einen bedeutenden Widerspruch wird erheben können.
Dem Verf. aber konnte sich auf dem von ihm eingeschlagenen
Wege, so wahr und trefflich auch alles ist, was er im Einzel-
nen ausführt, die Lösung der wissenschaftlichen Aufgabe we-
nigstens, die er sich zum Ziele gesezt hat, auf eine befriedi-
gende Weise aus dem Grunde nicht ergeben, weil er, was uns
das Unbegreiflichste in dem ganzen Inhalte dieser Schrift ist,
Religion und Mythologie völlig trennt, und die Griechische
Religion als eine blose Hülfswissenschaft der Griechischen
Mythologie betrachtet. Man vergleiche wie sich der Verf.
S. 234 sq. hierüber äussert, um darauf aufmerksam zu machen, wie
wichtiges sey, dasVorhandene seiner Natur nach nicht mythische
zu kennen, an welches der Mythus sich anschliesst. „Es scheint
mir nach allem diesen kaum einem Zweifel unterworfen, dass
die Geschichte der Griechischen Götterdienste die bedeutendste
Hülfsivissenschaft für die Mythologie sey, und in der Behand-
lung von ihr kaum getreuut werden könne, obgleich sie nur
Müller: Prolegomcna zu c. wissenschaftlichen Mythologie. 17
zumTheile in mythisch cm Boden wurzelt. Und so liegt es wohl
auch diesem Versuche oh, eine bestimmte Ansicht davon auf-
zustellen, die freilich nicht in allen Punkten gleich ausführlich
dargelegt werden kann, eben weil die Geschichte des Cultus
doch blos Hilfswissenschaft ist. Nur muss ich bemerken,
dass die Richtigkeit der bisher entwickelten mythologischen
Methode ganz unabhängig ist von der Richtigkeit der hier an
der Spize stehenden Ansichten, indem der Mythus den Götter-
glauben im Ganzen als etwas Gewordenes voraussezt, und wie
er ursprünglich geworden , für dessen Deutung beinahe gleich-
gültig ist," worauf sodann wirklich eine Reihe von Ilülfs- und
Lehrsäzen über den Gottesdienst der Griechen folgt. Um
davon nichts weiter zu sagen , dass diese Behauptung mit an-
dern Stellen der Schrift, nach welchen ja vorzugsweise Reli-
gion Inhalt des Griechischen Mythus ist, man vergl. z. B. S.
269, nicht übereinstimmt ; so erhellt die Unrichtigkeit dieser
Ansicht auch schon unmittelbar aus der Natur der Sache selbst,
selbst abgesehen von den bisherigen Erörterungen. Wie sollte
denn der Mythus in allem demjenigen, was er über die Götter
des alten Glaubens zu erzählen weiss, nur an etwas Vorhan-
denes, seiner Natur nach nicht mythisches sich anschliessend
Wie sollte nur das, wobey die Götter handelnd erscheinen,
mythisch zu nennen seyn, und nicht vielmehr ihr persönliches
Wesen selbst seiner Natur nach eben das eigentlich Mythische
seyn? Person und Handlung fallen ja ohnedies bey jeder Be-
trachtung wieder in Eins zusammen. Nach der Ansicht des
Verf. müsste man also, wenn man auch bereits das Wesen
und den Begriff des Mythus vollkommen erkannt zu haben
glaubt , doch erst ganz unabhängig von allen diesen Untersu-
chungen über den Mythus sich die Frage beantworten, wie der
Glaube der Griechen auf die religiöse Idee eines Zeus , eines
Apollon, einer Athene, Demeter u. s. w. gekommen sey? Aber
welche Antwort könnte darauf gegeben werden '? Können alle
diese persönlichen Götterwesen aus einer andern geistigen
Thätigkeit abgeleitet werden, als eben aus derjenigen, welche
die Quelle der mythischen Erkenntniss und Darstellungsweise
ist? Versuche es Jeder, der die Ansicht des Verf. theilt, er
wird bey jedem Schritte an einer in sich selbst widersprechen-
den Aufgabe anstossen. Alle jene Götterwesen des alten Glau-
bens überhaupt und des Griechischen insbesondere müssen,
wenn wir sie in den Elementen ihrer Entstehung ergreifen wol-
len , ebenso auf eine bestimmte bildliche Natur -Anschauung
zurückgeführt werden, wie der Mythus immer in dem Grund
und Boden des Symbols wurzelt. Was bey solchen Götterwe-
sen, wie z.B.Poseidon, Hephästos, Demeter sind ,' sogleich
von selbst klar ist, die Beziehung auf eine gegebene Natur -
Anschauung, gilt von allen diesen Wesen überhaupt, und die
Jahrb. f. Phil. u. Fädag. Jahrg. 111. Heft 1. O
18 Mythologie.
erste Aufgabe des Mythologen bey der Erklärung derselben
ihuss immer darin bestehen, den freilich oft versteckten und
auf verschiedene Weise modificirten Natur-Anschauungen nach-
zugehen, welche der alte Glaube bey seinen Göttergestalten
zuerst fixirt hat. Und wie der Mythus zwar einerseits im
Symbol wurzelt, auf der andern Seite aber ebendadurch My-
thus ist, dass zum Elemente des Symbols ein neues Element
hinzukommt , nemlich der Begriff der persönlichen Thätigkeit
und Handlung, so sind auch aus jenen religiösen Natur-An-
schauungen durch die Personification persönlich lebendige und
ethische Wesen hervorgegangen, und je mehr der Mythus gerade
diese Seite seines Wesens wenigstens in Einer Klasse seiner
Göttergestalten vorzugsweise hervorgehoben und ausgebildet
hat, desto mehr kommt darauf an, beide Elemente seines We-
sens und das verschiedene auf vielfache Weise modificirte Ver-
hältniss derselben in genauere Erwägung zu ziehen. Es ist
völlig dieselbe Methode, wir mögen einen Mythus oder irgend
eine Gottheit des alten Glaubens, oder die Mythologie und die
alte Religion im Ganzen zu erklären versuchen. Der Verf.
hat auch in der That, so sehr er Religion und Mythologie
trennt, dennoch die Identität beider selbst auch in seinen Sä-
zen über die Griechische Religion wieder ausgesprochen, wenn
er S. 237 sagt : „Erklären , warum eine besondere Gestalt des
Glaubens bey einem Volke eigenthümlicher Bildung gefunden
werde, heisst nichts anders, als den Grund der gesammten
geistigen Beschaffenheit dieses Volkes angeben." Was werden
wir nun aber über den Grund der gesammten geistigen Beschaf-
fenheit des Griechischen Volkes in dieser Hinsicht anders sagen
können , als nur dies : Es ist ein Gesez der Entwickelung der
geistigen Thätigkeit des Menschen, dass er auf einer bestimm-
ten Stufe derselben die Ideen des Uebersinnlichen und Göttli-
chen sich nur unter der sinnlich - anschaulichen Hülle des Bil-
des, d. h. des Symbols und des Mythus, zum Bewusstseyn brin-
gen und darstellen kann. Ebenso kommt auch alles dasjenige,
was der Verf. S. 238 f. über die in der alten Griechischen
Religion nachzuweisende entgegengesezte Tendenz sowohl zum
Polytheismus als zum Monotheismus ausführt, neben der histo-
rischen Betrachtung, auf die immer festzuhaltende Unter-
scheidung des Bildes und der Idee im Mythus zurück.
Es wäre leicht zu zeigen , wie der Mangel einer tieferen
Untersuchung der beiden die Form und den Inhalt betreffenden
Hauptpunkte des Mythus auch im Einzelnen Behauptungen und
Erklärungen zur Folge gehabt hat, von deren Wahrheit man
sich nicht so leicht überzeugen kann. Wir berühren dies je-
doch nur ganz kurz. Die Trennung der Älythologie von der
Religion veranlasste den Verf. zu der sonderbaren Behauptung,
dass ein Cultus nicht aus einem Mythus , sondern ein Mythus
Müller: Prolcgomena zu e. wissenschaftlichen Mythologie. 19
aus einem Cultus zu erklären sey. So wird z. B. S. 108 gesagt:
„Wir wissen bestimmt , dass die Fabel (diesen vom Verf. eini-
gemal gebrauchten Ausdruck wünschten wir nicht mit dem
Ausdruck Mythus verwechselt) von Herakles geliebtem Knaben
Ilylas, den die Nymphen rauben und der Held umsonst in Ber-
gen und Thälern ruft, aus einem in der Gegend von Kios in
Bithynien herrschenden Cult entstanden ist, bey dem ein in
das Wasser versunkener Gott au den Quellen im Gebürg geru-
fen und beklagt wurde. Denn dass etwa der Gebrauch des Cul-
tus aus der Fabel entstanden sey, kann durchaus nicht ange-
nommen werden , da auch die weiterhin wohnenden Mariandy-
nen, ein alteinheimisches Volk Kleinasiens, genau denselben
Gebrauch hatten, und die religiöse Bedeutung durch Analogien
sehr deutlich wird. Wenn nun also der Mythus aus dem Cul-
tus hervorgebildet ist, so" u. s. w. Es ist völlig undenkbar,
wie ein Cultus entstehen konnte ohne eine bestimmte Idee, die
dem Cultus voranging, und denselben veranlasst hat. Der
Verf. spricht ja eben in der angeführten Stelle von der reli-
giösen Bedeutung des Cultus. Worin anders aber wird diese
ausgedrückt gewesen seyn , als in einem Mythus ? Die mythi-
sche Handlung verhält sich zu der Handlung eines Cultus ganz
so, wie sich das Innere zum Aeusseren verhält; wie sich die
Ideein dem Mythus objeetivirt, so objeetivirt sich nach dem-
selben Zuge zur sinnlichen Darstellung die mythische Hand-
lung in einer ganz nach aussen gekehrten Handlung, und es ist
eigentlich eine Verkehrung von Ursache und Wirkung, wenn
der Mythus vom Cultus abgeleitet wird. Auf dieselbe Weise
verfährt der Verf. S. 235, wo er von dem Mythus des Atha-
mas spricht: Von der Bildung des Mythus habe die dichteri-
sche Ausbildung fast nichts übrig gelassen. Dies werde dem
Leser erst deutlich, wenn er erfahre, dass es einen alten Cul-
tus des Zeus im Lande der Minyer gab, und wenn er die Man-
nigfaltigkeit der Sagen erwogen, werde er auch einsehen, dass
der gesammte Mythus aus dem Cultus, nicht der Cultus aus
dem Mythus entstanden ist. Aber aus welcher Idee entstund
denn der Cultus selbst, und wie kann die religiöse Idee, die
wir voraussezen müssen, anders auf gefasst gewesen seyn, als
mythisch'? Somit kann nur die mythische Idee den Cultus er-
zeugt haben , nicht aber der Cultus den Mythus.
Die zulezt gemachte Bemerkung betrifft den Inhalt. Nicht
minder scheint dem Verf. auch in Hinsicht der Form der rich-
tige Gesichtspunkt für die Behandlung des Mythus öfters da-
durch verrückt worden zu seyn, dass er die Form nicht be-
stimmt in das Bildliche, d. h. die Einheit einer Naturanschau-
ung, sezte. Damit hängt nemlich offenbar zusammen, dass der
Verf. bey der Erklärung und Deutung der Mythen die Tren-
nung und Zerlegung des Mythus in verschiedene Bestandteile
9*
20 Mythologie.
gar zu sehr als Hauptgeschäft des Mythologen hervorlieht. Es
ist allerdings wahr, die fortgehende Tradition hat in dem Mythus
häufig sehr Verschiedenartiges verbunden und der deutende
Mytholog hat demnach den gerade entgegengesezten Weg zu
gehen, den die Alten genommen haben. Auf der andern Seite
aber liegt der Irrthum ebenso nahe , wenn man über dem Be-
strehen zu trennen' in Gefahr kommt, auch die ursprüngliche
Einheit aufzulösen und somit das organische Leben des 31y-
thus zu zerstören. Es muss ein festes Kriterium geben , das
uns der Trennung des im Mythus Verbundenen die gehörige
Grenze sezen heisst, und dieses besteht nicht blos in den drei
Punkten: Wo ist diese und jene mythische Erzählung entstan-
den, durch welche Personen (nach Personen scheint uns ohne-
dies hier nicht richtig gefragt zu werden) und woran hat sie
sich gebildet'? wie sie der Verf. S. 226 bestimmt und ausführt.
Es kommt nach der obigen Deduction vor allem darauf an, dass
wir bei einem Mythus die bildliche Grundanschauung festhal-
ten , welche als die W urzel eines Mythus anzusehen ist. Die
Anschauung gibt immer eine momentane Einheit. Was daher
mit dieser nothwendig zusammenhängt, kann nicht erst etwas
zufällig Hinzugekommenes seyn, sondern nur das ursprünglich
Vorhandene, der Kern und Mittelpunkt des Mythus. Richten
wir nicht darauf vorzüglich unsere Aufmerksamkeit, so kön-
nen wir gar zu leicht verleitet werden , was auch dem Verf.
gewissermaassen begegnet ist , das Merkmal der innern Noth-
wendigkeit, welches doch als Grundbegriff des Mythus anzu-
erkennen ist , einer vorausgesezten freien Willkühr der Dich-
ter, von welchen jeder folgende immer etwas neues und eigenes
zum ursprünglichen Mythus hinzugesezt habe, wieder aufzuo-
pfern. Es ist dies in der That ein sehr bedeutender Punkt,
der hauptsächlich auch dazu beiträgt , die Mythologen unserer
Zeit in zwei entgegengesezte Partheien zu theilen. Die Einen
wollen überall trennen und auflösen , weil sie im Mythus das
Symbol als festen Punkt der Einheit nicht achten, die Andern
sind bemüht , auch das dem Anschein nach Verschiedene im
Mythus auszugleichen und auf Einheit zurückzufuhren, weil sie
vor allem auf die Ausmittelung einer den Mittelpunkt eines My-
thus bildenden symbolischen Anschauung losgehen zu müssen
glauben. So mag z. B. allerdings in die Sagen von der Argo-
nautenfahrt, von den Thaten des Herakles, vomTroischen Krieg
sehr vieles aufgenommen worden seyn, wovon die älteste Ue-
berlieferung noch nichts wusste. Die ursprüngliche Aea der
Argonauten war vielleicht eine andre als die Kolchische am
Phasis , aber dennoch behaupten wir, auch schon in dem älte-
sten Aea lag ein Merkmal, welches von selbst die Veranlas-
sung enthielt, dasselbe in eine immer entferntere örtliche Lo-
kalität zu verlegen , und es zulezt in dem dieser Voraussezung
Müller : Prolegoincna zu e. ■wissenschaftlichen Mythologie. 21
zu Folge erst später bekannt gewordenen Kolchischen Aea wie
historisch zu fixircn. Ueppiger gewuchert hat nicht leiclit ein
anderer Sagenkreis als der Troische und Herakleische, und
doch wird sich auch hiebei nicht leicht ein bedeutender My-
thus aufweisen lassen, dessen wesentlicher Inhalt nicht schon
durch die ursprüngliche Tendenz der ältesten Sage bedingt und
veranlasst war. Es kommt hier ganz darauf an, den Mythus
als einen organischen Keim zu betrachten, dessen spätere Er-
scheinung nicht als eine blos äusserliche Anhäufung verschie-
denartiger erst mit der Zeit in eine solche zufällige Verbin-
dung gebrachter Elemente anzusehen ist, sondern vielmehr als
eine vom Innern herausgehende Entfaltung, als eine naturge-
mässe Ausbildung einer schon ursprünglich vorhandenen Anlage;
und dadurch erst erhält das obige Merkmal, auf welches wir
immer wieder zurückkommen müssen, dass der Mythus der Ge-
gensaz gegen die freie, absichtliche, zufällige Poesie der
Dichter ist , seine wahre Bedeutung. Ist der Mythus ganz als
ein organisch sich entwickelndes Naturgewächs zn nehmen, so
konnte die Ueberlieferung und die mit dieser allmälig sich ver-
bindende Reflexion grossentheils nur das innerlich Verschlos-
sene äusserlich hervorheben, und das unbewusst Gegebene
mehr und mehr zum Bewusstseyn bringen. Das Unbestimmte
wurde bestimmter, individueller, und der Mythus zulezt wohl
gar historisch fixirt. Durch die meisten Mythen zieht sich in
der That ein innerer organischer Zusammenhang so deutlich
hindurch, dass es, wenn wir nur auf die Idee in ihrem Ver-
hältniss zum Bilde genau achten, nicht schwer ist, das Ur-
sprüngliche von dem Fremdartigen und bedeutungslos Hinzu-
gekommenen zu trennen. Als ein Beispiel eines solchen innern
Zusammenhangs zwischen scheinbar sehr abweichenden altern
und neuern Sagenformen würden wir hier, wenn es der Raum
gestattete, die Helena der Uias und des Euripides wählen.
Aus demselben Gesichtspunkt ist zu beurtheilen, was der Verf.
S. 20S über das psychologische Motiviren der Begebenheiten
bey den Dichtern von Homer an sagt. Der Verf. bemerkt da-
bey Manches , was uns der Wilikühr der Dichter in der Be-
handlung des Mythus einen zu grossen Spielraum zu gewähren
und mit der vom Verf. selbst anerkannten Voraussezung nicht
recht zusammenzustimmen scheint, dass das Ideelle des My-
thus nichts Hinzugethanes sey (S. 167). Es kommt auch hier
auf eine genauere Betrachtung des Wesens des lVIythus an, und
im Allgemeinen kann durchaus nicht behauptet werden, dass
der lyrische , wie der tragische Dichter die Motivirung ganz in
seiner Gewalt gehabt habe (S. 209). Es kann dies nicht ein-
mal von Euripides, von welchem man doch gewöhnlich die
grösste Freiheit hierin annimmt, gesagt werden. Als eines der
22 Mythologie.
augenscheinlichsten Beispiele einer solchen dichterischen Moti-
virung , wie sie der Verf. hier meint, könnte man in dem My-
thus von Zeus und Semele den Zug ansehen , dass der Semele
die Gewährung des Wunsches verderblich wird, den Zeus auf
dieselbe Weise zu sehen, wie er derHere am Tage der Ver-
mählung nahte. Und doch würden wir den grössten Irrthum
begehen , wenn wir diese Motivirung von dem ursprünglichen
Mythus als spätere Dichterzugabe ausscheiden wollten , da uns
eben hierin die symbolisch - mythische Grundanschauung, auf
welcher der ganze Mythus ruht, gegeben ist. Denn die Ver-
mählung der Here mit Zeus , als EQiydovnos izoCig Hgrjg bey
Homer, geschieht in der Majestät des Gewitters, das die Erde
im neuen Frühjahr befruchtet, und Semele ist gerade dadurch,
was sie auch nach dem übrigen Inhalt des Mythus seyn muss,
am deutlichsten als die Erde bezeichnet. Dass Aeschyios zu
seinem Prometheus vonllesiodos nur die scheinbaren Fakta, den
Feuerraub, die Anfesselung, die Rettung durch Herakles und
Einiges der Art genommen, die Beweggründe der Handelnden
und somit die innere Bedeutung der Handlung aus eignem Gei-
ste geschöpft habe (S. 209) ist eine ganz ungegründete Behaup-
tung. Auch bey Hesiod ist Prometheus keineswegs nur der Be-
triebsame und Gewerbfleissige, der erst im Kopf eines Aeschy-
ios zu einer ganz andern Person von mehr speculativer Bedeu-
tung umgeschaffen werden musste (S. 123). Audi bey Hesiod
ist Prometheus doch wenigstens der Feuerräuber, und eben
dieser symbolisch -mythische Begriff ist der innere Kern, aus
welchem sich der ganze Mythus sowohl bey Hesiod als bei Ae-
schyios sehr natürlich entwickelt hat. In demselben Zusammen-
hang S. 209 sagt der Verf. : „Was dieWeise betrifft, in welcher die
Dichter zu motiviren pflegen, so scheint mir kein Zweifel zu seyn,
dass sie persönlicheWünsche, individuelle Neigungen gern auch da
als Beweggründe sezen, wo sie es dem ursprünglichen Sinne der
Fabel nach nicht seyn konnten." Als Beispiel statt anderer
wird dann der Homerische Hymnus auf Apollon Pythios ange-
führt. Aber auch hier können wir nicht blos eine von Dich-
tern herrührende Motivirung erblicken, aus dem einfachen
Grunde: Wenn einmal symbolisch - mythische Wesen schon
nach dem ursprünglichen Begriffe des Mythus die stehenden
Charactere desselben seyn müssen, so versteht es sich von selbst,
dass sie auch als persönliche von individuellen Wünschen
und Neigungen bestimmte Wesen handeln. Es müssen in je-
dem Fall erst noch andere Betrachtungen hinzukommen , wenn
hieraus, was der Verf. meint, folgen soll. Der Beisaz, dass
in dem Homerischen Hymnus persönlicheWünsche, individuelle
Neigungen dem ursprünglichen Sinne der Fabel nach nicht Be-
weggründe seyn konnten, sagt eigentlich nichts, da dies bei
Müller : Prolcgoiur.na zu o. wissenschaftlichen Mythologie. 23
jeilem Mythus deswegen der Fall ist, weil seine Götterwesen
keine wirkliche, historische, sondern hlos mythische Personen
Kind. Wir kommen auch hier nur auf die für den Mythus we-
sentliche Personitication zurück. Der Grund , sagt der Verf.
S. 211, welchen derselbe Hymnus von dem Beinamen desApol-
lon jdsX(pLViog angebe, sey natürlich durchaus mythisch, wo-
durch ohne Zweifel dieser Maine und Mythus gleichfalls als ein
späterer unwesentlicher Zug der Sage bezeichnet werden soll.
Aber eben, wenn Apollon, wie der Verf. selbst nachweist, auch
in Knossos als Delphinios verehrt wurde, kann der Name nicht
hlos so zufällig entstanden seyn, und es möchte auch hier,
wenn wir den Mythus auf seine Maturanschauung beziehen,
nicht schwer seyn, den Zusammenhang des Namens und My-
thus mit dem Begriffe des Apollon zu entdecken. Man denke
nur an die Verbindung, in welche Apollon auch sonst mit Po-
seidon gesezt wird.
Die Aufgabe, von welcher wir hier reden, erfordertauch
noch kurz , die Ansichten des Verf. über die ältesten Völker-
verhältnisse , sofern davon ein richtiger BegrifF des Mythus ab-
hängt, zu berühren. Es wird in der ganzen Schrift still-
schweigend vorausgesezt , dass unter dem Mythus, dessen
wissenschaftliche Behandlung untersucht wird , nur der Grie-
chische Mythus zu verstehen sey. Erst S. 281 erklärt der Verf.
ausdrücklich, dass er nur von der Mythologie der Griechen als
einer bestimmten historischen Wissenschaft handeln wollte.
„Dass man diese überhaupt nicht in dieser Absonderung treiben
könne, wäre so viel, oder eigentlich noch mehr gesagt, als
man könne die Griechische Sprache nicht ohne Sanskrit und
Hebräisch erlernen." Der Verf. stellt sich also auf die Seite
derjenigen Mythologen, welche die Griechische Mythologie
rein für sich betrachtet wissen wollen. Was zuerst den zur
Rechtfertigung dieser Ansicht von der Sprache genommenen
Grund betrifft, so wird er eigentlich durch das, was der Verf.
selbst auf die angeführten Worte folgen lässt, so ziemlich wie-
der entkräftet. Ueberdies kommt dabey noch zweierlei in Be-
tracht. 1) Fragt es sich vor allem, was man unter der Er-
lernung einer Sprache versteht. Versteht man eine solche Er-
lernung einer Sprache, welche soviel möglieh auf die ersten
Elemente der Sprache zurückgeht, und darauf gerichtet ist,
aus einer einzelnen gegebenen Sprache die in der Bildung der
Sprache sich äussernde geistige Thätigkeit selbst zu begreifen ;
so ist doch wohl klar, dass dies nur auf einem universelleren,
den Blick in den iunern Geist und Organismus mehrerer Spra-
chen eröffnenden Standpunkt gelingen kann. Das Geschäft des
Sprachforschers hat in der That iu dieser Hinsicht die grösste
Aehnlichkeit mit dem des Mythologen, oder ist vielmehr das-
selbe. Wie der Mytholog, um die Bedeutung eines Mythus zu
24 Mythologie.
erforschen, vor allem die bildliche Form desselben, die sym-
bolische Naturanschauung, aus welcher er erwachsen ist, ins
Auge fassen muss , so kann auch der Sprachforscher in den in-
nern Geist und Character einer Sprache nur dann eindringen,
wenn er aus den Sprachformen soviel möglich die Wurzeln aus-
scheidet, und diese auf die sinnlichen Anschauungen zurück-
führt, aus welchen sie grösstentheils als Zeichen für abstracte
Begriffe entstanden sind. Etymologie ist daher ein wesentli-
cher Bestandtheil wie der Grammatik, so der Mythologie. Sol-
che Sprachwurzeln aber können mit Sicherheit nur durch Ver-
gleichung mehrerer Sprachen aufgefunden werden. 2) Bey der
Behauptung, die Griechische Mythologie könne ebenso rein ab-
gesondert werden, wie man auch die Griechische Sprache ohne
eine andere erlernen könne , übersieht man gar zu leicht eine
bedeutende Verschiedenheit des Mythus und der Sprache. Die
Sprache besteht zwar auch, wie der Mythus, aus Zeichen und
bildlichen Formen, deren Bedeutung erforscht werden muss.
Aber die Bedeutung derselben ist hei jeder uns bekannten Spra-
che ein durch die Ueberlieferung unmittelbar Gegebenes, das
insofern nicht philosophisch, sondern nur empirisch, historisch
aufzufassen ist. Der Mythus aber besteht aus Zeichen und
Bildern, deren Bedeutung keinesweges durch sie selbst klar
ist, sondern erst auf vielfachen Umwegen gefunden werden
kann, und zugleich dient er nicht blos als ein Mittel , wie die
Sprache , sondern hat einen selbstständigen Zweck. Er ist ent-
weder gar nichts , oder nur insofern etwas , sofern er seinem
wahren und ursprünglichen Wesen nach erkannt wird, d. h.
seine philosophische Bedeutung liegt eben darin, dass wir ihn
eigentlich nicht als ein Gegebenes und Vorhandenes oder als
ein Gewordenes betrachten können , sondern nur als ein Wer-
dendes. Der Begriff seines Wesens geht uns erst mit seiner
philosophischen Deduction auf, während die Sprache auch dem
befriedigende Rede und Antwort gibt, der von den Elementen
ihrer Entstehung nichts weiss. Je mehr wir aber mit dem My-
thus auf seine Genesis zurückgehen müssen, desto weniger
kann er eine so enge Beschränkung seiner Sphäre ertragen.
Dies führt uns auf den Punkt , von welchem aus dieser Gegen-
stand noch weitere Betrachtungen darbietet.
1) Auch der Griechische Mythus ist nach den Untersu-
chungen des Verf. nicht als Erfindung einzelner Individuen,
sondern nur als Erzeugnis» des geistigen Volkslebens zu be-
trachten. Es gehört dies sosehr zum Character des Mythus,
dass derselbe durch nichts mehr aufgehoben wird , als die An-
nahme des Gegentheils. Tradition ist das Element des My-
thus, Tradition aber geht ihrer Natur nach in eine unbestimm-
bare Zeitferne zurück, die über alle Geschichte hinausliegt,
indem ja die Geschichte im gewöhnlichen Sinn und im Gegen-
Müller; Prolegonicna zu c. wissenschaftlichen Mythologie. 25
saz gegen die volksthümlichc Tradition erst indem Grade mehr
zum Leben kommt, je mehr einzelne Individuen faktisch her-
vortreten. Wir werden demnach schon wenn wir den Spuren
der mythischen Tradition nachgehen, bey jedem Volke in eine
vorhistorische Periode versezt, in welcher es erst das wird,
was wir in der Zeit seiner historischen Erscheinung als ein Ge-
wordenes erblicken. Die Zeit aber, in welcher ein Volk sich
erst zu seinem historischen Character ausbildet , ist nothwen-
dis zugleich auch diejenige , in welcher es noch mit andern
Völkern, deren Trennung erst seinen individuellen Character
bestimmt , am meisten zusammenhängt. Diese Annahme ist um
so nothwendiger, da auch der Inhalt der mythischen Tradition
von der Art ist, dass er als das unveräusserlichste geistige Ei-
genthum eines Volkes von dem geistigen Character desselben
gar nicht getrennt werden kann. Die Ideen der Religion sind
es ja, die hier in bildlicher Form niedergelegt sind; Religion
aber ist so sehr der eigentlich menschliche Character und so
wenig etwas erst später und von aussen Hinzugekommenes und
Zufälliges, dass jedes geistige Bewusstseyn , sey es das indivi-
duelle, oder das gemeinsame des Geschlechts, nothwendig
gleich anfangs auch ein religiöses ist. Was der Verf. in der
genannten Stelle sagt: „Die Götter, Culte und Mythen der Grie-
chen in ihrer Bestimmtheit gehören sicher einer ganz andern
Zeit an (als der ältesten Vorzeit) , einer Zeit gesonderter Ent-
wickelung, in der es selbst kein äusserlich zusammengehalte-
nes Nationalganzes gab," ist sehr unbestimmt und schwan-
kend. Die Griechische Religion und Mythologie hatte aller-
dings in der Zeit der volksthttmlichen Entwickelung einen fest-
bestimmten selbstständigen Character; aber keineswegs dürfen
wir, so wenig die Nation schon Anfangs war, was sie nachher
ward, diesen als den ursprünglichen voraussezen, und es ent-
hält vielmehr die Griechische Religion auch noch in dieser
Zeit die deutlichsten Merkmale eines aus verschiedenen fremd-
artigen Elementen entstandenen Uebergangs zu dem spätem
entschiedenen Character. Dass es eine Athenäische Jungfrau
nicht eher gab , als es ein Athen in der Kopaischen Niedrung
oder an der Akte gab, und dass die Argivische Herrin schwer-
lich älter als Argos ist, S. 282, sind Beispiele, die so deutlich
als irgend andere das Gegentheil von der Meinung des Verf.
beweisen können.
2) Hat uns einmal die Untersuchung des innern Wesens
des Mythus auf den Punkt geführt, wo wir die im Einzelnen
gegebene historische Erscheinung an die Geseze der geistigen
Tbätigkeit des Menschen anknüpfen müssen; so ist damit un-
mittelbar auch die Nothwcndigkeit ausgesprochen , mit jener
Erscheinung über das Einzelne hinauszugehen und sie als eine
allgemein menschliche aufzufassen, indem ja die Geseze des
26 Mythologie.
menschlichen Geistes überall dieselben sind. Davon überzeugt
uns auch sogleich die Geschichte selbst. Oder sind denn, um
von den übrigen Europäischen Völkern nichts zu sagen, die Re-
ligionen der Orientalischen Völker, mit Ausnahme des Jüdischen,
das die Verwerfung des Bildes ausdrücklich zum Grundsaz
macht, nicht ebenso symbolisch und mythisch, wie die des Grie-
chischen? Wie sollte daher der Begriff der Mythologie wis-
senschaftlich bestimmt werden können , wenn in prolegomena
zu einer wissenschaftlichen Mythologie unter Mythologie im-
mer nur die Griechische Mythologie verstanden und der nur
durch Zusammenfassung aller gleichartigen Erscheinungen zu
gewinnende Begriff nur aus einer einzelnen einseitig abstrahirt
wird? Dieser Nachtheil muss eben bey einem so empirischen
Verfahren, wie das des Verf. ist, um so sichtbarer seyn, und
er zeigt sich, wie in der ganzen Ausführung, so besonders da-
durch, dass über dem Begriffe des Mythus der Begriff des Sym-
bols, ohne welchen auch jener niemals richtig bestimmt weiden
kann, so gut als ganz übersehen worden ist. Nur auf diesem
universelleren von der Wissenschaft gefoderten Standpunkt
kann die zuvor schon begründete Ueberzeugung ihre Bestäti-
gung erhalten, dass die symbolisch-mythische Form einer gro-
ssen Periode der Entwicklung des menschlichen Geistes eigen-
tümlich angehört , und nur auf diesem Wege ist es dann auch
möglich, die beiden Hauptformen , die sich uns in derselben
selbst wieder darstellen , nach ihren characteristischen Merk-
malen zu unterscheiden. Damit wollen wir zwar keineswegs
sagen, dass die Griechische Mythologie nicht auch für sich be-
trachtet werden könne, liier aber ist es allein um die wissen-
schaftliche Bestimmung des Begriffs zu thun.
3) Das zulezt Bemerkte hat seine Gültigkeit, wenn wir
auch nicht gerade darauf ausgehen , den Zusammenhang Grie-
chenlands mit dem Orient durch einzelne historische Gründe
darzuthun. Aber wie wahrscheinlich wird dieser durch Be-
trachtung der Mythologie und der ältesten Geschichte der Grie-
chen selbst? Mehrere neuern Mythologen thun sich viel damit
zu gut , die Verschiedenartigkeit der Bestandteile der Grie-
chischen Mythologie bis ins Einzelnste zu verfolgen; sie wollen
überall nur trennen , nirgends eine gemeinschaftliche Einheit
anerkennen: Localmythologie, rufen sie uns immer zu, sey die
ganze Griechische Mythologie, jede Stadt habe ihren eigenen
Zeus , ihren eigenen Apollon u. s. w. , es gebe durchaus keine
andere Methode für die Behandlung des Griechischen Mythus
als die rein empirische, die ihren Stolz darin findet, jede Idee
aus der Geschichte zu vertilgen. Möchten doch diese Mytho-
logen, zu weichen wir übrigens unsern Verf. wegen gewisser
Ilaiiptansichten nicht zählen , vor allem auch die Erscheinung
auf eine befriedigende Weise (d. h. nicht Mos durch willkühr-
Müller: Prolcgomcna zu e. wissenschaftlichen Mythologie. 2<f
liehe Berufung auf den Einfluss der auf Ausgleichung hedach-
ter Dichter) erklären , dass die Griechische Mythologie gleich-
wohl einen gemeinsamen und in wesentlichen Ideen überein-
stimmenden Gruudcharacter hat, dass jener Zeus, der in je-
der Stadt ein ganz anderer seyn soll, doch als der Gott der
gesammten Nation überall mit demselben Begriff verehrt wor-
den ist. Es verhält sich damit ebenso, wie wenn man deswe-
gen, weil die so vielfach getrennten und verschiedenen Griechi-
schen Stämme und Staaten besondere Namen, Sitten und Ver-
fassungen gehabt haben, behaupten wollte, was freilich viel-
leicht der Sinn mancher Geschichtsforscher ist, es habe keine
ursprüngliche Einheit der Griechischen Nation gegeben. Die
Vereinzelung und Verschiedenheit der Griechischen Stämme
und Staaten, die so alt ist als die Griechische Geschichte selbst,
lässt sich nur aus einer der historischen Erscheinung der Na-
tion vorangehenden Volks -Einheit erklären, und wo anders
sollte die ursprüngliche Heimath desselben gesucht werden
können , als im Orient , der gemeinsamen Wiege der Völkerge-
schichte'? Beachten wir dann überdies die vielen und unzwei-
deutigen Spuren, die uns aus dem ältesten Griechenland in be-
stimmte auswärtige Lokalitäten (wobei nur nicht sogleich au
Aegypten und Phönizien zu denken ist) zurückführen, die
auffallende Uebereinstimmung Griechischer Symbole und My-
then, Ideen und Lehren mit Orientalischen, die gerade in den
ältesten Traditionen des Griechischen Volks enthaltene ideale
Welt- und Lebens -Ansicht, die freilich die gewöhnliche Vor-
aussezung der historisirenden Mythologen, es müsse in der
Entwickelung des menschlichen Geistes alles ganz von unten
herauf gehen , xon vorn herein , obwohl im Widerspruch mit
deutlichen Zeugnissen verwirft ; — so kann gewiss eine gründ-
liche und unbefangene Geschichtsforschung den engen und wich-
tigen Zusammenhang Griechenlands mit dem Orient nicht ver-
kennen, und wie sollte es demnach anders als von dem gröss-
ten Einfluss für die Behandlung der Griechischen Mytholo-
gie seyn, wenn wir mit derselben innerhalb einer so unnatür-
lich beschränkten Sphäre stehen bleiben wollen?
Es ist natürlich, dass dieses Streben des Verf. die Grie-
chische Mythologie so viel möglich vom Orient abzusondern,
auch im Einzelnen Urtheile zur Folge gehabt hat, die mit je-
ner allgemeinen Ansicht stehen und fallen. Dass z. B. die My-
then von der Medea, von Perseus erst durch die später ein-
getretene Verbindung mit dem Auslande, mit Medien und
Persien, seit dem Sturze Lydiens entstanden sind (S. 177), dass
man in dem Mythus von Dionysos für Nysa in Böotien ein Ara-
bisches und Indisches, an die Stelle näherer Gegenden ent-
ferntere, gesezt habe (a. a. 0.) , sind Behauptungen , die eine
freiere Ansicht über das Verhältniss Griechenlands zum Orient
28 Mythologie.
und eine sorgfältige Benuzung auch des Mythus für die älteste
Völkergeschichte unmöglich für richtig halten kann. Kann doch
selbst bey den Kolonien, aus deren Stiftung der Verf. hauptsäch-
lich chronologische Bestimmungen der Mythen zu entnehmen
sucht, zum Theil auch noch die Frage entstehen, ob nicht auch
solchen histoiisch bekannt gewordenen Wanderungen Erinnerungen
an alte Völkerzüge zu Grunde liegen, von welchen zwar die Ge-
schichte schweigt, der Mythus aber öfters noch Andeutungen
gibt. Dieselbe Scheu, die die Völker abhielt, aufs Gerathe-
wohl in die weite Welt hinauszuziehen, Hess wohl auch nicht zu,
dass sie zu leichtgläubig erst für einen solchen Zweck aufgebrach-
ten Sagen folgten. Des Dionysos Indischer Zug ist dein Verf.
natürlich auch nur spätere Erweiterung S. 221. Doch wird S. 228
auch die Meinung geäussert, der Zug des Dionysos habe wohl
blos deswegen in Indien sein äusserstes Ziel erhalten , weil Ale-
xanders Heer hier einen mit demselben Organismus verehrten
Gott, den Mahadeva, vorfand. Aber was soll dann noch im
Wege stehen , den Griechischen Gott wirklich für den aus dem
Orient gekommenen Indischen zu halten, sobald wir neben den
entsprechenden Eigenschaften auch die dazwischen liegenden Mit-
telglieder historisch so nachweisen können , wie es bey Dionysos
wirklich der Fall ist? Nach S. 146 ist einer der wichtigsten Säze
der historischen Mythologie, dass Tyrrhenische Pelasger die
Mythen von Kadraos nach Samothrake gebracht haben. „Diese
kamen, s. S. 148, ungefähr in der Zeit der Dorischen Wanderung
als Vertriebene aus Attika, wie Herodot VI, 137 erzählt, nach
Lemnos und andern Orten, zu denen, nach demselben Schriftsteller
II, 51, auch das benachbarte Samothrake gehörte. Nach Attika aber
waren diese Pelasger aus Böotien und zwar aus der Gegend The-
bens gekommen, wie Ephoros angibt bey Strabon.u Daher, s.
S. 152 : „der Kabirendienst säramtlichcr Orte, Samothrake , Le-
mnos, Imbros , einiger Städte in Troas u. s. w. auf Theben als
seine Metropole zurückbezogen werden muss.u Aber woher wa-
ren denn die Pelasger nach Böotien gekommen? Diese Frage lässt
sich nicht beantworten , wenn wir keinen Schritt aus Griechen-
land selbst hinauszuthun wagen dürfen. Sobald aber dies ge-
schieht, werden wir uns durch eine befriedigende Combination
überzeugen können, dass die Pelasger schon in den ältesten Zeiteu
über die kleinasiatischen Küstenländer und Eilande nach Griechen-
land eingewandert sind. Daher muss es ungeachtet dessen, was
Herodot II , 51 nach seiner Meinung über die Pelasger angibt,
sehr zweifelhaft seyu, ob die Kabiren der genannten Orte nur
aus jener Wanderung, die wahrscheinlich in Folge der ersten
Einwanderung gerade dahin rükwärts geschah, schwerlich aber
so bedeutend seyn konnte , zu erklären sind. Der Troische Ka-
birencultus , der hier besonders in Betracht kommt, ist ja in die
älteste Zeit zu sezen , und unmöglich erst aus der Wanderung
Müller : Prolegomcna zu e. wissenschaftlichen Mythologie. 29
der vertriebenen Pelasger herzuleiten. Solche Säze erfoderten
jedoch eine für den Kaum dieser Blätter nicht geeignete Aus-
führlichkeit.
Zum Schlüsse der Untersuchung gibt der Verf. noch eine
Vergleichung anderer Ansichten mit der von ihm selbst dargeleg-
ten. Der Verf. hat die von Heyne, Voss, Buttmann, Creuzer,
Hermann, Welcker über die Behandlung der Mythologie aufge-
stellten Hauptsäze in eine kurze Uebersicht gebracht, und in an-
gehängten Bemerkungen bey den einzelnen Stellen seine Zustim-
mung und Abweichung bemerkbar gemacht. Dem Zwecke der
Wissenschaft wäre es wohl forderlicher gewesen, wenn der Verf.
die verschiedenen über Mythologie stattfindenden Ansichten nicht
blos historisch zusammengestellt, sondern nach einem wissen-
schaftlichen aus dem Begriffe des Mythus abgeleiteten Gesichts-
punkt geordnet und gewürdigt hätte. Es würde sich dann um
so mehr ergeben haben, dass die in der Mythologie herrschende
Verschiedenheit der Meinungen auf denselben grossen Gegen-
saz zurückkommt, der überhaupt immer in der Philosophie, Re-
ligion und Geschichte der Natur der Sache nach wahrzunehmen
ist, und selbst auch das Eigene und Neue der Ansichten des Verf.
würde sich auf diese Weise bestimmter dargestellt haben. Dieses
besteht auch nach der hier noch gegebenen Zusammenstellung
hauptsächlich in der Anerkennung, dass der Mythus als ein aus
gewissen nothwendigen innernBildungsgesezen hervorgegangenes
Erzeugniss anzusehen sey, worüber wir nach allem Bisherigen
nichts weiter hinzuzusezen haben.
Als Anhang zu den Prolegomenen folgen noch ebenfalls sehr
interessante, obgleich nur aphoristische und darum auch hier
keine nähere Berücksichtigung zulassende Bemerkungen über Ho-
mers, Hesiods und der Orphiker Verhältniss zu älterer Leber-
lieferung. Nicht zu übersehen ist, wie der Verf. auch hiebei be-
sonders auf den grosartigen von Dichter- Willkühr unabhängigen
Sinn und Zusammenhang der ältesten Sage aufmerksam macht.
Die der Schrift vorangestellte antikritische Zugabe, enthal-
tend eine Characteristik des Herrn Doctor Lange als Recensen-
ten der „Dorier" in der J. A. L. Zeitung, und eine Antwort auf
die Recension des Herrn Geheimen Hofrath Schlosser, über-
lassen wir billig ganz dem eigenen Urtheile des Lesers. Veran-
lasst sind dadurch die Zusäze, Erklärungen und Verbesserungen
zu der Geschichte der Dorier, welche der Verf. dieser Schrift
S. 397 — 433 noch angehängt hat.
Der Unterzeichnete, der den durch gründliche Quellenkennt-
niss und edlen Forschungsgeist ausgezeichneten Schriften des
Verf. schon so manche Belehrung verdankt, trennt sich auch von
der gegenwärtigen mit dem Gefühle gerechter Anerkennung des
vielen Trefflichen, das er in ihr neben einer anziehenden, klaren
und geistvollen Darstellung gefunden hat , so wie mit der Ver-
SO Inschriftenkunde.
Sicherung, dass alle hier mitgetheilten Bemerkungen, welchen
hey aller Verschiedenheit der Ansicht eine sehr wesentliche
Uebereinstimmung zu Grunde liegt, nur aus dem reinen Inter-
esse für einen Gegenstand geflossen sind, über dessen Wich-
tigkeit derselbe mit dem Verf. vollkommen einverstanden ist.
Tübingen. p. Q. Baur.
Inschriftenkunde.
Inscriptiones antiquae a comite Carola Vidua in Turcico iti-
nere collectae. Lutetiae Parisiorum. 1826. 8. IV und 52 S., nebst
51 Kupfertafeln.
▼ orliegende Schrift liefert uns einen nicht unbedeutenden
Beitrag zur Vermehrung der bis jetzt bekannten Griechischen und
Lateinischen Inschriften , und ist uns um so willkommner, als
manche der hier zum Erstenmale mitgetheilten Steinschriften
Im Stande sind, unsere Kenntniss des Alterthums beträchtlich
zu erweitern. Sie ist die Frucht einer nicht eigentlich für ge-
lehrte Zwecke unternommenen Reise durch einen grossen
Theil der alten Welt, und wenn der Graf Karl Vidua zu be-
scheiden ist, um auf den Namen eines gereisten Archäologen
Ansprüche zu machen {iiimirum, sagt er in der Vorrede, non
est hoc eruditi hojni?iis, sed peregrinantis opus), so müssen wir
doch die hier mitgetheilte Inschriftensammlung als eine wirk-
liche Förderung und Bereicherung der Archäologie ansehen.
Die hier mitgetheilten Inschriften sind theils Griechische, theils
Lateinische, ja selbst auch einige bilingues: die Zahl der Grie-
chischen ist jedoch bei weitem überwiegend. Sie werden uns,
gäramtlich in Kupfer gestochen, nach den freilich nur zu oft
unrichtigen Abschriften des Reisenden mitgetheilt, unverändert,
wie sie vom Stein abgeschrieben worden , wodurch eigenmäch-
tigen Veränderungen, die sich so oft und leicht einschleichen, gut
vorgebeugt worden. Dabei wird in dem vorausgehenden Text
genau angegeben, wo jede der mitgetheilten Inschriften ge-
funden worden, oder sich jetzt noch befindet, eine sehr ver-
dienstliche Nachweisung, die die Erklärung der Inschriften gar
sehr unterstützt, und leider von Herausgebern ähnlicher Monu-
mente zum Schaden der Alterthumskunde nur zu oft ausser Acht
gelassen worden ist. Der Text enthält zuweilen auch einige
Ergänzungsversuche (S. 11), Bemerkungen über das Zeitalter
der Inschriften (S. 18 flg.) , auch geographische Entdeckungen
von Alterthümern (S. 29 flg.); im Ganzen jedoch ohne grosse
Yiduae inscriptiones antiquae. 81
Bedeutung. Auf eigentliche Erklärung «1er Inschriften konnte
Bild wollte sich der Herausgeber gar nicht einlassen , und es
erfordern daher diese Inschriften erst noch ihre gelehrte Bear-
beitung, die ihnen, wenigstens den Griechischen ja wohl bald
zu Theil werden wird. Die Anordnung, nach welcher die In-
schriften mitgetheilt werden, ist geographisch, in dieser Fol-
ge: Inscriptiones Sarmatiae, Bithynienses, Troadis, Pergami
acTei, Aegypti, Nubienses, Syriae, Cypri, Rhodienses, Chii,
Cycladura, Atticae; woraus man zugleich den Umfang der
ganzen Sammlung übersehen können wird. Um dem künftigen
Erklärer dieser Monumente nicht vorzugreifen , schliessen wir
hier nur einzelne Bemerkungen über einzelne Inschriften an, und
haben hierbei keinen andern Zweck, als auf das Wichtige und
Verdienstliche dieser ganzen Sammlung aufmerksam machen zu
wollen.
Tab. I. No. 2 ein bloses Fragment, wahrscheinlich in der
Nähe der alten Olbia gefunden:
NPEPinonAION
HN02KAAAMAIO
hier scheint 01UEPIIIOIIAION{A^ Uebrige ist verstümmelt)
zu lesen zu sein, mit Hinweisung auf ähnliche Inschriften des
Bosporos, zusammengestellt Syllog. inscr. Sect. I S.229, welche
sich anfangen 'Aya&jj vu%y-> 'AxoIXcovl TtgoöTatr) oi xsql (folgt
ein Eigenname im Accusativ) ötQatrjyoCu. s.w. Ueber den Pon-
tisch - Thrakischen Achilleus vergleiche die sehr merkwürdige
Stelle Leo's bei Bast Ep. Crit. S. 41.
Tab. VI. No. 2 heisst es von einem gewissen diiog:
EAETTHZAS EN ÜOTISIA&IZ , sicher falsch abgeschrie-
ben statt TEAETTHUA2:*)EN I10TIOAOI2, gestorben zu
Puteoli.
Die auf Tab. VII mitgetheilte , 23 Zeilen lange Griechi-
sche Grabschrift ist zwar verstümmelt, lässt sich aber mit
Hülfe ähnlicher Monumente, die wir in grosser Zahl übrig ha-
ben, gewiss vollständig herstellen. Einige Ergänzungen mögen
hier ihre Stelle finden. Z. 1 ist zu lesen: [f]AI02 [T]PT-
0SINOZ OIKON[OM]OZ. Ein oixov6(tog als kirchliches
Amt findet sich in einer Inschrift in Burckhardt's Reisen durch
Syrien Th. I S. 149. In der in Rede stehenden Inschrift
wird natürlich ein oixov6(iog rijg noheag verstanden, wie sich
derselbe auch findet in einer andern Inschrift , zu Rhodos ge-
funden, in Clarke Travels T.III S.253 der Quartausg. Vgl. noch
Ioseph. Arehäol. XI, 6, 12 und Br. an die Rom. XVI, 23. Z. 5
*) Die Buchstaben TH und TE in EAETTHZAS und TEAETTH-
SAS sind eigentlich auf der Inschrift in ein Zeichen verschlungen , was
in der Druckerei nicht vorhanden war.
32 Inschriftenkunde.
u. 6 steht ÜEPIKE1N0N, wahrscheinlich verschrienen statt
ÜEPIKßJMENON ', worauf dann gleich folgt TOIION KAI
TPINXON. Letzteres muss SPITKON heissen: jedoch sind
wir sehr geneigt das T statt © in dieser alle Spuren einer neu-
ern Zeit an sich tragenden Inschrift als Idiom zu ertragen, wie
ja heide Buchstaben auch sonst auf Steinschriften sich ver-
tauscht finden. Z. 13 u. 14 ist zu ergänzen: THE &OITHZ
n [ TAA] 0 T ASIZEI [ TIP] 02JTEIM0T EIE [ THN]. Weiter
oben nämlich nach TPINXON folgt : KAI EN ATTSl TLTA-
A0T2JA VSl MI AN MEN &OITHN*) E TEPAN AE u. s. w. In
beiden Stellen ist &01THN vor Allen bemerkenswerth, ein Wort,
das zwar richtig copirt zu sein scheint, dessen Bedeutung Ref.
aber ganz dunkel ist. Bemerkenswerth ist ausserdem noch die
Form nvalog, wofür die Attiker bekanntlich nvelog sagten:
siehe Hemsterh. zu Thom. M. S. 862. nveXog steht auch noch
auf zwei Inschriften in Journal Asiatique 1826 No. 11, 259 und
Hammers Umblick auf einer Reise nach Brusa S. 193. Nichts
desto weniger findet sich aber auch die andere Form nvalog
noch bei Gruter S. 212. Uebrigens ist die ganze vorliegende
Inschrift wegen einer mehrmals wiederkehrenden Sprachun-
regelmässigkeit merkwürdig, indem zwar von dem Subjekt des
ganzen Redesatzes in der dritten Person die Rede ist, aber
dennoch die Inversion in die zweite Person mehrmals vorkömmt,
wie z. B. 6v{ißLa pov, itcciÖl {.iov, und anderes dergl.
Tab. IX, No. 2 steht AZKAAÜSINA statt A2KAA-
IIISINA.
Tab. X, No. 1 Z. 2 lies TON ÜATPSINA. Bekannt ist
dass die Griechen nuroav aus dem Lat. patronus machten.
Siehe einelnschr. in Burckhardt's Reisen durch Syrien Th.I S.
166, auch Sylloge inscr. Sect. II.
Aus Tab. XI, 1 (womit zu verbinden Tab. X, 2), einer In-
schrift agonistischen Inhalts, ersehen wir, dass in Neuilium
vea nuvu&rjvcucc gefeiert wurden, was bei dem in dieser Ge-
gend vorherrschenden Cultus der Athene unter dem Namen der
A&rjvä i) 'Ifoäg nicht zu verwundern ist. Auf denselben Cultus
spielt auch eine andere, in derselben Gegend gefundene In-
schrift an, Tab. XII, 3, welche einen Volksbeschluss der Ein-
wohner von Ilium enthält, wovon leider nur der dritte Theil
einigermaassen erhalten ist. Es geschieht dieser Athene mit
demselben Beinamen noch mehrfache Erwähnung auf Stein-
schriften, die in diesen Gegenden entdeckt worden: siehe
Chishull. Antiq. Asiat. S. 51, Clarke Travels T. III S. 117 der
*) Auch hier sind in den Wörtern IIPOZTEIMOT, THN, MEN
und &ÜITIIN die Buchstaben ÜP, TE , TUN, ME und TU als in
eins verschlungen zu denken.
Viduac inscriptioncs antiuuae. 33
Quartausg. Dieselbe Gottheit ist auch sicher zu verstehen un-
ter der rj &sog auf einer Ilieusischen Inschrift in Clarke
Greek marbles No. XXVI II S. 50, wo ausserdem noch ein dydv
und eine xavrjyvQig erwähnt wird , worunter wir vielleicht die
obigen via IJava^rjvaLa gemeint denken dürfen, wie auch das-
selbe von einer andern Ilieusischen Steinschrift, wo dasselbe
erwähnt wird, gelten wird, bei Dubois Catalogue d'anüquite's
de la collection de Choiseul-Gouffier S. 77. Vgl. auch noch
Clarke a. a. 0. No. XXIX S. 51 und CreuzerMelet. I S. 23. Ue-
brigens führt Strabon VI S. 255 ed. Basil. den Dienst dieser
Minerva auf die ältesten Zeiten zurück und erzählt unter an-
dern, dass derselbe von Ilion aus nach Siris in Grosgriecheu-
land übergegangen sei, und allerdings findet sich auf Münzen
dieser Stadt, welche späterhin Heraklea genannt wurde*),
wirklich das Bild einer Minerva , welche sicher die Troiische
ist. Auf dieses Siris oder Heraklea muss wohl eine Münze bei
Mionnet Th. I S. 161 No. 592 bezogen werden , wo sie fälsch-
lich nach Metapont gerechnet wird : es befindet sich darauf ein
Pallaskopf mit der Aufschrift 2J1PT, wohl ZIP1 zu lesen.
Ueber das alte Palladion in Ilion vgl. Heyne Obs. in Iliad. T. V
S. 199 flg. — Jedoch kommen wir von dieser Abschweifung
zurück auf unsere Inschrift Tab. XII, 3. Unbemerkt blieb
dem Herausgeber, dass der am meisten lesbare Theil der gan-
zen Inschrift bereits edirt war in Clarke Travels T. III S. 146,
und zwar viel richtiger und genauer. Von der ganzen Inschrift,
die vornherein sehr verstümmelt ist, so dass sich in vielen Zei-
len nur zwei oder drei Buchstaben entziffern Hessen , konnte
der Herausgeber 34 Zeilen entdecken: Clarkes Abschrift hebt
erst an von Z. 26, und wir theilen daraus die erheblichsten
Varianten mit. Z. 26 Cl ENIIANTIKAIPSITIEPI-
TH2J. Bei Vidua steht X ... Sil statt KAIP&, so dass ich
früher XPONSII ergänzte: beide Formeln finden sich ohne Un-
terschied auf Steinschriften. Z. 28 findet sich am Ende bei
Cl. vollständig A0HNAN, wo Vidua uns A0HN[HN] liefert.
In der folgenden Z. hat Cl. richtig rPA&EIZHZ (es folgt dar-
auf ETLIZTOAHZ) statt TA&E1ZHZ. Z. 30 derselbe rich-
tig TMA2, wo Vidua TMAE. Unmittelbar darauf folgt bei
Cl. TIETIEI2.MA1 ", bei Vidua IIETIEJZMAZL Z. 31 und
32 richtig IJE&TKENAl bei Cl. statt ÜETHKENAI: dage-
*) Stephanos von Byzanz v. Mstunövziov 6agt, die Stadt Meta-
pont habe früher Siris geheissen, was aber gewiss nur eine Verwech-
selung mit dem ganz nahe gelegenen Heraklea (Siris) ist. Uebrigens
theilt denselben Irrthum auchEustath. zu Dionys. Perieg. 368, welcher
aber, wie auch die Worte deutlich verrathen , nur den Stephanos aus-
geschrieben hat.
Jahrb. f. Phil. u. Pädag. Jahrg. 111. Heft 1. 3
34 Inschriftenkunde.
gen kurz darauf OL falsch ATE statt TAE, während Vidua
falsch BSl TE folgen lässt, wo Cl. richtig BOTE. Mit TOTE
BOTKOAOTE der folgenden Z. schlieft Clarke's Abschrift.
Tab. XIV, 1 enthält eine Griechische sehr lange Inschrift
in Hexametern , auf die wir als auf einen schönen Nachtrag zur
Griechischen Anthologie aufmerksam machen. Leider ist sie
verstümmelt und auch sonst fehlerhaft abgeschrieben. Gern
theilten wir sie und unsere Bemerkungen darüber mit, wenn
es der Ort erlaubte.
Auf Tab. XIV, 3 findet sich der seltene männliche Eigen-
name MHNIE , der auch wieder vorkömmt in einer Inschrift
bei Dubois a. a. O. S.53 No. 146, welche leicht zu ergänzen ist.
In unserer Inschr. , welche kein allgemeines Interesse hat, ist
in (1 er letzten Z. zu lesen : TPT0SINATTMNAEIAPXHEAN-
TAKAASIE.
Tab. XV, 2 wird eine Venus sjztjxoog &sa genannt, wie
Tab. XXIII, 1 Zeus vtyiözog xul eTttjxoog.
Merkwürdig ist Tab. XVI (fälschlich XVIII angegeben),
1 die Erwähnung eines Collegii (övußLaöig genannt) von Dios-
curiten (AIOSKOTPIT&IN), wovon ein eigner yga^ativg ge-
uannt wird.
Tab. XIX, 2 und XX, 1, welche, zusammen genommen, ein-
ander wechselseitig erklären und ergänzen, empfehlen wir den
Martyrologen. Es sind zwei christliche, sehr späte, Inschrif-
ten, leider sehr fehlerhaft abgeschrieben, (was jedoch mehr
auf Rechnung der schlechten jetzigen Beschaffenheit der Stei-
ne, als der Nachlässigkeit des Herausgebers kömmt,) beide in
Nubien befindlich , welche vielleicht sogar für den Kirchenhi-
storiker Interesse haben dürften. Beide fangen an : rO ftsög täv
7tv8V[iaT03V (im Original JINATSiN geschrieben) aal otdörjg
öaQxög, 6 xbv frccvurov xaraQyrjöcig xcti xov"Aih\v xatcc7tar^-
6ag u. s. w. Die hierbei gemachten Aenderungen ergeben sich
von selbst, meistens aus Vergleichung beider Monumente.
Statt KATAUATIEAE , wie die erstere Inschr. hat, giebt die
andere blos ÜA&ACHC, Fehler des Steinmetzen oder des
Herausgebers, statt IJATHCAC. Bemerkenswerth ist die aus
dem neuen Testamente entlehnte Formel 6 xov ftuvatov xar-
ccQyTjöag: vgl. II Timoth. I, 10. Hebr. II, 14. Das Wort aat-
ccgysiv in dieser seitnern Bedeutung hat Schneider nur aus
Jamblichos Protrept. G S. 98 ed. Kiessl. angemerkt.
Tab. XX, 3, ein ganz verstümmeltes Fragment, aus der
Zeit Hadrians: denn diesen Namen vermuthet man leicht in den
Ueberbleibseln der zweiten Zeile, zumal da in der vorherge-
henden avTOJtQcctoQav zu steiien scheint. Jetzt liest man nur
noch OKPATO.
Viduae inscriptiones antiquae. 35
Tab. XXn, I in einer der Sabina Tranquillina, Gemah-
lin Gordians, zu Ehren errichteten Denkschrift findet sich ver-
stümmelt DE TANVM1NIMAIE[S]TATIQVEE0RVM,
was richtig ergänzt wird durch DEVOT AN VMINI u s. w. , wie
sich dieses auch findet weiter unten Tab. XXVI. So eine Inschr.
in Begeri Spicil. Antiquitatis S. 101 : Ferentinates Novani devoti
numini maiestatique eius ; eine anderein Barthelemy Schriften
Bd. I S. 293. lieber decotissimns in einem andern Sinne auf
einer Steinschrift vgl. Auctar. Lex. Gr. S. 182 flg. Die Zusam-
menstellung von numen und maiestas^ von kaiserlichen Perso-
nen gesagt, findet sich auf Inschriften späterer Zeit nicht sel-
ten: siehe Seiverti Inscr. S. 14.
Auf Tab. XXVII, 2 kömmt ein uqsvq des JIOCKEPAT-
NIOT (so zu lesen) vor.
Tab. XXIX, 1 führen wir nach unserer muthrnaasslichen
Herstellung ganz an:
[HjKATACAAAMINA
rEPOTCIA
— NCSlCOTAWPANOMHCAN[TA]
[ArSlNO]0[ETH] CANTAAEKAIIP[£l] TETC[ANTA]
KAIETEPA CAElTOTPriA CTHIIA T[PU1]
EKTEAECANTA
Ueber die Formel öbxcc TtQaxbvziv ist in der Sylloge inscr. ge-
sprochen worden. Uebrigens gehört die Inschrift , in welcher
die ysQovöLd bemerkenswerth ist, der Kyprischen Salamis an.
Tabula XXX, 3 ist ATTOT in der ersten Z. wohl der
falsch gelesene Anfang des Wortes ATTOKPATOPSiN.
Das Zeitalter der Inschr. Tab. XXXI, 1 und die Stadt (es
ist blos schlechthin ^ nöXig angegeben), welche dem Q. (falsch
abgeschrieben KOINTON) Julius Cordus ein Denkmal weihet,
lässt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit durch Vergleichung
von Tab. XXXII , 1 ermitteln , wo die Stadt Kurion auf Kyprus
eine Ehreninschrift dem Kaiser Claudius errichtet, und wobei
derselbe äv&VTtUTog, in welcher Function er auch auf der er-
stem Inschr. genannt wird, nämlich Julius Cordus, erwähnt wird.
Der Vorname fehlt daselbst nur scheinbar; denn er liegt abge-
kürzt noch in der fehlerhaften Abschrift verborgen. Nämlich
daselbst heisst es AnOTSiNnPOKEKPIMENSlinOIOT-
AIOTKOPJOTANQTnATOT, wo man leicht cctco xav ngo-
■XEQifievcov erkennt, in dem Sinn von 7CQoßEßovXev[i&VG)V ; die
darauf folgende verticale Linie I ist in Verbindung mit dem
folgenden O dann leicht für KO , und dieses als Abbreviatur
statt K0INT02J zu nehmen , wie dieselbe sich auf einer an-
dern Griech. Inschrift findet: siehe Maffei de Graecor. siglis
lapidariis S. 58. Derselbe Cordus wird bei Tacit. llist. I, 76
erwähnt, wo nun sein Familienname Julius durch unsere In-
schriften hinlänglich sicher gestellt wird gegen Alciatus Ver-
3*
36 Inschriftenkunde.
besserungsvorschlag Manüius statt Julius. Uebrigens lässt sich
das Jahr, in welchem die letztere Inschr. abgefasst wurde,
leicht aus den Ehrentiteln, welche daselbst dem Claudius ge-
geben werden, ausmitteln, was aber hier zu weit abführen
würde.
Tab. XXXIII, 2, aufKypros gefunden, erlauben wir uns
ganz abzuschreiben:
A^POAITHBTIA^IA
A 10 NO TMAIAIONTHPHTINAKO VA APA TON
TONAPXIEPEA
TONKAUIANTA<* IANONTAIOV
THPHTINA
O VMMIAIO VII AN TA TXOITION
TONAPXIEPE&NKAirTMHAEIAP
XHCANTOCKAATAIAAnQ>APION
TE VKPO V& TrA THPHAPXIEPEArSlN
KATAKVnPONAHMHTPOCITESlN
TSIN3A VTHCHSINONEVNOIAC
XAPINEH
wahrscheinlich so wiederherzustellen, wovon wir jedoch die
nähere Auseinandersetzung vor der Hand schuldig bleiben:
'AcpQodLry [t]f] Ilacpiu
\V]cäov Ov(i[{i]tdt,ov TrjQrjriva Kovccdgarov
xbv «p#t£0£a,
xov neu IJavta[v%]Lav6v rectov
Tf]QrjTtva (nämlich TeQEvriva)
OvfifiiSlov IlavTav%o[v] vlov
ro[v] aQ%iSQ£G)[g] Kai yv^[va6]iaQ-
%7]6ccvTog KXavÖia 'ATiqxxQiov
TevxQov ftvyuTiiQ, rj txQ%dQ£[i\u [r"\(ov
Karex Kvjtgov A^r]tQog 1[sq]cov
xov [i]i; avtr\g \v\avbv svvoiag
%<XQLV.
Auf Tab. XXXIV, 1 steht APXIEPEATSINATA THN-
NHT&N, vielleicht statt APXIEPEATSINKATATHNNH-
2J0N. Die Inschrift ist nämlich auf der Insel Kypros ge-
funden.
Tab. XXXV, 1 steht wohl falsch AIXPSIN02J statt AI-
2JXPSIN02J, wie dieser Eigenname auch auf einer Inschrift bei
Dubois 1. c. S. 46 gefunden wird. Daselbst — es ist eine auf
Rhodos gefundene Inschrift — findet sich der bis jetzt noch
unbekannte Ortsname KccQ7ia&iojtoXiT7]s > der auch noch wie-
derkehrt in No. 3 derselben Tab.
Tab. XXXVI, 3, auf Rhodos gefunden, enthält ein Ehren-
denkmal zur Erinnerung an einen öffentlich erhaltenen Kranz:
sie fängt an A&P0AI2JI0 IAH . . TA2J2JTE&ANSIQEIZ,
soll wohl heissen A&POAIZIOZ$AZHAlTH2 u. s. w.
Yiduac inscriptiones anliquac. 37
Tab. XXXVI, 4 steht wahrscheinlich falsch AMI02J statt
2JAMI02J.
Tab. XXXVII, 3 ist zu lesen KA0TO&E2JIAN, wie Tab.
XXXV, 1, und unmittelbar darauf wahrscheinlich HrHEI-
AAMOV.
Tab. XXXVII, 4, auf Chios gefunden, enthält einen Be-
schluss, woruach oi 7CQ8ößvtSQOt einem gewissen Diodoros, wel-
cher «£>£«£ xov xoegßvuxov genannt wird, öffentliche Ebren-
bezeigungen weihen. Merkwürdig ist die Erwähnung dieser
Behörde, oi itQEößvTEQOt und ihre Gesammtheit rö TiQtößvtL-
%qv, die beinahe die oberste Behörde der Stadt gewesen zu
sein scheint, und wobei der Wortähnlichkeit wegen an das
Lat. Senatus, Senatores erinnert werden könnte. Unseres Wis-
sens findet sich diese Behörde ganz mit denselben Ausdrücken
nur noch einmal erwähnt, wiederum auf einer in Chios gefun-
denen Inschrift, wo auch ein öuvoöog TCQEößvtSQCOV angeführt
wird : letztere Inschrift machte Fiorillo bekannt in Beckii Comm.
soc. philol.Lips. IV, IS. 154. — Beachtenswerth ist ferner auch
noch die Anführung eines Monat 'Aorttiiöieov, Avofür sonst nur
die Form AoTSfilöLOg bekannt ist: jene findet sich jedoch auch
auf einer Inschrift (wir erinnern uns nicht gleich, wo gefun-
den) in Caylus Recueil d'antiquite's Bd. II Planche LIX. Vgl.
dazu S. 194.
Tab. XXXIX, eins der wichtigsten Stücke der ganzen
Sammlung, enthält ein Edict eines uns unbekannten Römischen
Proconsuls in Griechischer Sprache abgefasst , und betrifft das
politische Verhältniss der Insel Chios zur Römischen Oberherr-
schaft. Hinsichtlich der Sprache, wie auch der Geschichte ist
es sehr merkwürdig, leider aber verstümmelt, so dass es, um
genau verstanden zu werden, erst die geübte Hand eines glück-
lichen Sospitators erwartet. In der Kürze lässt sich darüber
gar nicht sprechen , und wir übergehen das Einzelne daher lie-
ber ganz.
Tab. XLI, 3, auf Chios gefunden, enthält ein elegisches
Epigramm, das von Vielen schon bereits herausgegeben, zuletzt
in dem Auctarium Lex. Gr. S. 75 nach Walpole Memoirs rela-
ting to the European Turkey S. 47G wiederholt worden ist.
Von diesem Text weicht die Abschrift Vidua's, einige paläo-
graphische Eigentümlichkeiten abgerechnet, nur in Wenigem
ab , und bestätigt vielmehr Walpole's Lesarten. Vs. 2 Walpole
HPIIACE, Vidua API1AEE, und gleich darauf &EP2E&0-
NA2J, wo Walp. IIEPCE®ONAC, worüber schwer zu ent-
scheiden , da letztere Form nicht minder üblich als die erstere
ist. Auf einer Inschrift in Ferussac Bulletin des sciences histo-
rioues 1825 No. 9 S. 191 heisst es QsQöscpovrjg dcckafiog %a%-
kyii TtW, ein Ausdruck, der hieher vorzüglich passt. Beach-
tenswerther ist aber Vidua's Lesart Vs. 4 OTKETI®El[]S]
38 Inschriftenkunde.
AOAIXON, wo man bisher OTKETI&EIJOAIXON las.
Hieraus ergiebt sich nun die ziemlich sichere Lesart ovxsti &slv
u. s. \v. Das N ist freilich nur muthmaassliche, aber sehr wahr-
scheinliche Ergänzung, worauf der für einen Buchstaben leere
Raum auf dem Marmor leicht und sicher führte.
Tab. XLII, 2, auf der Insel Paros gefunden, enthält die
Relief zweier Kränze in Parischem Marmor, in deren einem
befindlich OAHMOEETPATHTHEANTA, in dem andern
OAHMOEI10AITAEATTPOEAMENON. Statt letzterem
muss ATTPSIEAMENON gelesen werden, und man sieht
leicht ein, dass das Monument vom Demos zu Ehren Jemandes
errichtet worden, der, natürlich gefangene, Bürger von Paros
entweder mittelst von sich selbst bestritteneu Lösegeldes be-
freit , oder gegen Lösegeld aus der Haft entlassen hatte. Der
historische Vorfall , der hierbei zur Grundlage gedient , bleibt
uns unbekannt.
Tab. XLIII, 3, wiederum ein Volksbeschluss der Parier
zu Ehren eines gewissen JTcoourog, von demunter andern ge-
sagt wird ATOPANOMHEANTASIE (dieses SIE ist aus Ver-
sehen aus der folgenden Zeile wahrscheinlich hierher fälschlich
wiederholt worden) KAASIEK — {KAASIE KAI AI zu lesen)
KAISIEKATATE TO..EHOMOT—(zulesen RATA TE TOTE
NOMOTE KAI) RATA TO KOINH IIAEI ETMOEPON.
Die wiederhergestellte Formel xaxä xovq vofiovg kömmt häufig
auf Decreten vor, noch häufiger aatd xbv vöfiov: Beispiele sind
in der Sylloge inscriptionum gegeben worden. Füge noch hinzu
Biagi Mus. Nan. S.119. u. 208; Chandler. Inscr. ant. S. 84 No.
152 ; Raoul - Rochette Antiquites du Bosphore S. 209 ; Marin.
Oxon. S. 118 ed. Prideaux. Auch die andere ergänzte Formel
xcdäg xcel dincciag ist nicht ungewöhnlich in Inschriften ver-
wandten Inhalts : ähnlich ist auch ögfrcög xal dcxcclag bei Po-
cocke Inscr. antiq. S. 56 No. 63, wo falsch OPOSIE steht. Wie-
ner Jahrb. 1822 Bd. 20 S 348.
Tab. XLV, XLVI und XLVII, 1 beziehen sich auf die
Sitte , wornach man im Griechischen Alterthum Haare der Kin-
der , vorzüglich die ersten abgeschnittenen, dem Aeskulap wei-
hete, um dadurch sich die Gesundheit der Kinder zu versi-
chern.
Tab. XL VIII, 1, auf der Insel Keos (Zia) gefunden, ist
nun bereits auch in Bröndstedts Reisen durch Griechenland
Buch I Taf. XXV Inscr. 19, und nach Bröndstedts Copie auch
im Corpus inscriptionum abgedruckt zu finden, weicht jedoch
nicht allein in paläographischer Hinsicht von Bröndstedt sondern
auch durch Verschiedenheit eines Buchstaben ab. Der dritte
Marne nämlich, welcher bei Bröndstedt S-^ENHPEIOS lautet,
wird hier STENHPETOE wiedergegeben, jedoch dazu S. 47
bemerkt, dass in „alienis schedis" gelesen werde, gerade wie
Viduac inscriptioncs antiquac. ;>«)
bei Bröndstedt. Zeitalter und Zweck dieser aus vier Eigenna-
men bestehenden Inschrift ist annoch ein Räthsel.
Tab. XLV11I, 2, gleichfalls auf Keos gefunden, bei Brönd
stedt 1. c. Taf. XVII: hier jedoch vollständiger, wo nach rE-
rONOTA (Bröndstedt rErONOTAA . . . . ) folgt XE2J0-
THPA. Freilich weiss man mit dem XE nichts Rechtes anzu-
fangen. Uebrigens zeigt diese Inschrift von Neuem, wie selten
ganz genau auch die Unterrichtetsten uns Abschriften der Steine
liefern. Bei Bröndstedt nämlich haben die Omega die gewöhn-
liche Form Sl, bei Vidua dagegen die neuere co. Wer hat nun
Hecht*? Darf man einen Schluss wagen, so hat Bröndstedt Recht.
Da nämlich Vidua 20THPA statt 2JSITHPA abschrieb, so
setzt dieses ein iß voraus, welches wohl leicht für einO, aber
nicht für ein co angesehen werden konnte.
Tab. XLIX, 3, zu Athen, im Hause des Oesterreichischen
Consuls Gropius , die wir ihres mannigfaltigen Interesses we-
gen zum Schluss mittheilen Avollen.
ONTSlZzlIZHAI
EENE&IATATETI2
nO&ENEIMIK&MEN
MOIIZ4 TPIEEETINErSl
40NOMANEIKOMHJH2
MO TZA£IN@EPAII£IN
AzfSlN® TMEAAI2JINO
MHPO TAOSAIZENTE
AAZAZÜEPIKEIMAINH
JTMONTnNON
"Ovtcog dltycci, |iv8 tpiltuTB, rig, no&sv slfti'
Käg piv (lOLTtaTQig löziv , sya d' ovopcc N£MO[ir]di]g.
Movöccav ftegccTtcov, adeov &v[i£hcu6iv , 'Olhjqov
döl-cug syysXdöag , hsqmsliicci vr]dv[iov vnvov.
Die Erklärung dieses Epigramms überlassen wir Andern: auf
jeden Fall scheint Nikomedes für einen Schauspieler der komi-
schen Bühne genommen werden zu müssen.
Friedrich Osann.
Ueber die neuesten Bearbeitungen der Griechi-
schen Anthologie.
Zweyter Artikel
[Vgl. Jahrbb. Bd. III Hit 2 S. 58.J
U nter den Blumenlesen , die seit dem vollständigen Bekannt-
werden der Flalzer Handschrift aus der Griechischen Antholo
40 GriechischeLitteratur.
gie veranstaltet sind, haben wir des Delectus epigrammatum von
Jacobs zuerst Meldung gethan, weil dieser Sammlung wegen
ihrer reichen und zweckmässigen Ausstattung unter allen Ar-
beiten ähnlicher Art der erste Rang gebührt. Bereits um meh-
rere Jahre früher war folgende, auch jetzt noch beachtenswer-
the Auswahl erschienen:
2) Anthologia Graeca sive collectio epigramma-
tum ex Anthologia Graeca Palatino. In usum
scholarum curavit M. Augast Weichen, reg. schol. Grimens. rect.
adj. et prof. Meissen b. Friedr. Wilh. Goedsche. 1823. XVI und
312 S. 8.
Der Herausgeber wurde zu dieser Arbeit durch den Wunsch
veranlasst, von dem vielen nach Form und Inhalt Vortrefflichen,
das die Griechische Anthologie in sich begreift, eine passende
Auswahl im Gebrauch gelehrter Schulen zu sehn, und dem
Jünglinge die erste Bekanntschaft mit diesen Schätzen leichter
zu machen, als diess bey dem hohen Preise, zum Theil auch
bey der innern Beschaffenheit der frühern Ausgaben und Ab-
drücke möglich war.
Da Jacobs durch seinen Delectus vorzugsweis gründli-
ches Selbststudium fördern wollte, und danach seine Anmer-
kungen einrichtete, Weich ert aber ein Schulbuch beabsich-
tigte, das sich begnügte, einen möglichst reinen Text zu ge-
ben , alles zur Erklärung Gehörige aber dem mündlichen Vor-
trage des Lehrers anheimstellte ; so leuchtet ein , dass eine un-
mittelbare Vergleichung zwischen beyden Werken nicht ohne
Ungerechtigkeit gegen Eines derselben , wo nicht gegen beyde
zugleich, durchgeführt werden könnte. Da sie also nicht die-
selbe Bestimmung haben , sondern füglich neben einander be-
stehn, so werden wir ohne weitere Rückblicke auf Jacobs
zeigen, was Weich ert hat leisten wollen und in wie weit er
das vorgesteckte Ziel erreicht hat.
Da sein Plan jeden Commentar ausschliesst , kann hier nur
von der Auswahl und Zusammenstellung der Gedichte und von
der kritischen Anordnung des gegebenen Textes die Rede seyn.
Die Lese selbst ist keineswegs kärglich ausgefallen : wir
finden etwa neunhundert und ohne Widerstreit von den trefflich-
sten Epigrammen vor. Im Ganzen ist dabey der Herausgeber
zwar der Auswahl gefolgt, die Jacobs in seinem Tempe (1803.)
getroffen hat, und wie wäre auch ein kundigerer Führer durch
dieses Blumenlabyriuth zu finden gewesen ! Weit entfernt jedoch,
sich von diesem Vorgänger unbedingt abhängig zu machen, hat
er manches nicht eigentlich in das Gebiet der Anthologie zu
Ziehende, z.B. die elegischen Bruchstücke aus Theognis, weg-
gelassen, dafür aber durch Aufnahme andrer, zum Theil als
Tempe erschien noch gar nicht herausgegebner Stücke reichli-
Weichert: Anthologia Giaeca. 41
eben Ersatz gegeben. So ist von den namhafteren Dichtern
der Anthologie fast keiner übergangen : — nur vom Hedylös
etwa und aus den Epigrammen Theokrits dürfte eine und die
andre Mittheilung zu wünschen gewesen seyn: — dagegen sind
aucli einige solche berücksichtigt , die man nicht all zu sehr
vermisst haben würde, z. B. Diogenes von Laerle , I, 05, 00,
110, 112, 113, unstreitig einer der armseeligsten Versmacher
des ganzen Alterthums. Auffallend aber war dem Rec. eine
gewisse Beschränkung in der metrischen Form, indem alles
folgerecht ausgeschlossen ist , was sich nicht im gewöhnlichen
elegischen Distichon bewegt. „Praeterii ea epigrämmata,"
sagt der Herausgeber S. X, „quae, quumalio, quam elegiaco,
„scripta essent metro, p ziert li aetati minus convenire
„mihi viderentur:u ein Urtheil , dem Rec. keineswegs
ueytreten kann, da doch der Unterschied zwischen diesen und
den elegischen Epigrammen ausschliesslich in den Rhythmen
liegt, solche Jünglinge aber, für die diese Auswahl veranstal-
tet ist , wohl allmälig auch in andre Versarten eingeführt wer-
den dürfen: so können wir es denn nur gut heissen, wenn diese
Regel hie und da, wie IV, 37, verlassen ist. Eher würden
wir eine grössere Strenge in den erotischen Epigrammen des
fünften Buches erwartet und gebilligt haben. Wir sind weit
entfernt zu behaupten, dass wirklich Unreines und an sich Ver-
werfliches Aufnahme gefunden habe: wohl aber scheint der
Heiausg. grade hier den Unterschied nicht scharf genug
ins Auge gefasst zu haben, der zwischen seiner Auslese
und zwischen Jacobs Tempe obwaltet. Jacobs über-
setzte für reifere Freunde des Alterthums, Weicher!
sammelte für Jünglinge, ja für Knaben: jener verhüllt nicht
selten durch die keusche Muttersprache, was in seiner ur-
sprünglichen Nacktheit selbst dem geübteren Sinne anstössig
bleiben dürfte: dieser giebt ein Material, das zuerst den Schü-
ler durch Vorbereitung beschäftigen, dann vom Lehrer gründ-
lich und vollständig erläutert werden soll. Grade im epigram-
matischen Gedicht ist aber vor allem der Hauptgedanke hervor
zu heben und ins hellste Licht zu stellen: soll nun der Lehr-
ling nach der erotischen Spitze eines vorliegenden Epigramms
ahndend urahertasten? oder soll der Lehrer die Sacheins Klare
setzen'? Rec. gehört gar nicht zu den Aengstlichen , und er
würde nie Anstand nehmen, tüchtigen Primanern diese und jene
Komödie des Aristophanes zu erklären, sowie er sie als Schü-
ler von Jacobs erklären gehört zu haben noch jetzt sich mit
Freude und Dank erinnert: das aber gesteht er gern, dass es
ihm unmöglich seyn würde, Gedichte, die sich ausschliesslich
und auf die lüsternste Weise um Geschlechtsverhältnisse bewe-
gen, wie z. B. das des Meleagros bey Weich er t V, 22, jun-
gen Leuten zu erklären , die noch nicht einmal mit den Home-
42 Griechische Littcratur.
rischen Gesängen bekannt sind, der höhern alterthiimlichen
Weihe also noch gänzlich ermangeln. Was aber dem Lehrlinge
von Schriftwerken des Alterthums nicht zur vollen Klarheit des
Verständnisses gebracht werden kann oder darf, das sollte
überhaupt von dem reinen Kreise des Jugendunterrichts fern
gehalten werden; und was der Herausg. selbst S. VIII über die
unerlassliche grammatische Gründlichkeit in der Auslegung ei-
nes jeden Wortes trefflich bemerkt hat , enthält den Beweis,
dass zwischen ihm und dem Rec.inder Grundansicht keine Ver-
schiedenheit der Meinungen vorhanden ist.
Ueber die Anordnung der ausgewählten Epigramme und
ihre Vertheilung in zehn Bücher können wir kürzer seyn. Es
ist dieselbe, die bey Jacobs Tempe zum Grunde liegt: jedes
Buch befasst einen besondern Abschnitt der alten Welt : ein je-
des ist, gleichsam wie eine abgeschlossene Halle, irgend einem
Ausschnitte des Hellenischen Lebens gewidmet, und in demsel-
ben das Gleichartige soviel als möglich nach dieser Beziehung
geordnet*). Zwar hat Jacobs selbst nachmals diese Anlage
geändert und erweitert: aber grade für die vorliegende Auswahl
dürfte kaum ein zweckmässigerer Plan zu entwerfen gewe-
sen seyn.
Wir haben also nur noch über den uns dargebotenen Text
zu sprechen, welches ausführlicher zu thun uns sowohl der
Name des Herausg. , als die Sache selbst veranlasst.
In der Vorrede sind die Kriterien genügend angedeutet,
nach denen unser Urtheil zu bestimmen ist. Grundlage des
Textes ist durchweg die Anthologie/, Palatino, doch so dass von
dieser da abgewichen ist, wo ihre Lesart entweder verdorben
oder doch unverständlich erschien : in diesen Fällen sind Ver-
besserungsvorschläge, bald von Jacobs, bald von andern Kri-
tikern , aufgenommen. Bey lückenhaften Gedichten, w ie z. B.
II, 53 (nicht 50, wie S. XI gedruckt ist) in der schönen Grab-
schrift auf die bey Potidäa gefallnen Athener, hat der Herausg.
kein Bedenken getragen , die Ergänzungen Neuerer zuzulassen.
Von den vorgenommenen Aenderungen aber Nachricht zu ge-
ben, schien allzu weitläuftig, und weder mit dem Zweck noch
mit dem Umfang der Vorrede vereinbar. Um endlich höchst
mögliche Richtigkeit des Druckes zu bewirken, theilte er diese
immer mühvolle, selten mit gebührendem Dank erkannte Arbeit
mit seinem Schwager , Hrn. Eduard Wunder, dem er über-
diess gestattete, hie und da nach eignem Urtheil vom Jacobsi-
schen Text abzugehn: ein Zutrauen, das dieser hier zum er-
stenmal auftretende Gelehrte seitdem durch seine ausgezeich-
' ) Jacobs Kunst und Leben der Alten Th. I S. XI.
Weichcrt : Anthologia Graeca. 43
ueten kritischen Arbeiten über Sophokles und Cicero hinrei-
chend gerechtfertigt hat.
Wenn die kritischen Grundsätze, zu denen der Herausg.
sich bekennt, manchem minder streng erscheinen mögten, so
glaubt Rec. doch, dass sie in der mehr praktischen , als wis-
senschaftlichen Bestimmung des Buches ihre völlige Rechtferti-
gung -finden. In ein Schulbuch darf nichts aufgenommen wer-
den, als was der Schüler mit richtiger Benutzung seiner Sprach-
lehre und seines Wörterbuches grammatisch sich selbst bey der
Vorbereitung vollkommen klar machen kann : daher gehört nicht
hinein , was verdorben oder lückenhaft ist , und die Wahr-
scheinlichkeit oder Möglichkeit darf an die Stelle der Evidenz
treten. Kann das Stück nicht zu ausreichender Verständlich-
keit hergestellt werden, so muss es ganz ausgeschlossen blei-
ben. Je mehr also Rec. mit dem Grundsatze des Herausg. ein-
verstanden ist, desto mehr bedauert er , denselben nicht über-
all mit gleicher Consequenz in Anwendung und Ausübung ge-
bracht zu sehn. Denn in mehrern der aufgenommenen Gedichte,
z. B. I, 116, 7; V, 71, 4; 76, 0; VII, 17, 5, ist die beybehal-
tene Lesart der Anthol. Palat. bis zu völliger Sinnlosigkeit ent-
stellt , dieser aber an allen einzelnen Stellen besonders durch
Jacobs mit soviel Scharfsinn abgeholfen, dass wir nicht ein-
sehn , warum dem Schüler lieber etwas durchaus Unverständ-
liches als etwas der alten Dichter vollkommen Würdiges darge-
boten ist. Misbilligte der Herausg. alle Verbesserungsversuche
froherer, und fand auch sein eigner bewährter Scharfsinn kei-
nen Ausweg, so waren diese Epigramme ganz bey Seite zu legen.
Am meisten aber muss Rec. darüber mit dem Herausg. rech-
ten , dass er uns die Nachweisung seiner Abweichungen von J a-
cobs vorenthalten hat. Was er selbst S. XII darüber bemerkt
— quae in textns verbis mutata sunt, eorum hie recensum dare
et longmn est et ab hujus praefationis modo ac
consilio alienum. — hat uns durchaus nicht genügen kön-
nen , da eine kurze Anzeige allen denen genügt haben würde,
denen ein Urtheil in solchen Dingen zusteht: eine solche An-
zeige aber würde auf den doch leer gebliebnen letzten vier Sei-
ten , die jetzt mit Gödscheschen Verlag ausgefüllt sind , be-
quemen Platz gefunden haben.
Allen denen also , die sich für die weitere kritische Her-
stellung der Griechischen Anthologie interessiren, und die wie
Rec. mit dem Namen des Herausg. die Erwartung der vorzüg-
lichsten Leistungen zu verbinden gewohnt sind, — solcher aber
werden nicht wenige seyn. — ist die Notwendigkeit auferlegt,
wenn sie zu wissen begehren, was durch Weich ert Neues
für die Begründung des Textes geschehnist, das Buch wie eine
Handschrift von Anfang bis zu Ende mit der Anthol. Palat. durch
zu vergleichen: immer eine etwas harte Anmuthung, wie sie
44 Griechische Litteratur.
kein Alterthumsforscher an die Müsse seiner Studiengenosseu
machen sollte, zumal wo es so leicht war, dem Uebelstande
abzuhelfen.
Unter diesen Umständen glaubte Rec. etwas Nützliches
und Dankenswerthes zu thun, wenn er die Mühe einer vollstän-
digen Vergleichung andern dadurch ersparte, dass er sie selbst
auf sich nähme, und ihre Ergebnisse mittheilte. Als er jedoch
diess Geschäft mit möglichst gespannter Aufmerksamkeit durch
vier Bücher , das erste , dritte , fünfte und neunte , fortgesetzt
hatte, schien ihm der Zeitaufwand doch zu der Ausbeute nicbt
in gehörigem Verhältnisse zu stehn: wohl aber ging daraus
ein sicheres Urtheil über das Verhältniss des Weichertschen
Textes zum Jacobsischen hervor ; und so mag die Mittheilung
des in den bezeichneten vier Büchern Wahrgenommenen genü-
gen. Dass darüber die andern sechs Bücher nicht vernachläs-
sigt sind , wird aus einzelnen Stellen einleuchten.
Vor allem unterscheiden wir, was auf andrer Gelehrten
Auctorität geändert ist, von dem was wir hier zum erstenmal
finden, was also dem Herausg. oder seinem gelehrten Freunde
angehört.
Nach dem Vorgange Früherer finden wir den Text nicht
selten verbessert, wenigstens lesbarer und verständlicher ge-
macht, und zwar wie billig am häufigsten nach Jacobs: die
Stellen, wo Conjecturen dieses Kritikers aus den Anmerkungen
in den Text gebracht sind, sind folgende: I, 53, 3; 89, 9;
10; (hiermögten wir aber doch die urkundliche Lesart %aiQUV
der Aenderung %cc(qcov vorziehn. Die Worte alld [iE xov kaktov
xcci TtQSößvt^v Gv itQogsincov laiQUV , elg yrJQccg Kccvrog i'xoio
Kälov , drücken denselben Wunsch aus, welchen das bei Wei-
ch ert gleich darauffolgende, ebenmässig von der Redselig-
keit des Meleagros handelnde Gedicht: noch im Grabe mögte
er freundlich mit einem Scheideruf begrüsst werden , und zum
Lohne dafür wünscht er jedem, der ihm das leisten werde, ein
eben so hohes Alter wie er selbst erreicht hat: also nothwendig
ttQOQSiTtcov [iE %cciqhv , Lxoto — . Wie gebräuchlich aber diess
%cilqe und das Römische vale an Grabstäteu war, lehren unter
andern Jacobs zu der Anthol. Gr. T. XII p.323 und Döring
zum Catull. 101, 10.) III, 96, 3; 101, 2; V, 5, 1; 16, 6;
IX, 9, 6; 14, 2; 48, 3; 53, 6; 59, 6. Ausserdem finden
wir Aenderungen nach Reiske, I, 1,7; nach Brunck, I,
90, 7; 8; V, 38, 7; IX, 25, 5; nach Schäfer, IX, 1, 4;
nach Hermann, III, 48, 2; nach Gräfe, I, 1, IT; nach
Purgold, I, 1, 54, und nach einer Vermuthung des Rec. bey
Jacobs, I, 79, 8, vorgenommen.
Herstellungen der urkundlichen Lesart sind wir nicht öfter
als zweymal begegnet, I, 40, 3 und III, 24, 6; aber keiner
von bcyden können wir unsern Beyfall geben. An der ersten
Weichert: Anthologia Graeca. 45
Stelle ist aus der Pfälzer Handschrift die Schreibung "ÄCdag
(den Hexameter beginnend) statt des allein zulässigen "Aidccg
zurückgerufen. Da aber jene Form an unsrer Stelle wenigstens
drey Fehler in sich begreift, verdankt sie wohl nur einem zwie-
fachen Druckfehler ihr Daseyn. — Das andre Gedicht ist uns
nur in der Sammlung des Maxinms Plamides erhalten, und en-
det in den meisten Ausgaben derselben so:
UQix^itiXrjg ovx elöev et /jj) &s{iig , «AA' 6 CtdrjQog
'e%eö% oriav"AQrig rj&els ti)v naeperjv.
Andre geben e^eösv, einleuchtend falsch. Aber auch die oben-
&t eh ende Lesart verwarf Jacobs mit mehrern Vorgängern, be-
sonders weil "Aqrig in der Senkung des Verses die erste Sylbe
kurz zu haben pllege. Dieser Zweifel wird jedoch durch ein
Epigramm des Anüpatros , Anth. Palat. IX, 323, 3, (bey Wei-
che/t IV, 9.) völlig gehoben, wo es heisst:
<xyxQ£[ia6ccg"AQri'C fitaörogt xoöpov axoöfiov.
Ja, dieselbe Form an derselben Stelle des Pentameter hat die
lange Anfangssylbe bey Leonidas von Tarent, Antliol. Palat.
VII, 449:
Movöec %ogovg, "AQrjg lyyväli^s yiä%uv.
Wahrscheinlich dadurch bewogen ist der Herausgeber zur ge-
wöhnlichen Lesart zurück gekehrt. Dem Rec. aber ist diese
aus mehrern andern Gründen verdächtig: erstens scheinen die
Handschriften alle e^eöev zu haben, e%e6j wäre also Correctur
aus Versnoth; zweytens lahmt der Rhythmus unerträglich, so-
bald wir die erste Sylbe von olccv als Kürze nehmen; endlich
ist die Attische Form ol'av in diesem Epigramm höchst be-
fremdlich , und wäre sie nothwendig in oirjv ' zu verwandeln,
wenn nicht auch diese Aenderung eine viel zu willkührliche wäre.
Rec. glaubt darum , dass die ganz in Vergessenheit gerathene
Lesart e%e6ev wieder zu Ehren zu bringen und der Vers so zu
schreiben ist:
s£,e(j£v, oV av'Agiyg ydsÄs xyjv Ilacpirjv.
So ist wenigstens allen bisher erregten Bedenklichkeiten auf Ein-
mal und ohne Aenderung eines Buchstaben abgeholfen: ola für
ag gebraucht wird hoffentlich keinen Anstoss geben : er wäre
sonst aus der Anthologie selbst leicht zu beseitigen , z. B. aus
Antliol. Palat. IX, 375, 5; 606, 4; Planud. 4, 265, 3.
Wir wenden uns jetzt zu den Stellen, die, soviel wir wis-
sen, ihre gegenwärtige Gestalt den Herren Weichert oder
Wund er selbst verdanken. Es sind uns deren in unsern vier
Büchern nur folgende fünf nicht grade sehr bedeutende aufge-
fallen: I, 44, 5 ist wie I, 91, 1 EQtvvvg geschrieben, in der
Hdschr. und bey Jacobs 'Egii'vg, auf jedenFall eine übereilte,
vermuthlich aber auch eine falsche Aenderung, vgl. Brunck
zu Aesch. Sept. adv. Theb. 45)0 und zu Aristoph. Lysistr. 813,
Jacobs zur Antliol. Palat. p. 258, Willi. Dindorf in der
46 Griechische Litte ratur.
Vorr. zur Ilias und Blomfield zu Aesch. Prora. 53 und 525.
— Ohne alles Bedenken verwerfen müssen wir die zweyte Aen-
derung, die uns als eine neue aufgestossen ist, III, 55 (Antli.
Plaiiud. IV, 95):
fat Ns[iS7]g 6 liav , ärdo 6 l~evog *dQyo&£v al[ia,
noXlov 6 [ihv ftriQGJv (ih£ov 6 Ö' rjtiL&sav.
Die alte Lesart ist [id^eavt, 6 ö' ijfiid-aav, die freylich nur einen
Sinn, keinen Vers giebt: von der eben raitgetheilten müssen
wir das Umgekehrte sagen, sie giebt einen recht guten
Vers, aber — uns wenigstens — so durchaus gar keinen Sinn,
dass wir irgendeinen groben, uns jedoch unentwirrbaren Druck-
fehler anzunehmen geneigt sind. Jacobs vermisst einen Su-
perlativ: wir wüssten einen recht auserlesenen, darum der Cor-
ruptel stark ausgesetzten und in den Schriftzügen nicht so sehr
abweichenden vorzuschlagen, yLÜötog, Nur ist seine Existenz
überaus problematisch : M a 1 1 h i ä in der Griech. Gramm. S. 259
verweiset zwar auf die Auctorität des Bion, 5, 10, aber dort
steht der Dorische Comparativ (tyovcc , und das ganze Citat ist
ein blosser Abschreibefehler aus Fischer zum Weller, Th.2
p. 99. Für n slötog wird sich schwerlich ein besserer Gewährs-
mann ermitteln lassen als Eustath. zur Ilias, ä p. 135, 11, Rom.,
aber auch bey ihm ist dieser Superlativ nur eine seiner vielen
etymologischen Krücken , um eine Analogie für nlüöxog zu ge-
winnen , und ebenso kommt er im Etym. M. p. 581 , 57 u. 676,
14 und in Zotiar. lex. T. 2 p. 1342 vor. Indess fodert unsre
Stelle nicht so unbedingt den Superlativ : vielmehr scheint schon
Stephanus das Richtige gesehn zu haben, der sich begnügte,
an die Stelle des mascul. Comparativs das Neutrum zu setzen :
Es ist sehr begreiflich , w ie Abschreiber bey diesem Neutrum
stutzig wurden , weil sie es nicht als Prädicat erkannten , und
es ohne Weiteres ins Masculinum änderten: von dieser auch in
Attischer Prosa gar nicht seltnen Verbindung mit einem mascu-
linen oder femininen Subject findet der etwa noch Zweifelnde
hinreichende Beyspiele bey Matthiä, Griech. Gramm. S. 815
u. 816. Der scheinbare Gebrauch des Comparativs aber statt
des Superlativs, richtiger die Auslassung von tcöv akXcov oder
Ttccvtav beym Comparativ , kommt schon bey Homer vor , z. B.
Odyss. VII, 156, vgl. Herrn. Viger. p. 717. — Die dritte
Aenderung fanden wir III, 66, 1, wo anjetzt sö&Äoiöi zu Gun-
sten des Verses mit dem paragogischen v versehn ist, unstrei-
tig mit Recht. — Nicht minder beyfallswerth ist die vierte
Aenderung zu III, 80, 1, wo statt des verswidrigen ov roöov
'A&ccnag mit grösster Wabrscbeinlicbkeit ov roööov y 'A&d[iccg
geschrieben ist. Dasselbe glauben wir von der fünften, V, 23,
3, sagen zu dürfen, wo die Verslücke zwischen TÖijotg ßaA/Ure
durch Einschaltung derselben Partikel ausgefüllt ist,
Wcicliert: Anthologia Graeca. 47
rj f»/ aal t6%oiöL ys ßciXXzrk (i , uXXä asgawolg.
Dieser allerdings nicht reiche Ertrag aus vier sorgfältig ver-
glichenen Büchern wird den liec. entschuldigen, wenn er die
sechs übrigen Bücher der Prüfung anderer anheimstellt. Doch
ist noch bey zwey Gegenständen zu verweilen, die, überall
und zumal in einem Schulbuche wichtig, der Aufmerksamkeit
des Herausgebers keineswegs entgangen sind, bey den Berich-
tigungen in der Interpunction der Sätze und in der Betonung der
Wörter.
Abweichungen von der Interpunction bey Jacobs haben
wir in unsern vier Büchern oft wahr genommen, solche aber,
die wir für Verbesserungen gelten lassen mögten , höchstens
drey, III, 48, 8 die Tilgung des Komma nach dccifioveg , 111,
110, 4 dasselbe Verfahren nach ecpajvtofievog, und V, 38, 8
nach la%k\nta. Ausserdem haben wir an folgenden Stellen ver-
änderte Interpunctionen wahrgenommen: I, 93, 3; III, 11;
66, 4; 69, 3; (dieser Druckfehler ist daraus entsprungen, dass
der Herausg. in den dialogischen Epigrammen die Buchstaben
weggestrichen hat, durch die in der Anthol. Palat. der Perso-
nenwechsel zweckmässig bezeichnet wird: doch findet auch hier-
in keine völlige Consequenz statt, s. z. B. III, 52.) V, 26, 1;
38, 4; 52, 3; 54, 2; 56, 2; 79, 4; IX, 9, 4; 26, 6; 45, 1.
Diese alle aber müssen wir aus zum Theil leicht zu erkennen-
den Gründen verwerfen. Uns länger bey ihnen aufzuhalten ist
aber um so weniger nöthig, als ganz gewiss viele derselben auf
die Rechnung des Setzers kommen , eine Annahme, zu der wir,
wie bald gezeigt werden soll, nur allzusehr berechtigt sind:
einiges mag indess doch wohl beabsichtigt seyn, z. B. III, 11 :
Tig yXvipag xov "Egcora Ttagec agrjvrjöiv e&qxsv,
olofisvog 7tavöEtv xovro to tcvq vdazi;
wo bisher der Hexameter mit der Frage schloss, und der Pen-
tameter die Antwort enthielt, gewiss das Richtige. Denn nach
der vorstehenden Anordnung wäre die Frage nach der Person
oder dem Namen dessen, von dem man die Absicht der Auf-
stellung des Erosbildes an der Quelle schon weiss, eben so un-
passend, als das Zerfliessen des Epigramms in eine unbeantwor-
tete Frage widersinnig. Dass wir auch IX, 47, 4 und 57, 2
mit der jedoch schon von Jacobs überkommenen Interpunction
nicht einverstanden sind , haben wir bereits in diesen Jahrbü-
chern , Zweiter Jahrg. Bd. I Heft 2 S. 72 und 73, bemerkt.
Die Betonung haben wir Einmal wesentlich berichtigt ge-
funden, II, 56, 1 in dem Eigennamen 'Aytg, wofür bisher falsch
"Ayig geschrieben war. Nicht für Berichtigung kann dagegen
Rec. III, 49, 5; 69, 11; V, 70, 3; IX, 34, 5 die Weglas-
sung der Koronis in xovvsaa und daher auch II, 22, 2 in 6%ov-
vbxsv anerkennen, obgleich er übrigens, wie er bereits im Griech.
Wörterbuch dargelegt hat, in der Schreibung des letztern Wor-
48 Griechische Litteratur.
tes als Eines mit dem Herausg. sowie mit Matthiä zu Eurip.
Ale. 813 und Add. p. 507 zusammenstimmt. Entschieden fehler-
hafte Accentuationen sind aus den frühern Ausgaben an folgen-
den Stellen mit herühergenommen: I, HO, 2 Ixlvöai statt
ekXvöcu, V, 77, 5 Aaig statt Aaig oder noch richtiger,
wenn auch minder gewöhnlich, Aaig, IX, 10, 1 xgaväag statt
XQavaäg, was um so mehr zu rügen, da Jacobs in den Anm.
p.464 schon das Richtige nachgetragen hat, ebendas.v. 5 ^vd^ia
xs statt iivä^id T8 *) , IX, 30, 3 övQiyl- statt <JjJoiy£, und IX,
43 , 9 avßoTQvv statt evßotQvv, ein anjetzt fast unbegreiflicher
Verstoss gegen die eben so einfache als sichere Regel. Beson-
ders aber müssen wir darüber Klage führen, dass die Correctur
des Druckes grade in diesen sogenannten Kleinigkeiten, in den
Accenten, Hauchen und was die Alten sonst zur TCQogcpöta zähl-
ten, keineswegs ihre Schuldigkeit gethan hat: in unsern vier
Büchern haben wir , lediglich in dieser Einen Beziehung , fol-
gende zum Theil grobe Druckfehler wahrgenommen, die nach
ihren Stellen zu bezeichnen hinreichend seyn wird: I, 12, 5;
33, 1; 49, 7; Cl, 1; 67, 4; 85, 6; 8; III, 20, 2; 31, 2;
33, 3; 58, 1; 61, 1; 70, 3; 71, 1; 82, 3; 103, 3; 105,4;
V, 3, 4; 4, 6; 7, 7; 14, 3; 16, 5; 22, 3; 31, 3; 39, l;
56, 1; 58, 5; 65, 1; 69, 3; IX, 11, 2; 13, 1; (oder wollte
der Herausg. hier wirklich äitagog äd^ifjtog xal avspßatog statt
des gewöhnlichen d TtciQog d. schreiben'? billigen könnten wir
das schon wegen des folgenden c3 Aaxadalpov nicht.) 33, 5;
48, 5; 51, 2.
Diese lästige Incorrectheit des Druckes beschränkt sich
aber keineswegs auf die apices, sondern sie fällt auch anderwei-
tig um so mehr auf, je geneigter man durch eine Stelle der
Vorrede, S. XU, und durch neun angezeigte, ziemlich unbe-
deutende Druckfehler wird , im übrigen Fehlerlosigkeit voraus-
*) Das letzte Distichon dieses Epigramms, Anthol. Palat. IX, 58,
lautet in der Pfälzer Handschrift so :
HHVix. (iiv rjfiavQCoro bs Krjv i'8s voacpiv OXvhttov
"Alios ovdtv nm tolov inr\vyä.6axQ.
Unter den inancherley Besserungsversuchen dieser berüchtigten Stelle
hat Jacobs und mit ihm Weichert dem von B e n 1 1 e y nicht mit
Unrecht den Vorzug gegeben:
uslvu fisv t](iccvQcoTo' xl Khlvtt 8s; VOGCplV O. KTÄ.
Doch glaubt Rec. , dass die Worte fast ohne alle Acnderung geheilt
werden können : er vermuthet :
xsTvcc (itv t]/j,ccvq<oQ' ' o ös xyviSs vöocptv OXv^itov
"Akiog, ovSsv nco rotov ^7trjvyäGccro.
Was aber auch Helios ausser dein Olymp sah , nirgend erblickte er et-
was so herrliches. —
Weichert: Anthologie! Graeca. 49
zusetzen. Wir haben in unsern vier Büchern ausser den schon
angegebnen noch folgende, zum Theil arge und den Sinn ent-
stellende, nicht angegebne Druckfehler im Griechischen Texte
wahrgenommen I, 3, 5 xsl statt xul, 12, 4 xagov statt #g5-
qov, 13, 3 Kvngig statt KvnQog, 48, 5 öte statt ort, 53, 3
BadvXXco statt Ba%vXXa , 68 , 4 6xrj{icc statt 6yi\yLCC , 78 , 2 -Zi-
Ivdv statt Zixvcov, 84, 3 'Excites statt 'Exäktjg. III, 20, 5
Hg statt ej, (wenigstens ist nicht anzunehmen, dass der Herausg.
dieses absichtlich in jenes verwandelt habe.) 57, 3 Xeovteg statt
Asovrog, 64, 2 dxlöiv statt dxlöi, (denn auch hier ist kein Grund,
wissentlich zu ändern.) 66, 8 ßaXov statt ßcchcov, 69, 10 dgv-
fsrra statt öga^Btca, 75, 5 «t statt l'r , 115, 1 ji£ statt ye, (oder
sollte es hier wirklich [is heissen? dann wäre die Aenderung
wenigstens überflüssig.) V, 10, 6 avzo{idrog statt avronaxoigy
12, 1 ij statt jJV, 16, 3 öeiQioxavöoT , 77, 3 ist tavor ^u'pottf6
ausgelassen. IX, 4, 3 ist falsch ecpsö-TQis abgesetzt, und 18,
5 UQol statt Iequi.
So weit wir nun entfernt sind, es dem Herausg. oder Hrn.
Wunder irgend zum Vorwurf zu machen, dass sie uns so sel-
ten mit Spuren eigner Kritik erfreut haben, (sie beabsichtigten
ja keine kritische Ausgabe, und haben uns nur durch die An-
deutungen in der Vorrede zum Nachsuchen und Vergleichen be-
wogen.) so sehr glauben wir uns doch berechtigt, sie für
die Zulassung solcher und sovieler typographischer Sünden ver-
antwortlich zu machen. Durch diese ist die Brauchbarkeit des
Buches allerdings gemindert.
Von der äussern Einrichtung desselben ist nur zu bemerken,
dass gleich unter dem Text zu grosser Bequemlichkeit besonders
des Lehrers nachgewiesen ist , wo sich ein jedes Epigramm in
B r u n c k s Analecten, in der Anthol. Pulat. und in Jacobs Tempe
vorfindet. (Umgekehrt weiset nun auch Jacobs in Kuust und
Leben der Alten auf dieWeichertsche Sammlung zurück.) Leider
fehlt es nur auch in diesen Citaten an Druckfehlern nicht : so
steht III, 49 p. 279 statt p. 281, III, 69 p. 275 statt 709, V,
62 p. 293 statt 298. Angehängt ist ein Verzeichniss der auf-
genommenen Epigramme nach der Buchstabenfolge ihrer Ver-
fasser.
Am Schlüsse der Vorrede macht der Herausg. Hoffnung zu
einem zweyten Bande, der einen hauptsächlich für Lehrer be-
stimmten Commentar enthalten würde. Möge es ihm dazu we-
der an Müsse , noch an Neigung fehlen : möge er sich auch
durch das viele Treffliche nicht abhalten lassen , das Jacobs
inzwischen in seinem Delectus geleistet hat. Bey den vielfa-
chen einzelnen Schwierigkeiten der Griech. Anthologie ist noch
so mancher Preis zu erringen, und unser Herausgeber so ganz
der Mann dazu, dass es hier wenn irgendwo heisst:
d[icpoT£Qovs ods %il6sxai> ovöög.
Jahrb. f. Phil, u . Pädag. Jahrg. III. Heft 1. 4
50 Sjoestroem et Bergenheim: Anthologium epigramm. Graec.
Von keinem Belange für unsre Litteratur oder für philolo-
gisches Studium überhaupt ist die nachstehende, noch etwas
ältere Sammlung:
3) Anthologium epigrammatum Gr aecorum. Graece
et Suethice. Ed. Mag. Axelius Gabr. Sjoestroem , Facult. Philos.
adj. E. O. et Ed. Bergenheim, Ostrob. Abo bey Frenkel. 1821.
T. I. 115 S. T. II. 143 S. 8.
[Vgl. Schulzeit. 1826 Abth. 2 L. Bl. 12.]
Wir erwähnen dieser Schrift nur als eines erfreulichen
Zeichens, dass die Liebe zum Griechischen Alterthum bereits
im höchsten Norden Wurzel zu fassen und Blüthen zu entfalten
beginnt, auf einem der entlegensten Musensitze, der grade jetzt
durch sein trauriges Geschick die allgemeinste Theilnahme al-
ler Gebildeten in Anspruch nimmt.
Auf eine kurze Geschichte des Griechischen Epigramms,
die ganz aus Jacobs Prolegomenen entlehnt und in einem höchst
blumenreichen, aber keineswegs correcten Latein abgefasst ist,
folgen im ersten Bande 16-1, im zweyten 200 Gedichte, nach der
Anthologia Palatina treu abgedruckt. Eine besondere Ordnung
ist dabey nicht beobachtet: vielmehr heisst es S. 6, was zu-
gleich eine Probe des Lateinischen Styls seyn mag, quaeflorum,
per pruta spar gentium odores , eadem etiam epigrammatum ra-
tio: libere progerminantes , sine ullochar acter um proprietatum-
ve respectu, mirum in modum Uli delectant. Ex hocce capite
neque auctores , neque tempora intuens, neque materiam, ut
sors obtulerit, optima et quae maxime niteant , dabo.
Jedem Epigramm ist seine Stelle in der Anihol. Palat. und
in den früher erschienenen ausführlichem Aniraadw. von Ja-
cobs beygefügt: unter dem Text aber laufen kurze, theils li-
terarhistorische, theils erklärende, theils auch kritische Latei-
nische Anmerkungen hin, jene meistens, diese immer aus Ja-
cobs entlehnt und mit seinem Namen versehn. Neues haben
wir in ihnen nicht gefunden.
Gegenüber steht die Schwedische Uebertragung, überall
sich der Versart und der Verszahl des Originals genau anschlie-
ssend, mit beständiger Ilinweisung auf Jacobs Tempe, im zwey-
ten Bande auch,was ganz unnütz,auf die TauchnitzischeStereotyp-
ausgabe. So viel wir uns zu urtheilen erlauben dürfen, scheint
die Schwedische Sprache sich zu treuen Nachbildungen des
classischen Alterthums in hohem Grade zu eignen, und gereicht
es den Herausgebern zum Lobe , diesen Vorzug ihrer Mutter-
sprache mit geschicktem Fleisse benutzt zu haben. So dürfte
es ihrer Arbeit wohl gelingen, für das Studium der Griechi-
schen Anthologie in Schweden eine günstige Stimmung vorzu-
bereiten.
Auf ungleich höherer Stufe steht ein andres, gleichfalls
ausserhalb Deutschland erschienenes Werk , das Einzige , was
H. de Bosch : Observatt. et nott. in Anthol. Gr. 51
seit Brunck im Auslande für die Anthologie bedeutendes ge-
leistet ist, da die umfassenden Vorarbeiten von Chardon de
la Rochette unwiederbringlich verloren zu seyn scheinen,
und die eine Zeit lang mit Verlangen erwartete Ausgabe des
grossen Archäologen Ennio Quirino Visconti wohl nie
ernstlich begonnen seyn mag :
4) Uieronymi de Bosch obser V (itionum et notarUTtl 111
Anthologiam Graecam vol. I. Utrecht , bey Wild und
Altbeer. 1810. XX, XVI und 510 S.
Vol. II. quod et indices continet. Opu9 Boschii morte interru-
ptuiii David Jacobus ran Lennep absolvit. 1822. LXXVI, 255 und
311 S. gr. 4.
Hugo Grotius hatte seine am Stobäos und den Bruch-
stücken der Attischen Tragiker und Komiker glänzend bewährte
Meisterschaft im Uebertragen Griechischer Dichterwerke in
Lateinische Poesie späterhin der Anthologie des Maximus Pla-
nades zugewendet, und durch ihre kunstreiche Nachbildung
den Ernst der letzten Jahre seines thatenreichen Lebens erhei-
tert. Es war dem grossen Manne gegönnt , seine Lieblingsar-
beit in der Hauptsache zu vollenden : aber die Herausgabe selbst
hinderte sein Tod, (28 Aug. 1645.) und der von ihm kritisch be-
richtigte Text, der der Uebersetzung beygedruckt werden sollte,
ging leider verloren. Glückes genug, dass sich die Handschrift der
Uebersetzung nicht bloss in mehrern Abschriften, sondern auch
in der zum Abdruck bestimmten Urschrift erhielt. Die letztere,
deren Geschichte Chardon de la Rochette in seinen hjc-
langes de crit. et de philol. T. 1 p. 372 fg. ausführlich erzählt,
kam endlich in die Hände PeterBtfrraanns des Jüngern,
der viel Einzelnes daraus in mehrern seiner Ausgaben mittheilte ;
nach seinem Tode erkaufte sieder gelehrte Holländer Jero-
nymovan Bosch, zuerst Apotheker, dann Stadtsecretär in
Amsterdam, zuletzt Curator der Universität Leiden, stets aber
eifriger Freund des classischen Alterthums , beyder Sprachen
wohlkundig und unter den Lateinischen Dichtern des löten und
19ten Jahrhunderts mit Recht den bessten beygezählt. Dieser
ehrenwerthe Mann beschloss sofort, seinen solange verborge-
nen Schatz zu öffentlichem Gemeingut zu machen, da ihn eine
congeniale Neigung den Werth desselben aufs lebendigste em-
pfinden liess. So erschien denn , auch äusserlich aufs würdig-
ste und liberalste ausgestattet, vom Jahre 1795 an in drey Quart-
bänden diePlanudeische Anthologie nebst vierfachem Anhange
anderweitig erhaltner Epigramme, gegenüber die durch Treue
und dichterisches Verdienst gleich ausgezeichnete Grootische
Uebersetzung, von der Lennep in seiner laudatio Uieronymi
de Bosch, p. XXV, mit Recht urtheilt : exhocoperevel masime
divina Grotiani ingenii vis elucescit ; cujus enim hoc ingenii vel
4*
52 Griechische Litteratur.
mentis est , inter infinitas occupationes , animi causa ac luden-
tem aliquot millia Oraecorum epigrammatum ita Latinis versi-
bus reddere, ut non modo nihil de gratia decedat, sed saepe
elegantiora etiam Latina Graecis reperiantur : lusus adeo ver-
borum pro Graecis Latini exstent !
Nach einer bedeutenden Reihe von Jahren fügte Bosch
zu diesen drey Bänden einen vierten hinzu , der 1810 erschien,
und ausser bisher ungedruckten Anmerkungen von Friedrich
Sylburg und Claudius Salmasius des Herausgebers
eigne observationes et notas zu den beyden ersten Büchern ent-
hielt: die zu den fünf übrigen nebst den erforderlichen Regi-
stern sollten mit einem fünften Bande das Werk schliessen.
Allein vor Beendung desselben, am ersten Junius 1811, rief
der Tod den siebenzigjährigen Greis ab. Es verflossen wieder
zehn Jahre, bis sein würdiger Freund , der Prof. David Ja-
cob van Lennep in Amsterdam, den abgerissenen Faden,
wie der Verstorbne es gewünscht hatte, wieder aufnahm, und
das Ganze in dem Sinne, in welchem es begonnen war, zu
Ende führte. Nur von diesem, 1822 ans Licht getretenen Bande
kann hier ausführlicher die Rede seyn , da wir nur von demje-
nigen Bericht zu erstatten haben, was seit Erscheinung der
Jacobsischen Anthol. Palat. für die Griechische Anthologie ge-
schehn ist, die frühern Bände aber alle vor diesem Zeitpunkt
erschienen und von dem Gothaer Herausgeber bereits benutzt
sind.
Was Bosch selbst für die Anthologie leisten wollte und
konnte, ist daher in Deutschland längst bekannt. Seine Kritik
war dadurch beschränkt, dass er sich die Aufgabe gestellt
hatte, seinen Griechischen Text mit der Uebersetzung von
Grotius so viel wie möglich in Uebereinstimmung zu bringen.
Die ganze Anlage seines Werkes brachte es so mit sich , und
man muss die Pietät verehren, mit der er sich diesem Geschäft
unterzogen hat. Was er selbst aus der Fülle seiner nicht ge-
wöhnlichen Belesenheit in alten und neuen , besonders Lateini-
schen Dichtern beygesteuert hat , ermüdet nicht selten durch
zwecklose Breite und Abschweifen von der Hauptsache. Len-
nep charakterisirt es treffend: ipsa ratio operae non est eay
ut proper antis ad exitum, sed ut lubenter in hoc studiorum
curriculo versantis , quum res ferret , grata ibi diverticula ca-
ptantis, subinde adeo liberius per vicina litterarum vireta exspa-
tiantis. Laudat. Boschii, p. XXVI.
Dass der fünfte Band an Planmässigkeit und Gleichartig-
keit der Behandlung nicht gewonnen hat, ist natürlich, da der
Herausgeber fast nichts dazu wirklich ausgearbeitet vorfand,
und er sich also genöthigt sah , das meistens nur Angedeutete,
wie es war, von den Rändern des Wechelschen Exemplars,
dessen Bosch eich bedient hatte , zusammen zutragen. Ue-
H. de Bosch : Obscrvat t. et nott. in Anth. Gr. Vol. II absolv. van Lennep. 53
ber sein Verfahren dabey giebt er in der Vorrede Rechen-
schaft , und man kann nicht umhin , sie als gnügend anzuer-
kennen.
Indess hat Lennep, wie es von einem so tüchtigen Hu-
manisten zu erwarten war, sich nicht begnügt, Vorgefundenes
zu sammeln, zu ordnen, herauszugeben: eine nicht unbedeu-
tende Reihe eigner Zusätze, deren einige zwischen den Anmer-
kungen von Bosch eingeschaltet, andre für besondere adden-
r/a, p. 228 — 255, zurückgelegt sind, geben diesem Bande ei-
nen vorzüglichen, ja wir dürfen wohl sagen den höchsten
Werth. Sie bestehen zum Theil in unmittelbaren Berichtigun-
gen des Textes und der Uebersetzung , zum Theil in sorgfäl-
tig ausgewählten Nachträgen zu den Anmerkungen des vierten
und fünften Bandes , zum Theil aber auch in eignen Verbesse-
rungs - oder Erklärungsversuchen , bey welchen uns zu verwei-
len vergönnt sey. Denn da das Boschische Werk schon seines
hohen Preises wegen in Deutschland wenig verbreitet ist, dürfte
es vielen Freunden der Anthologie erwünscht seyn , hier das-
jenige kurz zusammengestellt und beurtheilt zu sehn, was in
den Lennepschen Zusätzen für Kritik oder Auslegung besondere
Bedeutung zu haben scheint. Zur Bequemlichkeit unsrer Lands-
leute gehen wir dabey nach der Folge der Epigramme in der An-
thol. Palat. und heben zuerst die bemerkenswerthen Verbesse-
rungsvorschläge hervor.
Anthol. Palat. V, 4, 5 (Lenn. p. 249.) ist die gewöhnliche
Lesart, oj (piksgäötgi' axoiug, mit Recht in Zweifel gezogen,
und dafür c5 (pikzQÜ6TQia xoitr] vorgeschlagen. Allein die Ehre,
diesen sinnreichen Gedanken zuerst gehabt zu haben, gebührt
dem verstorbenen Wilhelm Schneider, von dem Jacobs
diese Vermuthung bereits in den addendis zum 3ten Bande der
Anthol. Palat. p. XXXII mittheilt, und sie durch V, 128, 4
und 181 , 11 befestigt.
Anth. Pal. V, 9, 5 u. 6. (Lenn. p. 250.) Den durchaus zer-
rütteten Schluss dieses Epigramms, dessen Herstellung keinem
frühern Herausgeber gelungen war, finden wir dem Sinne nach
ganz gut angeordnet:
älk' alei öccxqvoiöi myvQpsvos rj fjrioojcca,
spjtofiat ij (i£yct?<r]S vrjov £g 'v^otifudog
avQiov akk7 äyavrj fis dsdü-etcu —
Allein die Stellung des zweyten^ nach fo%ou«fc ist so widerwärtig
und grade bey diesem) «m< — aut — so durchaus unerträglich,
dass dadurch alles aufgewogen wird, was von andern Seiten
diesen Vorschlag empfehlen könnte. Wollte der Dichter die-
sen Gedanken aussprechen , so konnte er tf <5tilyp [i. und was
nicht sonst sagen, ohne einen so groben Verstoss gegen die
Concinnität des Ausdrucks zu begehn.
Anth. Pal. V, 188, 5 u. 6. (Lenn. p. 24T) Wieder eine arg
54 Griechische Litteratur.
verdorbne Stelle , der schwerlich mit leichten und einfachen
Mitteln zu helfen seyn wird. Lennep giebt sie so:
%d>g &V7]tov täd' dfaxgov eoix' • sl ftvrjxdg 6 ßä^Xav,
tlöO(i\ ävEyxXrjtog ö' hööo^t,' dXs^ccfisvog.
Die letzten Worte hat bereits Jacobs so hergestellt, und auch
das Uebrige dürfte wenigstens der völligen Herstellung näher
gebracht seyn.
Anth. Pal. V, 245, 3. (Lenn. p. 249.) Die alte Lesart,rpt-
Civ a^oöa itETQcug, ist allerdings nicht ohne Bedenklichkeit,
weil sie einen Gebrauch voraussetzt , den wir wenigstens bey
Schwüren wie der hier vorkommende nicht kennen. Aber die
von Lennep vorgeschlagne Verbesserung, tqlölv S(io6a JJoi-
vccig, hat von Seiten der Sprache nicht mindern Anstoss: denn
wo hat wohl je bey öf/otfca der , den man zum Zeugen des Ei-
des anruft, im Dativ gestanden? Auch die dreyHoivai würden
noch eines, vielleicht nie zu führenden Beweises bedürfen. Wir
halten die von Jacobs gegebne Erklärung für die allein wahre.
Anth. Pal. VI, 41, 6 (Lenn. p. 123.) würde gegen die Aen-
derung xbv 6xdj(VV[sgxo(iL6ttt, statt des Pianudeischen xofitöai^
an sich nichts einzuwenden seyn , wenn sie nicht den Stand-
punkt der Kritik für die Anthologie überhaupt verrückte. Denn
noniöKt bey Planudes ist nichts als ein Glossem statt des rich-
tigen a/i^ßat , welches die Pfälzer Handschr. darbietet, egxo-
[ilGccl also metrische Correction einer unhaltbaren Interpola-
tion: man vergleiche das weiter unten zu VII, 289, 4 Be-
merkte.
VI, 156, 1 (Lenn. p. 247.) ist schon durch Brunck ver-
dächtig gemacht, dann von Jacobs mehrfach behandelt: einen
neuen Beytrag giebt Lennep, der, jedoch ohne höhere Evi-
denz, XccQLö&svsog in Xdgrjg xsxeog schreiben mögte. Rec.
glaubt, dass es bey der urkundlichen Lesart sein Bewenden be-
halten muss,
KaXa 6vv tixxiyi XctQitökvtog rpt%K xrjvds
ocovqoövvov xovgaig ftrjx' '/4{iecQVV&idöiv.
Das Snbject, aus dessen vermeintem Nichtvorhandenseyn alle
Zweifel geflossen sind, wird man zu vermissen aufhören, so-
bald man in dem apostrophirten %7]x 'A. die erste Person &ij%cc
zu erkennen sich entschliesst.
VII, 243, 5, (Lenn. p. 237. ) auch eine vielbesprochne
Stelle: Lennep will, zum Theil nach Toup und Brunck,
ijv d* sgoQyg i.% Ipu £vßoöXQv%ov zlxova ftrjQog.
Höchst unglücklich! wie konnte es einem so sprachkundigen
Gelehrten in den Sinn kommen , den Ionischen Genitiv tio eli-
diren zu wollen !
VII, 260 , 5. (Lenn. p. 237.) Hier sieht Rec. keinen Grund
H. de Bosch : Observatt. et nott. in Anth. Gr. Vol. II absolv. van Lennep. 55
ein , warum das alte sfioig bvexoI^lvöcc xolnovg in evl xolpvöct
verwandelt werden soll.
VII, 289, 4. (Leim. p. 40.) Die Lesart des Planudes, a
ycciqg HvficcTa itiXQOTSQU, ist allerdings sinnlos, und die Ver-
besserung ov y. %. %. zu ihr wohl passend. Da aber die Pfäl-
zer Handschr. cj ya'ir\g xv^iaxa möTo'repa darbeut, fällt alles
andre weg, und es gilt auch hier, was wir schon zu VI, 41, 6
gerügt haben.
VII , 330 , 4 (Lenn. p. 238.) ist eine wahrscheinlich ganz
gesunde Stelle, wenn man nur mit Jacobs ag für ovxag nimmt,
und es zum vorhergehenden Verse zieht. Ueberdiess gehört
aber auch der Vorschlag vonLennep keineswegs zu den glück-
lichern: er vermuthet:
6vv xe, yvvavxl KaXtjTiodij] xev£,ev xods <5rj[icCj
cog iv\ xr\v 6xoQyr)v aal cp$niivoi6vv e%ov.
Diese Trennung der Präposition lvl\on ihrem Dativ würde wohl
nur dann zulässig seyn, wenn hfl unmittelbar vor xav stelm
könnte.
VII, 420, 5 u.6. (Lenn. p.237.) Zwey durchaus verdorbne,
selbst lückenhafte Verse , für die folgende , wo nicht unzwei-
felhaft gewisse, so doch höchst sinnreiche Aushülfe gefun-
den ist:
avXol t' acp&Eyxxov xav äitEV&hg , olg bvejcvevös,
XELÖ&', BTtEV OV XV EQCOx', OV %OQOV oLd' ^AfBOCiV.
Nur ccvÄol d' aq>%. in avlol x' äcp&. zu verwandeln, scheint un-
nöthig ; ja , der Uebergang der Anrede von 'EknlÖBg %uiqexb zu
avXov xel6$e erfordert vielmehr jene als diese Partikel.
VII, 477, 3 (Lenn. p. 239.) ist gleichfalls sehr gefällig
verbessert, 'Eksv&EQisvg statt EkEv&EQLijg. Der Gegensatz von
stgög NbUg) scheint einen bestimmten Ortsnamen zu fodern:
dagegen würde der Trost, Philänis ruhe in freyer Erde , hier
ganz fremdartig seyn, da der Dichter gleich fortfährt: toxi
yccQ X&ij itttvxo%Ev Big 'Atd^v bq%o^ibvol6lv 686g.
VII, 513, 1. (Lenn. p. 53.) Die den Vers zerstörende Les-
art der Pfälzer Handschr. cpij itoxs J7odfia%os, ist durch Ein-
schaltung von nccig vor dem letzten Worte so glücklich herge-
stellt, dass wir dieses Epigramm jetzt als völlig geheilt betrach-
ten dürfen. Nun steht auch das Lemma mit dem Epigramm
selbst im Einklang.
VII , 655, 3 (Lenn. p. 238.) können wir der Aenderung ov
7tdQi6vxEg statt ov (iE ftuvövxa , auch von ihrer Gewaltsamkeit
abgesehn, nicht ebenso beypflichten. Rec. begnügt sich, nach
ßdoog ein volles Punktum zu setzen; die folgenden Worte, ov
\iB davövxa yväöovx\ 'Ahxuvdoa xov9,i oxv KallvxBlBvg. , ha-
ben keine weitere Schwierigkeit, wenn man aus yvdöovxav im
ersten Satzgliede für das zweyte yiyvaöxovxcov ergänzt.
IX, 254, 5 (Lenn. p. 230.) erscheint die Verbesserung »J
56 Griechische Litteratur.
dvgituig statt ij d* tvitciig ebenso glücklich als noth wendig, da
Philänion weder in Bezug auf ihre eignen, dem Tode gebore-
nen Kinder, noch auch wegen des angenommenen und ihr gleich-
falls wieder entrisseuen Sohnes zvnaig heissen konnte.
IX, 774, 3. (Lenn. p. 242.} Auch hier ist die Ausfüllung
einer Verslücke , cc freonoidg s [mjöccto [6cc j^soi] t£%vcc , wohlge-
lungen.
Ebenso rechnen wir X, 78, 3 (Lenn. p. 232.) die Ver-
wandlung des sinnlosen öxcohjxa ßccXslv in öjcw'A^iljt ßofajv zu
den kaum noch bezweifelbaren Emeudationen.
Endlich ist Append. epigr. 9, 94 (Lenn. p. 250.) ccTQSxag
s6ti in dtQSxhg l'öth verbessert, und auch hier können wir,
theiis wegen der Verbindung mit ctTQtxsg, theils wegen des
vorhergehenden itikctg <Sxti%cov , unsere völlige Beystimmung
nicht versagen.
Zu den gelungensten Versuchen , die urkundliche Lesart
gegen alle Eingriffe der Kritik zu behaupten, zählen wir die
Bemerkungen zu Anth. Palat. IX, 233, 5; 271, 1; 289; (Lenn.
p. 228, 231, 232.) dagegen glauben wir, dass Anth. Palat. VI,
39 , 1 der mangelhafte Vers :
al TQiööai, ZJcctvqt] ts xcu EvxXuct xcu Evcpgco,
nicht mit Jacobs und L e n n e p (p.126.) in das übergeschriebene,
selbst schon aus der Versnoth entsprungene xcu 'HqccxXucc, son-
dern einfacher in die Ionische Form xcu 'Hvxkuct zu verwan-
deln ist. Auch kann Append. epigr. 5, 4 (Lenn. p. 177.) [iov-
vog wenigstens nicht durch die folgende Aspiration vertheidigt
werden.
Um endlich auch noch einige Beyspiele von gelehrter und
scharfsinniger Auslegung hervorzuheben, verweisen wir auf das,
was zu Anth. Palat. VII, 233, 1 ; 347, 5; IX, 614, 1 ; XI, 107, 3 ;
128, 4 (Lenn. p. 233, 234, 235, 240, 245.) bemerkt ist.
Ausser einem achtfachen Index , über die in der Antholo-
gie vorkommenden Wörter , (unvollständiger als der auch nicht
vollständige Jacobsische.) über die Dichter, von denen sich Epi-
gramme in der Sammlung befinden, über die wichtigsten in der
Anthologie erwähnten Sachen, über die in ihr vorkommenden
Personen- und Ortsnamen, über die Epigramme selbst nach
der Buchstabenfolge ihrer Anfangswörter, über die Anmer-
kungen und über die (wenigen) in denselben gelegentlich ver-
besserten alten Schriftsteller, ist diesem letzten Bande bey ge-
fügt L e n n ep s schön geschriebene, auch durch Gediegenheit des
Inhalts sich auszeichnende memoria Hieron. de Bosch nebst
seinem schön gestochenen Bildnisse, (sie war schon einige Jahre
früher besonders erschienen.) und desAgathias von Jacobs zu-
erst herausgegebnes Einleitungsgedicht zu seiner Epigrammen-
lese mit einer Lateinischen Uebersetzung von E. Q. Visconti
und Anmerkungen von J. G. Husch ke. Die letztern beziehn
Anthologia Graeca. Ed. stereot. Tauchnit. 57
sich theils auf die kritische Herstellung des Textes, theils
auf die Erklärung dunklerer Ausdrücke und Wendungen, theils
auf Berichtigung der nicht selten fehlerhaften Uebersetzung
von Visconti. Mit Bey Stimmung der Pf älzer Handschrift her-
gestellt ist V. 35 oixofov, das bisher falsch olxo&sv betont war.
Nicht minder sicher sind in dem Hexametrischen Abschnitte
die Verbesserungen zu V. 15 (61) und 65 (111), die erstere fin-
det sich jedoch bis auf den wohl nur verdruckten Hauch, die
zweyte ganz ebenso bey Jacobs in der Anthol. Palat., sowie sie
denn überhaupt nicht füglich einem verskundigen Herausgeber
entgehn konnten. Ganz neu dagegen und sehr beachtenswerth
ist die Behandlung von V. 32 , wo statt des Siebenf üsslers
tavrl (ibv ovv IqbI xig ovds täv 6o(pcotäxcov,
leichter und sinngemässer als nach den Emendationen andrer,
vorgeschlagen wird:
XCCVx' OVV 8QEV Ttg OVÖl XC3V <50(p(OXUXGiV.
Sehr einleuchtend ist auch in den Hexametern V. 71 (117)
lysiQSL statt ayslgei oder ccQrjysL vermuthet. Unter den gele-
gentlich beygebrachten Verbesserungen zu andern Schriftstel-
lern zeichnen wir p. XL Anm. 2 die zu Agath. hist. I p. 11, A,
ed. Venet. ig Ikuvo xov %aiqov für sg sxetvov x. x. aus : sie
verdient , in der neuen Ausg. dieses Byzantiners , die wir von
Niebuhr zu erwarten haben, im Text ihren Platz zu finden,
und erhält vielleicht aus der Rehdigerschen Handschr. auch
von aussen Bestätigung. Unter den Sprachbemerkungen scheint
in der zu V. 1 : „Aristoph. Vesp. 914 cod. Ravenn. pro jtejeA^-
G{i£vos habet i^tjtA^aevog, quod magis Atticum est," eine Ver-
wechselung obzuwalten, da beyde Formen gut Attisch, (die
letztere grade wohl nur bey Dichtern) die Zeiten aber ver-
schieden sind. Besonders gelungen haben wir die Erklärungen
gefunden, die sich mit den oft sehr künstlichen figürlichen
Ausdrücken des Agathias beschäftigen , so wie wir denn von
Hrn. Husch ke schon früher manches Dankenswerthe der Art
in den Anal. crit. ad Anthol. Graec. empfangen haben.
Von Ausgaben der Anthologie ist nun weiter nichts zu er-
wähnen, da der folgende Textesabdruck, den wir nur anfüh-
ren, um vor ihm zu warnen, auf den Namen einer Ausgabe
keinen Anspruch machen kann:
Anthologia Graeca ad Palatini codicis fidein
edita. Editio stereotypa. III tomi. Lipsiae, ex officina Oar.
Tauchnitii. 1819. 396, 300 u. 431 S. 12.
Hier aber mag Jacobs in der Vorr. zum Delectus epigr.
p. XXIX für uns das Wort nehmen : „Novatn, qaae ante aliquot
annos apud Tauchnitzium , bibliopolam Lipsiensem,* prodiit,
editionem , aut potius editionis nostrae repetitionem vitiis de-
formatam, atnbigo equidem utrum dicam pejore consilio insti-
58 Griechische Litteratur.
tutam, an majore socordia profligatam. Nam primum, qui
viro industrio et commodis suis intento persuasit , ut editionem
nostram öTtQBOtvnoag repeteret, pessime ejus rebus consuluit.
Quis enim nescit, textum Anthologiae ob haud anam caussam
ita comparatum esse, ut malus f er e ejus corrigendi, emen-
dandi et expoliendi reperiatur finis ; quod et nunc novis quoti-
die exemplis intelligimus , et tum intelleximus , quum observa-
tiones criticas ad easque addenda ad Anthologiam Palatinam
scriberemus. In Ms observationibus plurimos textus a nobis
editi locos tum ex membranis diligentius inspectis , tum ex aliis
fontibus rectius constituimus , vitiaque typographica et nostros
erroresfrequenter emendavimus ; quas devregag cpQOVtidag no-
stras /s, qui Tauchnitzii editionem curavit, adeo sibi negligen-
das putavit , ut tertium editionis nostrae volumen aut plane ig-
norasse, aut ne semel quidem consuluisse videatur. Quid ? quod
veteres errores non solum propagavit , sed novis eosdem atque
turpissimis auxit ; neque solum , quod vulgo fit , spirituum ac-
centuumque apicibus aut omissis aut perperam positis , sed quo-
vis alio vitiorum gener e, quibus bonae chartae inquinantur^pec-
cavit. Quare quam titulus profitetur editionem Gvv nXtiötT)
äxQißsia factam , eam Qad"v^c)g >cat ä[i8Xc5g procuratam esse
quaevis fere pagina loquitur. Quod ne temere dixisse videar,
exempla quaedam , pauca de multis , in margine poiiam , unde
dictorum veritas clarissime apparebit. TaVl dieser Dornenlese
hat das eilfte Buch allein, von den Fehlern in der Betonung
ganz abgesehn, etwa vierzig gröbere Druckvergehn beyge-
steuert, mit denen wir natürlich unsere Leser verschonen. Aus
der Tauchnitzischen Officin ist einiges so correct Gedrucktes
hervorgegangen , dass diese ungeheure Fahrlässigkeit hier um
so mehr befremdet , und der thätige Typograph sich in Acht
nehmen mag, von Seiten der Incorrectheit nicht mit Hrn. Rei-
mer *) auf eine Stufe gestellt zu werden, von dem er sich in
allem Uebrigen sehr zu seinem Vortheil unterscheidet.
Endlich gedenken wir noch eines schätzbaren Nachtrages
von Epigrammen zur Jacobsischen Anthologie:
6) Epigr ammata Graeca ex marmoribus collecta.
Als Programm zum 3ten Aug. , dem Geburtstage Sr. Maj. des Kö-
nigs von Preussen , herausgegeben von Friedr. Gottl. Welcher.
Bonn. 1819. 14 S. gr. 4. Specimen alterum. 1822. 33 S. gr. 4.
[Jen. L. Z. 1822 Nr. 196.]
Wir begnügen uns zu berichten, dass diese beyden Pro-
gramme 62 bey Jacobs fehlende Epigramme enthalten, die der
*) Es genügt, an den 6ten Band des J.ucian von Lehmann zu er-
innern, diess non plus ultra typ ographiseber Lüder lichkeit!
Welcker: Epigrammata Graeca. 59
Herausgeber aus zum Theil Wenigen zugänglichen archäologi-
schen Werken und Reiseheschreibungen gesammelt, und zum
Theil ausführlich erläutert hat. Da aber Hr. Welcker so
eben mit einer neuen Ausgabe beschäftigt ist, so fodert es die
Achtung gegen diesen ausgezeichneten Alterthumsforscher,
eine ins Einzelne eingehende Kritik bis zur Erscheinung jenes
Werkes zu versparen.
Franz Paasow.
Philosophie.
1) Lehrbuch für den ersten Unterricht in der
Philosophie von August Matthiae. Zweite verbesserte Auf-
lage. Leipzig, Brockhaus. 1827. XIV und 193 S. 8. 20 Gr.
2) Darf auf Gymnasien philosophischer Unter-
richt ertheilt werden, oder nicht? Eine pädagogi-
sche Abhandlung von Dr. J. G. Mussmann. Berlin , in der Mylius-
schen Buchhandlung. 1827. 40 S. 8. geh. 4 Gr.
3) Zur öffentlichen Prüfung der Zöglinge des Königlichen Gymnasii
am 27 und 28sten September 1827 ladet ein Dr. Friedrich Schmie-
der. Voran eine Abhandlung über den Unterricht in
der Philosophie auf Gymnasien von Dr. Bobertag.
Brieg, gedruckt von Carl Wohlfahrt. 38 (28) S. 4.
V orliegende drei Schriften, welche alle den Unterricht in
der Philosophie auf Gymnasien betreffen, beweisen einerseits
durch ihre ziemlich gleichzeitige Entstehung, welche leben-
dige Theilnahme die Wiederherstellung desselben erregt, an-
drerseits aber auch durch den offnen Widerspruch, in welchen
jede gegen die andere tritt, wie wenig der Streit darüber als
ausgeglichen betrachtet werden kann, ja, wie er vielmehr jetzt
noch seiner Entstehung näher liegt als seiner Entscheidung.
Rec. bedarf aber hoffentlich weder darüber, dass er diese
Beurtheilung dennoch unternimmt, noch darüber, dass er die
Anzeige seiner Schrift damit verbindet, einer weitern Recht-
fertigung. Denn, was das letztere, die Anzeige seiner Schrift
betrifft, so scheint sie, wiewohl sie eben nichts als dieses sein
kann, hinlänglich sowohl durch die Gleichheit des Gegenstan-
des, als auch dadurch begründet, dass sie den Standpunkt be-
zeichnet, von welchem allein nach seiner Ueberzeugung die
Lösung des Problems zu finden ist, und, auf welchem er sich
dosshalb auch bei dieser Beurtheilung wird halten müssen. Was
aber diese selbst betrifft, so kann sie, wenn nicht unmittelbar
60 Philosophie.
doch mittelbar auf Entscheidung hinwirken, wenn sie durch
die Sonderung des Streitigen und des Zugestandenen und dann
durch Beziehung der besondern Behauptungen eines jeden auf
die allen gemeinsamen, sowohl, was in dem Streite bereits
als allgemein zugestanden angesehen werden kann, als auch,
welcher der verschiedenen Wege der Wahrheit am nächsten
liegt , vor die Augen stellt. Eine Zusammenstellung der von
allen anerkannten Voraussetzungen möge desshalb zugleich als
Grundlage der Beurtheilung jedes Einzelnen vorangehen ; es
möge dann die Betrachtung der Art und Weise , wie der Verf.
des Lehrbuchs von diesen Voraussetzungen aus nicht nur seine
in der Vorrede entwickelte Theorie ableitet, sondern auch,
wie er sie in seinem Lehrbuche ausführt , folgen, dann die ab-
weichende Theorie des Verfs. von Nr. 2 dagegen gehalten wer-
den, und eine kurze Darlegung der Art und Weise, wie ltec.
dabei verfahren zu müssen glaubte, den Schluss machen.
Gehen wir von den ersten Fragen aus , die bei der Unter-
suchung über den Unterricht in der Philosophie auf Gymnasien
in Betrachtung kommen, so zeigt sich in der Beantwortung der-
selben in allen drei Schriften eine solche Uebereinstimmung,
dass der erwähnte Widerstreit bei dem ersten Anblick befrem-
den könnte. Denn, nicht nur, dass zu den übrigen Zweigen
des Gymnasialunterrichts ein andrer, sich bestimmter auf die
Philosophie beziehender, hinzukommen müsse , behaupten alle
drei Schriften einstimmig, sondern sie sind auch alle über die
Grenzen desselben in dem Grade einig , dass sie ihm einerseits
nur die höchsten Stufen der Gymnasialbildung zuweisen, andrer-
seits aber auch alle die Universität als den eigentlichen Sitz
der philosophischen Bildung anerkennen, den Unterricht in der
Philosophie auf Gymnasien aber nur als vorbereitend betrach-
ten. Vergleiche Matthiä Vorrede. S. XI, 2te Auflage, Muss-
mann S. 26 und 27. Wie leicht es nun auch erscheint, über
die angegebenen Punkte einig zu werden, eben so schwer wird
die Untersuchung, wenn wir nach dem Inhalt und der Form
des seiner Aufgabe nach so bestimmten Unterrichts fragen.
Und eben hier beginnt mit der Schwierigkeit auch sogleich der
Widerstreit. Die Schwierigkeit liegt aber näher darin, dass
die Philosophie ihrem Wesen nach das sowohl seinem Inhalte
als seiner Form nach vollendete Wissen ist, die Gymnasialbil-
dung aber, als der akademischen untergeordnet, nicht nur ih-
rem Inhalte sondern auch ihrer Form nach eine niedere sein
muss , mithin die Forderungen an den Unterricht in der Phi-
losophie auf Gymnasien sich so stellen , dass je mehr er in
Wahrheit Philosophie behandelt , er um so weniger der Gy-
mnasialbildung entspricht, je mehr er aber dieser entspricht, er
um so weniger philosophisch sein kann.
Matthiä, zu dessen Betrachtung wir uns zuerst wenden,
Matthiä : Lehrbuch f. d. ersten Unterricht in d. Philosophie. 61
berührt diese Schwierigkeit mit der Meinung derjenigen , die
in dem Unterricht in der Philosophie „ein Hinüberstreifen in
das Gebiet der Universität finden" (Vorrede S. XI), und er
giebt sie auch zu, indem er diesen vollkommen beistimmt, wenn
sie unter Philosophie nicht bloss Psychologie und Logik, son-
dern auch die Metaphysik nach deren gewöhnlichen Zuschnitt,
selbst in Feders oder Gerlachs Lehrbüchern, verstehen. Fra-
gen wir nun hier, wodurch soll, wenn doch Matthiä nach
Vorr. S. XIII die Universität als den eigentlichen Sitz des philo-
sophischen Unterrichts betrachtet, der Gymnasial- Unterricht
in der Philosophie nach seiner Meinung propädeutisch sein*? so
finden wir in der Vorrede darüber keine genügende Erklärung.
Denn, wenn er doch die Psychologie und die Logik in den
Gymnasialunterricht ziehen will , so bleibt nun zweierlei übrig,
wodurch dieser Unterricht in Vergleich mit dem eigentlichen
philosophischen auf der Universität propädeutisch seyn kann.
Nämlich entweder Matthiä behauptet, Logik und Psychologie
sind für sich propädeutisch und nicht Philosophie selbst, und
gehören eben desshalb nicht in den eigentlichen philosophischen
Unterricht auf der Universität, sondern in den propädeutischen
auf Gymnasien , und findet so die Vereinigung der scheinbar
widersprechenden Anforderungen an den philosophischen Gy-
mnasialunterricht. Oder er sagt, die Anforderung an diesen Un-
terricht, die in den Begriffen der Philosophie liegt, denen, die
sich aus dem Gymnasialunterricht ergeben, nachsetzend: nicht
bloss die Psychologie und Logik gehören in den philosophi-
schen Gymnasialunterricht , sondern gleichmässig alle philo-
sophische Disciplinen: und der Unterschied des vorbereitenden
Gymnasialunterrichts in der Philosophie von dem eigentlichen
auf der Universität liegt in einer niedern elementarischen und
aphoristischen Form. Allein, dass Matthiä die Psychologie
und die Logik nicht desshalb in den philosophischen Gymna-
sialunterricht aufnimmt, weil sie an sich und ihrem Inhalte nach
propädeutisch sind, beweist einerseits zwar deutlich genug,
dass § 5 die Logik , die in der ersten Auflage noch mit zur
Propädeutik gezogen wurde, als ein eigentlicher Theil der
theoretischen Philosophie angeführt wird, noch deutlicher aber,
dass nach Vorrede S. VII u. VIII u. X eben nicht bloss die Lo-
gik, sondern auch Metaphysik und philosophische Moral, wenn
auch nicht alle in gleichem Grade, für in diesem Unterrichte zu-
lässig erklärt werden. Sehen wir nun, ob der philosophische
Unterricht auf Gymnasien, der sich nach Matthiä nicht dem
Inhalte nach propädeutisch zu dem akademischen verhalten
kann, es der Form nach soll, und ob das propädeutische Ele-
ment mehr in der Form liegen soll, so finden wir auch diese
Seite unsers Dilemmas auf das Bestimmteste verneint. Denn,
ob er gleich die Metaphysik nach dem gewöhnlichen Zuschnitt
62 Philosophie.
verschmäht, S. XI, so ist doch nicht gesagt, warum dieser Zu-
schnitt mit der Schule unvereinbar sei, und auf der anderen
Seite fodert er S. XII ganz bestimmt für den Unterricht auf
Schulen die vollendete Form, in Vergleich mit welcher es keine
höhere geben kann: den systematischen Zusammenhang. Da
nun die Lösung der Schwierigkeit , die wir in Beziehung auf
Inhalt und Form des Gymnasialunterrichts in der Philosophie
finden, nur darin liegen kann, dass ihm entweder ein seinem
Wesen noch propädeutischer Inhalt zugesichert wird , oder mit
Beibehaltung des Inhalts des eigentlichen Unterrichts in der
Philosophie eine niedere Form, oder, dass ihm sowohl eine be-
sondere Form als auch ein besonderer Inhalt bestimmt wird ;
Matthiä aber Beides, sowohl den Inhalt als die Form des eigent-
lichen Unterrichts in der Philosophie für den Gymnasialunter-
richt in derselben fordert: so ergebt sich von selbst, wie er
mit der ersten Voraussetzung, die bei unsrer Untersuchung
feststehen muss, in Widerspruch geräth, und seine Theorie an
der ersten Schwierigkeit, die unsere Frage hat, scheitert.
Ob nun Matthiä dem philosophischen Inhalt die pädagogische
Bestimmung des Lehrbuchs hintangesetzt, oder ob er der pä-
dagogischen Bestimmung den philosophischen Inhalt aufgeo-
pfert hat, wird sich am leichtesten beurtheilen lassen, wenn
wir den systematischen Zusammenhang, den er beabsichtigte,
näher untersuchen.
In dem Begriffe des systematischen Zusammenhanges liegt
nun vor Allen, dass, wenn gleich das Ganze in mehre Theile
zerlegt ist, diese doch alle von einer allgemeinen Einheit aus-
gehen , und sich darauf beziehen. Das Verhältniss der ver-
schiedenen Theile dieses Lehrbuchs zu ihrer Einheit haben
wir desshalb zu prüfen, und zwar um so bestimmter und ge-
nauer, als Matthiä jede Rücksicht auf ein wegen der Fassungs-
kraft der Schüler nothwendiges Ablassen vom systemati-
schen Zusammenhange schon damit ablehnt , dass er Vorrede
S. VIII in Beziehung auf die Eintheilung selbst gesteht, sein
Lehrbuch nicht gradehin nach dem Bedürfniss des Unterrichts,
sondern nach dem Inhalte selbst eingerichtet zu haben. Wir
finden nun das Ganze nach der Einleitung in vier koordinirteTheile
zerlegt, wovon der erste die empirische Psychologie, der zweite
die Logik , der dritte die Metaphysik und der vierte die pra-
ktische Philosophie behandelt. Alle diese Theile zerfallen wie-
der in mehrere Unterabtheilungen: der erste nach den drei
Seelenvermögen in drei, denen die allgemeine Psychologie oder
die Lehre von mannigfaltigen Verhältnissen und Mischungen
der Seelenvermögen folgt; der zweite in die Lehre von den
Begriffen, Urtheilen und Schlüssen, der dann angewandte Logik
folgt; der dritte in die Ontologie, rationale Psychologie, ra-
tionale Kosmologie und rationale Theologie; der vierte
Matthifi : Lehrbuch f. d. ersten Unterricht in d. Philosophie. 63
in die Moral und Rechtslehre. Wie hat nun der Verfasser
diese vielen und mannigfaltigen Thcile in systematischen Zu-
sammenhang gebracht und auf eine allgemeine Einheit bezo-
gen? Diese Einheit, zu der sich alle Thcile gleichmässig ver-
halten sollen , muss das Absolute sein. Denn nach § 2 ist Ge-
genstand der Philosophie eben die Erforschung des Absoluten.
Aber, was ist dem Verfasser das Absolute, wie ist es ihm,
obgleich Eines , doch ein so Mannigfaltiges , dass alle Thä-
tigkeiten des menschlichen Geistes und das Wesen desselben,
dass Gott und Welt und alles menschliche Handeln dabei in Be-
trachtung kommt? Bei dieser Frage fällt zuförderst auf, dass
die Metaphysik selbst schlechthin als die Lehre vom Absoluten
bestimmt wird, § 6; denn mit dieser Bestimmung fallen, weil
nach ihr nur ein Theil den Gegenstand des Ganzen, das Abso-
lute, behandelt, streng genommen alle übrigen schon aus dem
Zusammenhange heraus, und es ist keine Rettung mehr für das
Systematische des Ganzen : ausser , dass der Verf. sich darauf
zurückzieht, dass nicht gradehin das Absolute, sondern die
Erforschung desselben als Gegenstand der Philosophie be-
stimmt ist , § 2, die übrigen Theile also, wenn nicht als unmit-
telbare Lehre vom Absoluten, doch eben als zur Erforschung
desselben gehörig im Zusammenhange mit dem Ganzen stehen
können. Aber wenn auch damit die empirische Psychologie und
die Logik gerettet wären, so würde doch die Stellung der pra-
ktischen Philosophie bedenklich, weil diese als Theil der Er-
forschung des Absoluten nothwendig mit der Psychologie und
der Logik vor die Lehre von demselben selbst gehören würde,
als ein Theil der Lehre vom Absoluten selbst aber nicht ein
koordinirter Theil mit der Metaphysik, sondern ein Theil der-
selben selbst sein müsste. Doch es fragt sich hier eben noch,
ob der Verfasser den Begriff des Absoluten so gefasst habe,
dass die praktische Philosophie in seiner Darstellung als ein
nothwendiger Theil des Ganzen erscheint , und, dass die Psy-
chologie und Logik wesentliche Theile der Erforschung dessel-
ben sind? Wir müssen daher die Erklärungen des Verfs. über
den Einen Begriff, der allein den systematischen Zusammen-
hang seines Lehrbuchs halten kann, näher untersuchen. Die-
ser Begriff nun wird zwar § 2 mit mehrern Worten als das an
sich allgemein Unbedingte, absolut Beharrliche oder als das-
jenige bestimmt, was allen einzelnen unter einander bedingten
und veränderlichen Erscheinungen zum Grund liegt, tritt aber
doch bald darauf in ein Helldunkel, welches Rec. nicht durch-
schauen zu können gestehen muss. Denn, wenn es § 3 heisst:
„die Vernunft kann das Absolute nicht anders aus sich nehmen,
als, indem sie die ursprünglich eingepflanzten Gesetze zur
Richtschnur nimmt, und nach dem, was diese fodern, jenes
Absolute aufzustellen sucht :u so wird offenbar das Absolute als
64 Philosophie.
ein von der Vernunft Verschiedenes gefasst , und wir können,
zumal nachdem eben die Erkenntniss der Seele und der Natur
einander entgegengesetzt sind , der Vernunft, dem Geiste , ge-
genüber an nichts anders denken als an die Natur. Wenn wir
aber weiter lesen: „Indem also jenes Absolute auf den ursprüng-
lichen angestammten Gesetzen des geistigen Wirkens als auf
seiner Grundlage ruht :" so verträgt es sich schon schlecht mit
dem Begriffe des in sich selbst Begründeten, dass es auf einem
Anderem ruhen soll , und wir können diesen Satz nur dann mit
der Unbedingtheit des Absoluten vereinigen, wenn wir uns
hier den Geist und die Natur als identisch und in ihrer Identi-
tät als Absolutes gesetzt denken. Auf die Identität des Geistes
selbst und des Absoluten deutet aber das Folgende hin , wo es
heisst: „die Erkenntniss des Absoluten fällt mit der Erkennt-
niss der ursprünglichen geistigen Natur zusammen." Denn wohl
lässt sich denken, dass der Geist aus sich selbst das Absolute
zu bestimmen sucht , die Erkenntniss des Absoluten also wenn
nicht unmittelbar doch mittelbar mit der des Geistes gege-
ben ist, wie es kurz vorher heisst, wenn Beides verschieden
ist ; aber, wie unter derselben Voraussetzung die eine Erkennt-
niss nicht bloss aus der andern folgen, sondern mit ihr zusam-
menfallen soll, ist wieder undenkbar. Dass der Verf. hier das
Absolute ein Objektives und den Geist ein Subjektives nennt,
deutet noch auf eine Differenz Beider hin, hilft aber zur Er-
klärung nichts , sondern schiebt diese nur weiter zurück , weil
ja auch von der Erkenntniss des Subjektiven und Objektiven
gesagt wird, dass sie zusammenfällt: was wieder nur möglich
ist, wenn das Subjektive und Objektive als identisch gesetzt
wird. Ebenso heisst es bald darauf: „die Philosophie," die
doch vorhin als die Erforschung des Absoluten erklärt wurde,
„kann erklärt werden für das System der ursprünglichen Ge-
setze und Grundsätze der Vernunft, da nur durch die Erkennt-
niss dieser die Erkenntniss des Absoluten möglich ist." Denn
hiernach ist das Absolute wieder der menschliche Geist selbst.
Dreierlei also kann nach diesen beiden §§ das Absolute sein, der
menschliche Geist, die Natur und die Identität Beider. Kön-
nen wir nun aus der Einleitung keine bestimmte Anschauung
von dem Absoluten im Sinne des Verfassers erlangen , und fin-
den wir hier nur einen schlüpfrigen Boden , auf dem wir uns
bei der Beurth eilung des Buches nicht halten können, ohne
nach verschiedenen Seiten hin zu gleiten, so sehen wir uns
schon durch die Aufgabe , einen festen Standpunkt zu gewin-
nen, auf die Mitte des Buches, den Theil desselben, gewie-
sen, als dessen eigentlichen Inhalt der Verfasser das Absolute
selbst bestimmt. Wir müssen dabei zunächst darauf verzich-
ten, aus § 6 der Einleitung, wo der Verf. die Theile der Me-
taphysik näher bestimmt , für unsere Untersuchung Etwas zu
Matthiä : Lehrbuch f. d. ersten Unterricht in d. Philosophie. 65
gewinnen. Denn hier heisst es von der Metaphysik nur : „Sie
zerfällt in zwei Theile," und das so ohne alle nähere Begrün-
dung und in so willkührlicher Form , dass wir nicht glauben
können , der Verf. habe hier schon das Eine Nothwendige als
solches behandeln wollen. Wenden wir uns desshalb zur Me-
taphysik selbst, so ist uns zunächst der § 124 von Wichtigkeit,
in welchem der Begriff des Absoluten bestimmt wird, nachdem
vorher von den „drei ursprünglichen Gesetzen des Raums , der
Zeit und der Kausalität'1, die Itede gewesen ist. Bas letzte ist
als dasjenige bestimmt, wodurch der Geist genöthigt ist, für
jedes Geschehene und Bestehende eine Ursache vorauszusetzen
und zu suchen (§121), und dann heisst es weiter: „Zufolge des
Gesetzes, wodurch der Verstand genöthigt ist, zu allem Be-
dingten das Unbedingte zu suchen , findet er sich auch genö-
thigt an eine letzte und höchste Ursache zu denken, die nicht
mehr Wirkung einer andern Ursache ist, sondern den Grund
ihres Daseins in sich selbst, zugleich aber den Grund alles Be-
stehenden enthält. Dieser letzte und höchste Grund heisst
das Absolute." Diese Bestimmung ist nun zunächst für sich sehr
klar. Denn als die alles Sein bedingende Ursache können wir
nichts Anderes als das höchste Wesen denken. Dennoch ver-
mehrt sie, näher betrachtet, nur die Rathlosigkeit, in der uns
der Verfasser über das Absolute lässt. Denn noch in demsel-
ben § heisst es: „Die bloss in der Vernunft vorhandene Vor-
stellung von einem solchen alle Erfahrung übersteigenden Ge-
genstände, die den Grund alles Uebrigen enthält, heisst eine
Idee." Mit diesen Worten wird die Einheit des Absoluten wie-
der aufgegeben, und es entsteht der Schein, dass es nicht nur
eine Mehrheit von absoluten Gegenständen, sondern auch eine
Mehrheit von Vorstellungen über das Absolute geben kann:
welches beides in den bestimmtesten Widerspruch mit dem eben
aufgestellten Begriff Einer letzten und höchsten Ursache tritt.
Nehmen Avir dennoch an , dass der Verf. das höchste Wesen
als das Absolute setzt, und dass ihm die Bestimmung der Idee
misslungen ist, und sehen von hier aus auf die frühern Erklä-
rungen über das Absolute zurück, so tritt die Unbestimmt-
heit des Begriffes noch mehr in das Licht. Denn, wohl können
wir die Erklärung des Absoluten als des in sich selbst Begrün-
deten mit dem Begriffe des Absoluten vereinigen, und auch, was
§ 3 gesagt ist, dass die Vernunft nach dem, was die ihr ein-
gepflanzten Gesetze fodern, das Absolute aufzustellen sucht,
hat von dieser Erklärung aus seinen Sinn. Aber, dass das
höchste Wesen, wie es § 3 vom Absoluten heisst, auf den Ge-
setzen des geistigen Wirkens als seiner Grundlage ruhen soll,
tritt mit jeder Vorstellung von demselben in Widerspruch, und
erscheint in dem Munde eines Lehrers der Philosophie schlecht-
hin unbegreiflich. Warum ferner § 4 das Absolute, als höch-
Jahrb. f. Phil. u. Fädag. Jahrg. III. Heft 1. 5
66 Philosophie.
stes Wesen, bloss als die Grundlage unserer Erkenntniss vom
Sein der Dinge Und nicht als der Grund der Dinge selbst be-
stimmt ist, zumal es hernach die Richtschnur unsers Handelns
genannt wird , ist von diesem Begriff des Absoluten aus nicht
abzusehen. Doch wir haben erst einen § der Metaphysik er-
wogen, und es bleibt noch übrig, die übrigen Sätze dieses
Abschnittes auf denselben zu beziehen. Nach § 124 müssen
wir als eigentlichen Inhalt der Metaphysik die Lehre vom höch-
sten Wesen, also eine Lehre erwarten, die in irgend einem
Sinne Theologie ist: nach § 2 freilich etwas Anderes , nämlich
die Lehre vom menschlichen Geiste, in wiefern dort dieser
als das Absolute erscheint, die Lehre von der Natur, in wie-
fern diese , aber am wenigsten die Lehre von diesem Allen.
Wir finden nun aber, näher betrachtet, in der Metaphysik die-
ses Alles behandelt, den Geist in der Ontologie und der ra-
tionalen Psychologie, die Natur in der Kosmologie und das
höchste Wesen in der rationalen Theologie, die alle als Theile
der Metaphysik aufgeführt werden. Wie konnte nun der Verf.
dieses Alles unter der Metaphysik, der eigentlichen Lehre vom
Absoluten, befassen? Wir hören ihn darüber selbst. § 117
heisst es , nachdem der Unterschied zwischen analytischen und
synthetischen Urtheilen festgestellt ist : „das System der syn-
thetischen Grundsätze a priori mit Anwendung derselben zur
Beantwortung der für den Menschen wichtigsten Fragen über
Freiheit, Unsterblichkeit und Gott heisst Metaphysik." Sollen
wir nun hier den Verfasser so verstehen, dass nur der mensch-
liche Geist, in dem doch nach § 117 die Grundsätze a priori
liegen, das Absolute sei, so können wir uns freilich denken, wie
die Lehre von Freiheit und Unsterblichkeit mit in die Meta-
physik kommt; aber gerade die Lehre von Gott und (noch mehr
die von der Welt, deren hier als Gegenstand der Metaphysik
gar nicht gedacht wird, erscheint einerseits als ein dem Absolu-
ten selbst Aeusserliches, anderseits als ein so zufälliger Anhang
desselben , dass von der früher demselben beigelegten Not-
wendigkeit keine Spur mehr zurückbleibt. Sollen wir aber den
Verf. so verstehen , als sei der menschliche Geist eben so wie
das höchste Wesen und die Welt in der Einheit des Absoluten
begriffen , dann finden wir hier eine solche Verwirrung der
höchsten Gegensätze, die, weit entfernt philosophisch zu
sein, sich von den gröbsten materialistischen Verwirrungen
nicht unterscheidet. Für die erste Erklärung spricht, dass
schon § 6 die Lehre von den ursprünglichen Gesetzen des
menschlichen Geistes als der Ilaupttheil der Metaphysik auf-
gestellt ist, und alles Andere nur als Anwendung derselben auf-
geführt wird; für die andere aber, dass §126 die rationale
Psychologie, Kosmologie und Theologie als die Theile aufge-
führt werden, in welche die Untersuchungen der Metaphysik
Matthiä: Lehrbuch f. d. ersten Unterricht in d. F]iilo9ophie. 6?
zerfallen. Beides zusammen genommen aber beweist zur Ge-
nüge, dass dem Verfasser weder der Begriff des Absoluten,
noch die Behandlung desselben in der Metaphysik klar waren.
Dieser § nun müsste , in sofern er den Zusammenhang des er-
sten und zweiten Haupttheils der Metaphysik vermitteln soll,
■wenn irgend einer, die Verwirrung aufheben, in der wir den
Begriff des Absoluten in den übrigen Theilen des Lehrbuches
finden. Es musste hier vor Allem vom Begriff des Absoluten
aus zuerst die Grenze des mit diesem § beschlossenen Theils
der Metaphysik festgestellt, und durch Beziehung des Gott-
und Weltbegriffs auf denselben der folgende Theil als ein von
dem vorigen verschiedener, anderseits als ein mit jenem in ei-
ner höhern Einheit nothwendig verbundener nachgewiesen sein.
Allein Mir finden hier zunächst von einer Beziehung der ange-
gebenen Theile auf den sie umfassenden Begriff keine Spur.
Denn es heisst zu Anfange von § 126, wieder nur in der ganz
willkührlichenForm einer blossenRelation: „In dem ursprüng-
lichen Selbstbewusstsein erscheint der Geist selbst als den Ein-
wirkungen des Körpers und überhaupt der Aussendinge aus-
gesetzt, aber auch als wieder auf sie einwirkend."' Hiermit ist
aber auch sogleich wieder jeder bestimmte Begriff vom Abso-
luten als dem Geiste, den wir im vorigen Theile der Meta-
physik festhalten konnten , zerstört ; denn als unbedingte Ur-
sache kann das Absolute nicht, was doch hier vom Geiste ge-
sagt wird , den Erwirkungen der Aussenwelt ausgesetzt seyn.
Eben so wenig aber hält der Verf. in diesem § die Natur als
das Absolute fest, wozu wir in dem Vorigen auch eine Andeu-
tung fanden. Denn von dem Körper , worunter der Verf. in
diesem § die gesammte Aussenwelt versteht, sagt er ausdrück-
lich , dass er eines äussern Antriebes bedürftig ist. Die Iden-
tität der Natur und des Geistes ist nach diesem § nicht das Ab-
solute, denn beider Sein ist nicht unbedingt, wenn ihr Zu-
sammenhang durch ein drittes, Gott, vermittelt ist, wieder
Verf. sich hier erklärt. Das Schlimmste ist aber endlich , dass
hiernach auch keine Möglichkeit übrig bleibt, Gott selbst als
das Absolute zu setzen. Denn, wenn sein Wesen damit er-
schöpft ist, dass er den Zusammenhang der Körper- und Gei-
sterwelt vermittelt , so ist er eben in seitiera ganzen Sein be-
dingt durch das Sein der Körper- und Geisterwelt. Aus einer
solchen Verwirrung des Hauptbegriffes ergiebt sich zunächst
die Unmöglichkeit des wissenschaftlichen Zusammenhanges als
nothwendige Folge. Wir können indess nicht läugnen , dass
der Verf. sich sichtbar bestrebt, die verschiedenen Theile
des Lehrbuchs auf einen Einheitspunkt zu beziehen , und wir
haben, wenn sich zugleich dieses Bestreben nach dem schon
Erwiesenen nicht anders als in leeren sich selbst vernichtenden
Formeln äussern kann, doch eben diese noch zu betrachten
5*
68 Philosophie.
und als solche aufzuweisen, um einerseits die aufgezeigte Ver-
wirrung noch deutlicher in das Licht zu setzen, anderseits un-
ser hiermit über das Ganze ausgesprochenes Urtheil noch tiefer
zu begründen. Sehen wir zunächst darauf, wie der Verf. die
empirische Psychologie, als den ersten der Metaphysik voran-
gehenden Theil des Ganzen, mit derselben verbindet , so fin-
den wir sie im Schematismus des Lehrbuchs, in der Einleitung
§ 5, bestimmt als die Lehre von den Kräften-, Fähigkeiten und
Trieben der menschlichen Seele, „insofern sie sich im Selbst-
bewusstsein, also durch Beobachtung und Erfahrung offenba-
ren." Bei dieser Bestimmung ist sogleich die Einheit des Stof-
fes der empirischen Psychologie mit dem grössten Theile der
Metaphysik unverkennbar. Denn dieOntologie, der eine Haupt-
theil derselben, enthält nach dem Verf. das System der ur-
sprünglichen der Vernunft angestammten Gesetze und Grund-
sätze, und die Psychologie die Anwendung derselben auf die
Erforschung des Wesens und der Fortdauer der menschlichen
Seele. Es kann demnach scheinen , als habe der Verf. die nä-
here Entwicklung des Verhältnisses der Psychologie zur Lehre
vom Absoluten hier für überflüssig gehalten. Allein je deutli-
cher hier die Einheit und der Zusammenhang beider hervor-
tritt, desto weniger können wir die Frage abweisen, wie er
doch darauf kommt, sie als zwei verschiedene zu behandeln?
Der Unterschied beider ist nun am deutlichsten § 8 ausgespro-
chen, wo die empirische Psychologie als die Lehre von den
Kräften und Fähigkeiten der menschlichen Seele insofern be-
stimmt wird , als diese durch Beobachtung und Erfahrung zu
erkennen sind, und zwar „im Gegensatze der rationalen Psy-
chologie, welche dasjenige enthält, was durch blosse Ver-
nunft in Ansehung der Seele zu erkennen ist, und einen Theil
der Metaphysik als des Systems der Erkenntnisse a priori aus-
macht." Aber, näher betrachtet, heisst es nun auch von den
synthetischen Grundsätzen a priori, die § 117 als Inhalt der
Metaphysik bestimmt Meiden und von denen doch alle rationa-
len Disciplinen nur eine Anwendung sind, in demselben §, dass
sie durch aufmerksame Beobachtung des innern Menschen ent-
deckt werden, die Kenntniss derselben also empirisch ist. In
Uebereinstimmung damit heisst es § lli), „dass die ursprüngli-
chen Gesetze des menschlichen Geistes sich schon im ursprüng-
lichen Selbstbewusstsein offenbaren müssen ;u und ähnliche Er-
klärungen finden wir in allen folgenden Theilen der Metaphy-
sik. Wie nun hiermit aller formelle und genetische Unterschied
der Metaphysik und der empirischen Psychologie aufgehoben
wird, indem jene nicht weniger als diese zur Erfahrungskennt-
niss herabgesetzt wird, leuchtet von selbst ein, und wir kom-
men von dieser Seite auf keine Weise zu einer Erklärung des
Verhältnisses beider im Lehrbuche. Wir können hierbei nicht
Matthiä : Lehrbuch f. d. ersten Unterricht in d. Philosophie. 69
unbemerkt lassen, dass der Verf. den Widerspruch, in welchen
er hiermit verfällt, und der um so unbegreiflicher erscheint,
je bestimmter er selbst die rationale Psychologie in Gegen-
satz zu der empirischen stellt, auch selbst gefühlt hat und
zu lösen sucht, aber auf eine Weise, die eben so unbegreif-
lichist, als der Widerspruch selbst. Die ganze Lösung des-
selben soll nämlich darin liegen, dass die subjektive Art der
Erkenntnis« eines Dinges nicht den objektiven Ursprung dessel-
ben bestimmt; dass die ursprünglichen Gesetze des menschlichen
Geistes ihn von jeher bestimmt haben, aber erst spät als solche
anerkannt wurden: also eine Ueberzeugung, die sich auf die
ursprünglichen Gesetze der Vernunft gründet, obgleich diese
erst durch Beobachtung erkannt werden, ihren ersten Ursprung
in der Vernunft hat, und a priori gilt (§ 3 Anmerkung). Wir
fragen hier nur: Sind die Gesetze der Vernunft selbst der In-
halt der Metaphysik, und ist diese desshalb a priori, weil das
Sein und Wirken derselben unabhängig ist von ihrer empiri-
schen Erkenntniss *? Dann muss alles Andere, was seinem Sein
und Wirken nach unabhängig ist von seiner empirischen Kenntniss,
auch a priori sein, mithin auch die Kräfte und Fähigkeiten der
Seele, von denen doch nach dem Verfasser die empirische Psy-
chologie handelt. Oder nicht darin, dass diese Gesetze selbst
Inhalt der Metaphysik sind, sondern darin, dass der ganze In-
halt derselben sich auf sie gründet, liegt ihre Apriorität und
ihr Unterschied von der empirischen Psychologie? Dann aber
ist hiermit von dem Inhalte der empirischen Psychologie be-
hauptet, dass er sich nicht auf die im Wesen der Vernunft lie-
genden Gesetze gründet, also mit ihr selbst doch eine Erkennt-
niss zugegeben, der die Gesetze des Verstandes nicht zum
Grunde liegen: in offenbarem Widerspruch mit § 125. Eben
so wenig wie hiernach in der angegebenen Bestimmung der em-
pirischen und rationalen Psychologie ein formeller Unterschied
liegt, ist dadurch eine von der andern in materieller Hinsicht
auf bestimmte Weise geschieden. Denn schon an und für sich
ist es , wenn die empirische Psychologie von den Kräften,
Trieben und Fähigkeiten der menschlichen Seele handelt, nicht
leicht einzusehen, was dann noch der blossen Vernunft an der
menschlichen Seele zu erkennen übrig bleibt. Wir müssen
desshalb den Verf. hier so verstehen, dass die Kräfte und Fä-
higkeiten der menschlichen Seele der gemeinschaftliche Inhalt
der empirischen und der rationalen Psychologie sind , nur
beide sie von verschiedenen Seiten darstellen, und dass eben
darin die Verschiedenheit ihres Inhalts liegt. Aber was hat
nun die empirische Psychologie an den Kräften und Fähigkei-
ten der menschlichen Seele darzustellen, und, was die ratio-
nale'* Weiter oben ist die rationale Psychologie als die Erfor-
schung desWesens der menschlichen Seele bestimmt (§6). Aber
70 Philosophie.
das bestimmt den Unterschied der rationalen und empirischen
Psychologie nicht. Denn, was andres kann das Wesen der
menschlichen Seele bilden, als ihre Kräfte und Fähigkeiten?
Wir können hierüber nur noch denken , dass der Verf. in den
Kräften und Fälligkeiten der menschlichen Seele selbst noch
einen Unterschied des Wesentlichen und Unwesentlichen, wie
das Innere und Aeussere der Erscheinungen und der Kraft selbst,
macht, und das Erste in der empirischen, das Andere in der
rationalen Psychologie behandeln will. Allein sollte nach dem
Verf. der Unterschied beider sich nur darauf gründen, so
müsste die ganze rationale Psychologie nur in der Lehre be-
stehen, dass es keine rationale Psychologie giebt, und alles
Weitere , was in dieser gelehrt würde , wäre ein grosser Wi-
derspruch. Denn §127 lesen wir, ,,dass wir das eigentliche
Wesen der Seele eben so wenig zu erforschen vermögen als
das innere Wesen eines ]Vaturgegenstandes.u Hatte nun der
Verf. den Unterschied der gesonderten Lehren selbst so wenig
erkannt, so war es unvermeidlich, dass er in ihrer Ausführung
ganz willkührlich verfuhr, und Zusammengehörendes schied,
und Verschiedenes verband. Wir können uns der weitern Nach-
weisung dieser Verwirrung aber um so eher enthalten, je deut-
licher der Grund derselben vor Augen liegt, und bemerken nur,
dass auf keine Weise einzusehen ist, warum die Lehre, dass
die menschliche Seele einfach und frei und eine Substanz ist,
nicht mit der Lehre von dem Verhältnisse ihrer Kräfte , und
mit der Lehre vom Charakter , die wir in der empirischen
Psychologie finden, verbunden wird, ja dass streng genom-
men schon mit der Sonderung dieser Lehren der richtige Stand-
punkt für dieselben verrückt wird. — Aehnliches ist dem Verf.
in seinen Erklärungen über das Verhältniss der Logik zur Me-
taphysik begegnet und war in der aufgezeigten Verwirrung des
Hauptbegriffs unvermeidlich. Im Schematismus des Ganzen (§5)
scheint dieser Unterschied sehr bestimmt angegeben. Die Lo-
gik nämlich wird bestimmt als „das System der dem Verstände
ursprünglich eingepflanzten Gesetze und Grundsätze, w eiche
der Verstand beim Denken überhaupt (nicht bloss dem philoso-
phischen) , ohne Rücksicht auf den Gegenstand desselben, be-
folgt ; (formale Gesetze des Denkens ;)" die Ontologie aber als
„das System der ursprünglichen der Vernunft angestammten
materiellen Gesetze und Grundsätze." Hier fällt schon der
Beisatz formal und material auf, der in der zweiten Auflage
hinzugekommen ist. Denn, warum ein Gesetz des Verstandes
als solches formal, ein Gesetz der Vernunft als solches ma-
terial ist, ist für sich nicht einzusehen, und bedurfte eine nä-
here Erklärung. So hat dieser Zusatz schon, für sich betrach-
tet, ganz das Ansehn eines Nothbehelfs, der in der zweiten
Ausgabe hinzugekommen ist, um den, wie der Verf. wohl
Matthiä : Lehrbuch f. d. ersten Unterricht in d. Philosophie. Hl
fühlte, im Betriff nicht sehr begründeten Gegensatz, wenn auch
nur durch ein Wort, zu unterstützen. Dass er das nun in der
That ist, und der Verf. damit, wenn wir auf den Begriff sehen,
nicht nur nichts gewann, sondern die neue Auf läge mit einem
neuen Widerspruch ausstattete, zeigt § 118, wovon den Gese-
tzen, die die Metaphysik lehrt, ausdrücklich gesagt wird, dass
sie „nicht etwa ursprünglich Begriffe, die von allem Anfang im
menschlichen Geiste liegen, sondern, wie alle Gesetze einer
jeden Naturkraft, gewisse ursprüngliche von der Natur seihst
eingeprägte Richtungen und Verfahrungsweisen des Geistes'1,
als? doch, wenn irgend etwas, nur formal, keinesweges mate-
rial sind. Doch der Gegensatz des Formalen und des Materia-
len ist nur ein untergeordneter in des Verfs. Bestimmung der
Logik und Metaphysik, und eben so auch der Widerspruch in
demselben. Der eigentliche Gegensatz soll in dem Verstände
und der Vernunft liegen. Hier fragt sich nun, wie dem
Verf. der Verstand und die Vernunft ein so Verschiedenes ist,
dass er die Gesetze beider in zwei verschiedene Disciplinen ver-
theiltl Wir bemerken dabei zuerst, dass der Unterschied bei-
der Disciplinen nicht in ihrer Form, in der Art , wie ihr Inhalt
erkannt wird, liegen kann. Denn schon oben ist bemerkt, dass
der Verf. die Ontotogie durch Beobachtung entstehen lässt,
und eben so wird schon § 5 eingeschärft, dass die Gesetze der
Logik zwar durch Beobachtung entstanden sind , aber unab-
hängig aoii dieser die Richtigkeit des Denkens begründen. Bei-
des, die Logik wie die Ontologie, ist ihm demnach reine Em-
pirie. Es ruht daher die ganze Unterscheidung beider Disci-
plinen allein auf dem Unterschied von Verstand und Vernunft,
und wir müssen des Verfs. Bestimmung darüber noch untersu-
chen. Wir finden dieselbe in der empirischen Psychologie
§16 ff., wo der Verstand als das Vermögen, die Verhältnisse
und Beziehungen zwischen mehreren Vorstellungen und meh-
rern Begriffen zu finden, erklärt wird, die Vernunft hingegen
als das Vermögen, das Allgemeine und Unbedingte oder die
ursprünglich ordnenden Prinzipien aufzustellen. Die Thätig-
keit des Verstandes ist hiernach offenbar die Subsumtion oder
ein fortgesetztes Klassificiren, wie es der Verf. weiter unten
§ 20 beschreibt: ein Beziehen mehrerer einzelneu Erscheinun-
gen auf das ihnen zum Grunde liegende Allgemeine und umge-
kehrt. Die Vernunft nun hat es nach der Erklärung des Verf.
auch mit einem Allgemeinen zu thun, und darauf alles Uebrige
zu beziehen. Denn das Allgemeine , Unbedingte ist ja eben
nach des Verfs. Erklärung dasjenige, was allen einzelnen un-
ter einander bedingten und veränderlichen Erscheinungen zum
Grunde liegt (§ 2). In Uebereinstimmung damit heisst es auch
§ 25, dass die Vernunft die letzten Gründe dessen, was ist, auf-
zufinden hat : im Gegensatze zu der Beobachtung von Aussen-
12 Philosophie.
dingen , durch die man höchstens „die höchsten Gründe einzel-
ner Erscheinungen aber nie die letzten Gründe des Systems
der Erscheinungen oder des Bestehenden findet," und das ist
nach § 14 und 17 die Thätigkeit des Verstandes. Hiernach liegt
nun der Unterschied des Verstandes und der Vernunft offenbar
darin , dass der Verstand Einzelnes auf relativ Allgeraeines be-
zieht, die Vernunft aber relativ Allgemeines auf das absolut All-
gemeine. In wiefern nun hiermit der Verf. das Wesen des Ver-
standes und der Vernunft richtig bezeichnet hat, kann uns zu be-
urtheilen um so weniger obliegen, je mehr wir die pädagogische
Bestimmung des Lehrbuchs immer vor Augen behalten müssen.
Allein, sehen wir nun darauf zurück, dass diese Unterscheidung
nach § 5 die Sonderung der Logik und Ontologie begründen soll,
so zeigt sich eine unauflösliche Verwirrung in der Behandlung
beider als unvermeidliche Folge. Denn, geben wir auch einmal
die Richtigkeit jener Unterscheidung zu, so bedarf es doch kei-
nes Beweises, dass sie eine materielle, keinesweges eine for-
melle ist. Denn, wenn gleich die Vernunft zu dem absolut Allge-
meinen aufsteigt, der Verstand aber sich nur auf das relativ All-
gemeine bezieht, so ist doch die Form der Thätigkeit beider eben
nichts Anderes als das Beziehen eines als Einzelnes Gesetzten
auf ein Allgemeines und umgekehrt. Nun ist nach § 121 ein
Gesetz nichts Anderes als das Prinzip des Wirkens oder das We-
sen der Kraft, wodurch sie nach einer gewissen Weise thätig ist:
also eben ihre Form. Die Logik nun behandelt die Gesetze des
Verstandes, die Ontologie die der Vernunft: beide mithin, weil
diese eben nach des Verfs. Erklärung selbst identisch sind , das-
selbe. Wie konnte nur der Verf., wenn er gleich nicht selbst
einsah, dass seine Worte über den Unterschied der Logik und
Ontologie eben nur Worte und nichts Anderes sind, wenn er
den so offenbaren Widerspruch auch nicht sogleich bemerkte, ihn
doch bei der Ausführung beider Disciplinen nicht wahrnehmen,
und woher gewann er für beide einen verschiedenen Inhalt*? Nicht
anders, als dass er mit einer grundlosen Willkühr in jede von
beiden Sätze vertheilte , die weder ihrer Form noch ihrem In-
halte nach eine Spur von wissenschaftlichem Zusammenhange an
sich tragen. Diese Willkühr tritt freilich bei dem Anblick der
Ueberschriften der einzelnen Abschnitte der Logik nicht sogleich
hervor. Aber eine unabsehbare Willkühr thut sich uns auf,
wenn wir in der Logik die Sätze der Identität und des Wider-
spruchs finden, die doch offenbar nicht aus der gegenseitigen
Beziehung mehrerer Begriffe und der Betrachtung ihres Verhält-
nisses entstehen, sondern, wenn irgend etwas, als ursprüngliche
Gesetze der Vernunft ihr zum Grunde liegen : und , wenn dage-
gen in der Anmerkung das Gesetz der Kausalität desshalb aus der
Logik verwiesen wird, weil nur die Vernunft nach Gründen und
nach dem letzten Grunde forsche, der Verstand aber nur nach
Mattliiii: Lehrbuch f. d. ersten Unterricht in d. Philosophie. 73
Gründen verfahre und nur nach Gründen Begriffe entgegen-
setze : und , wenn weiterhin von Vernunftschlüssen die Rede ist
(§ SO). Grösser aber zeigt sich noch die Verwirrung, wenn wir
sehen, was nun der Verf. eigentlich seiner Ontologie vorbehal-
ten hat. Hier nämlich handelt er, um seine Ausdrücke zu brau-
chen, von den Gesetzen des Raums, der Zeit und der Kausalität
(§ 110). Dass die Lehre vom Räume in die Logik als die Lehre
vom Verstände gehörte, folgt unmittelbar aus des Verfs. eignen
Worten, da er selbst sagt, die meisten unserer Begriffe sind
durch Beobachtung äusserer Gegenstände entstanden (§ 72), und
dann § 120 vom Räume lehrt, dass er die Bedingung ist, „unter
welcher allein der Mensch äussere Gegenstände unmittelbar wahr-
nehmen kann, oder die Art und Weise, wie der Mensch nach
seinen ursprünglichen Gesetzen sie wahrnehmen muss." Die
nähere Bestimmung des Gesetzes der Kausalität § 121 sagt fer-
ner, zusammengehalten mit der oben erwähnten Bestimmung der
Thätigkeit des Verstandes, mit klaren Worten aus, dass sie ei-
gentlich in die Logik gehört. Denn .,es ist," wird gesagt, „schon
thätig beim Bilden der Begriffe, beim Aufsteigen ^oih Besondern
und Einzelnen zum Allgemeinen." Die tiefste Verwirrung zeigt
sich endlich darin, dass in der Ontologie, wo doch die Gesetze
der Vernunft behandelt werden sollten, immer nur vom Verstände
die Rede ist; so dass die ganze Ontologie vor lauter Verstände
nicht zur Vernunft kommt. Denn, statt dass nach § 16 der Ver-
stand nur mehrere durch dieWahrnehmung gegebene Vorstellungen
zu Begriffen verbindet, dagegen die Vernunft das Unbedingte
sucht, fängt hier der Verstand an, über dasjenige, was nie Ge-
genstand der Erfahrung werden kann , und selbst über die Gott-
heit nachzudenken (§ 120). Der Verstand muss zufolge des Kau-
salitätsgesetzes nothwendig eine feste Grundlage für das Wech-
selnde annehmen (§ 123), und eine letzte und höchste Ursache, zu
allem Bedingten das Unbedingte, zu denken, sieht sich nicht die
Vernunft sondern der Verstand genöthigt (§ 124). — Wie sich
nun in dem Verhältnisse der empirischen Psychologie und der
Logik zur Metaphysik der Schein des systematischen Zusammen-
hanges näher betrachtet in ein chaotisches Gemisch auflöst , und
die hier zur Unterscheidung beider angewendeten Formeln sich
in der Ausführung leer und gehaltlos zeigen , so fällt , wenn wir
uns nicht an den Formeln genügen lassen, die den Zusammen-
hang scheinbar vermitteln , und auf die Ausführung selbst sehen,
die Metaphysik und die praktische Philosophie als ein sich selbst
äusserlicher Stoff aus einander. Schon bei der ersten Bestim-
mung der theoretischen und praktischen Philosophie (§ 4) tritt der
Gegensatz nicht rein hervor. Denn hiernach ist das Absolute
theils die Grundlage unsrerErkenntniss vom Sein der Dinge, theils
die höchste allgemeine und unbedingte Richtschnur alles Han-
delns oder dessen, was sein soll: und „daher wird die Philo-
74 Philosophie.
sophie eingetheilt in die theoretische, die bloss die Erforschung
und Betrachtung dessen, was ist, bezweckt, und in die prakti-
sche, welche die höchsten Grundsätze für die menschlichen Hand-
lungen feststellt." Wir fragen hier: ist das, was sein soll, gleich
dem, was nicht ist: sind also die menschlichen Handlungen nicht,
und bloss in sofern als sie nicht sein sollen l Die Antwort liegt in
demFolgenden, wo wir bald lesen, dass die praktische Philosophie
das Sittengesetz enthält oder aufstellt, und dieses ein in der Na-
tur ursprünglich Gegebenes ist. Ist aber das, so hat es auch die
praktische Philosophie mit dem, was ist, und nicht mit dem, was
sein soll, zu thun, und der Unterschied, der im Anfange des §
zwischen beiden Theilen der Philosophie aufgestellt wird , wird
am Ende wieder aufgehoben: der Widerspruch ist also nur durch
den schiefen, falschen Gegensatz: „das was ist" und „die höch-
sten Grundsätze für die menschlichen Handlungen", verdeckt,
keinesweges ausgeglichen. Gehen wir weiter, so finden wir, dass
der Verf. § 7 sich bemüht , den Zusammenhang der praktischen
Philosophie und der theoretischen zu entwickeln, und beider
Verhältniss zu bestimmen: nämlich so, dass der höchste Satz,
von dem die Moral ausgehen müsse, als eine Folge der höchsten
Gesetze der Vernunft überhaupt, mithin als von der Onto-
logie abhängig dargestellt wird. Das liegt wenigstens offenbar
in den Worten: „Aber für die Wissenschaft ist es nothwendig,
den aus jenen Gesetzen abgeleiteten höchsten Grundsatz aufzu-
stellen, der einestheils die Natur der moralischen Verbindlich-
keit am bestimmtesten ausdrückt, und anderntheils den Grund
der bei jeder einzelnen Pflicht eintretenden Verbindlichkeit ent-
hält , Moralprinzip." W ir müssen nun hierbei nach dem bereits
früher Erwähnten zuerst bemerken, dass hiermit zwar ein Zu-
sammenhang der praktischen Philosophie mit dem, was der
Verf. Ontologie nennt, aufgestellt ist, keinesweges aber mit
der ganzen Metaphysik , weil diese sich auch auf ganz andere
Gebiete erstreckt; und am allerwenigsten liegt hierin eine Ver-
knüpfung der praktischen Philosophie mit der Lehre vom Ab-
soluten, von dem wir gar nicht mit Bestimmtheit sehen konn-
ten, was es im Sinne des Verfassers sei. Das Schlimmste aber
ist, dass selbst der Zusammenhang mit der Ontologie, der
in diesen Worten liegt, nur scheinbar ist, und, wie es nach
der ganzen Weise dieser Ontologie unvermeidlich war, so-
gleich wieder in dem Folgenden aufgehoben wird. Denn ob
wir gleich eben eine Ableitung des Moralprinzips aus den Ge-
setzen der Vernunft versprochen finden , wird doch sogleich
gesagt, dass der allgemeine Theil der praktischen Philosophie
das Moralprinzip aus dem Selbstbewusstsein entwickelt, und
wir haben schon gesehen, wie willkührlich und unphilosophiscli
das Verfahren ist, welches der Verf. damit bezeichnet. In eben
dieser willkührlichen und unphilosophischen Weise wird nun
Matthiä: Lehrbuch f. d« ersten Unterricht in d. Philosophie. 75
auch wirklich in der praktischen Philosophie das Moralprinzip
aufgestellt. Denn dem § 145 geht nichts vorher als einige Er-
klärungen üher die Beschaffenheit des Moralprinzips, in denen
aber eben so wenig, wie in demselben selbst, eine Ableitung aus
den Gesetzen der Zeit, des ltaums und der Kausalität angege-
ben und zu entdecken ist. Fällt aber auf diese Weise der all-
gemeine Theil der Sittenlehre des Verfs. so aus allem Zusam-
menhange mit dem Mittelpunkte seiner Philosophie heraus , so
bedarf die Abgerissenheit des zweiten Theils, der das System
der Pflichten und Rechte des Menschen enthalten soll, keiner
nahern Nachweisung. Hiernach scheint es nun hinlänglich be-
wiesen, dass diesem Lehrbuche der systematische Zusammen-
hang ganz entgeht. Denn , dass es bei einem Schwanken des
Hauptbegriffs, bei einer Zusammenhangslosigkeit der verschie-
denen Theile mit ihrem Mittelpunkte und bei einer Verwirrung
ihres Inhalts, wie wir bemerkten, auch andere Forderungen,
die in dem Begriffe des systematischen Zusammenhanges liegen,
die einer wissenschaftlichen Anordnung aller Theile und einer
in ihrem Begriffe begründeten Unterabtheilung, nicht befriedi-
gen kann , folgt daraus unbedingt. Wir können uns der Nach-
weisung der Willkühr , mit welcher der Verf. auch in dieser
Hinsicht verfahren ist , eben desshalb enthalten , und diess um
so mehr, als sie in allen Theilen hervortritt, und eine ausführ-
liche Darlegung derselben uns weit über unsre Gränzen hinaus-
führen würde. Erscheint aber dieses Lehrbuch in dem Grade
zusammenhangslos, dass es nicht nur keine Verbindung seiner
Theile nachweist, sondern auch die höchsten Begriffe verwirrt,
die bestimmtesten Gegensätze verwischt; so ist es zunächst, un-
geachtet vieler aus der Philosophie entlehntenAusdrücke und For-
meln, weit entfernt davon, philosophisch zu sein. Es ist aber
eben desshalb nicht als eine Darstellung der Philosophie anzu-
sehen, die eben um ihrer propädeutischen Bestimmung willen
von der strengen Form der Philosophie selbst abliesse, und
darum eben ihrem Zwecke mehr entspräche, sondern vielmehr
als ein Gemisch von Ausdrücken und Erklärungen , die freilich
gewöhnlich nicht anders als unter dem Namen der Philosophie
gehört werden, die aber gerade in dieser Gestalt am wenigsten
geeignet sind den jugendlichen Geist für die Philosophie vor-
zubilden, vielmehr die Begriffe desselben verwirren und den
erwachenden philosophischen Trieb ersticken müssen; Der Bei-
fall, durch welchen die zweite Auflage dieses Lehrbuchs nach
Vorrede S. XIV nöthig wurde , ist demnach so wenig gegrün-
det, dass uns vielmehr der gute Erfolg des philosophischen Unter-
richts auf Gymnasien durch die Abstellung dieses Lehrbuchs
bedingt erscheint, und so lange dasselbe noch gebraucht wird,
der schlechte Erfolg dieses Unterrichts nicht als Beweis gegen
die Zulässigkeit desselben im Allgemeinen gelten kann.
76 Philosophie.
Die Art und Weise, wie der Verf. von Nr. 2 sein Problem zu
lösen sucht, unterscheidet sich von der Matthiä's auf den er-
sten Anblick sehr bedeutend. Wie nämlich dieser sich in der
Bestimmung seiner Theorie vornehmlich auf seine Erfahrung
stützt, gesteht jener gleich in der Vorrede den Mangel der-
selben ein, nimmt seinen Standpunkt um so bestimmter im Ge-
biete des Begriffs und sucht von diesem aus den Streit zu ent-
scheiden. Und gewiss kann nur ein Versuch dieser Art in ei-
ner so wichtigen und so streitigen Angelegenheit die Entschei-
dung herbeiführen. Dass indess diese Abhandlung die Sache
selbst gefördert habe, müssen wir läugnen. Denn, wie sehr
auch der Verf. bemüht ist von der Idee des Gymnasiums und
der Universität aus die Aufgabe des Gymnasialunterrichts in
der Philosophie zu finden , wie wenig wir läugnen wollen, dass
er auf diesem Wege, im zusammenhängenden Fortgange des Be-
griffs, das Wahre hätte finden müssen; ebenso deutlich zeigt
sich doch auch bei näherer Betrachtung, dass er bei Feststel-
lung seines Resultats eben die Voraussetzung, die er selbst fest-
stellt, aus den Augen verliert, dass mithin dieses Resultat selbst,
ungeachtet der vorangestellten Untersuchungen, willkührlich ist.
Diese Willkühr im Ganzen, die sich hinter strenger Wissen-
schaftlichkeit in einzelnen Theilen verbirgt, giebt der Schrift
ein eigenthümliches Gepräge, welches selbst in der Sprache des
Verfs. zu erkennen ist, die zwischen sinnreichen und in dem
Systeme seines leicht zu erkennenden Lehrers bedeutungsvol-
len Formeln und unwissenschaftlichen Wendungen, wie „möchte,
dürfte", seltsam hin- und herschwankt. Wir begründen dieses
Urtheil durch eine kurze Darlegung des Inhalts. Die ganze Ab-
handlung zerfällt in drei Abschnitte, von welchen der erste
„einige Einwürfe und Vorwürfe, welche man jetziger Zeit oft
gegen den philosophischen Unterricht auf Gymnasien laut wer-
den lässt", abweist. Wir bemerken dabei, dass nur der erste
dieser Einwürfe , nämlich der , dass man ohnehin schon in zu
vielen Fächern auf Gymnasien Unterricht ertheilen müsse , der
übrigens auch nicht mit Tiefe abgewiesen wird, hierher gehört,
die anderen aber, wenn gleich im Allgemeinen „der Aufmerk-
samkeit und Würdigung"' werth, doch hier nicht in Betrach-
tung kommen konnten, weil sie nicht den Unterricht in der
Philosophie auf Gymnasien , sondern den Unterricht in dersel-
ben überhaupt betreffen. Die Widerlegung derselben steht
übrigens in so loser Beziehung zu der Entwickelung des Resul-
tates selbst, dass wir ohne Weiteres zum zweiten Abschnitte,
der „Gymnasium und Universität ihrem inneru Zwecke und Ver-
hältnisse nach" betrachtet, uns wenden können. Es wird hier von
dem wichtigen Satze ausgegangen, dass „beider besondere
Zwecke und Bestimmungen zunächst von einem gemeinschaft-
lichen hohem , nämlich dem der vollkommensten Wissenschaft-
Mussmann: Darf auf Cymn. philos. Unterricht ertheilt werden? TU
liehen Elitwickelung und Bildung des vernünftigen Geistes ura-
fasst werden" (S. 18). Der Unterschied heider wird dann als ein
gradueller, nicht als wesentlicher, und zwar dahin bestimmt, dass
das Gymnasium im Verhältnis» zur Universität die niedere Stufe
einnimmt, die Wissenschaft also nur dem Anfange oder Grunde
nach der besondere Gymnasialzweck ist. Hier nun ist der „An-
fang" und ,, Grund" schon schwankend. Denn wir wissen hier-
nach schon nicht, wo der Verf. die Elementarschulen hinstellt:
ob diese seiner Meinung nach gar nicht sein sollen, oder ob
der Unterricht in denselben in gar keiner Beziehung zur Wis-
senschaft steht, oder wie? Das Schwankende geht bald darauf
in VVillkühr und , was dabei unvermeidlich ist , in Wider-
spruch über. Denn nun wird sogleich gesagt , dass Stoif und
Form dem Gymnasium in einer gewissen Getrenntheit zukom-
men ! Wir sehen nicht , wie diess aus dem Vorigen folgt. Es
wird zur Bestätigung angeführt, dass in dem naturwissenschaft-
lichen und geschichtlichen Unterrichte mehr das Materielle, in
der Mathematik hingegen das rein Formelle, und in dem Sprach-
unterrichte beides zugleich gelehrt und geübt wird. Hierbei
aber vergisst der Verf. einerseits , dass er eben dieses zugleich
nach seiner Behauptung nicht billigen kann, und anderseits,
dass danach die Naturwissenschaft und Geschichte und eben so
auch die Mathematik auf der Universität keinen Ort finden
könnten. Es wird nun Aveiter gesagt, dass mit dem erwähnten
Unterrichte der formelle Zweck des Gymnasiums noch nicht er-
reicht ist ; „indem, eben so wie das materielle Wissen haupt-
sächlich das Menschheitliche oder allgemeine Menschliche um-
fasst, zur vollkommenem und allgemein menschlichen formellen
Ausbildung des Geistes auch die des subjektiven oder formel-
len Denkens oder die reine Form des Wissens gehört." Diese
Behauptung aber ist schon wieder willkührlich und dem Vori-
gen widersprechend. Denn, wenn der Verf. Notwendigkeit
der Ausbildung des subjektiven oder formellen Denkens, oder
der reinen Form des Wissens , auf Gymnasien daraus folgert,
dass sie zur vollkommen allgemein menschlichen formellen
Ausbildung gehört, so liegt darin die Voraussetzung, dass das
Gymnasium die vollkommen allgemein menschliche formelle
Ausbildung zu bewirken habe; und das streitet mit der obigen
Behauptung, dass die Wissenschaft nur ihrem Anfange nach
der besondere Gymnasialzweck sein könne: woraus der Verf.
zwar nur folgerte , dass Stoff und Form dem Gymnasium nur in
einer gewissen Getrenntheit zukommen, woraus aber auch eben
so unmittelbar folgt, dass keins von beiden in seiner Vollen-
dung dem Gymnasium angehört. Diese Behauptung ist dem-
nach völlig nichtig, und es ist reine Willkühr, wenn der Verf.
unmittelbar darauf sagt : „somit wäre der Gyranasialunterricht
wenigstens einer wesentlichen Seite des Geistes nach offenbar
78 Philosophie.
in das Gebiet der allgemeinen oder besondern Wissenschaft
übergegangen." Wie sich nun hiermit die Begründung des Un-
terrichts in der Logik, wie man nach dem Verf., (S.21), die for-
melle Thätigkeit des Geistes im Bewustsein genannt hat , als
unsicher erweist, eben so willkührlich ist das Folgende, womit
der Verf. einen andern Theil des philosophischen Gymnasialun-
terrichts, den er weiter unten entwickelt, rechtfertigen will.
Denn zuerst folgt aus den früheren Erklärungen des Verfs.
keinesweges, „dass das Gymnasium als wirkliche Vorschule al-
ler Wissenschaft bestimmt ist, die allgemeine Bildung des
menschlichen Geistes für sich zu umfassen und der Universi-
tät vorauszusetzen, so dass dieser nur überlassen bleibt, das
Allgemeine nach dem besondern wissenschaftlichen Ganzen und
den geistigen Bestimmungen des Lebens näher zu entwickeln."
Denn, wenn das Gymnasium nur der Anfang und der Grund
der Universität ist, so ist es Anfang und Grund derselben eben
sowohl ihrer allgemeinen als besondern Seite nach: und, wenn
der Verf. richtig zugiebt, dass auf dem Gymnasium nicht bloss
allgemeine Kenntnisse, sondern auch besondere, wie Naturge-
schichte und Sprachen u. s. w., behandelt werden , so muss er
mit gleicher Nothwendigkeit der Universität auch die Behand-
lung des allgemeinen Wissens als solches zuweisen. Dann aber
ist es auch willkührlich hingestellt, dass das Gymnasium
noch einmal alles früher dem Schüler mitgetheilte allgemein
menschliche Einzelwissen als ein zusammenhängendes Ganze
und gleichsam in seiner jetzigen allgemein menschlichen Ge-
stalt so vorstellen soll, dass er sich selbst darin in seiner ideel-
len Ganzheit begreift und anschaut. Denn daraus, dass das
Gymnasium Anfang und Grund der Universität sein soll , folgt
zuerst noch nicht, dass es alles allgemein menschliche Einzel-
wissen mittheilen soll ; dann aber noch viel weniger , dass es
dasselbe als ein zusammenhängendes Ganze darzustellen hat;
vielmehr, weil es in dieser Form aufhört Anfang und Grund zu
sein , das Gegentheil. Hiermit schliesst der Verf. den zweiten
Abschnitt, und wir erwarten vom dritten, der „den philosophi-
schen Unterricht auf Gymnasien, wie er ist, nicht ist, und
sein dürfte," beschreiben will, mit Recht, dass er die ange-
fangne Begriffsentwickelung fortsetzen und die Folgerungen
aus dem Vorigen zusammenstellen werde. Der Verf. wendet
sich aber gerade hier zu der Wirklichkeit, und findet in dieser
Psychologie, Encyklopädie und Logik zur philosophischen Pro-
pädeutik gerechnet, von denen er auch sogleich sagt, dass sie
mit dem Namen einer allgemein wissenschaftlichen Vorberei-
tung oder Propädeutik zu belegen und als solche festzuhalten
wären. Von dieser Bemerkung aus gelangt nun der Verf. zu
seinem Resultate, dass Menschenlehre, Wissenslehre und Wis-
senschaftlehre die drei Disziplinen des propädeutischen Gymna-
Mussinann : Üarf auf Gymn. »hilosoph.Untemcht crthcilt werden ? 79
sialunterrichts sein sollen, und zwar auf dieWeisc, dass er die Un-
zulässigkeit eines Unterrichts in der empirischen Psychologie
nachweist, und dann den Begriffeiner Anthropologie hinstellt, die
im gewissen Sinne jenes alles — nämlich was der Verf. eben aus
der empirischen Psychologie erwähnt hat — und noch etwas
Mehres, aber doch auf keine Weise Wissenschaft sein darf;
dann den Zusammenhang einer solchen Anthropologie mit der
Encyklopädie der Wissenschaften und der Logik nachweist;
und dann von diesen beiden behauptet, dass sie obiger Bestim-
mung des Gymnasialzweckes gemäss recht eigentlich denSchluss
alles Gymnasialunterrichts ausmachen, und sie zuletzt noch nä-
her dahin bestimmt , dass es bei der ersten hauptsächlich dar-
auf ankomme , „dass entwickelt werde , wie alles empirische
Wissen in Bewusstseyn sich sammle, immer mehr erweitere,
in einzelne und besondre wissenschaftliche Ganze auflöse und
sowohl der wirklichen Natur als auch der praktischen Wirk-
samkeit des Menschen entspreche" (S.32), und, „dass das We-
sen der andern eben die vollkomrane organische Thätigkeit des
Geistes in seinem Wissen und in Beziehung auf Wissenschaft
ist." Wir bemerken hier nur noch Folgendes : die Anthropolo-
gie, der Theil des philosophischen Gymnasialunterrichts, ist auf
keine Weise im Zusammenhange mit dem früher entwickelten
Begriffe des Gymnasialzweckes dargestellt und aus diesem ab-
geleitet , sondern rein aus der Wirklichkeit aufgegriffen. Wir
können daher die Forderung derselben nur als willkührlich hin-
gestellt ansehen. Die Forderung der Logik und der Encyklo-
pädie ist zwar in dem Früheren schon vorbereitet, aber eben
die Vorbereitung derselben zeigte sich selbst als willkührlich:
und so ist unser zu Anfange ausgesprochenes Urtheil über das
Ganze begründet, mit dem wir die Behauptung verbinden, dass
der Verf. , wäre er seinen Begriffen strenger gefolgt, nicht nur
das Willkührliche seiner Forderung, sondern auch zugleich die
Unvereinbarkeit derselben mit dem Gymnasialunterrichte würde
erkannt haben: eine Behauptung , deren weitere Begründung
freilich die Grenzen einer Beurtheilung überschreiten würde. —
Nur das Eine glaubt Rec. noch erwähnen zu müssen , dass der
Verf. seine Untersuchung mit der negativen Behauptung
schliesst , dass es nicht zu billigen sei , wenn die allgemeine
wissenschaftliche Propädeutik auf Gymnasien nur in dem be-
schränkten Sinne einer Einleitung in die Philosophie gefasst
wird. Rec. erwähnt diese Bemerkung nicht wegen ihrer Be-
deutsamkeit, sondern eben aus dem entgegengesetzten Grunde,
um zu zeigen , dass gerade diese negative Behauptung nach so
willkührlichen positiven ohne allen Eindruck an dem vorüber-
gehen muss, dessen Ueberzeugung sich bereits dagegen ent-
schieden hat. Denn in diesem Falle findet sich eben Rec. selbst,
der in seiner Schrift, um den Abweg zu vermeiden, auf wel-
80 Philosophie.
chera er den Verf. des Lehrbuchs sah, wie der Verf. von No.2
von der Idee der Philosophie und des Gymnasiums ausgeht,
diese aber mit grösserer Sicherheit auf sein Problem anzuwenden
glaubt. Er versucht diess, indem er seinen Standpunkt über
dem Dilemma nimmt, in welches er den Verf. des Lehrbuchs
gerathen und darum irren sah, und, statt eine Form der Philo-
sophie zu suchen , die für das Gymnasium geeignet wäre , weil
doch der nur vorbereitende Werth des Gymnasialunterrichts
allgemein zugestanden ist, zuerst die Möglichkeit des nur vor-
bereitenden Unterrichts in der Philosophie für sich selbst be-
trachtet, um erst, wenn er diese sicher begründet gefunden
hat, zu untersuchen, ob ein solcher vorbereitender Unterricht
in der Philosophie dem Gymnasium angehört oder der Univer-
sität. Aus dem BegrifFe der Philosophie ergiebt sich ihm dann
die Einleitung in dieselbe, wenn auch als von der Einleitung in
jedes bestimmte wissenschaftliche Gebiet verschieden, doch
als eine mögliche: und zwar bestimmt sich die Aufgabe dersel-
ben als eine dreifache, als eine Beurtheilung der gewöhnlichen
Vorstellungen von Philosophie, als eine Betrachtung des niedern
Erkennens, als eines an sich unvollkommenen, und als Erweite-
rung der dadurch ausgebildeten Vorstellung von Philosopbie zu
einer alles wahrhaft Philosophische umfassenden. Diese drei-
fache Aufgabe der Einleitung in die Philosophie wird nun we-
gen der damit zu verbindenden Untersuchung selbst noch wei-
ter ausgeführt , das aber in einer Weise, die dem Verf. keinen
Auszug erlaubt. Die Untersuchung aber, ob die Einleitung in
die Philosophie dem Gymnasium zukomme oder der Universi-
tät , entwickelt zuerst die in diesem Unterrichte liegenden Voi*-
aussetzungen, und, da sich einerseits zeigt, dass sie alle in ei-
ner grössern Masse empirischer Kenntnisse und einer damit
verbundenen höhern Entwickelung des Denkens begriffen sind,
anderseits aber, dass die Gymnasialbildung auf ihren höchsten
Stufen diesen Voraussetzungen entspricht ; so wird dafür ent-
schieden, dass die Einleitung in die Philosophie in der be-
schriebenen Weise der dem Gymnasium wesentlich zukom-
mende Unterricht in der Philosophie sei, der aber erst auf den
höchsten Stufen desselben eintreten könne. Zuletzt aber sucht
der Verf. die aufgestellten Forderungen durch Widerlegung
der beiden Meinungen zu begründen, die als Inhalt des philo-
sophischen Gymnasialunterrichts eine Erörterung der philoso-
phischen Terminologie oder die Philosophie selbst, nur in ei-
ner niedern elementarischen Form lodern, indem er nachweist,
dass, weil sie den Inhalt des philosophischen Unterrichts auf
Gymnasien aus dem Gebiet der Philosophie selbst entlehnen und
zum Unterschiede von dem eigentlichen Unterrichte in der
Philosophie nur die niedere Form fodern , sie unvermeidlich in
Widersprüche verfallen, wogegen er, weil er einen Inhalt für
Bobertag : Uebcr den Unterricht In d. Philosophie auf Gymnas. 81
den philosophischen Gymnasialunterricht setzt, der für sich
noch ausserhalb der Philosophie liegt, auch eine, wenn gleich
höhere, doch noch nicht streng philosophische Form ohne Wi-
derspruch nicht bloss zulassen, sondern fodern kann.
Bobertag,
Geographie.
1) Leitfaden beim Schulunterricht in der mathe-
matischen G eogr ap/i ie für die obern Klassen der Gy-
mnasien (,) bearbeitet von J. TIermsdorf, Lehrer der Mathematik an
der Krenzscbiile in Dresden. Dresden , Wagner'schc Buchbandl.
1826. VIII u. 79 S. gr. 8. 9 Gr.
2) Die Elementar-Geographie, oder die Topogra-
phie des Erdbodens, als Grundlage jeder besonderen Geo-
graphie dargestellt, und sowohl zum Gebrauch an Schnlanstalten,
als zum Selbstgebrauche eingerichtet , von Joh. Heinr. Gottlieb
Heusinger, Professor an dem adelichen Cadettencorps und an der
Militär - Akademie in Dresden. Mit einem Atlas von 16 Blättern.
Dresden , in der Hilscher'schen Buchbandl. 1826. XII u. 60 S. 8.
1 Thlr. 18 Gr.
3) W egtveiser durch das Gebiet der allgemeinen
Geographie. Eine Anweisung zum methodischen Verfahren
in diesem Unterrichtsgegenstande für Lehrer , ein Hülfsbuch zum
sichern Fortschreiten darin für Lernende (;) von C. Hiersc/ie, Pfar-
rer zu Unter - Greisslau, Ober - Greisslau u. s. w. Halle, bey Eduard
Anton. 1826. XVI u. 236 S. 8. 8 Gr.
4) Kurzer Abriss der Erdbeschreibung nach den
neuesten Bestimmungen für Schulen. Von Joh. Daniel Petersen,
Pfarrer in Wenigem. Dritte umgearbeitete und vermehrte Auf-
lage. Essen, bey G. D. Bädekcr. 1826. IV (Ohne Begister) u.
212 S. 8. 12 Gr.
5) Hode getisches Handbuch der Geographie^,) zum
Schulgebrauch (,) bearbeitet von F. L. Selten. Erstes Bändchen.
Für Schüler. Vierte Auflage. Halle, bey Hemmerde und Schwetschke.
1827. Auch unter dem besondern Titel :
Grundlage beym Unterricht in der Erdbe-
schreibung. Vierte verbesserte und vermehrte Auflage, in
Verbindung mit dem Stielerschen Schul-Atlas zu gebrauchen. XVI
u. 198 S. 8. 9 Gr.
6) Kleine Geographie^ oder Abriss der mathema-
tischen, physischen und besonders politi-
schen Erdkunde^,) nach den neuesten Bestimmungen (,)
für Gymnasien und Schulen (,) von D. Christian Gottfr. Daniel Stein,
Jahrb. f. Phil. u. Pddag. Jahrg. 111. Heft 1. Q
82 G c o g r n p )i i e.
Professor am Berlinischen Gymnasium zum grauen Kloster, Mit-
glied^ der künigl. Akademie nützlicher Wissenschaften zu Erfurt
u. s. w. Mit einer neuen Weltcharte in Mercators Projection.
Sechszehnte, rechtmässige, verhesserte und vermehrte Auflage.
Leipzig, hey J. C. Hinrichs. 1827. IV u. 396 S. gr. 8. 16 Gr.
x^-ii die lange Reihe solcher geographischen Schriften, die
vorzugsweise dem Schulunterrichte gewidmet sind , schliessen
sich schon wieder 6 neue Werke an , von welchen jedoch ge-
rade die Hälfte nur aus neuen Auflagen hesteht. Die grosse Men-
ge der nur in diesem Jahrhundert unter mannigfaltigen Titeln,
als da sind : Handbuch, Lehrbuch, Leitfaden, Wegweiser, Ab-
riss , Grundlage, Elementar - Geographie u. s. w., erschienenen
Jugendschriften hat nun in unsern Tagen mehrere Schriftsteller,
— um nicht immer bloss aufs Neue das schon tausend Mahl Gesag-
te, wenn auch mit andern Worten, wiederhohlen zu müssen, —
bewogen , beym Entwurf solcher Werkchen auf neue Methoden
beym Unterrichte in dieser Wissenschaft zu sinnen, die das an
sich nicht schwere , sondern hauptsächlich nur ein treues Ge-
dächtniss verlangende Studium derselben noch mehr erleichtern
sollen. Und auch unter den zur Beurtheilung vorliegenden Bü-
chern zeichnen einige sich durch bedeutende Abweichungen von
der noch immer gebräuchlichen Lehrmethode aus, deren Werth
aus der unpartheyischen Berichterstattung dem Leser sich von
selbst vor Augen stellen wird.
No. 1 beschränkt sich, wie schon der Titel besagt, ledig-
lich auf die mathematische Geographie. Der in der Vorrede
ausgesprochene Zweck des Werkchens ist, den Privatfleiss der
Schüler zu erleichtern und möglichst zu befördern, weil es den
Lehrern an höhern Schulen gemeiniglich an Zeit gebricht, diesem
Theile der Geographie viele Zeit zu Avidmen, und auch zugleich
die Lernenden durch dasselbe in den Stand zu setzen, dem
mündlichen Vortrage gehörig folgen zu können.
Die in 24 §§ abgetheilte Einleit. handelt — ohne jedoch zuvor
Etwas über den Begriff der Geogr. im Allgemeinen zu sagen, — so-
gleich in einem gedrängten u. leicht verständlichen Styl folgende
Gegenstände ab: allgemeiner Gegenstand der mathem. Geogr.
(Warum nicht lieber Begriff?^) ; Quellen derselben; deren Ba-
sis ; kugelförmige Gestalt des Himmels und kreisförmige
Gestalt des Gesichtskreises ; Begriff des Ausdrucks: scheinba-
rer Horizont, Zenith und Nadir, Scheitellinie, Scheitel- und
Vertikalkreis; tägliche scheinbare Umdrehung der Himmelsku-
gel; Begriff der Ausdrücke : Weltaxe, Nord- und Südpol der-
selben, Tagekreis , Auf- und Untergang der Gestirne ; gleich-
förmige Geschwindigkeit der Umdrehung des Himmels, Begriff
und Eintheilung eines Sternlags u. s. w. ; Begriff der Ausdrücke :
Culmination der Gestirne, Meridian oder Mittagskreis, Mit-
tagslinie (Hieher gehört Fig. 1 auf der Kupfertafel); Be-
Hermsdorf : Leitfaden beim Unterr. in d. matheni. Geographie. 83
griff der Ausdrücke: Höhe, Scheitelabstand, Azimuth oder
Südweite, Höhenkreis eines Sterns ; Begriff des Ausdrucks :
Polhöhe eines Orts, Aequator und Aequatorhöhe , Zusam-
menhang derselben mit der Polhöhe (Hiezu Fig. 2); Be-
griff des Ausdrucks: Abweichung oder Declination und ge-
rade Aufsteigung oder Rectascension eines Sterns (Hiezu
Fig. 3) ; Bestimmung der Lage eines Punktes an der Himmels-
kugel, sowohl in Beziehung auf den Horizont, als auch auf den
Aequator ; Begriff des Ausdrucks : Standpunkt der Erde im
Weltsystem, Hülfsmittel zur Auffindung derselben. (In diesem §
geht der Hr. Verf. auf eine äusserst zweckmässige Weise
von der scheinbaren Bewegung des Himmels auf die wirkliche
Rotation der Erde um ihre Axe über.) Unterschied der Sterne
in Betreff ihrer gegenseitigen Lage und ihres Lichts, Fixsterne,
Planeten ; scheinbare Bewegung der Sonne und daraus hervor-
gehende Bestimmung des Standpunktes unserer Erde in der
Reihe der Planeten; Einrichtung unser s Sonnensystems ; (dieses
besteht aus 11 Hauptplaneten, 20 Nebenplaneten, denn dem
Uranus werden schon 8 beygemessen , und etwa 12,000 Kome-
ten. Aber sind schon soviel Kometenbahnen berechnet und
bestimmt , dass wir uns bereits eine solche Schätzung erlauben
dürfen?) Grösse der Weltkörper unser s Sonnensystems ; Ent-
fernungen der Hauptplaneten von der Sonne und der JSebenpla-
neten von ihrem Hauptplaneten; Beschaffenheit der Planeten-
bahnen (Hiezu Fig. 4) ; verschiedene Lagen der Planetenbah-
nen , sowohl um die Sonne , als auch um ihre Axe , und der
Nebenplaneten um ihren Hauptplaneten; merkwürdige Verhält-
nisse der gegenseitigen Entfernungen und der Umlaufszeiten
zu diesen Entfernungen ; Kräfte, durch welche die Planeten
im Weltenraume beivegt werden, Centripetal- und Centrifugal-
kraft. — Rez. findet in diesem musterhaft bearbeiteten und
geordneten Abschnitte nichts zu erinnern, als dass dem Worte
Aequator auch die Deutschen Benennungen {Gleicher, Linie,) hät-
ten hinzugesetzt werden können.
Das eigentliche Werkchen zerfällt in 9 Kapitel, in welchen
über folgende Gegenstände Unterricht ertheilt wird, lstes Kap. :
Gestalt der Erde. 2tes Kap. : Mathematische Eintheilung der
Erdkugel (Hiezu Fig. 5). 3tesKap.: Breite und Länge der Orte
auf der Erdoberfläche. — Nicht immer unterscheidet man,
wie der Verf. angiebt, eine westliche u. östliche Länge; denn we-
nigstens eben so häufig wird ja von einem bestimmten Meridian
nach Osten zu immerjf ort bis 360 Gr. gezählt. — 4tes Kap. : Bewe-
gung der Erde um ihre Axe. — Hier hätte wohl die Ursache,
warum die Weltumsegier bey ihrer Rückkunft in ihrer Tages-
berechnung einen Tag entweder gewonnen oder verlohren ha-
ben, näher entwickelt werden sollen. — 5tes Kap. : Beioegung
der Erde um die Sonne. — 6tes Kap. : Erscheinungen, welche
6*
8-1 Geographie.
in der doppelten^ Bewegimg der Erde ihren Grund, haben. Bey
der Dämmerung hätte nicht ausser Acht gelassen werden sollen,
dass solche innerhalb der heissen Zone weit kürzer sey , als in
den gemässigten Zonen, uud dass solche je näher den Polen,
auch an Dauer zunehme. — (Iliezu gehört die Fig. 0.) Ttes
Kap. : Eintheilung, der Zeit nach der doppeltenBewegung der Erde.
— 8tes Kap. : Messung der Meridian grade, und dadurch bestimmte
sphäroidische Gestalt und Grösse der Erde. 4)tes Kap. : (Bildli-
che) Darstellungen der Erdobe?fläche , Construction der Land-
und Seecharten.
Der Leser ersieht schon aus der Anzeige des Inhalts, dass
der Verf. seinen Gegenstand völlig erschöpft , und die meisten
Lehrsätze aus dem Gebiete dieses Haupttheils der Geogr. aus-
führlicher und vollständiger dargestellt habe, als es in den ge-
wöhnlichen geogr. Handbüchern der Fall ist, indem sich solche
in Regel, aus Mangel an Raum, auf das Notwendigste be-
schränken. Um so unbegreiflicher ist es aber, dass der Um-
sicht des Verf., mit welcher er alle hieher gehörige Sachen ans
Licht gezogen, gleichwohl die Lehre von den Gegenfüsslern,
Neben - und Gegenwohnern , so wie die von den verschiedenen
Schatten der Erdbewohner und ihrer diessfallsigen Eintheilung
und von den Abweichungen der Magnetnadel ganz entgangen ist.
Indess eignet sich diess Werkchen, der bemerkten kleinen
Mängel ungeachtet, ganz besonders zum Unterrichte. Sehr zweck-
mässig sind desshalb zuEnde jedes § oder Kap. mehrere, oft 12
bis 18 Fragen beygefügt, welcbe den Lernenden eine recht ver-
ständige Recapitulation der eben entwickelten Lehrsätze und
Erfahrungen gewähren.
Papier und Druck unterliegen keinem Tadel; auch ist letz-
terer sehr rein von Druckfehlern gehalten. Eine dankenswerthe
Zugabe ist die beygegebene Kupfertafel, deren 6 Figuren zur
Versinnlichung der wichtigsten Lehrsätze der mathem. Geogr.
dienen, wie schon bey den betreifenden Abschnitten bemerkt
worden ist.
No. 2. Der Hr. Verf. verfolgt in diesem Werkchen seine
schon früher bey andrer Gelegenheit ausgesprochenen Ideen,
wie der erste Unterricht in der Geogr. am erfolgreichsten be-
trieben werden müsse , weiter , und weist in der mit grossem
Scharfsinn aufgesetzten Vorrede die Widersprüche, die seine
Ideen hin und wieder erfahren haben, beharrlich, jedoch ohne
gerade sehr zu überzeugen, zurück. Worin besteht aber die
vorgeschlagene neue Lehrmethode? Vornehmlich darin, dass
der Lehrer den Schüler die Nahmen von den vorzüglichsten Ge-
genständen eines Landes, also von Seen, Flüssen, Gebirgen,
Orten und Inseln, auch hie und da von einer alten in Ruinen
liegenden Stadt auswendig lernen, und dann hersagen und auf
der dazu gehörigen Charte nachweisen lässt. Der Leser darf
Ilcusingcr : Die Elementar - Geographie. 85
sich demnach nicht wundern , wenn er, um sich zu unterrich-
ten, diess Büchelchen zur Hand nimmt, und darin vom 3ten
Abschn. (S. 24) an , nichts als Nahmen auf gespaltenen Seiten
findet, und folglich nach allen Dingen, welche das Studium der
Geogr. interessant machen , sich vergeblich umsieht. Dagegen
wird er sich recht bald überzeugen, dass der Verf. sowohl sich
als dem Lehrer es sehr leicht und bequem gemacht habe. Denn
was kann leichter seyn, als etliche Bogen mit Nahmen von Ge-
birgen, Seen, Flüssen und Orten anzufüllen'? was bequemer
für den Lehrer, als seinem Schüler tagtäglich eine Anzahl sol-
cher Nahmen zum Memoriren aufzugeben, und sich dieses Pen-
sum am andern Tage hersagen zu lassen*?
Indessen, so wenig Kez. nach dieser vorgeschlagenen Me-
thode die Geographie lernen möchte , — denn noch immer er-
innert er sich mit einem gewissen Schauer seiner ersten Un-
terrichtsjahre, wo er Tag für Tag 50 lateinische Vokabeln aus
Langens Grammatik auswendig lernen musste, — so sehr auch
solche bey vielen Lehrern Unbehagen erzeugen wird , so steht
doch keineswegs zu bezweifeln, dass dieselbe auch ihre Lieb-
haber und Befolger finden werde, da die Ansichten so sehr ver-
schieden sind. Rez. mag daher nicht die Arroganz zur Schau
tragen, die hier empfohlene Methode unbedingt zu verwerfen;
aber missbilligen muss er, dass der Verf. bey Durchführung seiner
Ideen keine strengere Consequenz befolgt , und bey den zum
Memoriren ausgehobenen Gegenständen keine sorgfältigere Aus-
wahl getroffen hat. Die nähere Beleuchtung des Inhalts und
die Verfahrungsweise des Verf. wird diese Missbilligung zur
Gnüge rechtfertigen.
Der lste Abschnitt: von der Erde und deren Oberfläche, —
unstreitig der wichtigste, zwar sehr gedrängte, aber doch in
einer schicklichen Reihenfolge vorgetragene und in einer leicht
verständlichen Sprache geschriebene Theil des Werkchens, —
hebt in 14 §§ das Wichtigste aus der mathematischen und phy-
sischen Geogr. aus. Insbesondere wird in den letzten 5§§ von
der Eintheilung der Erdoberfläche in Meer und Laud, von der
Eintheilung des Landes in Kontinente und Inseln , so wie in 5
Haupt- (hier Welt-, aber doch wohl bescheidener Erd-) Theile,
von den Ausdrücken: O. W. S. N. , und endlich von der Ein-
theilung des Ozeans in 5 Hauptmeere gesprochen ; und Alles
dieses stellt die erste Charte dar. — Der 2te Abschnitt be-
schäftigt sich ausschliesslich mit Europa und dessen Abtheilung,
und zwar sowohl in politischer Hinsicht , als auch nach natür-
licher Begränzung. Nach der letztern betrachtet der Verf.Eu-
ropa als einen Körper, der einige auswärts gestreckte Gliedmas-
sen hat. Der Körper selbst zerfällt , nach des Verf. Ansicht
von natürlichen Gränzen, in das Land 1) von dem Atlantischen
Meere bis zu den Pyrenäen ; 2) von den Pyrenäen an bis zum Rhein ;
86 Geographie.
3) von dem Rhein an his zur Oder; 4) von der Oder bis zu dem
Dnjepr ; 5) vom Dajepr bis zum Ural. Die Glieder würden dann
seyn: 6) die bey den nördlichen Halbinseln, welche die Reiche
Schweden mit Norwegen und Dänemark bilden; 7) die beyden
Brittischen Inseln; 8) die westliche Halbinsel des Mittelländi-
schen Meers , also Italien , und 9) die östliche Halbinsel dieses
Meers , also Griechenland. — So wenig nun , streng genom-
men, Ströme und Flüsse als Naturgränzen angenommen werden
sollten, weil das, was die Natur zu einem Ganzen, — nehm-
lich zu Einem Stromgebiet vereinigt hat , muthwillig zerrissen
wird , so will Rez. diese Eintheilung gern passiren lassen, weil
doch wenigstens darin Konsequenz wahrgenommen wird. Allein
was hat der Verf. mit dem Hauptstrome Europa's, der Donau,
angefangen, da dieser hier gar nicht genannt wird? Er hilft
sich unbedenklich damit, dass er die obere kleinere Hälfte, so
weit solche zu Deutschland gehört , zum Lande zwischen Rhein
und Oder, und die untere grössere Hälfte zum Lande zwischen
Oder und Dnieper schlägt. Darf man diess aber eine natürliche
Begränzung nennen'? Musste man nicht vielmehr erwarten, die-
ses so ausgedehnte Stromgebiet als ein für sich bestehendes
Ganzes behandelt zu sehen? Darf man selbst die zum Oester-
reich. KR. Illyrien gezogenen Küstenstriche am Adriatischen
Meere, die doch offenbar, wenn man auf Naturgränzen Rück-
sichtnehmen will, an Italien überwiesen werden müssen, zum
Lande zwischen dem Rhein und der Oder zählen*? Doch es ist
schon so viel über die natürliche Eintheilung unsers Erdtheils
gesprochen worden , dass Rez. die Lust vergeht, hierüber noch
ein Wort zu verliehren, zumahl da jeder Lehrer der Geogr.,
welcher eine solche der politischen vorzieht, hierin, trotz aller
gemachten Ausstellungen, dennoch seinen Lieblingsideen treu
bleibt. — Den Beschluss des 2ten Abschn. macht eine Ueber-
sicht der Europäischen Meere und ihrer Unterabtheilungen, der
vorzüglichsten Inseln, der Meerengen und Landzungen. — 3ter
Abschn. : Die Pyrenäische Halbinsel. Von hier an bietet das
Büchelchen nichts als blosse Nomenclatur dar. Die in Reih' und
Glied gestellten Orte sind nach ihrer Lage am Meere, an Flüs-
sen oder entfernt von den Hauptflüssen geordnet. Unter den
Küstenorten wird man Mataro, Almeria, Viana u. s. w. vermis-
sen. Das längst verschwundene Numantia hat hier seinen Plaz
gefunden , aber das noch in seinen herrlichen Trümmern leben-
de Merida, an Alterthümern der reichste Ort in Europa, ist
nicht der Aufnahme werth gehalten worden. — 4ter Abschn. :
Land zwischen Pyrenäen und Rhein. Von den grossen Neben-
flüssen ist bey der Seine nur die Marne , beym Rhein bloss die
Mosel, und beym Rhone (der Verf. sagt die Rhone) die Saone,
Isere und Durance aufgezeichnet worden. Aber Loire und Ga-
ronne gehen leer aus. Von Küstenflüssen sind Charente und
Heusingcr: Die Elementar -Geographie. 87
Var, aber nicht Vilaiue, Sommeu.s. w. aufgenommen worden.
Der Schüler muss hier die Orte Cognae, Venlo, Toul, Brienne,
Varennes, Digne, Pan u. s. w. seinem Gedächtniss einprä-
gen, aher mit Montpellier, Montauban , Arles, Caen, An-
gers, Reimes, Bonn u. s. w. wird er nicht behelligt. Auch
schweift der Verf. auf das rechte Rheinufer herüber, und bohlt
Wesel, Düsseldorf, Manheim u. Kehl herbey. — 5ter Abschn. :
Land zwischen Rhein und Oder. Hier wird der Rhein aber-
mahls durch die Mosel bereichert, ja der Oder, die zum fol-
genden Abschn. gehörige Warthe mit der Netze zugetheilt.
Auch die Etsch paradirt hier. Unter den Orten sind auch Ba-
sel , Hüningen , Colmar , Strassburg, Landau, Mainz, Koblenz,
Kleve, ja selbst Trier aul' das rechte Rheinufer verpflanzt, so
wie Kolberg, Stargard, Küstrin, undTeschen xom rechten Oder-
ufer auf das linke versetzt worden. Noch weniger kann die
Auswahl der aufgenommenen Orte Beyfall finden. Denn wäh-
rend der Schüler die Nahmen von vielen unerheblichen Orten,
als Würzen, Saats;, Arnau, Trautenau, Schandau, Pirna, Mühl-
berg, Barby, Havelberg (das selbst 2 Mal aufgeführt wird),
Lauenburg, Lübben, Deggendorf, Ens, Braunau, Leoben, Brück
11. s. w. seinem Gedächtniss aufzwingen soll, bleiben ihm ungleich
nichtigere Städte, als Elberfeld, Barmen, Solingen, Duisburg,
Greifswald, Anklam, Prenzlau, Brandenburg, Güstrow, Hil-
liesheim, Goslar, Klausthal, Burg, Aschersleben, Schönebeck,
Quedlinburg, Nordhausen, Mühlhausen, Langensalza, Schmalkal-
den,Suhl,Schweinfurth, Fürth, Schwabach, Ansbach, Rothenburg
a. d. Tauber, Dinkelsbühl,Nördlingen, Hall in Schwaben, Esslin-
gen, Gemünd, Ludwigsburg, Reutlingen, Heilbronn, Hallein,
Steyer, Wienerisch - Neustadt, Baden u. s. w. völlig fremd.
Auch wird das Gedächtniss der Schüler keinesweges mit Nah-
men Deutscher Gebirge inkommodirt: selbst die Alpen bleiben
hier unerwähnt. — 6ter Abschn.: Land zunschen Oder und
Dnjepr , und zwischen der Donau und dem Finnischen Meer-
busen. Bey der Weichsel fehlen die Pilica, der San u. s.w. ;
bey der Donau: Waag, Leytha, Ipel u. s. w. ; bey der Theiss:
Marosch, Samosch , Koros , Hernath u. s. w. Das Waldai - Ge-
birge hat hier eine Stelle erhalten, obschon die Sudeten, der
Schwarzwald, das Fichtelgebirge, der Harz u. s. w. im vorigen
Abschnitt der Ehre|d er Aufnahme nicht würdig gehallen worden
sind. — Tter Abschn.: Land zunschen dem Dnjepr und dem
Ural. Hier widerfährt Finnland eine ausgezeichnete Ehre.
Denn selbst Nester wie Nystadt, Kajaneborg, Tawasthus und
Nyflot paradiren hier. — 8ter Abschn. : Skandinavische Halb-
insel mit Dänemark. Ist nach dem Verf. ein Land ohne Ströme ;
denn selbst die Gotha -Elf sucht man hier vergeblich. In Nor-
wegensind nicht einmahl die Seestädte von den Binnenorten ge-
schieden. — 9ter Abschn. : Briltische Inseln. Während die im
88 Geographie.
bedeutenden Küstenorte Hastings, Weymouth, Dartmouth,
Cardiff, Flint u. s. w. sich unter Bristol , Liverpool u. s.w. ver-
irrt haben, forscht man nach den blühenden Seestädten : Hüll,
Ipswich, Lynn-Regis, Whitehaven, Chatham, Brighton, Swan-
sea , Holywel u. s. w. umsonst. Das arme Schottland ist mit
Edinburgh, Glasgow, Perth und Dunbar, und das eben so be-
klagenswerthe Ireland mit Dublin, Waterford, Cork, Galway
und Londonderry abgefertigt worden. lOter Abschn. : Land
am Ausßuss des Rheins , der Maas und der Scheide ; die Nie-
derlande in ihrem alten Umfange. Die erste Abiveichung vom
frühern oben enticickelten Theilungsplane. Hier hätte wenig-
stens das ganze Stromgebiet der Scheide mit den Städten Lille,
Douay, S. Amand , Conde , Arras u. s. w. eben so gut als Valen-
ciennes, Cambray u. S. Omer aufgenommen werden sollen, und
um so mehr, da selbst Amiens, welches doch unstreitig zum
4ten Abschnitt gehören muss, hier mit aufgezählt ist. — llter
Abschn. : Das Land am Ursprünge des Rheins, des Rhone und
des Po; die Schweiz, Savoyen, Piemont. Die 2te Abweichung
vom ursprünglichen Plane. Und ist diess auch eine Abtheilung
nach Naturgränzen? Unter den Nebenflüssen des Po fehlt ge-
rade der vornehmste, der Tanaro. Sonderbar ist hier Rez. die
Vertheilung der vornehmsten Alpengipfel nach Stromgebieten
vorgekommen. Denn, wie er nicht anders weiss, liegen alle hier
aufgezählte Berggipfel , etwa den Montblanc ausgenommen , in
den Hauptketten der Alpen , welche überall die Wasserscheide
machen, und gehören mithin nicht einem, sondern stets 2 Strom-
gebieten an. — 12ter Abschn.: Die beyden Halbinseln des
Mittelländischen Meers. I) Italien. Hier kommen zuvörderst
alle im vorigen Abschnitte schon aufgezählten Seen, Flüsse und
Orte wieder vor, so weit sie zu Italien gehören, ja selbst der
Montblanc wird wieder hieher verpflanzt. Auch hier fehlt der
Tanaro als Nebenfluss des Po , desgleichen die Küstenflüsse Ga-
rigliano, Volturno, Ofanto u. s. w. Die Orte sind meist nach
Willkühr ausgehoben, und auf Sizilien werden bloss die 4 Städte
Messina, Palermo. Mazzara und Syracus bemerkt. Also nicht
einmahl Catanea , Trapani und Girgenti sind hier zu finden. —
II) Die östliche Halbinsel. Die Gränzen derselben sind nicht
etwa, wie die Natur bestimmt hat, bloss bis zu den Dinarischen
Alpen oder demHämus ausgedehnt, sondern bis zur Donau hin-
aufgerückt, ja selbst bis zur Wallachey und Moldau vorgescho-
ben worden, denn die Hauptstädte beyder Fürstenthümer wer-
den hier nahmhaft gemacht. Muss diess nicht Willkühr genannt
werden? Zwar gehören die Moldau und Wallachey allerdings
eben so gut zur Europäischen Türkey, als die Griechische Halb-
insel, aber politische und natürliche Eintheilungen stimmen nur
selten mit einander überein. Beyde können nicht mit einander
vereinigt werden. Will man nun bey Entwerfung eines Lehr-
Heiuinger : Die Elementar - Geographie. 89
buchs für den ersten Cursus der letztern den Vorzug geben, so
muss man derselben auch durch das ganze Werk ganz treu blei-
ben, und sie nicht alle Augenblicke mit der politischen Einthei-
lung vermengen.
Ohne nun in einer Einleitung etwas Näheres über die au-
ssereuropäischen Erdtheile, über ihren Umfang, ihre Verhält-
nisse zu einander und zu Europa , über die darin befindlichen
Reiche und Gebiete zu sagen, lässt der Verf. diese sofort auf
einander folgen, indem er jedem Erdtheile nur einen einzigen
Abschnitt widmet. — 13ter Abschn. : Asien. Hier hat der
Schüler nichts zu lernen, als die Nahmen der Gebirge Ural,
Mustag, Altai und Himalajah (hier Himalai); der Flüsse Ob,
Irtysch mit Tobol , Jenisey mit Angara, Lena, Anadv-r, Amur,
Hoangho, Jantsekiang, Cambaja, Menang, Jegu, Irabaddi, Bu-
ramputer, Ganges, Indus, Euphrat, Tigris, Jordan, Gihon
und Sihon, wozu nun noch die Nahmen von59 Städten kommen.
Hierunter befinden sich nun 3 Orte, nähmlich Tonker im Gebirge
Thibet's, Almansora am Indus und Somelbur (vielleicht Sum-
bhulpur?) südlich von Delhi, die Rez. nicht kennt, auch in kei-
nem geograph. Wörterbuche gefunden hat. — 14ter Abschn.:
Afrika. Hier werden kein Gebirge, die Flüsse Nil, Senegal,
Gambia , Niger und Elephantenfluss , und in allem 21 Orte zum
Memoriren empfohlen. Ausserdem sind nur noch der See
Marawiund die vornehmsten Inseln genannt. — 15ter Abschn.:
Amerika, a) Nord- Amerika. Hier findet man kein Gebirge,
auch nicht die grossen Städte Neu -York, Baltimore, Boston,
Puebla, Queretaro u. s. w., wohl aber die unerheblichen Orte
S. Augustin, Pensacola und Loretto angeführt, b) Süd -Ame-
rika. Hier wird wenigstens der Berg Tschimborasso genannt,
dagegen vermisst man Bahia, Pernambuco, S.Luis de Maran-
hao, Cumana, Porto Cavallo, Carthagena, Guayaquil, Are-
quipa, Coquimbo u. s. w. Auch ist Lima als eine Seestadt ver-
zeichnet. — lfiter Abschn.: Australien. Bey Neu-Holland ist
sowohl der neuere, passendere Nähme, als auch die Hauptstadt
der Brittischen Kolonie nicht berücksichtigt worden.
Den Beschluss machen, auf nicht weniger als 37 Seiten,
5 Register, welche zur Wiederhohlung dienen sollen. Das
erste umfasst Portugal , Spanien, Frankreich, Grossbritannien,
Italien, und die Türkey; das 2te Deutschland, Schweiz, die
Niederlande , Dänemark , Schweden und Norwegen ; das 3te
die Ungarischen, Pohlischen und Russischen Länder ; das 4te
die 4 übrigen Erdtheile, und das 5te die ganze Elementar -Geo-
graphie. Da aber weder die Seitenzahl, noch die Nummer der
Charte, wo die Orte zu finden sind, bey gesetzt ist, so vermag
Rez. den Nutzen, den diese Register haben sollen, nicht einzu-
sehen, und muss demnach sowohl die Mühe, die sich der Verf.
gegeben , als auch das schöne Papier bedauern.
90 Geographie.
Uebrigens ist das Werkchen recht nett ausgestattet. Pa-
pier und Druck sind ausgezeichnet gut. Es ist daher Schade,
dass die Correktur nicht sorgfältiger besorgt worden ist.
Die sauber lithographirten Charten sind Queer-Folio, durch-
gängig lOf Z. breit und 85 Z. hoch. Jede gehört zu dem gleich
bezeichneten Abschnitt, und enthält alle die in dem treffenden
Abschnitt benannten Gegenstände , die jedesmahl mit dem An-
fangsbuchstaben angedeutet worden sind. Die Lage der noch
jetzt existirenden Orte ist mit o, die der in Trümmern liegen-
den Städte mit §, und die der Berge mit f bestimmt worden.
Aufgefallen ist es Rez. , dass die Meeresküste nicht schärfer
hervorgehoben worden ist. Die feine Linie, welche die Gränze
zwischen Land und Meer bestimmt, ist nur bey vollem Tages-
licht zu erkennen, und desshalb sind diese Charten des Abends
nicht zu gebrauchen. Auch ist der Preis (für das Stück sind
wahrscheinlich 2 Gr. gerechnet) gerade hoch genug, da sie fast
nichts als die äussern Umrisse der Länder, den Umfang eini-
ger Seen , und den Lauf der im Werke aufgezählten Flüsse und
die Anfangsbuchstaben der aufgezeichneten Gegenstände ent-
halten.
No. 3. Der Hr. Verf. hat , wie er uns in der Vorrede er-
zählt, in seinen frühern Jahren, als Schulmann, unter der
Menge der geographischen Handbücher keinen ihm genügenden
Leitfaden gefunden, wesshalb er sich bewogen sah, den vor-
liegenden Wegweiser zu entwerfen. Er will durch denselben
nichts zur Erweiterung und Vervollständigung der Erdkunde bei-
tragen, wohl aber einen Beytrag zum bessern methodischen
Verfahren in diesem Unterrichtsgegenstande liefern, der nur
zu häufig als blosse Gedächtnisssache , ohne den rechten Sinn,
ohne reges Interesse, und darum ohne Segen betrieben werde.
Er übergiebt diesen Wegweiser zum methodischen Verfahren
nicht dem Geographen sondern dem Schulmanne , welcher Un-
terricht in der Geographie ertheilt, nennt offen die Quellen,
aus welchen er das Materiale entlehnte, und wünscht zum Schluss
diesem Werkchen freundliche Aufnahme, worin Rez. von Her-
zen einstimmt.
Der Leser wird also schon durch diesen Bericht auf die
Vermuthung geleitet, dass der Verf., ganz im Gegensätze von
dem des Werkchens Wo. 2, die Methode tadelt, welche den geo-
graphischen Unterricht zur blossen Gedächtnisssache machen
will. Wir wollen nun sehen, auf welche Art derselbe die Sache
behandelt.
lste Abtheilung: (S. 1 — 68.) Die Erde, ein messbarer
Himmelskörper. In 8§§ spricht sich der Verf. über folgende
Sätze aus: Himmelskörper; Sonnensystem; Gestalt und Grösse
der Erde; die Erde in ihren Bewegungen ; der Erde Acquator
und Meridian; Wendekreise, Polarkreise und Horizont; Klima
Hiersche : Wegweiser durch daa Gebiet der allgem. Geographie. 1)1
und Zonen; der Mond; hat aber dahey ausser Acht gelassen,
etwas Näheres über den Begriff und die Eintheilung der Geogr.
zu erwähnen. Der Leser wird schon hieraus gewahr werden,
dass der Verf. eine andere Ordnung zum Vortrag der mathemat.
Gcogr.sich erwählt, dass er aber dabey keinen bemerkenswer-
then Umstand aus dem Auge verlohren habe, und sonach seinen
Zweck ebenfalls erreiche. Aber dieser Tlieil ist offenbar für
einen Leitfaden zum ersten Cursus viel zu gelehrt behandelt,
und der Lehrer an niedern Schulen wird nur das Leichtf assli-
chere herausheben dürfen. Die Annahme des Verf., dass Tha-
ies der Erste gewesen sey , welcher der Erde eine Kugelform
zugeschrieben habe, ist gewiss irrig. Giebt es doch Geschicht-
forscher, welche diese Ehre selbst noch dem viel später leben-
den Pythagoras streitig machen wollen. — Im §9: Erläute-
rung mehrerer zur allgemeinen Geogr. gehörende?! Begriffe, han-
delt er die vornehmsten Gegenstände aus der physischen Geogr.
ab. Allein so umfassend der mathematische Theil abgefasst
ist, so dürftig und oberflächlich möchte diese Erläuterung er-
scheinen, obschon in der Regel die phys. Geogr. für jugendliche
Gemüther weit mehr Interesse hat, als jeue. Denn über die
so abweichende Höhe der Berge, über die verschiedene Tem-
peratur der Quellen, über die Beschaffenheit des Meeresbodens,
über die verschiedene Tiefe des Meers, über den Gehalt und die
Farbe des Meerwassers, über dessen Temperatur, über die
Beschaffenheit der Luft, über Atmosphäre, Lufterscheinungen,
Winde u.s.w. wird kein Wort verlohren. Ueber das hier Ge-
sagte muss Rez. auch einige Bemerkungen niederschreiben.
Flussriegel werden in der Schiffersprache Barren genannt.
Der Definition der Teiche : „Wassersammlungen, welche weder
sichtbaren Zu- noch Abfluss haben", werden wohl wenige bey-
stimmen, da aus Teichen öfters die Quellen bedeutender Flüsse
abfliessen. — Das Erforderniss eines Küstenflusses ist wohl
nicht der Mangel an Nebenflüssen; denn der Minho, der Adour,
die Vilaine, der Garigliano u. s. w. haben zahlreiche Zuflüsse,
und bleiben doch nur Küstenflüsse ; sondern vielmehr der kurze
Lauf, nach welchem sie das Meer erreichen, ohne Zeit gehabt
zu haben , sich zu einem Ilauptstrome auszubilden. — Hoch-
ebenen sind, nach des Verf. Ansicht, Gegenden, wo man stei-
gen muss, ehe man auf das Ebene kommt. Besser wäre wohl:
die zu Ebenen ausgedehnten Rücken hoher Gebirge, wie z. B.
die Parameras im Innern Spaniens, die Plateau's des Anahuac-
Gebirgs im Innern Mexiko's , der Anden in Quito u. s. w. —
Aus Mangel an Fruchtbarkeit sind die Savannen (durch einen
Druckfehler steht hier Savonnen) wohl nicht bloss mit holzi-
gem, aber sehr hohem Gras bewachsen, da sie nach allen Rei-
seberichten häufig kulturfähig sind, und auch der üppige Gras-
wuchs schon dem Begriff' der Sterilität widerspricht. Auch
92 Geographie.
sind sie nicht bloss in Nord- sondern auch in Süd -Amerika zu
finden, wo sie aber in Kolumbien Llanos, und in Peru und Pa-
raguay Pampas genannt werden. — § 10: Benennung der ein-
zelnen Theiledes grossen Ozeans (richtiger wohl des Weltmeers).
Beyni östlichen Ozean fehlen die Sunda und die Malakka - Strasse.
— Die Bassa's- Strasse (statt Bass'-Strasse) S. 31 ist gewiss
auch ein Druckfehler. Beym Arabischen Meere fehlt der Busen
von Sind oder Kutsch. — Auch im südlichen Eismeere , das
nach dem Verf. keine Polarläuder in sich fassen soll, hat man
neuerer Zeit Inselgruppen entdeckt , z. B. Neu - Shetland. —
Im Uten § werden die grössern Inseln und Inselgruppen aufge-
zählt. Unter den Inseln des Mittelländischen Meers ist gerade
die wichtigste, Sizilien, vergessen worden, und unter den Ostsee-
Inseln vermisst man Usedom und Wollin. Im östlichen Ozean wird
Jesso oder Matsumai hier Chicha genannt. In Australien ist
das Kontinent Neu -Holland auch den Inseln beygerechnet wor-
den. — §12: Gebirge und Gebirgszüge in Europa. Hier kommt
also bereits der Nähme unseres Erdtheils vor , ohne dass der
Verf. es für nöthig erachtet hätte, von der Eintheilung der
Erde schon etwas zu sagen. Der Verf. nimmt nur 2 Hauptge-
birgsstöcke , die Schweizer und Tyroler Alpen im westlichen,
und den Wolchonsky-Wald, das Waldai- und Wolga -Gebirge
im östlichen Theile an. Zu den Alpen rechnet er demnach nicht
bloss die Pyrenäen und übrigen Spanischen Gebirge, sondern
auch die Karpathen und Sudeten, sogar den Harz; zu den letz-
tern, die er jedoch selbst mehr eine hochgelegene, grosse
Fläche, als ein ansehnliches Gebirge nennt, die Finnischen,
Lappländischen und Skandinavischen Bergzüge. Den letztern
nennt er statt Kjölen Skiölen. Das heisst freylich sich's hübsch
bequem machen! — §13: Gebirge von Asien. Hier heisst es:
„das Gränzgebirge zwischen Asien und Europa ist der Ural und
nach N. zu das Werchoturische Gebirge." Wird man durch
diese Stellung der Worte nicht zu der Vermuthung geführt, der
Verfasser nehme unter diesen 2 Nahmen auch 2 verschiedene
Gebirge an? Durch das hohe Wolga- Gebirge, — (das übri-
gens Kez. gar nicht kennt : meint der Verf. etwa das Mangisch-
lak'sche '? ) — soll der Kaukasus sich mit dem Ural vereinigen ! !
Ein einziger Blick auf die Charte zeigt indessen die Unstatt-
haftigkeit dieser Behauptung. Der Kaukasus streicht bekanntlich
von SO. nach NW. bis zum Asowschen Meere hinauf, und an
seinem nördlichen Fuss breiten sich die Kuban'sche und Terek-
sche, überhaupt die Kaukasischen Steppen aus, welche in der
Vorzeit, wo der Kaspische See noch mit dem Schwarzen Meere
zusammenhieng , von den Meereswogen bedeckt waren , und
die bis zur Wolga reichen. Auf ähnliche Art sollen alle Gebirge
dieses Erdtheils mit einander in unmittelbarem Zusammenhange
stehen , so dass ganz Asien ein einziges Hauptgebirgssystem in
Hiersche : Wegweiser durch das Gebiet der allgem . Geographie. 93
sich zu fassen scheint, von welchem dann alle übrigen Ge-
birgszüge auslaufen würden. — § 14: Gebirge von Ajrika.
Nichts Neues oder Abweichendes. — § 15: Gebirge von Ame-
rika. Hier sagt der Verf.: „Ganz Amerika durchläuftauf der
westlichen Seite ein Gebirge. Der nördliche Theil davon (also
in Nord -Amerika'?) bis nach Süd- Amerika, heisst Cordilleras,
der südliche aber die Anden oder Andes." Hier erfährt der Le-
ser etwas ganz Neues! Rez. wenigstens hat nicht anders gewusst,
als dass die ganze auf der Westküste dieses Erdtheils hinstrei-
chende Gebirgskette im Allgemeinen Anden, in Nord -Amerika
aber insbesondere von S. nach N. Anahuac, Sierra Madre, S.
Verde, glänzendes Gebirge, steiniges oder Felsen - Gebirge
(Kocky Mountains), und dass nur in Süd -Amerika die höchsten
Gipfel der Anden Cordilleras genannt werden. Eben so weiss
Rez. nicht anders , als dass Apalachen, Alleghanys (Alleguani-
sche Gebirge ist wohl nur ein Druckfehler*? — ), Blaue und Weisse
Berge nur die Nahmen Eines Gebirgs sind, das sich nicht bloss
in S. verbreitet, sondern bis zum St. Lorenzbusen hinaufsteigt.
Des Landeshauptes wird keine Erwähnung gethan. — § 16:
Gebirge Australiens. Nur der Egmont gehört Neu -Seeland, der
Mauna-Perah aber den Sandwichsinseln an. — § IT: Schluss-
bemerhingen über die Gebirge. Hier sagt der Verf.: „Alle Ge-
birge der Erde hängen unter einander zusammen, d.h. es giebt
wohl kein Gebirge , welches einzeln dastände , das nach allen
Seiten so vollkommen von lauter Ebenen umgeben wäre, wie
eine Insel vom Wasser. Oft sind es bloss ganz unbedeutende
Höhenzüge von kaum 100 F. Höhe über die Meeresfläche, wel-
che die letzten Zweige weit von einander entfernter Gebirge
verknüpfen u.s.w." Freylich, wenn der Verf. dergleichen Hö-
hen für hinreichend dazu hält, so hat er völlig Recht. Ob aber
alle Geologen diese Ansicht theilen, ist eine andere Frage. Die
meisten möchten wohl nur in dem Falle einen unmittelbaren Zu-
sammenhang zugestehen, wenn der Seitenzweig, welcher 2 Ge-
birgszüge mit einander verbindet, aus denselben Gebirgsmassen
konstruirt ist, aus welchen die Bergketten selbst bestehen. —
Gegen die Eintheilung der Gebirge in Haupt-, Mittel - und kleine
Gebirge hinsichtlich ihrer Länge wird sich auch wohl Wider-
spruch erheben. Denn wenn es nur auf die Länge ankommt, so
würde die 5 — 6000 F. hohe Serra de Monchique, — die nach
Bory de S. Vincent ein für sich bestehendes Gebirgssystem aus-
macht , — nur ein kleines , das nur 2 — 300 F. über die Land-
fläche hervorragende Waldai- Gebirge hingegen ein Hauptge-
birge genannt werden müssen. — § 18: Die vorzüglichsten
bekannten Vulkane. Da der Verfasser selbst einräumt, dass
dieser § von Vielen für überflüssig gehalten werden möchte, so
sagt Rez. darüber weiter nichts, als dass er darin nichts Neues ge-
funden habe, und dass derselbe auch nicht auf Vollständigkeit An-
94 Geographie.
sprucli machen dürfe. — § 19 : Verzeic/miss der merkwürdig-
sten Berge nach ihrer Höhe über die Meeresfläche. Auch die-
sen § werden viele Leser, ohschon er in allem nur 52 Nahmen,
vom Dhawalayeri an his zur Landskrone herah, enthält, in einem
solchen Werkchen für entbehrlich erklären. — § 20: Die merk-
würdigsten Seen. Ziemlich oberflächlich. So fehlen der Müritz-
imd Plaue'sohe See im Meklenburgischen, die grossen Seen
Irelands und Hollands, die grossen Seen China's. Beyra Ober-
See in Nord -Amerika hätte bemerkt werden sollen, dass er
nächst dem Kaspischen Meere das grösste Bassin darbiete. —
§ 21 : Die bedeutendsten Flüsse aller 5 Erdtheile. Unter den
in den Finnischen Busen fallenden Gewässern fehlt die Newa, ob-
schon sie wasserreicher ist als die hier aufgenommene Narwa
und Wolchow. — § 22 : Vergleichende lieber sieht der Länge
mehrerer Hauptströme der Erde, 29 an der Zahl. Ebenfalls
sehr entbehrlich. Die Länge der Loire zu 115 Meilen ist um
fast 30 Meilen zu niedrig angeschlagen. — § 23 : Uebersicht
der vorherrschenden Produkte in den Ländern, Flüssen und
Meeren der verschiedenen Zonen. Einer der interessantesten
und zweckmässigsten Abschnitte des Werkchens. Denn nichts
ermüdet wohl mehr, als das ewige Wiederhohlen von Produkten-
nahmen, die so vielen Ländern gemeinschaftlich sind, zumahl
da die nähere Beschreibung dieser Gegenstände der Naturge-
schichte vorbehalten bleiben muss. Es ist daher Schade, dass
der Verf. diesem Verzeichnisse nicht grössere Vollständigkeit
gegeben hat. Denn unter den bekanntesten Früchten und Ge-
wächsen der heissen Zone hat Rez. Bananen, Pataten, Maniok,
Manglebäume, Aloe, Sandel - und Thekholz , Bambusrohr u. s. w.
vermisst. Ginseny und Rhabarber sind keineswegs Gaben der
heissen , sondern der gemässigten Zone ; denn das Vaterland
von beyden ist Hoch -Asien.
2te Abtheilung: (S. 69 — 216.) Die Erde als ein von Men-
schen bewohnter und unter Völker und Staaten vertheilter Kör-
per. § 1 : Die Hauptstämme, in welche sich das gesummte Men-
schengeschlecht eintheilen lässt. Einige der merkwürdigsten
Menschengattungen. — Verfass?mgen. — Die Mohren sind
keineswegs Abkömmlinge der Mauren ; sondern diess Deutsche
Wort bedeutet entweder die Mauren selbst, oder, was wohl
noch richtiger ist, die Neger. Uebrigens zählt der A7erf. die
Mauren der Aethiopischen Hanptrasse bey, da sie doch, als
allgemein anerkannte Stammgenossen der Araber , zur Kauka-
sischen Rasse gehören. — Warum nach Beschreibung der 5
Hauptrassen unter den durch Vermischung entstandenen Men-
schengattungen, den Mulatten, Mestizen u. s. w., auch so recht
ex abrupto die Creks — wohl richtiger Creeks otler Criks —
herbeygezogen werden, kann Rez. nicht begreifen, da sie doch
offenbar unter der Amerikanischen Rasse hätten vorkommen
Hicrsche : Wegweiser durch das Gebiet der allgem. Geographie. 95
sollen. Nicht bloss die Pescheräs, sondern auch die Aetas auf
den Philippinen, die Eingebohrnen des Australlandes u. s. w.
stehen auf der niedrigsten Stufe der Kultur. — §2: Einthei-
lune des gesummten Festlandes in 5 Landmassen und deren
Grunzen. Dieser Abschnitt hätte bey einer konsequenten Rei-
henfolge durchaus der ersten Abtheilung beygegeben, und dort
zwischen dem lOten und Uten § eingeschaltet werden sollen.
Bey der bedeutenden Anzahl von Staaten, die man in jedem Erd-
t heile findet, hätte doch billig Australien ausgenommen werden
sollen, da dort nur erst 2 (Sandwichs- und Sozietäts- Inseln)
als solche angeführt werden können.
Bis hieher hat nun ltez. es für zweckmässig erachtet, den
Verf. Schritt für Schritt zu begleiten , um dem Leser dessen
Ideengang vollständig zu entwickeln, und ihn in den Stand zu
setzen, dessen neuempfohlene Methode von allen Seiten würdi-
gen zu können. Gern gesteht Kez. ein , dass er es bey einem
Lehrbuche für den ersten Cursus allerdings sehr sachgemäss
finde, wenn zuvörderst das Allgemeine von dem Besondern streng
geschieden, das erstere erst vollständig gelehrt, und dann end-
lich auf den speciellen Theil der Erdbeschreibung übergegan-
gen werde. Doch dehnt der Verf. den Begriff des Generellen
offenbar zu weit aus , und die §§ 11 , 18, 19 und 22 hätten
ganz der 2ten Abtheilung aufgespart, die §§ 12 bis 16, 20 und
21 aber sehr beschränkt werden sollen. Denn allein von sol-
chen Gebirgen, Seen und Strömen hätte hier Erwähnung ge-
schehen sollen, welche mehr als einem Staate angehören, in
Europa also nur der Pyrenäen, Alpen und Karpathen ; des Gen-
fer-, Boden-, Garda- und Grossen -Sees, der Donau, des Rheins,
des Rhone, und , in sofern die Gränze gegen Asien nur bis zum
Don vorgerückt wird , auch der Wolga. — Von hier an darf
sich , weil die Beschreibung der einzelnen Länder nichts Neues
darbietet , Rez. desto kürzer fassen ; er braucht also bloss den
Inhalt des Ueberrestes in gedrängter Kürze anzugeben, auch
sich dabey, mit Uebergehung aller kleinen Mängel und Gebre-
chen, nur auf Berichtigung erheblicherer Verstösse und Irrthü-
mer zu beschränken. — § 3 — 6: Europa nach seiner Grösse
und l ' ertheilung in Reiche. Wales ist nicht in 6, sondern in 12
Shiren , Schottland dagegen nicht in 83, sondern nur in 29 Shi-
ren abgetheilt. Die Besitzungen der Britten in Ost -Indien hät-
ten geographischer benannt werden können. — Madera ge-
hört nicht den Britten, sondern noch immer den Portugiesen.
— Auf Van Diemensland ist weder der Kohlenfluss noch eine
Stadt Richmond zu suchen. — Bey Russland ist das neue Gou-
vernement Bessarabien vergessen worden. — Frankreich: Bloss
die Ost- und Südgränze ist sehr gebirgig. In Lothringen muss
es statt Meurthe heissen Nancy. — Bey den Niederlanden
werden mehrere Provinzen noch als Herzogthümer, Fürsten-
96 Geographie.
thümer und Grafschaften aufgeführt. — Bengalen wird hier
zu den Niederländischen Besitzungen gerechnet. Auch auf Ja-
pan soll eine Niederländische Niederlassung zu finden seyn. —
Emden die Hauptstadt des Königreichs soll wohl heissen Haupt-
handelsstadt'? — Im S. Kohurg. Fürstenth. Lichtenberg ist Ott-
weiler nicht zu suchen. — Die Preussen hier gegebene Bevölke-
rung von 16,300,000 Köpfen muss auf einem Druckfehler beru-
hen. Unter den Handelstädten des Reichs hat zwarPillau einen
Platz gefunden, aber Magdeburg, Stettin und Stralsund haben
diese Ehre nicht verdient. Duisburg ist keine Universität mehr,
hat auch wohl nie zu den berühmtesten hohen Schulen Deutsch-
lands gehört. — - Salzburg besitzt auch keine Universität, wohl
aber Padua und Pavia. — Parma fällt allerdings einst an den
Herzog von Lucca, der aber dann Lucca an Toscana abtritt,
wofür dieses dem Sohne Napoleons seine Güther in Böhmen über-
lässt. — Kandia scheint hier zur Statthalterschaft des Kapu-
dan Pascha gezogen zu seyn. — Bosnien und Servien sind hier
als Königreiche aufgestellt. — §7 — 10: Asien. Konjeh ist
nicht die Hauptstadt von Cypern, denn diese heisst Lefkosia,
sondern von derLandsch. Karamanien. — Die Länder am Kau-
kasus, denen ein Flächenraum von nicht weniger als 31,260 □ M.
zugetheilt wird , werden hier noch als ein besonderer Abschnitt
Asiens behandelt. — Afghanistan wird hier in 3 Reiche, Kan-
dahar, Kabul und Herat abgetheilt. — Bey Japan findet der
Leser noch die alten statistischen Angaben, — Der Mahrat-
tenstaat wird hier noch in seinem vorigen Umfange (von 1817)
beschrieben. — Delhi wird hier eine Volkszahl von 1,700,000,
Kalkutta aber nur von 180,000 S. zugetheilt. — Dass die Nie-
derländer im J. 1824 ihre Besitzungen auf dem festen Lande
Ost - Indiens gegen Benkulen an die Britten vertauscht ha-
ben, hätte der Verf. bereits wissen können. — In Hinder-
indien werden noch Laos und Kambodscha als besondere König-
reiche beschrieben. — §11 — 14: Afrika. Bey mehrern Land-
schaften zählt der Verf. wieder Produkte auf. — Bey Nubien
führt er ein neues Königreich, Nahmens Dekin, ein, aber lei-
der ohne etwas Näheres darüber zu sagen. Beym Lande der
Jaloffer ist der Nähme der Residenz aussengelassen. Da aber
dieses Land unter mehrere Häuptlinge vertheilt ist , so ist es
schwer zu errathen , welche der Verf. gemeint habe. — Bey
Habessinien fehlt der Nähme der Hauptstadt Gondar. — Bey
Ober - Guinea sind nicht eiumahl die Reiche Aschanti und
Dahomei genannt. — §15 — 18: Amerika. — Die katholi-
sche Kirche ist keinesweges in ganz Kanada, sondern nur im
Gouv. Quebeck vorherrschend. — Bey den Nord -Amerikani-
schen Freystaaten hätten doch wenigstens die Nahmen der ein-
zelnen Staaten richtig angegeben werden sollen, denn JYlischi-
gur und Arkanjas sind noch blosse Gebiete. Dagegen fehlen
Petersen : Kurzer Abriss der Erdbeschreibung. 91
Maine, Missisippi und Louisiana. — Bey der dem Spanischen
Nord -Amerika vorgesetzten Einleitung ist nur Mexiko, aber
nicht auch Guatimala berücksichtigt worden. — Die Kolumbische
Prov. Panama war doch wohl auch sonst ein Bestandtheil vom
V.KR. Neu -Granada'? — Das vorraahlige V KR. la Plata bil-
det hier noch immer ein Ganzes, und von der Zertheilung des-
selben in 3 unter sich unabhängige Staaten (la Plata, Paraguay
und Bolivia) erfährt man hier kein Wort. — § 19 und 20:
Australien. Dieser Erdtheil ist auf 2 Seiten abgefertigt worden,
und selbst Neu-Guinea's wird hier mit keiner Sylbe gedacht.
Die Bewohner der Sozietäts- Inseln werden noch als Heiden ge-
schildert.
Zum Schlüsse muss Rez. noch einige Worte über die Topo-
graphie sagen. Dass diese bey so beschränktem Räume nicht
reichhaltig seyn kann, und bey dem Plane des Werkchens auch
nicht seyn darf, liegt auf der Hand. Ob aber nicht hinsichtlich
der aufgenommenen Orte hie und da eine bessere oder strengere
Auswahl hätte getroffen werden können, ist eine andere Frage.
So fehlen, um nur ein Beyspiel anzuführen, bey den N.-Ame-
rik. Fr. -St. Baltimore und Neu- Orleans. — In der Regel ist
auch nur den Hauptstädten die Volkszahl beygesetzt. Häufig
liegen aber hier veraltete Zählungen zu Grunde. So hat Berlin
erst 180,000, Warschau 76,000, Dresden 46,000 E. u. s. w. Dem
Werkchen ist ein 20 Seiten langes Register beygegeben. Das
Papier ist weniger, als mittelmässig, der Druck aber gut. Druck-
fehler sind nicht selten, aber leider nicht angezeigt.
No. 4. Die erste Auflage dieses Büchelchens vom J. 1817
hat den durch den 2ten Pariser Frieden herbeygeführten man-
nigfachen politischen Umänderungen seine Entstehung zu ver-
danken, weil der Hr. Verf. es für nöthig hielt, ein kleines, wohl-
feiles Werkchen zu bearbeiten, das dem Schüler zum Lernen
dienen, dem Lehrer aber Gelegenheit geben solle, einen aus-
führlichem mündlichen Unterricht hinzuzufügen. Zu demsel-
ben hat der Verf. , nach seiner Versicherung , die besten geo-
graphischen Schriften benutzt. Die 2te Auflage erschien, wie
die Vorrede besagt, nachdem die erste in 11 Monaten vergriffen
war, um | vergrössert im J. 1818. Und die 3te hier vorliegen-
de Aufl. erscheint ebenfalls durchaus verbessert und vermehrt,
mit Berücksichtigung der dem Verf. bekannt gewordenen Ver-
änderungen.
Sowohl Titel als Vorrede bestimmen dieses Buch vornehm-
lich für Schulen, und reihen es sonach den geographischen
Lehrbüchern an. Gleichwohl werden hier die Grundzüge der
mathemat. und phys. Geogr. auf kaum 6 Seiten abgefertigt.
Dieser offenbar sehr flüchtige Abriss derjenigen Theile der
Geogr. , welche bey einem Lehrbuche der Art , weil solche die
Grundlage des ganzen Unterrichts ausmachen , mit besonderer
Jahrb. f. Phil. u. Fädag. Jahrg. 111. Heft 1. f
98 Geographie.
Aufmerksamkeit und Umsicht behandelt seyn wollen , steht
nun , nach der Ansicht des Rez., mit dem Begriffe eines geogr.
Schulbuchs in geradem Widerspruch. Auch äussert sich der
Verf. nicht näher über den Gebrauch desselben ; und noch wei-
ter ist er davon entfernt, eine neue Methode anzupreissen,
oder irgend einer neuen Eintheilung der Erdtheile nach Na-
turgränzen zu huldigen; vielmehr tritt er unbedenklich in die
Fusstapfen der altern Geographen, welche, ohne eine allgemei-
ne Uebersicht der ganzen Erdmasse voranzuschicken, sogleich
auf die mathem. und phys. Geogr. die politische folgen las-
sen. Rez. möchte daher dieses Euch viel lieber in die Klasse
der geographischen Volksbücher versetzen, da es in einer im
Ganzen leicht verständlichen Sprache und ohne grosses Wort-
gepränge gerade so viel vom heutigen Zustande unserer Erde
vorträgt, als heut zu Tage von dem gebildeten Bürger und Land-
mann zu wissen verlangt werden kann, zumahl da es von gro-
ben Irrthümern und Mängeln ziemlich rein gehalten worden ist,
wie nachstehende Bemerkungen näher an den Tag legen werden.
In der schon erwähnten kurzen Einleitung hätten die Grün-
de, welche für die Kugelgestalt der Erde sprechen, noch sorg-
fältiger entwickelt werden sollen. Auch kann Rez. mit der Er-
klärung des Wortes Rhede nicht zufrieden seyn. Denn diess
ist ja der zunächst eines Havens liegende Theil des Meeres,
welcher den Schiffen schon einen sichern Ankergrund darbietet,
die daher hier vor dem Winde so lange sicher liegen, bis sie
in den Ilaven einlaufen können.
Ister Abschn. : (S. 7 — 144.) Europa. Da unter den wich-
tigsten Flüssen dieses Ertheils Weser, Duero, Guadalquivir,
Guadiana, Themse, Niemen, Dniester u. s. w. nicht einrangirt
worden sind, so war Rez. verwundert, die Tiber hier genannt
zu sehen. Frankreich. Da der Verf. hier (richtig) der Rhone sagt,
so war es auffallend, dass er gleichwohl die Allier, die Cher, die
Doubs u. s. w. zu schreiben sich erlaubt hat. — Italien. Beym
Po hat Rez. den Nebenfluss Tanaro nicht gefunden. Auch wird
hier die Prov. Aosta zu Savoyen geschlagen. — Deutschland.
Unter den erheblichem Nebenflüssen der Donau sind Altmühl,
Naab , Regen und Traun mit Stillschweigen übergangen wor-
den. Unter den Binnenseen fehlt der Müritz - See. — Da die
Oesterreichischen und Preussischen Besitzungen in Deutschland
bey den betreffenden Staaten beschrieben werden, so hätte
auch dieser Grundsatz bey Holstein und Luxemburg in Ausfüh-
rung gebracht werden sollen. — Oesterreich. Die Inn ist wohl
ein blosser Druckfehler. — Statt der unerheblichen Ips hätte
die schiffbare Traun genannt werden sollen. Auch bey der
Theiss wird der Leser mehrere beträchtliche Nebenflüsse, als
Samosch , Marosch, Hernath, Koros u. s. w. vergeblich suchen.
— Bey Ungarn hätte der Landschaften Gross- und Klein-Ku-
Petersen: Kurzer Abriss der Erdbeschreibung. 99
manien, und Jazygien, so wie der Zipser und der Haiducken-
Städte wenigstens mit einigen Worten gedacht werden sollen.
— Niederlande. Der Staat ist nicht durchgehends eben und
niedrig. Denn der südwestliche Theil ist mit waldigen Bergen
und Hügeln, die zu den Ardennen gehören, bedeckt. — Gross-
Britannien. Alte und neae Bevölkerungsangaben wechseln hier
mehr als anderwärts mit einander ab. So hat Cork erst 65,000,
Waterford hingegen schon 48,000 EiliW. bekommen. Auch ist
bloss England an sich nach seiner Eintheilung in Shiren, Wales
aber nur nach der in Nord -und Süd-, Schottland nach der
in Süd-, Mittel- und Nord -Schottland, und Ireland nach der in
4 Provinzen beschrieben. Wenn das letztere der Kürze wegen
für nöthig erachtet wurde, so hätte auch England bloss nach
seinen 7 alten Landschaften dargestellt werden sollen. — Eu-
ropäische Türkey. Auch hier folgt der Verf. der beliebten Ein-
theilung in Ejalets und Sandschaks. Lobenswerth ist es daher,
dass er bey den letztern angiebt, in welcher Landschaft solche
zu suchen sind. Freylich trifft diess nicht bey allen genau zu,
da verschiedene derselben aus Parzelen mehrerer Landschaften
zusammengesetzt sind, Z.B.Sofia, welches zwar Bulgarien bey-
gezählt wird , aber sich auch über einen beträchtlichen Theil
von Thrazien verbreitet.
2ter Abschn.: (S. 144 — 175.) Asien. Asiatische Türkey.
Im Ejalet Rakka sind die Nahmen Racca und Orfa durch einen
Punkt getrennt, also als 2 besondere Orte dargestellt, obschon
es nur 2 verschiedene Nahmen Einer einzigen Stadt sind. —
Afghanistan. Hier hätte bemerkt werden sollen, dass der Herr-
scher nicht König, wie hier geschrieben steht, sondern eben-
falls, wie bey Iran, Schach titulirt werde. — Hinter - Indien.
Malakka wird hier noch eine Niederländische Besitzung genannt,
obgleich auf Sumatra Benkulen bereits als seit 1824 den Nieder-
ländern gehörig behandelt ist. — China. Die Portugisische
Besitzung Makao ist zwar allerdings eine Halbinsel, aber nicht
vom festen Lande, sondern nur der südliche Theil der gleich-
nahmigen Insel, im Busen von Kanton, deren grösserer nördli-
cher Theil stäts den Chinesen verblieben ist. — Die Chinesi-
schen Ladronen sind hier, jedoch nur unter dem Nahmen Lar-
ronen, angeführt. — Japan. Die vulkanische Beschaffenheit
des Landes ist gar nicht berücksichtigt worden. — Dunkel ist
die die Regierung dieses Reichs betreffende Stelle. Verrnuthlich
hat der Verf. sagen wollen , dass die noch heut zu Tage , we-
nigstens dem Range und dem Titel nach, herrschende Dyna-
stie des Dairy schon seit Jahrtausenden auf dem Throne des Rei-
ches sitze.
3ter Abschn.: Afrika. (S. 176 — 188.) Der Flächenraum ist
sehr genau auf 510,619 □ Meilen berechnet. Noch genauer und
sorgfältiger hat der Verf. aber die Volkszählung veranstaltet.
100 Geographie.
Denn er bringt netto 109,779,000 Einw. heraus. Ist es nicht
drollig, bey einem Erdtheile , dessen Binnenländer den Euro-
päern bis jetzt nur an einzelnen Punkten zugänglich waren , ja
dessen Küsten noch nicht einmahl gehörig erforscht sind, eine
so genaue Menschenzahl zu supponiren 1 — Oestliche Küsten-
länder. Nach dem sonst so berühmten Reiche Monomotapa sieht
man sich vergebens um. — Sudan. Der Stadt Tombuktu wird
auf gut Glück eine Bevölkerung von 216,000 ( ! ! ) S. zugetheilt.
4ter Abschn.: (S. 188 — 208.) Amerika. — Bey Nennung
des See's Parime hätte wenigstens bemerkt werden sollen, dass
dessen Existenz noch nicht erwiesen sey. — Nord- Amerika-
nische Frey Staaten. Hier heisst es S. 193: „Dieser ganze Frey-
staat besteht aus 31 freyen Staaten, die aber in allgemeinen
Angelegenheiten mit einander verbunden sind." Es ist auffal-
lend, dass ein Schriftsteller, der ein geograph. Lehrbuch schreibt,
und in jedem noch so kleinemllandbuche Avirkliche Staaten vonGe-
bieten getrennt angegeben finden muss , den grossen Unterschied
zwischen einem Freystaat und einem Gebiet für zu unerheblich
erachten kann, als dass er nicht weiter erwähnt zu werden
brauche. Gleichwohl hat er den 2 letzten Nummern Missuri
und Oregan das Wort Gebiet vorgesetzt. Von diesen 2 Gebie-
ten erfährt der Leser aber auch nichts als die Nahmen. — Der
FläcbengehaltSüd-Amerika's wird zu 395,000 □ Meilen ange-
nommen, also um mehr als 73,000 zu hoch. — Kolumbien.
Hier wird gesagt: „Diese Republik ist 1820 aus der Verbindung
der Staaten (?) Neu- Granada, Caracas, Quito und Panama ent-
standen." Wie konfus ! Die genannten Länder waren doch wohl
sonst ein Theil des Spanischen Amerika , und durften also auf
den Titel eines Staats keinen Anspruch machen '? Und Neu-Gra-
nada bildete doch wohl mit Quito und Panama nur ein einziges
Vize -Königreich? Richtiger musste es also heissen: Dieser
Freystaat umfasst das vormahlige V. KR. Neu -Granada und die
vormahlige General -Hauptmannsch. Caracas. — Der Flächen-
raum des Französischen Guiana's ist mit 3,600 Q Meilen viel zu
hoch angenommen.
5ter Abschn. : (S. 208 — 212.) Australien. Dieser Abschn. ist
sehr kurz behandelt, und besteht meistens nur aus Nomenclatur.
Neu -Holland werden hier 180,000, Neu-Guinea 500,000, Neu-
Britannien 200,000 , Neu - Georgien 100,000 , Neu - Seeland
150,000, den Sozietäts-Ins. 120,000, den Sandwichs-Ins. 450,000,
den Karolinen 100,000 Einw. zugetheilt. Neu -Süd -Wales soll
schon 42,000, und die Hauptst. Sidney 13,400 M. zählen. Als
Zugabe ist eine Skizze von der Vertheilung der S. Gotha-Alten-
burgischen Lande anzusehen. Aber diese ist noch so unbestimmt,
dass sie bedeutender Berichtigung bedarf, und daber wenig
brauchbar ist. Den Beschluss macht ein Register.
Selten: Hodegetischcs Handbuch der Geographie. 101
Jedem Erdtheile ist am Schlüsse der Einleitung eine Tabelle
über Areal und Volksmenge der einzelnen Staaten und Länder-
massen beygesetzt. Da aber diese Zahlen wiederum bey jedem
einzelnen Staate oder Lande vorkommen, und Wiederhohlungen
bey einem Buche von so beschränktem Räume möglichst vermie-
den werden sollten , so möchten diese Tabellen wohl für über-
flüssig zu erklären seyn. — Bey jedem Reiche werden auch
die jetzt lebenden Regenten nahmentlich angeführt. Auch diess
werden viele Leser für ein dem ersten Cursus gewidmetes Hand-
buch für zu früh ansehen. — Die Topographie unterliegt auch
mitunter keiner sorgfältigen Auswahl. So hat Rez. bey Frank-
reich die beträchtlichen Städte: Hagenau, Schlettstadt , Cha-
lons s. Saone, Autun, Thiers, Tarascon, Moissac, Sarlat,
Libourne , Saintes , Issoudun , Saumur , u. s. w. vermisst.
— Den meisten Orten ist auch die Zahl der Einw. und zwar
in runden Summen beygesetzt worden , was Rez. für ein so be-
schränktes Werkchen sehr zweckmässig findet. Hätte doch
der Verf. dieselbe Regel auch bey den Reichen und Ländern
selbst gelten lassen !
Papier und Druck sind zwar nicht ausgezeichnet, aber auch
nicht zu tadeln. Indessen kommen Druckfehler nicht gar selten
vor, sind aber auch leider nicht angezeigt. Den Preis findet Rez.
für die geringe Bogenzahl gerade hoch genug.
No. 5. In der Vorrede zur lsten Auflage, welche im J.
1820 ans Licht trat , gesteht zwar der Hr. Verf. ein , dass ei-
gentliche geographische Lehrbücher genug vorhanden wären,
dass auch darunter mehr als ein vortrefliches sey ; er versichert
aber aber auch zugleich, dass, soviel er wisse, eine hodegetische
Schrift, welche das, worauf sich ein Lehrbuch nicht einlassen kön-
ne, zunächst und eigends behandelte^ ,noch Niemand herausgegeben
habe. Da er nun eine solche zum Besten der Schüler für äu-
sserst nothwendig erachte, so habe er die Ausarbeitung eines
Handbuchs der Art übernommen. Vorliegende Grundlage macht
aber nur denjenigen Theil davon aus, der lediglich für Schüler
bestimmt ist. Das 2te Bändchen hingegen, welches ausschliess-
lich für Lehrer bestimmt , und rein hodegetischen Inhalts seyn
sollte, würde nächstens nachfolgen. Zugleich bemerkt der
Verf. aber, dass diese Grundlage den ununterbrochenen Ge-
brauch der geographischen Charten verlange, und schliesst
mit den Worten: „Sollten demnach Kenner das Urtheil fällen,
dass diese Grundlage, wenn man sie wie ein anderes Buch be-
handeln will, unbrauchbar erscheint, so ist das wohl richtig.
Denn sie ist absichtlich so bearbeitet, dass sie den Mitgebrauch
der Charte gar nicht entbehren kann, wie sie selber wiederum
den Gebrauch der Landcharte und Erdcharte zum Behuf des
geographischen Lernens und Wissens förderlich machen soll."
Die Vorrede zur vierten Auflage berichtet , dass dieselbe,
102 Geographie.
weil nach Verlauf eines halben Jahres die dritte schon vergriffen
sey , verbessert und berichtigt erscheine, beklagt aber auch dabey,
dass die Reinheit des Drucks sich in derselben vermindert habe.
Der grösste Theil der Leser wird, wie Rez. wohl mit Recht
voraussetzen darf, neugierig seyn, aufweiche bisher noch nicht
dagewesene Weise hier die Geogr. gelehrt werde. Es ist daher
doppelte Pflicht des Rez. — wenn er den Hauptzweck dieser
Jahrbücher nicht aus den Augen verliehren will — auch diese
Grundlage , so weit sie sich mit neuen Vorschlägen zu einem
verbesserten Unterricht in dieser Wissenschaft beschäftigt, ei-
ner ausführlichem Prüfung zu unterwerfen, um die Leser zu
belehren, was sie hier eigentlich zu suchen haben.
Das in 120 §§ vertheilte Werkchen zerfällt in folgende Ab-
schnitte: Einleitung. (S.l — 9.) Diese handelt vom Begriff der
Geogr. überhaupt , und giebt dann über die unentbehrlichsten
Lehrsätze der mathem. Geogr. Auskunft.
lste Abtheilung. (S. 10 — Uli.) Diese beschäftigt sich aus-
schliesslich mit der Erd- Oberfläche überhaupt, oder mit der
allgemeinen Erdbeschreibung, undzertheilt sich in 8 Lehrstücke
oder Kapitel, worin die hieher gezogenen Gegenstände in fol-
gender Ordnung vorgetragen werden:
lstes Lehrst.: Von dem Bestand der E.O., oder Land- und
Wasservertheilung. Hier betrachtet der Verf. 1) den Meeres-
stand, wo er als eine schon ganz ausgemachte Wahrheit annimmt,
dass das Meer immerfort in Abnehmen, das Land dagegen in
stätem Zunehmen sey ; 2) das Erdland , wo zwar von dessen
Einth eilung in 5Erdtheile, und in die alte und neue Welt, aber
nicht von der ersten und notwendigsten in festes Land oder in
Inseln gesprochen wird ; 3) das Erdmeer , wo der Verf. zuerst
dessen Zerlegung in bloss 3 Hauptmassen als naturgemäss vor-
schlägt, von denen er das erste das Binnenländische Meer (das
nördliche Eismeer und den Atlantischen Ozean in sich fassend),
das zweyte das Aussenländische (aus dem grossen Ozean mit
dem östlichen Meere bestehend) und das dritte den Süd - Ozean
oder das Stille Meer (den weiten Meeresraum auf der südlichen
Erdhälfte der nirgends von Küsten begränzt ist, [doch wohl mit
dem Eismeer?] begreiffend,) nennt; dann aber auch die gewöhn-
lichere in 5 Hauptmeere anführt.
2tes Lehrst.: Von den 5 Welt- oder Erdtheilen, wo über
deren Gränzen und Eintheilung Bericht erstattet wird. Europa,
dessen Ost-Gränze hier bis zum Ural, dem Kaspischen Meer,
und zum Kaukasus vorgerückt ist, wird in Süd-, Nord-, Ost- u.
Mittel -E. unterschieden, ohne bey den einzelnen Staaten und
Ländern weiter auf natürliche Gränzen einzugehen; Asien wird
in Nord-, Ost-, Süd-, West- und Mittel -A. und die Inseln; Afrika
ebenfalls in Nord-, West-, Süd-, Ost-, Binnen- Afrika u. die Inseln ;
Amerika in Nord - und Süd - A. und West - Indien, und Australien
Selten : Hodcgctisches Handbuch der Geographie. 103
in tlas Kontinent, in die grössern einzelnen Inseln, und in die
weiter nach Osten und NO. zerstreuten Inselgruppen abgetheilt.
3tes Lehrst.: Von den 5 Weltmeer estheilen. Hier wird zu-
nächst im § 18, Meeresgrund , Meeresrand und Meeresspiegel,
das Nöthigste aus der physischen Geogr., soweit solche das
Meer betrifft, nachgeholt, dann jedes der 5 Hauptmeere nach sei-
ner Ausdehnung und seinen IN ebentheilen beschrieben.
4tes Lehrst. : Von den Erzeugnissen. Diese werden ß) in
Natur- und Kunst-, b) in See- und Land- und c)in animalische,
vegetabilische u. mineralische Produkte unterschieden, und hier-
auf näher angegeben ;wobey auch die diesen Abschnitt betreffen-
den Gegenstände aus der physischen Geogr. eingeschaltet sind.
5tes Lehrst. : Von den Erdbewohnern oder den Menschen,
in welchem folgende Sätze behandelt sind : a) Herrschaft über
den Erdboden; b) Religion (die Schamanische Rel. ist nicht bloss
in Japan, sondern auch in Manschurey einheimisch) ; c) Geistes-
bildung (wo die Nationen in Hirten, ansässige und gebildete
unterschieden werden); d) Körperbildung, welcher auch die in
neuerer Zeit angenommenen 5 Hauptrassen zu Grunde gelegt
werden; e) Völker und Sprachen; f) Staaten.
6tes Lehrst.: Von der Gestalt des Erdbodens, oder von
den Höhen und Tiejen. Hier kommt in § oben und unten auch
die Lehre von den Gegenfüsslern, Gegenwohnern und Neben-
wohnern vor. Nun folgen die Abschnitte: das Meer als Grund-
fläche aller Höhen; die Flüsse als Tiefenlinien oder Wasser ivege,
wo auch von den Mineralquellen gesprochen wird; Hauptströ-
me in den 5 Erdtheilen; Binnen- oder handseen (wo statt des
Champlain See's weit eher der Sklaven- und der Winnipek - See
hätten genannt werden sollen) ; Wasserscheide oder Höhenlinie;
Bodengestalt und Bodenhöhe , wo der ganze Er d räum in Ge-
birgsland, Hochland, Tiefland und Stufenland abgetheilt wird ;
Bildung der Gebirge ; Verzeichniss der Hauptgebirge , die wir
auf der Erde kennen ; wo bey Europa zwar dieApenninen u. der
Hämus (der liier zwischen dem Schwarz, u. dem Ionisch, u. Adria-
tisch. Meere ausgedehnt wird) als Hauptgebirge dargestellt, die
Gebirge im Innern Spaniens , die Gebirge Grossbritanniens, die
Sudeten, der Ural aber ganz mit Stillschweigen übergangen wer-
den. Die Karpathen sind, nach dem Verf., ein schmales
kurzes Gebirge mit einem desto ausgedehnteren Hochlande, lie-
ber die Gebirge Asiens sagt er sehr zweckmässig: „Hier können
nur die bekannteren unter den Hauptgebirgen nahmhaft ge-
macht werden, da mehr als der halbe Erdtheil, und zwar die
rechten Gebirgsländer, noch zu wenig von den Europäern gese-
hen und beschrieben sind." Nachdem er nun den Ural, den
Kaukasus, Taurus, Libanon, die Ghates, den Himalaja und den
Altai genannt hat , fährt er fort: „Die alten Nahmen: Imaus,
Emodus, wie auch die neuem Nahmen: Mus-dag, Mussart, Be-
104 Geographie,
lur, Hindukusch, Kantaisse, Bogdo-Oola u. s. w. , welche de»
Gebirgen in N. der Ost -Indischen Landesgränze (besser Hoch-
oder Mittel - Asiens) gegeben werden , bleiben hier ungenannt,
weil unsere vermeintliche Kenntniss von ihnen so gut wie gar
keine ist u. s. w." Mit diesem offenen Bekenntniss werden ge-
wiss die meisten Geographen vom Fach zufrieden seyn ; dage-
gen werden sie tadeln, dass der Verf., weil er den Altai nur auf
die Südgränze des westlichen Sibiriens beschränkt, die Ost-Si-
birischen Gränzgebirge, nähmlich die Sajanischen, Baikalischen,
Nertschinskischen und Ochozkischen Geb., ganz unerwähnt ge-
lassen habe. Ebenso nennt er bey Afrika den Atlas, die Abes-
sinischen Alpen und das Kong-Geb. und rechnet die Mondsge-
birge und denLupata zu den Dingen, über welche die Geogr. erst
noch mehr befriedigendcBerichte abwarten muss. Auch bey Ame-
rika führt er nur die Andes und die Apalachen an, und bemerkt
dabey : „Ein weitläuftiges und hohes Gebirge in Brasilien, und
die lange hohe doppelte Bergkette, welche das westliche Nord-
Amerika von S.S.O. nach N.N.W, durchzieht, haben noch kei-
nen Nahmen in der Erdbeschreibung." Letztere ist ja, nach
der allgemeinen Annahme, ein Theil der Südamerikanischen
Anden. Sie hat zwar strichweise verschiedene IN ahmen, doch
scheint der : Felsengebirge (Rocky-Mountains) immer allgemeiner
zu werden. Die Leser werden also gleichwohl noch das Lan-
deshaupt im nördlichen und das Chiquitos - Geb. im südlichen
Amerika vermissen.
7tes Lehrst. : Von dem vulkanischen oder unterirdischen
Feuer, wo der Verf. sowohl die vulkanischen Räume unter der
Erdoberfläche, als auch die vulkan. Ausgänge auf die Erdober-
fläche, und die vulkanische Gewalt gegen die Erdoberfläche
berücksichtigt. Unter den Europäischen Vulkanen sind aber
Stromboli und Vulcano unerwähnt geblieben.
8tes Lehrst.: Von der Luft, wo die Gegenstände: Luft-
kreis, Lufterscheinungen, Luftströme oder Winde, Klima,
Wärme und Kälte , Schneelinie, und Zonen und Klimaten näher
beleuchtet werden.
9tes Lehrst.: Von dem Sonnenlichte , in welchem die Ar-
tikel: Licht- und Schatten -Wechsel, Tageszeiten, Erdbahn,
Himmelskugel, Jahreslauf, Tages- und Nachtlängen, Licht-
klima und Zonen vorgetragen sind.
2te Abtheilung. (S. 78 — 154.) Diese begreift die Länder-
Beschreibung , und ist keineswegs in Lehrstücke oder Kapitel,
(was doch wohl der Konsequenz wegen sachgemäss gewesen
wäre,) sondern nur in §§ 62 abgetheilt, von welchen 33 auf Eu-
ropa, 8 auf Asien, 7 auf Afrika, 11 auf Amerika , und 3 auf
Australien fallen.
Europa. Der Flächenraum wird zu 175,000 □ M. , die Po-
pulation aber nur zu 185 31111. , also um 31 bis32Mill. zu gering
Selten: Hodegctisches Handbuch der Geographie. 105
angegeben. Die einzelne» Staaten werden nach ihrer geogra-
phischen Lage, nach Umfang, Gränzen, Flächenraum, Ober-
fläche, Boden, Klima, Bewässerung, Produkten, Einwohnern
und Landestheilen, zwar in gedrängter Kürze, aber ziemlich
befriedigend beschrieben. Nur ist mehrentheils die Topographie
zu dürftig ausgestattet worden, denn sie beschreibt z.B. bey
Portugal nur die Orte: Tavira, Elvas , Setuval, Lissabon, Cin-
tra, jVIafra, Belem, Caldas, Coimbra, Porto (wo nicht ein-
mahl der neuen Stadttheile gedacht wird) und Braganza, also
nicht einmahl Braga,Viana, Ovar, Vizeu, Santarem, Evorau. s. w.
— SpanieJi. Das Gebirgssystem ist ziemlich richtig angegeben,
nur das Guadalupe-Geb. wird nicht erwähnt. Die Volkszahl
ist zu 10 Mill. , also zu niedrig angeschlagen. Wenigstens in
Katalonien hätten noch die Fabrikstädte Rues, Mataro und
Olite aufgenommen werden sollen. Gibraltar ist mit 4000 Einw.
abgefertigt worden. — Italien. ImOesterreich.KR. Lombardey-
Venedighatd. Verf. mehrern Städten ganz veraltete Volkszahlen
bey gesetzt. So hat hierVenedig noch 150,000,Brescia noch 40,000,
dagegen Verona nur 40,000, Padua nur 28,000, Mantua nur 20,000,
Lodi nur 12,000 Einw. Nach den Städten Vicenza, Udine,
Chiozza , Treviso , Bassano , Crema u. s. w. sieht man sich ver-
gebens um. — In Piemont sind nur Turin und Aosta nahm-
haft gemacht. Im Kirchenstaate hätten wenigstens noch Peru-
gia, Civita vecchia, Urbino, Sinigaglia und Rimini die Aufnah-
me verdient. In Neapel beschränkt sich die ganze Topographie
auf die Hauptstadt, Taranto, Capua und Gaeta, und auf Sizi-
lien auf Messina, Catanea, Syragossa und Palermo. — Euro-
päische Türkey. Sie soll eins der höchsten Länder Europa's
seyn, obgleich der Verf. weiter unten selbst berichtet, dass im
N. der Donau und an ihrer Mündung ausgedehntes Tiefland zu
finden sey. Aber auch ein Theil der Westküste Griechenlands
ist ja niedrig und sumpfig. Die Türkey wird übrigens nach ih-
ren alten Bestandtheilen dargestellt. — Livadien hat hier nur
275 O M-, was offenbar zu wenig ist. Ebenso scheint auch das Areal
Makedoniens zu 720 □ M. etwas zu gering geschätzt worden zu
seyn. Konstantinopel hat800,000 und Philippopel 120,000 E.erhal-
ten. — Ungar /« ist liier nur mit 4000 [JM. und mit ?■§■ Mill. E. ange-
setzt. Das Karpathische Gebirge bekommt nur eine Länge von
10 M., das Karpathische Hochland aber von mehr als 100 M.
Also verdienen die 6 — 8000 F. hohen Gipfel der Karpathen in
Siebenbürgen , das der Verf. selbst eins der höchsten Länder
in Europa nennt, keineswegs den Nahmen Gebirg? Pressburg
wird hier als Festung bezeichnet, Ofen aber nicht; was doch
umgekehrt seyn sollte. — Ungarische Nebenländer , Slavo-
nien , Kroatien , Dalmatien , und Siebenbürgen , mit Einschluss
der Militärgränze, die aber hier mit keiner Sylbe erwähnt wird.
Galizien hat hier erst 3,800,000 Einw. und soll nicht einmahl Obst
erzeugen. Rez. hat aber immer gelesen , dass es zwar aller-
106 Geographie.
hand Obstarten, aber aus Mangel an Betriebsamkeit nicht in aus-
reichender Menge erzeuge. — Preussen. Die 3 nicht zu Deutsch-
land gehörigen Prov. haben hier erst 2,200,000 Einw. bekom-
men. — Deutschland. Den meisten grössern Nebenflüssen der
Hauptströme sind ihre bedeutendem Zuflüsse beygesetzt, nur
der Moldau widerfährt diese Ehre nicht. Bey der Oder fehlen
die Bartsch und die Peene. Auch die Küstenflüsse Ems, Jahde,
Eyder, Trave, Warnow, Persante, Stolpe u. s. w. sind ganz
und gar vergessen worden; ebenso die Landseen und Moorstri-
che. Bey den Städten der PreussischenProv. ist häufig in Par-
enthesi der Nähme der vorigen Prov. beygesetzt, und insonder-
heit bey einigen der vor dem J. l815zumKR. Sachs, gehörigen das
Wort Kursachsen. Aber Sachsen war schon seit 1807 kein Kurf ür-
stenthum mehr. — Bey Hannover hätte das Niederstift Mün-
ster besser die Standesherrsch. Meppen genannt werden sollen.
Auch fehlt der Kreis Emsbüren ganz. — Beym KR. Sachsen ist
sowohl der Flächenraum (300 DM.) als die Volksmenge
(1,-450,000 Einw.) etwas zu hoch angeschlagen. Es war übrigens
vor dem Jahre 1814 nicht fast, sondern mehr als noch einmahl
so gross. — Lippe und Schaumburg werden noch Grafschaf-
ten genannt. — Saalfeld im Lande der Sächsisch Ernestini-
schen Linie ist nicht Altenburgisch, sondern jetzt Meiningisch.
— In F. Waldeck ist nicht die Hauptstadt , aber der Badeort
Pyrmont nahmentlich angeführt. — Böhmen und Mähren wer-
den im § 79 und die übrigen Oesterreichischen Prov. in Deutsch-
land im § 80 als 2 für sich bestehende Länder beschrieben. Wa-
rum sie aber nicht unter einem gemeinschaftlichen Titel in einen
Abschnitt zusammenzogen worden sind, kann Rez. nicht einse-
hen. — Schweiz. Das Land ist kaum zur Hälfte bewohnbar.
Der Rhone ist hier überall ein Femininum. — Frankreich. Hier
sagt der Verf. S. 135: „Die Nahmen und Lage der Gebirge, wie
auch Nahmen, Quellen, Lauf und Mündung der Flüsse, wer-
den durch die Benennung der Departements kenntlich gemacht,
ausgenommen 1) das inländische Gebirge, die Sevennen, zwischen
Lyon und Toulouse, am südöstlichen Rande des Auvergner Hoch-
landes, 2) die Flüsse Adour, Dürancee, III, Sarre, Sambreund
Scheide.'4 Diese Annahme ist wohl nur zum Theil wahr. Das
Dept. Isere liegt doch wohl auch grössten Theils innerhalb der
Alpen , und trägt demungeachtet von einem Flusse den Nah-
men. Die Gebirge Wasgau und Ardennen sind nicht bloss auf
die Depart. d. N. beschränkt; ebenso wenig der Jura auf das
nach ihm benannte Depart. Und geht bey den nach Flüssen
benannten Prov. immer dessen Grösse, der Laufund die Mün-
dung dieser Flüsse hervor'? Der Leser denke nur an das Depart.
Saone- Loire, Loiret, Loir-Cheru. s. w. Das Reich wird nach
der alten Eintheil.in 20 Prov. abgehandelt u. die Nahmen der De-
part. sind nur in Parenthesi beygesetzt. — Niederlande. Hier hat-
Selten: Hodcgctischc9 Handbuch der Geographie. 107
ten die ausgedehnten Torfmoore angemerkt werden sollen, so
wie auch die Seen Hollands. — Ostende, Dornick, Kortryck,
Yperjii und andere beträchtliche Städte sind nicht aufgenom-
men worden. — Gross - Britannien. Das Gebirgssy stein ist
ganz mit Stillschweigen übergangen, und unter den Kanälen
bloss der Bridgewatersche genannt worden. Leeds, Sheffield,
Norwich, Nottingham und viele andere merkwürdige Orte sucht
man vergebens. In Schottland findet man bloss Edinburgh mit
Leith , Glasgow, NewAberdeen, und Inverness, und in Ireland
nur Dublin, Belfast, Limerik und Cork. — Dänemark. Es
soll aus lauter Tiefland bestehen. Aber der Verf. hat dabey
wahrscheinlich nicht an den hohen , sandigen Haidestrich, der
das Innere der ganzen Halbinsel durchstreicht, gedacht. —
Schweden. Die allgemeine Schilderung ist gar zu' dürftig aus-
gefallen. — Russland, mit Einschluss von Pohlen und des
v\eiten Landesstrichs in SO., in W. des Ural und in N. des Kau-
kasus = 80,000 D AI. mit 55 Mill. Einw. Der Wolchowsche
Wald soll sich bis auf 3000 F. hoch erheben. Das Reich wird
hier nur in Nord-, Mittel- und Süd -Russland zerlegt.
Asien. (S. 155 — 168.) Nord- Asien oder Sibiriens
250,000 D M. mit 4 Mill. Einw. — Sehr richtig bemerkt der
Verf., dass der Russ. Antheil an Daurien (der Kreis Nert-
schinsk) und das Land am Uralstrome nicht die Sibirische Lan-
desnatur haben. — Tungus e nland , wobey behauptet wird,
dass Tschokanach neuern Entdeckungen (nach welchen?) eine
wirkliche Insel sey. — Korea, in 4 Zeilen abgefertigt. —
China. Diess wird hier sehr richtig ein sehr grosses, übermäs-
sig in 0. bevölkertes, in W. unbekanntes Land genannt. — Ja-
pan, auch nur in 12 Zeilen beschrieben. — Thibet, wobey
nur der Dalai-Lama erwähnt wird. — Mongolenland ; — Bu-
charenland, wohin nicht bloss die Chinesische Prov. Turf an,
sondern auch die s. g. grosse Bucharey und die zu Afghanistan
gehörige Prov. Balkh gerechnet wird — Tatarenland , (das
heutige Turkestan.) — Asiatische Türkey, ohne allgemeine
Schilderung des Ganzen sofort nach seinen Bestandteilen (Na-
tolien, Syrien, Mesopotamien, Babylonien, Assyrien, Arme-
nien und Georgien) abgehandelt. — Russisches Gebiet auf der
Südseite des Kaukasus , hier bloss aus Mingrelien, Grusinien,
Schirwan und Daghestan bestehend. — Arabien. Hier heisst
es: „Arabien ist das wasserärmste Land in Asien, durch weite
Wüsten unzugänglich, (doch nicht von der See aus '?) daher aber
auch unbekannt. Kein Regen, keine Flüsse, kein urbarer Bo-
denu.s.w.l !! Jeder Leser wird diess als Uebertreibungen an-
erkennen, und diese sollen in einem Lehrbuche sorgfältigst ver-
mieden werden. Bemerkenswerth ist , was hier der Verf. über
den ursprünglichen Jordan -Lauf zwischen dem Todten Meere
und dem Busen Aila sagt. — Persien, die Reiche Iran, Af-
108 Geographie.
ghanistan und Beludschistan umfassend. — Indien. Im Ar-
tikel Vorder -Indien hat sich beym Strome Indus ein sonder-
barer Irrthum eingeschlichen. Denn der Punjund (wohl rich-
tiger Puujab oder Pentschab) ist nicht der Nähme eines
Nebenflusses, sondernder einer von 5 Nebenflüssen des Indus
bewässerten Landschaft, die zur Prov. Lahore gehört. Und
diese 5 Flüsse fallen theils dem Sedletsch (Seetuledge) theils ein-
zeln dem Indus selbst zu. — Kaschmir wird hier zu Ost-Indien
gerechnet. Eben so gut hätten dann aber auch , wenn einmal
natürliche Gränzen gelten sollen , die meisten Prov. von Afgha-
nistan , soweit solche zum Stromgebiet des Indus gehören, hie-
her gezogen werden sollen. — Von der Westküste sollen die
Britten nur einen kleinen Theil besitzen. Diese Angabe hatte
wohl noch vor dem J. 1817 so ziemlich ihre Richtigkeit ; seit-
dem haben die Britten aber auch den ganzen Küstenstrich , so
weit er zum westlichen Mahrattenreiche gehörte, zu ihren un-
mittelbaren Besitzungen geschlagen. Auch müssen die Nieder-
länder unter den Nationen, die hier Etablissements haben, ge-
strichen werden. — Gar zu kurz sind die Asiatischen Inseln
behandelt.
Afrika. (S. 169 — 179.) Berber ey und Marokko — Sahara
und Aegypten. Erstere hat hier einen Flächenraum von
100,000 DM., worin 50 grössere u. kleinere Oasen. — Senegam-
bien, Ober-Guinea, Nieder-Guinea, Kapland, Kaffernland, Ostkü-
stenländer — Habesch. Die Einw. sind nicht durchgängig Chri-
sten, sondern es giebt hier auch viele Muhamedaner und Fetisch-
anbeter. Die Reiche , in welche das Land gegenwärtig zerfal-
len ist, werden nicht nahmhaft gemacht. Nubien, Hoch-Sudan,
Nieder -Sudan, Afrikanische Inseln.
Amerika. (S. 179 — 194.) Nord- Amerik. Bundesländer.
Louisiana besteht nicht bloss aus den 2 Gebieten Arkanjas und
Missuri, sondern auch aus den 2 wirklichen Staaten Louisiana
und Missuri. Uebrigens wird auch hier Mitschigan als der
25ste Staat aufgezählt, der diess seit dem J. 1824 seyn soll. —
Brittisches Nord- Amerika. Die Insel Amelia ist zu Ende der
Bermudas -Inseln genannt, hätte aber richtiger bey den Nord-
Amerik. Fr. -St. angeführt werden sollen. — Labrador und
Grönland. — Freystaaten Mexiko und Guatimala. Warum
Kalifornien unter einer besondern Nummer aufgeführt, und
nicht bey Mexiko mit beschrieben worden ist, davon kann Rez.
keinen Grund angeben. Unter den Städten hätten doch wenig-
stens Puebla, Queretaro und Tlascala die Aufnahme verdient.
— Nordwest - Küstenländer . — Binnenländer. — Süd- Ame-
rika. Vier neue Freystaatengebiete : I) Columbia.* S. 188heisst es
bey Quito: „um Quito, wo seit dem letzten vulkanischen Ausbru-
che sich das Klima sogar fortdauernd schlecht erhält." Was
will der Verf. mit dem Worte: schlecht hier sagen? — 2) Peru;
Selten: Hodegctisches Handbuch der Geographie. 109
3) Chüe, und 4) la Plata. Dass letzteres gegenwärtig in 3 Staa-
ten zerfallen ist, davon schweigt der Verf. ganz. — Brasilien,
eingetheilt in eigentliches Brasilien , Paraguay Portugisischen
Antheils, Amazonenland , und Guiana ebenfalls Portugis. An-
theils. Olinda heisst nicht die heutige HSt. von Fernambuco
sondern Fernambuco oder Recife. — Französ., Niederländi-
sches und Brittisches Südamerika. — Patagonien mit den In-
seln. Der auffallende Mangel an Waldungen wird nur auf der
Ostküste wahrgenommen, denn die Westküste, vornehmlich das
Land der Araukanen ist mit dichten Waldungen bedeckt. —
West-Indien, ßarthelcmy soll jetzt nicht mehr Schwedisch,
sondern Brittisch seyn. Bey Porto ltico ist nicht einmahl der
IN ahme der HSt. genannt.
Australien. (S. 195 — 198.) Das Australische Kontinent.
Vom neuern passendem Nahmen: Australland, weiss der Verf.
noch nichts. Auch wird noch nichts von den neuen in DJ. von
Port Jackson gemachten Entdeckungen und neuen Etablissements
gesprochen , sondern nur kurz die im Jahre 1813 gelungene Ue-
bersteigung der blauen Berge berührt. Aber der angetrof-
fene Fluss strömt nicht zur Küste, sondern ins sumpfige Innere.
Bey Neu - Guinea hätte bemerkt werden sollen, dass es, den
hohen , steilen Küsten nach zu urtheilen , als ein Hochland an-
gesehen werden müsse. Von den kleinern Inselgruppen sind
nur die vorzüglichsten aufgenommen. Die Sandwichs - Inseln
erhalten hier 310 □ 31. und 750,000 Einw.
Nur bey den Europäischen Staaten und bey den vorzüglich-
sten Inseln findet der Leser Angaben über Arealgrösse und Volks-
menge, zwar gewöhnlich in runden Summen; doch mag diess
Rez. bey dem beschränkten Baume und bey dem Hauptzwecke
des Buchs nicht tadeln. Aber ein Uebelstand ist es, dass der
Verf. bey den übrigen Erdtheilen so karg mit diesen Angaben
gewesen ist. Dass ferner die Topographie hier ungemein dürf-
tig ausgefallen , und dürftiger als in andern Werken von glei-
chem Umfange , wird man schon aus den bey einigen Ländern
angegebenen Beyspielen abnehmen können, so wie dass die fast
bey allen Orten beygefügte Einwohnerzahl (die natürlich auch
nur in runden Summen besteht) bald auf neueren bald auf älteren
Zählungen beruht. Dass endlich in einem solchen Buche wirk-
liche statistische Angaben, so wie die Nahmen der Herrscher
nicht aufgenommen worden sind, wird wohl Niemanden be-
fremden.
Diess ist nun der Inhalt vorliegender hodegetischen Schrift,
von welcher ihr Verf. in der Vorrede so viel Besonderes be-
hauptet. Fragt nun aber der Leser, worin dasjenige, worauf
ein Lehrbuch sich nicht einlassen könne, und was desshalb hier
zunächst und eigends dargestellt worden seyn solle, eigent-
lich bestehe ? so muss Rez. die Antwort schuldig blei-
110 Geographie.
ben; denn er hat, so gut als dieLeser, im ganzen Werke nichts
Neues und Unerwartetes angetroffen. Der ganze Unterschied
dieser Schrift von den meisten geogr. Lehrbüchern gründet
sich darauf: dass hier das Allgemeine vom Besondern streng
geschieden, und dass insbesondere in der Einleitung nur diema-
themat. Geographie abgehandelt, die physische hingegen
überall mit den Grundzügen der politischen vermischt und in
unmittelbaren Zusammenhang gebracht worden ist. In Hin-
sicht der Sonderung der generellen von der speziellen Geogra-
phie stimmt diess Buch also im Ganzen mit Nr. 3 überein , und
so bleibt dem Verf. nur noch die Verschmelzung der physischen
und politischen Geographie eigen.
Noch wird der Leser vielleicht wissen wollen, warum der
Verf. so eifrig dabey auf den Gebrauch derLandcharten dringe,
ja zugestehe, dass das Buch ohne solche unbrauchbar sey?
Auch darauf weiss Rez. nicht viel zu antworten. Denn dass
beym Unterricht in der Geographie Landcharten nicht füg-
lich entbehrt werden können, ist eine längst bekannte Sache;
dass sie aber hier doppelt unentbehrlich seyn sollen, kann Rez.
nicht gut einsehen. Es müsste denn seyn wegen der Bestim-
mung der Gränzen , die hier häufig von Punkt zu Punkt ange-
geben sind , die man folglich allerdings auf der Charte nach-
sehen muss; wegen der Eintheilung der Länder in Gebirgs-,
Hoch-, Tief- und Stufenland, über welche die Charten auch
die beste Auskunft geben können ; so wie wegen der bey den
aussereuropäischen Erdtheilen hin und wieder eingeführten Zu-
sammenziehung mehrerer Staaten und Gebiete in ein Ganzes,
und wegen der folglich auch unter einander gemengten Be-
schreibung der Orte dieser Staaten.
Rez. bekennt nun nach den vorausgeschickten Bemerkun-
gen unverhohlen, dass er auch die hier vorgeschlagene Lehr-
methode für zweckmässig und empfehlenswerth halte. Dabey
möchte er indessen den Rath ertheilen , dass das 2te und Ste
Lehrstück nicht in der vorgeschriebenen Ordnung, sondern erst
zum Schlüsse vorgenommen werden möchten, so dass man auf
das lste sogleich das 4te folgen lässt.
Papier und Druck sind gleich lobenswerth. Es ist daher
zu beklagen , dass Druckfehler sich in nicht ganz unbedeuten-
der Zahl eingeschlichen haben. Auch werden die Leser ein
Register vermissen und das blosse Inhaltsverzeichniss nicht
ausreichend finden.
No. 6. Der im Fache der Geographie so unverdrossen ar-
beitende Hr. Verf. lässt von seiner Meinen Geographie , von
welcher die erste Auflage im Jahre 1808 die Presse verliess,
schon die 16te Aufl. ans Licht treten , und versichert in der
Vorrede, dass in derselben kein § ohne bedeutende Verbesse-
rungen geblieben sey. Rez. hat nun zwar gerade mehrere der
Stein: Kleine Geographie. 111
vorhergehenden Auf lagen nicht zur Hand, doch darf er dieser
Versicherung schon um desswillen Glauben beymessen, weil der
überall sichtbare Fleiss, womit fast alle politischen Veränderun-
gen sowohl als auch alle neuen Entdeckungen berücksichtigt
worden sind, einen sichern Beleg zu dieser Versicherung liefern.
Obschon nun der Verf. auch in dieser Auflage nicht von
seinem frühem Plane abgewichen, und dieser Plan, — wie
schon als allgemein bekannt vorausgesetzt werden darf, — ganz
dem älternldeengangehuldigt,nach welchem erst die vornehmsten
Lehrsätze aus der mathematischen und physischen Geographie
entwickelt und dann die Erdtheile in gewohnter Reihenfolge in
politischer Hinsicht beschrieben werden; so hat doch dieses
Werk trotz des Mangels an Vorschlägen zu neuen verbesserten
Lehrmethoden und ungeachtet der so zahlreichen Concurrenz
mit noch, jedoch einzig und allein wegen geringerer Bogenzahl,
wohlfeilem Lehrbüchern in Zeit von 19 Jahren 16 Auflagen
erlebt, was doch wohl für den innern Werth und die hoheBrauch-
barkeit desselben sprechen muss.
Auch wird die nähere Beleuchtung desselben den Leser
sattsam überführen, dass es unter allen hier beurtheilten Wer-
ken das reichhaltigste und vollständigste , so wie auch in Ver-
hältniss zur Bogenzahl das wohlfeilste sey.
Die Einleitung (S. 1 — 20) beschäftigt sich nach Erklä-
rung des Begriffs der Geogr. und deren Hülfsmittel in 21 §§ mit
der mathematischen und in 8 §§ mit der physischen, so wie in
1 §§ mit den allgemeinen Umrissen der politischen Geographie.
Erstere hätte freylich etwas vollständiger und gründlicher dar-
gelegt werden können. Denn dass , wie gleich § 1 beginnt,
die Erde ein Planet sey und sich um die Sonne bewege , durfte
wohl nicht so apodiktisch hingeworfen, sondern musste erst be-
wiesen werden. Auch hat hier der Uranus statt 8, erst 6 Monde
erhalten. — S. 11 wird der Gehalt der ganzen Erdfläche zu
2,392,853 □ Meilen berechnet, von welchen 2,332,000 bewohn-
bar seyn sollen. Allein welchen Maassstab hat der Verf. bey
der Bewohnbarkeit zu Grunde gelegt*? Wahrscheinlich erklärt
er bloss diejenigen Landmassen, welche unter ewigem Schnee
und Eis begraben liegen, für unbewohnbar. Aber schon die
nördlichen Polarländer haben wahrscheinlich einen Flächen-
raum von mehr als 70,000 □ Meilen. Sollten nicht sämmtliche
Landseen, Teiche, Flüsse des Erdballs u. s. w. einen Flächen-
raum von 50 — 60,000 □ Meilen bedecken? Wo kommen nun
die wirklichen so ausgedehnten Sandwüsten Afrika's und Asi-
ens hin ? Und müssen nicht auch die in die Schneelinie hin-
ausreichenden Gipfel der Hochgebirge hieher gerechnet wer-
den? Also ist die Ausdehnung des bewohnbaren Theils der
Erdoberfläche offenbar zu hoch angeschlagen worden. Auch
wird hier ferner der Hochebenen (Plateaus) mit keiner Sylbe
112 G eographie.
gedacht, sondern die ganze Erdoberfläche nur in Bergstriche
und flaches, ebenes Land unterschieden. — Nicht bloss nach
den Graden der Höhe zeigt sich auf den Gebirgen üppiger
Pflanzenwuchs, sondern auch nach ihrem sanftem oder steilern
Abfall. Denn wie häufig finden sich nicht selbst in Deutsch-
land niedrige nackte Flözgebirge, nur mit höchst sparsamen
Pflanzenwuchs bekleidet? — Auch die Erklärung der Step-
penstriche, d. i. Land, in dem kein Gesträuch, kein Baum fort-
kommt, möchte Widerspruch finden. Denn es sollte vielmehr
heissen: zu finden ist. Diese Steppenstriche sind ja häufig der
Kultur empfänglich, und selbst zum Anpflanzen von Obst- und
Waldbäumen geschickt. Auch der grosse Steppengürtel, den
der Verf. in Form eines K^a^J von den höchsten Andenspitzen
Süd - Amerika's , der Bergplatte von Tschimborasso und Anti-
sana längs des linken Ufers des Orinoko nach Afrika durch die
Sahara, und von da nach Asien durch die Arabischen Wüsten,
durch dieDschesiraund dieGedrosia zum Gipfel der alten Welt,
dem Himalaja zieht, möchte Vielen nur ein Spiel der Phantasie
dünken, da die nichts weniger als unfruchtbaren, hin und wie-
der selbst gut bewässerten Savannen oder Llanos Kolumbiens
doch wohl nicht mit den so furchtbaren Sandwüsten der Sa-
hara und Arabiens in Parallele gestellt werden dürfen. — Der
Verf. nimmt nicht weniger als 3,064 Sprachen (wohl richtiger
Dialekte) nähmlich 987 Asiatische, 587 Europäische, 276 Afrika-
nische und 1214 Amerikanische an. Wo bleiben aber die Au-
stralischen 1
lste Abtheilung. Europa. (S. 21 — 207.) Areal 153,865
□ Meilen innerhalb der altern Glänzen, welche die untere
Wolga Asien zutheilen. Unter den Hauptgebirgen fehlen auch
hier die Spanischen, Französischen, Brittischen u. s. w., und nur
die Pyrenäen, Alpen, Karpathen u. s.w. werden dazu gerechnet.
Einwohnerzahl 210,815,500 S. mit 12 //absprachen. Einthei-
lung in Ost- und West -Europa. — Portugal. Hier hat Rez.
Santarem, Ovar, Vizeu, Aveiro, Viana, Torres Vedras u. s. w.
vergeblich gesucht. — Spanien. Die Gebirge sind noch nach
der alten Annahme, nicht nach Antillon's oder Bory de S. Vin-
cent's System dargestellt. Auch wird nicht erwähnt, dass das
Innere eine 2 — 3000 F. hohe Hochebene sey. Ausser den
6 Hauptströmen wird weder ein Neben- noch ein Küstenfluss
genannt. Auch wird mit Stillschweigen übergangen, dass die
Fabriken neuester Zeit immer mehr in Verfall gerathen, dass
Handel und fast alle Gewerbe stocken , und dass selbst der
Ackerbau in allen Provinzen sich im kläglichsten Zustande be-
finde. Madrid hat nur noch 114,000, Barcellona nur noch
98,000, dagegen Sevilla noch immer 96,000, Valencia 106,030,
Granada 66,661, Malaga 52,376, Cadix 70,000, Zaragossa
55,000 Einw. u. s. w. Die Topographie ist auch sehr flüchtig aus-
gewählt, denn sie beschränkt sich z.B. bey Grauada auf die
Stein : Kleine Geographie. 113
Hauptstadt, Malaga und Almeria , bey Valencia auf die Haupt-
stadt, Alicante, Castellon d. 1. PL und Xativa, bey Katalonien
auf Barcellona, Gerona, Lerida, Urgel, Tarragona, Tortosa
und Cardona. — Frankreich. Hier werden die Landes (jedoch
ohne Angabe ihres Umfangs), und die Crau der Provence, aber
nicht die Kreidehügcl der Champagne erwähnt, leider aber
auch auf die höhere oder geringere Fruchtbarkeit der einzel-
nen Provinzen keine Rücksicht genommen. Auch hier steht
statt der, die Rhone. Volkszahl im J. 1825: 32,192,000 Ein-
wohner. Paris hat mit Einschluss der 80,00t) Fremden 802,000,
Lyon 144,033, Amiens 41,107, Nismes 37,008, Caen 30,604,
Montpellier 35,123, Toulon 30,798, Reimes 29,589 , Besancon
26,388, Brest 26,361, Versailles 27,528, Limoges 24,992,
Orient 17,115, Cherbourg 15,855, Bayonne 13,248, Rochelle
12,327, Pau 11,444, Barle Duc 11,432 Einw. u. s. w. — Die To-
pographie ist zwar vollständiger als in Spanien, doch vermisst
man noch mehrere beträchtliche Städte. — Italien. Areal =
5,7S18 □ Meilen. — Der Montblanc hat hier eine Seehöhe von
14,763 und der Mont Rosa von 14,2 10 F. — Volkszahl 20,253,400
K. — Sardinische Staaten mit 4,168,414 Einw. — Kirchen-
Staat. Rom hat nur 139,847 Einw. — Beide Sizilien. Auch
hier ist die Topographie sehr dürftig. Die Hauptstadt Neapel
zählt ohne 4,213 Fremde, ohne Garnison, 351,754, Palermo
167,505, und Messina 73,000 Einw. — Die Inseln Malta mit
97,629 Einw. — Schweiz. Wahrscheinlich durch ein Versehen
hat hier der Jura seinen Platz zwischen dem St. Gotthard und
dem Simplon gefunden. — Niederlande mit nur 1187 □ Mei-
len und 6,059,506 Einw. Amsterdam hat 200,782, Brüssel über
100,000, Rotterdam 59,000, Antwerpen 60,057, Lüttich
53,512, Brügge 34,248, Doornick 23,256, Haarlem 21,240
Einw. u. s. w. Bey den Prov. Antwerpen und Drenthe ist be-
reits der neuangelegten Armenkolonie gedacht. — Deutsch-
land. Hier hätte Rez. den Gebirgen eine bessere Reihenfolge
gewünscht. Denn hier heisst es : „Die Hauptgebirge sind der
Harz, Schwarzwald, die rauhe Alp, die Rhätischen, Norischen,
Karnischen und Iulischen Alpen , das Fichtelgebirge, der Kah-
lenberg, Birnbäumer Wald" u. s. w. Und nachdem fast alle
Gebirgszüge aufgezählt worden sind , folgt der Satz : „Viele
hohe Spitzen dieser Gebirge starren von ewigem Eis und Schnee."
Wäre es demnach nicht weit schicklicher gewesen, mit den ver-
schiedenen Zweigen der Alpen (unter denen die Alpen im All-
gau dennoch vergessen worden sind,) den Anfang zu machen,
aufweiche auch der Nachsatz von ewigem Schnee und Eis allein
passt, und dann die übrigen Gebirge der Reihe nach, nach
N. zu , folgen zu lassen , so dass der Harz und das Weserge-
birge denBeschluss machten? — Auch die verschiedenen Fluss-
systeme sind nicht mit gehöriger Sorgfalt behandelt. So feh-
Jahrb. f. Phil. u. Fädag. Jahrg. 111. Heft 1. g
114 Geographie.
len bey der Donau die Nebenflüsse: Altmühl, Regen und Traun;
beymlnn: dieSalzach; beymMain: die Rednitz; bey der We-
ser : die Hunte; bey der Aller: die Leine; bey der Elbe: die
Iser, schwarze Elster, Ilmenau und Oste; bey der Saale: Un-
strut, weisse Elster und Bude; bey der Moldau: Sazawa, Be-
raunka, Luschnitz und Watawa, bei der Oder: die Bartsch,
Lausitzer Neisse, der Bober, und die Peene. In der Zahl der
schiffbaren Küstenflüsse, unter denen der Ems der erste Rang
hätte angewiesen werden sollen, fehlen noch Persante und
Stolpe. Des neuen Kanals zwischen d erEins und der Lippe ist auch
noch nicht gedacht worden. — Bevölkerung im J. 1826 32,510,07'!
Einw., wovon 18,490,000 Katliol. 13,280,000 Protest, und Herrn-
huther, 6,300 Mennoniten, 650 Griechen, 250 Armenier, und
290,000 Juden. — Zu den Deutschen Bundesländern Oester-
reichs ist nicht bloss der grössteTheil, sondern das ganze KR.
Illyrien, desgleichen auch das Galizische Ilerzogth. Auschwitz
mit Zator gezogen worden. — KR. Baiern. Flächengehalt
nur 1,382} Q Meilen mit 3,800,000 Einw. München hat 75,000,
Nürnberg 39,557, Ansbach 16,376, Bayreuth 13,986, Fürth
13,728, Passau 10,300, Erlangen 11,580, Schwabach 9,515,
Speier 8,225, Eichstädt 8,075, Ingolstadt 8,050, Hof 7,850
Einw. u. s. w. — KR. Sachsen = 2Til\n Meilen mit 1,273,616
Einw. Dresden hat 72,000 ('?), Leipzig 39,500, Chemnitz
16,000, Bauzeit 11,000, Frey berg 9,100, Zittau 8,000 Einw.
u. s. w. Aber alle diese Angaben beruhen nur auf muthmaasslichen
Schätzungen. — Hanover. Die Hauptst. gleiches Nahmens hat
hier schon 27,517, Hildesheim 12,730, Lüneburg 12,098, Göt-
tingen 9,594, Klausthal 8,227 Einw. u. s. w. — Würtemberg mit
360 □ Meilen, 1,505,720 Einw. Die Hauptst. Stuttgard hat
31,335, Ulm 11,931, Ludwigsburg 9,413, Reutlingen 8,831
Einw. — Baden mit 1,110,000 Einw. und den Städten Karls-
ruhe 18,866, Manheim 19,870, Freyburg 13,055, Heidelberg
11,162, Lahn 5,763 Einw. u. s. w. — Kur -Hessen mit 588,109
Einw. Hanau hat nur noch 9,634, Fulda aber 8,332 Einw.
Gr.- Herz. Hessen mit nur 153 D Meilen und 671,789
Einw. Darmstadt mit 19,982, Mainz (mit der Garnison)
26,589, Giessen 8,030, Worms 7,610 Einw. — S. Weimar
mit 66f D Meilen 216,622 Einw. Weimar hat 9,596, Eisenach
aber nur 7,634 und Jena nur noch 4,840 Einw. — S. Altenburg
mit 23§ G Meilen, 108,000 Einw. Hier fehlen die Städte Ei-
senberg, Schmölln, Roda und Kahle. — Sachsen Meiningen -
Hildburghausen mit 42 Q Meilen, 140,000 Einw. Die letztere
Angabe ist wohl um 7 bis 8,000 Köpfe zu niedrig. Auch wer-
den die Aemter Kamburg und Krannichfeld nicht erwähnt. —
S. Koburg- Gotha mit 48| □ Meilen, 151,400 Einw. — Br.-
Wolfenbüttel mit 236,000 Einw. — Nassau mit 90f D Meilen,
329,424 Einw. — M.-Schiverin mit 224 D Meilen, 430,927
Einw. Rostock zählt 17,398, Schwerin 12,197, Wismar, 8,9S8,
Stein: Kleine Geographie. 115
Güstrow 8,015 Einw. u. s. w. — M.-Slrelitz mit 75,500 Einw.
und die Residenz Neu-Strelitz mit 5,354 Einw. Hier ist die
bedeutende Stadt Friedland ausgelassen worden. Oldenburg
mit 1171 □ Meilen und 240,700 Einw. und die Hanptst. glei-
ches Nahmens mit 6,084 Einw. — Schw.-lludolstadt. Das Zucht-
haus ist nicht mehr in Schwarzburg, sondern im Jahre 1825
von da nacli Rudolstadt verlegt worden. — Die freie Stadt
Hamburg zählte im Jahre 1825 111,720 Einw. — Alle übrige
statistische Angaben sind bereits allgemein bekannt. — Preus-
sen. Volksmenge im Jahre 1825 12,205,000 Einw. Unter allen
Ländern erfreut sich hier Prenssen der reichhaltigsten Ortsbe-
schreibung. Denn nur allein im Reg. -Bez. Potsdam sind 41
Städte und Marktflecken und 10 Dörfer ausgehoben worden.
Mehrere Städte zeichnen sich auch durch ganz neue Angaben
der Yolkszahl aus. Es ist daher sehr zu beklagen, dass es dem
Verf. nicht möglich gewesen ist, bey allen Orten dergleichen
hinzusetzen. Die bedeutendsten Städte darunter sind: Berlin
mit mehr als 220,000, Breslau mit 82,284, Köln mit 59,153,
Danzig mit 55,393, Magdeburg mit 30,647, Aachen mit 35,428,
Potsdam mit 29,ff88, Stettin mit 27,020, Elberfeld mit 26,514,
Düsseldorf mit 26,371, Posen mit 24,598, Erfurth mit 21,331,
Elbing mit 20,707, Barmen mit 19,472, Münster mit 17,972,
Krefeld mit 15,945, Trier mit 15,318, Koblenz mit 14,888
Einw. etc. — Oest erreich. Areal 12,1 47| □ Meilen. Volkszahl
31,625,054 Seelen. — Unter den Nebenflüssen der Theiss feh-
len Samosch und Hernath , und unter denen des Po der Oglio.
Der Moldau sind gar keine Nebenflüsse zugetheilt. Unter den
Küstenflüssen mangeln der Bacchiglione und die Livenza. —
l)Erzherzogthum0este>re/cÄ = 701 □ Meilen, 1,906,304 Einw.
Wien mit 280,000, Linz mit 17,243 und Steyer mit 10,135
Einw. — 2) Steyermark — 3091 D Meilen und 829,731 Einw.
Nach dieser Angabe wäre denn die Bevölkerung, die sich von
der im Jahre 1194 gefundenen Summe von 830,000 im
Jahre 1800 bis auf 812,000 vermindert hatte, in den letzten Jah-
ren wieder gestiegen. Die Hauptstadt Grätz hat hier aber nur
29,576 Einw. — 3) Iäyrien = 519} D Meilen, 1,039,175 Einw.
Triest hat hier schon 43,602, aber Laibach nur 9,446, Klagen-
furth nur 9,113, Görz nur 8,898 und Rovigno nur 9,538 Einw.
— Die Stadt Gollseher, der man gewöhnlich 1,600 — 2000
Einw. gab, hat deren nur 617, Idria dagegen statt 3,500, schon
4,139 Einw. — 4) Dcdmatien = 273^ Q Meilen, 323,500 Einw.
— 5) Lombardei} -Venedig (ohne neue statistische Angaben).
Venedig hat hier nur noch 98,000, Padua nur 41,270 und Vi-
cenza nur 28,765, Treviso aber 15,795 Einw. — 6) Tyrol mit
766,738 Einw. Innsbruck hat nur 9,026, Rovereith nur 7,205,
Botzen nur 6,863, Schwaz nur 4,000, Trient aber 10,705, Per-
gen 8,000 und Hall 4,376 Einw. — 7) Böhmen mit 3,698,142
8*
116 Geogr aphic.
Einw. — Bey Aufzählung der merkwürdigen Orte hat sich der
Verf. weder an die Eintheilung in Kreise, noch an ihre Lage
an Flüssen gebunden, sondern sie meist aus allen Theilen des
Landes unter einander geworfen. Hin und wieder wird man
einen bedeutendem Ort vergeblich suchen, z. B. Böhmisch Leipa.
Auch zeichnet sich hier allein Prag mit 107,325 Einw. durch
eine neuere Angabe der Einwohnerzahl aus. — 8) Mähren =■
481|; D Meilen , 1,968,713 Einw. Brunn hat hier schon 35,764
und Olmütz 13,588, Troppau aber nur 9,748 Einw. — 9) Ga-
lizien mit 1,548 Q Meilen und 4,293,448 Einw. Lemberg hat
hier erst 41 ,493 und Brody 16,511 E. — 10) Ungarn mit Slavonien
undÄroa/te» = 4,180} D Meilen mit 9,444,093 E.Pesth hat hier
erst 56,561 , und Ofen 28,500 Einw. Uebrigens zeichnen sich
nur Pressburg mit 29,248, Ketskemet mit 31,339 und Gross -
Wardein mit 17,521 ( ? ) Einw. durch abweichende Bevölke-
rungsangaben aus. — Slavonien hat hier 348,000, und Kroatien
587,766 Einw. auf 172J Q Meilen. Agram ist hier mit 10,000
Einw. abgespeiset. 11) Siebenbürgen = 842| Q Meilen mit
1,825,307 Einw. — 12) Militär grunze = 881 \ D Meilen und
1,010,878 Einw. — Freystadt Krakau. — Brittisches Reich.
London, dessen Beschreibung nicht weniger als 78 enggedruckte
Zeilen füllt , hat 245,000 Häuser und unter seinen Bewohnern
an 200,000 Arme. Der unterirdische Weg unter der Themse
hin ist hier schon als gelungen dargestellt; aber es ist doch
wohl noch eine grosse Frage, ob er je Zustandekommen werde.
— Auch hier hat Harwich nur 3,732 Einw. , dagegen Manche-
ster 165,000, Liverpool 150,000, Birmingham 115,000, Ply-
mouth 70,000, Bath 50,010, Hüll 45,000, Sheffield 65,275,
Aberdeen 50,600, Kilkenny 23,230, Belfast 37,767, Londonderry
9,315 (soll aber wohl heissen 19,315?), Galway 27,775, Water-
ford 28,679 (soll aber wohl heissen 48,679?) Einw. — Däne-
marks 2,8451 D Meilen mit 1,986,223 Einw. Koppenhagen
hat schon 108,627, Altona 23,086, Kiel 10,025, Schleswig
7,823, Aalborg 7,435 Einw. — Schweden und Norwegen zäh-
len jetzt schon 3,774,910 Einw., wovon 2,724,773 auf Schweden
und 1,050,132 auf Norwegen fallen. Bey Aufzählung der Pro-
dukte heisst es: „Getraide seit 1820 hinlänglich, daher man
jetzt nur in einigen Gegenden bey Missärndten Fichtenrinde
und Moos unter das Brodmehl mischt." Stockholm zählt jetzt
73,210, Bergen 20,844, Christiania 20,581 , Drontheim 11,639,
und Christiansand 7,488 Einw. — Russland. Zu flüchtig ist
der Artikel von den Flüssen. Denn bey dem Dnieper werden
nur der Bog und bei der Wolga nur die Twerza und Oka als
Nebenflüsse angefübrt. St. Petersburg hat in 9,500 Häusern
433,374, Moskau in 9,570 Häusern 200,000, Tiflis 33,000, Sa-
ratow 26,744, Simbirsk 13,719 und Tobolsk 19,917 Einw.
Warschau in Pohlen zählt schon 126,433 Einw. Hier findet
der Leser auch schon die neugegründete Bergstadt Konstanti-
Stein: Kleine Geographie. 117
now angeführt. — Zum Schlüsse dieses Abschnitts berichtet
der Verf. , dass die Russisch -Amerikanische Handels -Kom-
pagnie, ohne Antheil der Russ. Regierung, die Halbinsel Sa-
chin, Sachalien oder Tschoka im Ochozkischen Meere (die jetzt
häufig dem Japanischen Reiche beygezählt wird) in Besitz ge-
nommen habe. — Türkisches - Reich. Dieser Abschnitt bietet
nichts Bemerkenswerthes dar. Auch hier ist das Land nach
der beliebten Eintheilung in Ejalets und Sandschaks be-
schrieben.
2te Abtheilung: Asien. (208— 244.) Flächenraum 775,710
□ Meilen, wovon 40,154 auf die Inseln kommen. Für den Haupt-
stamm aller Gebirge wird der Bogdo-Oola unter 85 — 115° L.
35 — 450 n< b. erklärt. Diess kann allerdings wahr seyn. Wer
hat aber das Innere Hoch -Asiens schon so genau erforscht,
dass man auf dessen Autorität diese Hypothese als ausgemachte
Wahrheit vortragen darf*? — Unter den Seen sind die Chine-
sischen ganz ausser Acht gelassen worden. — Die unter die
Hauptflüsse gestellte Seiinga (Selenga), ist ja bloss ein Quellen-
fluss des Jenisei. — Einwohnerzahl nur 480,015,000 Köpfe, wo-
von auf die Inseln 65,824,000 kommen. Sollte man nicht glau-
ben, der Verf. habe in allen Ländern Asiens, selbst in Japan,
im Innern Borneo's, Sumatra's u. s. w. genaue Volkszählungen
veranstalten lassen? — Die Baschkiren werden auch hier, weil
sie einen Tatarischen Dialekt sprechen, der Kaukasischen, die
Hindus dagegen der Mongolischen Hauptrasse zugetheilt.
Letztere gehören aber ihrer Körperbildung nach offenbar mehr
der Kaukasischen Rasse an. Asien wird nur in Nord-, Mittel -
und Süd -Asien unterschieden. — Turkestan. So wird auch
hier sehr passend die freye Tatarey genannt. Die Bevölkerung
von Usbekistan beträgt, nach Meyendorf's Schätzung,
2,478,000 Köpfe. Die Stadt Buchara soll 70,000 und Samar-
kand 50,000 Einw. zählen. — Arabien. Die Naturbeschaffen-
heit dieser ausgedehnten Halbinsel hätte wohl mit etwas mehr
Ausführlichkeit und Bestimmtheit vorgetragen werden können.
Denn es heisst hier bloss : „Einige Gcbirgsstriche ausgenommen,
ist das Land eben, mit vielen völlig nnfruchtbaren Sandsteppen."
Also nichts von denunermesslichen, so furchtbaren Sandwüsten,
die gewiss f der ganzen Oberfläche einnehmen! Auch passt das
Wort Steppe gar nicht auf die ganz nackten und sterilen Sand-
flächen, die sich nur während der kurzen Regenzeit mit et-
was Grün überkleiden. — Bey den Flüssen werden Euphrat,
Wadi sebi und /Vstak genannt, ohne zu erwähnen, dass Ara-
bien das wasserärmste Land Asiens sey. — Bey dem Reiche
der Wahabiten hätte auch berichtet werden sollen, dass neue-
rer Zeit deren Macht durch den Pascha von Aegypten gebro-
chen zu seyn scheine, und dass deren Hauptstadt Drey eh wahr-
scheinlich noch in Trümmern liege. — Persien = 48,795
(5!>,400) □ Meilen. Unter diesem Nahmen hat der Verf. die 3
118 Geographie.
Reiche Iran, Afghanistan und Beludschistan begriffen, was
um so lobenswerther ist , da die Gränzen dieser Staaten unter
sich uns nichts weniger als genau bekannt sind , und deren
ganze Gebiete, mit Ausnahme der Ost- Indischen und Turke-
stanischen Eroberungen, in Ansehung der Naturgränzen nur
ein Ganzes ausmachen. Unter den Flüssen vermisst man den
Gyndes, einen Nebenfluss des Schat elArab. — Bey Iran wird
die Insel Kenn oder Keese als ein seit dem Jahre 1821
bestellender Brittischer Waffenplatz aufgeführt. — Die Afgha-
nen stammen, nach dem Verf., von den Medern ab, weil die
Assakanen zu Alexanders Zeiten ihre Vorältern waren. Ist diess
schon ganz ausgemacht*? — Ost - Indien (hier nur in der Be-
deutung alsVorder-Indien genommen). Areal = 59,535D Meilen.
— üass der Burremputer im Reiche Assam entspringen soll,
darf wohl nur einem Druckfehler zugeschrieben werden, und
um so sicherer, da hier die Länge seines Laufs auf 320 Mei-
len geschätzt wird , und jenes Reich bekanntlich an der N. O.
Gränze Bengalens liegt. Wer hat aber diese Länge schon aus-
gemessen'? — Bevölkerung: 132 Mill. — Die neuere Ge-
schichte der Mahratten könnte etwas umständlicher dar-
gestellt seyn. Denn es wird hier nicht erzählt , dass der grö-
sste Theil der Besitzungen des Paischwah von den Britten zu
ihren unmittelbaren Besitzungen geschlagen, aus dem Ueber-
reste aber das ihrer Oberherrschaft unterworfene Fürstenth.
Sattarah ( Sittarah ) gebildet worden ist , und dass zu gleicher
Zeit die Staaten des Holkar, des Guikowar und von Nagpur
mit Verlust bedeutender Gebietsteile die Oberherrlichkeit der
Ost- Indischen Kompagnie haben anerkennen müssen, und dass
selbst das Reich des Scindia mehrere erhebliche Einbussen an
Land erlitten habe. Endlich sind die Findaren , die doch in
dem letzten Kriege mit den Mahratten eine so wichtige Rolle
spielten, ganz mit Stillschweigen übergangen. — Der Haupt-
stadt des Reichs des Scindia Oogen (wohl richtiger Udschein)
sind nur 30,000 Einw. zugemessen. — In Nepal sollen die
höchsten Berge zu finden seyn. Wenn aber , wie der Verf. in
der Einleitung behauptet, der Bogdo-Oola der Ilauptstamm
aller Asiatischen Gebirge, mithin auch des Himalaja ist, so
steht doch wohl mit Recht zu vermuthen, dass der Hauptstamm
die Nebenäste an Höhe noch übertreffen müsse? — Die Brit-
tisch - Ost- Ind. Komp. hatte im Jahre 1825 20,528,763 Pf. Ster-
linge Einkünfte, 19,737,318 Pf. Sterlinge Ausgaben, 318,176,050
Gulden Schulden, und stüzte ihre Macht im Jahre 1827 auf
280,863 Krieger , worunter 22,000 Mann Europäische Truppen.
— Bey Kochin wird nicht erwähnt , dass der Ort von den Nie-
derländern an die Britten vertauscht worden sey. Ueberhaupt
muss es gerechte Bewunderung erregen, dass der alle politische
Veränderungen so fleissig beachtende Verf. hier den Nie-
Stein: Kleine Geographie. 119
derläiidern noch ein besonderes Gehiet von 37nMe*'e'1 Imt
110,000 Einw. angewiesen Jiat. Dass aher die Besitzungen
der Franzosen , Dänen und Portugiesen als besondere Gebiets-
teile beschrieben werden, wird jedermann als zweckmässig
erkennen. — Binder - Indien = 40,020 □ Meilen, 36MÜL Einw.
ßirman = 13,000 n Meilen, OiMill.Eiuw. Ohne des vor kurzem
beendigten Kriegs zwischen diesem Reiche und den Britten mit
einem Worte zu erwähnen, werden zum Schlüsse des Artikels
die au die Britten abgetretenen Prov. aufgezählt. Auch wird
schon von der neuen, im Jahre 1820 von den Britten an der
Mündung des Flusses Martaban gegründeten Stadt Amherstown
gesprochen. — Slam. Die heutige Ilauptst. ist nicht Si-yo-thiya,
sondern Bankasuy oder Bankok mit 150,000 Einw. — Das Ge-
biet Malakka wird auch hier noch den Niederländern zugetheilt.
— Anum. Unter den Einw. rechnet mau schon 380,000 kathol.
Christen. — Ost -Indische Inseln. Bey Sumatra wird zwar das
vormahls Brittische Fort Marlborough (ohne jedoch des Nah-
mens Benkulen zu gedenken,) als eine seit dem Jahre 182-1 den
Niederländern gehörige Besitzung angeführt , ohne jedoch zu
sagen, was die Britten dafür eingetauscht haben. — China,
Areal 218,300 G Meilen mit 179 (?) Mill. Einw. — Die grosse
Mauer empfängt hier eine Länge von 711 (*?) Meil. und geht
über 2 — 300 (soll avoIü heissen 2—3000) Fuss hohe Berge.
Das eigentliche China enthält 01,138 □ Meilen und zählt (im
eigentlichen Sinne) 140,280,143 Menschen, worunter im Jahre
1820 40,287 Christen. Von wem hat nun der Verf. diesen an-
scheinend so genauen Volkszensus'? Ist es überhaupt bey der
Verfassung dieses Reichs möglich, dass an eine vollständige
Volkszäblung gedacht werden dürfe? Und wenn ja hier wirk-
lich Seelenregister geführt werden sollten, ist es wahrschein-
lich, dass die so misstrauischeu Chinesen solche den Euro-
päern mittheilen werden'? Dass übrigens diese Summe viel zu
niedrig seyn müsse, liegt für jeden Unbefangenen klar am Tage.
Denn nach derselben fallen noch nicht einmahl 2,400 Köpfe auf
1 □ Meile, so dass in der Stärke der Bevölkerung China selbst
Preussen nachstehen würde. Recht gern gesteht Rez. zwar
«u, dass nicht alle Theile im Innern so stark bevölkert seyn mö-
gen, als die östlichen Provinzen. Aber in diesem wohnen gewiss
im Durchschnitt auf 1 Q Meile mehr als 10,000 Köpfe. Wie
stark nun auch von Natur unfruchtbare Striche hier bebaut und
bewohnt sind, davon giebt Timbowskiin seiner Reise von Ki-
achta durch die Mongoley nach Pekin ausführliches Zeugniss.
Rez. lebt daher der Ueberzeugung, dass, wenn man bey die-
sem in jeder Beziehung einzigen Reiche im Durchschnitt 4,000
Köpfe auf 1 □ Meile annehme, man sicherlich nicht über die
Schnur hauen werde, und in diesem Falle hätte China
244 \ Million Einwohner. — Die Verf. geographischer Hand-
bücher sollten in dergleichen Fällen nie ihrer eigenen Ansicht
120 Geographie.
oder auch Ueberzeugung folgen, sondern alle vorhandenen An-
gaben und Schätzungen, sie mögen so unwahrscheinlich seyn
als sie wollen, zur Yergleichung neben einander stellen, und
die Auswahl dem Leser überlassen. — Auch hier ist die Por-
tug. Besitzung Makao als eine Halbinsel geschildert. Der Chi-
nesischen Ladronen geschieht gehörige Meldung. Der Abschnitt
Mongoley verdient auch nachTimbowski'sMittheilungen über die-
ses Land berichtigt zu werden. Die Halbinsel Sachalien (Tschoka
Karasta) wird, obgleich weiter unten bey Japan zugestanden
ist, dass die Japanesen im südlichen Theile Niederlassungen
haben , doch zur Manschurey gerechnet , wohin sie freylich
auch der Lage nach gehört. — Japan. Der Flächenraum von
12,569 □ Meilen , der hier auch angenommen wird, muss sich,
sobald das eben erwähnte Karasta zur Manschurey geschlagen
wird, um 2,244 □ Meilen vermindern. Uebrigens darf man in
diesem Abschnitt keine neuen Aufschlüsse erwarten, doch wird
auch die neu aufgefundene Insel -Gruppe Binin genannt.
3ter Absch. Afrika. (S. 245—211.) Flächenraum = 523,1390
Meil. wovon 11,336 auf die Inseln gerechnet sind. — Beym Strome
Niger werden in der Einleitung bloss 2 Fälle angenommen,
nähmlich dass er entweder in den Aegyptischen Nil oder in den
Binnensee Sudans fliese. Nur erst bey Sudan werden die übri-
gen Hypothesen , dass er auch in westlicher Richtung entweder
durch den Kongo , oder durch den Benin ins Atlantische Meer
ausströmen könne, erörtert. — Beym Klima wird nicht bemerkt,
dass Afrika der heisseste Erdtheil unter allen sey. Auch bey
diesem Erdtheil, unstreitig dem unbekanntesten, legt der Verf.
durch Mittheilung ganz genauer Populationsangaben seine be-
sondere Kenntniss davon an den Tag; denn er giebt Afrika,
man lese und staune! 119,371,000 Einw. — Die vom Pascha
von Aegypten schon vor einem Jahrzehend vernichteten Mame-
luken werden hier noch als ein besonderer Volksstamm ange-
führt, was sie doch nie waren. — Aegypten = 6,256 □ Meilen.
Die Berge — die hier auch nicht näher bezeichnet werden , —
sollen meistens — nicht durchaus ? — kahl, so wie der Boden
grösstenteils sandig und dürr seyn. Genauer sollte es heissen:
Das ganze Land ist, mit Ausnahme des Nilthals und desDelta's,
so weit beyde bewässert werden, eine dürre sandige oder fel-
sige Wüste , in welcher nur nach Westen zu einige Oasen ge-
funden werden. — Einw. 2,514,100 Seelen, also nicht 4 Mill.,
wie beym Osmanischen Reiche angegeben worden war. — In
Alexandria hat der Verf. 12,528 Einw. gezählt. — Die neuen
Eroberungen des Aegyptischen Statthalters sollen in Nuba,
Hedschas und dem steinigenArabien6,704n Meilen mit 1,485,000
Einw. enthalten. — Barka gehört grösstenteils zu Tripolis,
doch sollen die Städte Barka, Tolometa, Kurang u. s.w., Bestand-
teile Aegyptens seyn. — Sahara. Vom Klima wird weiter
Stein: Kleine Geographie. 121
nichts gesagt, als dass das Land eine heisse Ehene sey, also
nicht , dass hier die Sonnenhitze einen solchen Grad erreiche,
dass sie Hühner -Eyer im Sande zum Genüsse der Menschen
gar koche. Auch über die Bestandtheile des Bodens wird nichts
Näheres erzählt. — Nubien. Auch hier wird nicht berichtet,
dass der Landstrich zwischen dem Ml und Rothen Meere fast
durchgehends aus nackten dürren Felsenbergen, und wasserlo-
gen Thälern und Schluchten bestehe. — Der lste Abschnitt:
Türkisch Nubien und die Küste von Habesch, ist in so fern un-
richtig dargestellt, dass die hier genannten Inseln und Orte,
welche doch auf der Küste von Habegeh liegen, gleichwohl zu
Nubien gerechnet werden , und dass das eigentliche Osmani-
sche Nubien zum Paschal. Dschidda geschlagen wird , aber in
der That zu Aegypten gehört. Auch sind die vielen kleinen
Gebiete zwischen Aegypten und Dongolah, als Derr, Ibrim,
Sukkot, Sai u. s. w., welche jetzt sämmtlich den Befehlen des Statt-
halters von Aegypten gehorchen, ganz mit Stillschweigen über-
gangen worden. — Dass Sennaar ebenfalls von den Truppen
desselben erobert worden ist , wird auch nicht erwähnt. End-
lich wird das gleichermaassen von den Osmanen bezwungene Kor-
dofan nur beyläufig als zinnsbar an Dar Für angeführt. — Sene-
gambien. Auch hier sucht man die bereits im Jahre 1816 gegrün-
dete Brittische Niederlassung Bathurst , welche an die Stelle
des verlassenen James -Forts getreten ist, vergebens. — Das
innere Afrika soll, obgleich eingeräumt wird, dass es fast ganz
unbekannt sey, im Ganzen aus unfruchtbarem Steppenlande
bestehen und mit brennend heissem Sande bedeckt seyn. Wo-
her weiss er aber diess , da er selbst unsere grosse Unbekannt-
schaft damit eingesteht? Darf man von einzelnen bekanntern
Strichen sofort aufs Ganze schliessen? — Ostküstenländer. Mo-
nomotapa und Mokaranga werden hier als zivey besondere Rei-
che aufgestellt: doch ist vom erstem nur der Nähme genannt.
— Das Kapland zählt schon 107,216 Einw. und die Kapstadt
18,422 Einw. — Madagaskar. Interessant ist was der Verf.
über das Reich Oval berichtet. — Die jetzt von den Britten
besetzte Insel Ascension, die gewöhnlich als ganz wasserarm ge-
schildert wird , ist hier reich mit Wasser versehen , von wel-
chem stets 40 Tonnen für die anlandenden Schilfe bereit ge-
halten werden. Sie erzeugt auch jetzt mannigfache Gemüse.
— Die Kanarischen Inseln zählen 215,100 Einw.
4ter Abschnitt : Amerika. (S 272 — 318.) Flächenraum =
744,920 D Meil., wovon 8659 auf die Inseln, und 71,010 auf
die Polarländer kommen. — Die Apalachischen, blauen und Al-
leghanischen Gebirge werden hier als eine Fortsetzung der
Anden ausgegeben. Dieser Ansicht kann Rez. aber nicht bey-
st i mm eil , weil diese ausgedehnte auf der Ostküste hinlau-
fende Gebirgskette von den auf der Westküste fortstreichenden
122 Geographie.
Anden, die aber hier verschiedene Nahmen tragen, durch das
weite Thal der Ströme Missuri und Missisippi geschieden wird,
auch sich erst auf dem linken Missisippi-Ufer mit niedrigen Ber-
gen erhebt. Auch wird hier den Nord -Amerikanischen Anden
kein besonderer Nähme gegeben: eben so wenig wird gesagt,
dass diese in dem nordwestlichen Theile unter dem Nahmen
Felsengebirge wieder eine beträchtliche Höhe erreichen. Dem
Landeshaupte Nord- Amerika' s wird endlich eben so wenig als
dem Chiquitos - und dem Brasilischen Küstengebirge hier eine
Stelle vergönnt. — Unter den Meeren wird das nördliche Eis-
oder Polarmeer nur schlechthin der Skandinavische oder Nord -
Ozean genannt. Zwar sind dessen früher bekannte Theile und
Busen, aber noch nicht die vonParry entdeckten Eingänge oder
Strassen aufgezählt, was nur der Eile zugemessen werden darf.
Eben so wird der grosse Ozean hier nur der Asiatische Ozean
oder das Südmeer genannt. — Unter den Seen ist noch die
räthselhafte Parime mitgezählt. — Dem Maranuon wird, nach
älterer Annahme, noch sein Ursprung am Tschimborasso ange-
wiesen , und daher die Länge seines Laufs nur auf 570 Meilen
berechnet. Auch findet man zwar den Magdalenen - Strom,
aber nicht den viel mächtigern St. Francisco angeführt. Bevölke-
rung: 30,333,000 Seelen, worunter 6,433,000 Neger. Dass aber
auch diese Zahl auf einer willkührlichen Schätzung beruhe,
weil die zahlreichen Indianerstämme noch keine Populations-
liste bekannt machen, wird nicht bemerkt. — Nord- Amerika.
Nördliche Polarländer. Hieher werden das arktische Hoch-
land, wo die neuern von Parry und Gue'don gemachten Entdeckun-
gen nachgetragen sind; Grönland, wo auch Scoresby's Erfor-
schungen auf der Ostküste angeführt werden, Spitzbergen, La-
brador und Neu -Wales gerechnet. — Kanada hat hier 20,902
□ Meilen und 903,195 Einw. — Den Ländern der freyen In-
dianer , die häulig neuerer Zeit, aber sehr freygebig, den
Brittischen Besitzungen zugetheilt werden, ist hier zweckmä-
ssig ein eigner Abschnitt gewidmet worden. Columbia undOre-
gal (soll heisseu Oregan) werden hier aus Uebereilung als
2 besondere Flüsse angesehen. Nach dem Verf. besteht die
Brittische Niederlassung am Nutka - Sund noch und zählt an
2,000 Einw. — Vereinigte Staaten von N. A,. — Beym Klima
hat der Verf. anzumerken unterlassen, dass dasselbe jenseits
der Apalachen >iel milderund beständiger ist, als diesseits der-
selben. Das gelbe Fieber erscheint auch nur in den Küsteuor-
ten. Dass der Mischigan - See nur ganz, die übrigen genannten
Seen aber bloss zum Theil hieher gehören, ist auch nicht
erwähnt. Der Ausdruck : in einigen SProv. herrscht -völlige R&>
ligionsfreyheit, ist wohl ein Druckfehler, und sollte heisseu:
in allen. — Bey Aufzählung der Unterrichtsanstalteu hätte be-
merkt werden können, dass der Jugendunterricht in mehrern
Stein : Kleine Geographie. 123
Staaten, zumahl in den neuem, noch sehr weit zurück sey.
Auch hier ist Mischigau unter die wirklichen Staaten einrangirt.
— Neu- York hat schon 100,080, Baltimore 70,000 und Pitts-
burg 10,515 Binw. Sonst liat Rez. keine neuen Angaben ge-
funden. — Mexico und Mittel- Amerika werden noch unter der
Aufschrift: Das bisherige Spanische Nord- Amerika, abgehan-
delt, doch fehlen keine neuern statistischen Angaben dieser
jungen Republiken. Gleichwohl sind deren Staaten oder Prov.
noch nicht näher beschrieben, ja bey Mexico nicht einmahl
nahmentlich angeführt. — Der vor wenig Jahren von dem Schot-
tischen Abentheurer Mac Gregor auf der Musquitoküste ver-
suchsweise angelegten Kolonie wird nicht gedacht. — Süd-
Amerika. Das vor malus Spanische Süd- Amerika. Es enthielt
102,09b* Q Meilen mit 5,739,000 Einw. — Bey Kolumbien wird
der Parime-See als räthselhaft, und der Ucayale als der wah-
re Stamm des Marannon bezeichnet. Die 12 Departem. wer-
den zwar genannt , aber nicht einzeln dargestellt. Die Topo-
graphie ist vollständiger , als zu vermuthen stand. Doch fehlt
Neu -Barcelona. — Peru. Dass die ganze Küstenstrecke äu-
sserst selten durch Regen bewässert werde, und desshalb nur
an den nicht zahlreichen Küstenffüssen kulturfähig sey, ist zu
erzählen nicht für nöthig erachtet worden. Dagegen w ird be-
richtet, dass die eigentliche Quelle des Marannon in demApuri-
mak zu suchen sey. Die 8 Provinzen sind auch nur mit Nah-
men genannt. Der Hauptstadt Lima ist eine Bevölkerung von
73,000 Seelen gegeben. — Chile. Dass die südlichen Provinzen
wegen häufigem Regen viel fruchtbarer sind, als die nördlichen,
ist auch nicht bemerkt. — La Plata. Mit besonderer Flüch-
tigkeit ist dieser Abschnitt behandelt und umgeändert worden.
Die allgemeine Schilderung betrifft, bis auf den Flächenraum
(50,000 D Meilen) und die Volkszahl (720,000, nach Engl. Be-
richten gar nur 431,000 S.), das ganze vormahlige Vize-Königr.
d. N. Allein S. 305 geht der Verf. sofort, ohne erst ein Wort
von der Zertheilung desselben in 3 Freystaaten zu verliehren,
auf die heutige Republik la Plata über, zählt 13 Staaten der-
selben auf, giebt die wichtigsten Städte an, worunter sich
aber auch die zu Bolivia gehörige, in der Prov. Charcas lie-
gende Stadt la Plata eingeschlichen hat, und erwähnt nun erst,
dass gegenwärtig die Banda oriental und Paraguay (dem letz-
tern werden nur 500,000 Einw. zugeschrieben) davon getrennt
wären. Nun folgt unter einer eignen Nummer (die natürlich
darauf hinweisen muss, dass die Bestandteile desselben vorher
nicht zum V. KR. la Plata gehört hätten,) der Freystaat Boliv ia.
Da nun aber Ober -Peru unter Spanischer Herrschaft nie einen
eigenen Verwaltungsbezirk ausgemacht hat , so hätte er auch
unter dem vormahligen V. KR. la Plata mit beschrieben wer-
den sollen. — Noch muss Rez. tadeln, dass in der allgemeinen
124 Geographie.
Schilderung dieses Landstriches die ausgedehnten, in der Regel
mit mannshohem Graswuchs hedeckten Pampas liier schlecht-
hin unabsehbare Wüsten. mit trockenem Sandlande, auch vielen
Salz- und Salpeterstrichen genannt werden. — Patagonien.
Auch diess wird zu abschreckend gemahlt. Denn es heisst : „Auf
der Küste sind viele grosse dürre Sandflächen, im Innern viele
Moräste. Die Luft ist sehr rauh.'-'- Das Letztere gilt doch wohl
nur von der Südspitze 1 — Brasilien. Die Ungeheuern Ebenen,
aus denen das Reich grössten Theils besteht, hätten richtiger
Hochebenen genannt werden sollen. Unter den Gebirgen sind
bloss Carussa und Peidade genannt, ohne ihre Lage anzugeben.
Die ausgedehnten Küstengebirge bleiben aber unerwähnt. — Die
Bevölkerung wird (mit Anführung der Schäfer sehen Berech-
nung, in welche also mit Recht Misstrauen gesetzt wird) zu
3,878,000 Köpfen angeschlagen. Ganz richtig werden hier Re-
eife und Olinda unterschieden. — Brittisches-Süd- Amerika, hat
schon 132,990 Einw. — West - Indien. Vom heissfeuchten,
für Europäer so verderblichen Klima wird nichts berichtet.
Nach den grossen Antillen folgen die kleinen, die nicht
nach ihrem Besitzstande, sondern nach ihrer Lage beschrieben
sind. — Beym Eyland Bruba wird nichts von seinem Reich-
thum an Gold gesagt. Die Bahama- Inseln zählen jetzt 10,318
Einwohner.
5ter Abschnitt: Australien. (S. 319 — 332.) Flächenraum =
158,000 □ Meilen. Bevölkerung 2,088,000 Seelen. Auch diese
Angabe ist für unsere noch so geringe Kenntnis« eines so
grossen Theils dieses Erdabschnitts viel zu genau. Wer kann
mit Zuversicht läugnen, dass nicht nur allein auf Neu -Guinea
mehr Menschen, als obige Summe besagt, gefunden werden
können? Auf dem Kontinente, das immer noch Neu -Holland ge-
nannt wird, fehlen die neu entdeckten Ströme Macquarie und
Brisbane; doch wird solcher in der Beschreibung von Neu-
Süd- Wales nachträglich gedacht. Sidney-Cove hat hier schon
17,000 Einw. — Der Insel Van Diemensland giebt der Verf.
übertrieben einen Flächengehalt von 3,438 Q Meilen. — Ota-
heiti hat hier wieder 16,000 Bewohner. — Auch auf den Sand-
wichs - Inseln macht das Christenthum starke Fortschritte.
Schon blühen 0 Missions -Stationen mit eben so vielen Kirchen
und Schulen , in welchen über 1,000 Kinder unterrichtet wer-
den. — Uebrigens sind hier alle neuere, von Brittischen, Rus-
sischen und Nord- Amerikanischen Seefahrern gemachie Ent-
deckungen sorgfältig eingeschaltet worden.
Diess wäre nun der Inhalt dieser sogenannten Meinen Geo-
graphie, deren Stärke aber (22 Bogen, ohne das 4 Bogen starke,
vollständige Register) nicht gut zu diesem Beynahmen passen
will, und daher nur in Beziehung auf ein noch grösseres Werk
so benannt werden darf. Der Leser wird aus dieser Beur-
Stein : Kleine Geographie. 125
theilung — bey welcher Rez., weil dieses Buch, nach den
zahlreichen Auflagen zu urtheilcn, so weit verbreitet ist, sich
länger verweilt hat, als sein Vorsatz war, — ersehen, wieviel
er für den geringen Preis erhalte, und mit welchem Fleiss auch
diese Auflage berichtigt und erweitert worden sey. Doch wer-
den auch gewiss mehrere Leser mit dem Rez. beklagen, dass
der Verf. auf Umarbeitung verschiedener Abschnitte nicht mehr
Zeit verwenden konnte, und dass derselbe insonderheit unter-
lassen hat, auch bey den Unterabtheilungen der Staaten und
Länder Areal und Volksmenge, so weit solche bekannt sind,
hinzuzufügen. Denn nur bey den Regierungsbezirken Preus-
sens,undbey den Inseln hat er hiervon eine Ausnahme gemacht.
Durch diese Zugabe, die so vielen Aufschlug» über den ver-
schiedenen Umfang, über den stärkeren oder geringern Anbau
u. s. w. der einzelnen Landestheile gewähren, und vielleicht kaum
| Bogen Papier mehr erheischt haben würde, hätte er ohne
Zweifel den Werth dieses Werks noch bedeutend erhöht, und
so die Wünsche vieler Leser und Lehrer vollkommen befriedigt,
zumahl da, hauptsächlich in Europa, die vornehmsten statisti-
schen Angaben nirgends fehlen. Noch muss Rez. versichern,
dass auch den meisten Städten die Volkszahl, und zwar in ge-
nauem Summen, beygesetzt worden ist.
Druck und Papier sind gleich ausgezeichnet. Insbesondere
ist der Druck bey der Ortsbeschreibung so kompendiös einge-
richtet, dass nicht weniger als 55 Zeilen auf eine Seite kom-
men. Ueberdiess hat sich der Verf. zur fernem Ersparung des
Raumes mehrerer sachgemässer , leicht verständlicher Abbre-
viaturen bedient. Eben so wenig wird das Werk durch viele
Druckfehler verunstaltet.
Eine sehr schätzbare Zugabe ist endlich auch die tref liehe,
nach Mercator's Projektion behandelte, sehr sauber und deut-
lich gestochene Weltcharte , welche 12^ Zoll hoch und 16 §
Zoll breit ist. Sowohl Gebirgszüge als Flusssysteme sind auf
derselben richtig eingetragen worden. Nur im Innern Asiens
hat sich ein nicht unerheblicher Fehler eingeschlichen. Hier
ist nähmlich der Baikal -See nicht allein in Osten sondern auch
in Westen von einer Gebirgskette eingeschlossen und nur nach
Norden zu offen, auch ohne Abfluss dargestellt, so dass man
dieser Zeichnung nach den Ausfluss der obern Angara, und die
Verbindung des Sees mit dem Jenisei für unmöglich halten muss.
Ein kleinerer Fehler ist noch der, dass in der Asiatischen Tür-
key der Tigris seine besondere Mündung im Norden des Euphrats
in den Persischen Meerbusen erhalten hat. Dagegen sind die
von Parry gemachten Entdeckungen in der Polargegend recht
ileissig benutzt worden. Auch wird in Afrika der muthmaassliche
Lauf des Niger nach dein Meerbusen von Guiuea, und dessen 31 im
126 Miscellen.
düng in 2 Armen , so wie dessen Verbindung mit den Seen
im Osten Sudans durch einen beträchtlichen Nebenfluss ange-
deutet.
Dr. Weise.
Miscellen.
Auf Cannings Tod.
Als Canning starb, lebte in England ein Grieche, der früher in Ja-
nina Lehrer gewesen war, und in reiner Begeisterung für die Sache seines
Vaterlandes die weite Reise, die ihm bei der Unbekanntschaft mit den
Sprachen Europa's doppelt schwierig sein musste, nicht scheute, um,
obgleich nur als Einzelner, das Schicksal des unglücklichen Landes dem
grossen Staatsmann ans Herz zu legen. Bald nach der Ankunft des
weitgereisten Fremdlings starb der Britische Minister, und Georgios
Christi an os verfasste folgende lainben , die, obgleich an einigen
grammatischen und metrischen Schwächen leidend, doch die Theil-
nahme der Deutschen Philologen erregen werden. Man kann auch
aus ihnen 6ehen, wie weit bis jetzt das Studium der alten Sprache
vorgeschritten ist. Der Einsender erhielt sie, die früher schon in Eng-
lischen Blättern mitgetheilt Maren, von dem Verfasser selbst, der jetzt
auf der Rückreise durch Deutschland begriffen ist.
4i Iccfißav syxcoixiov tov &avovrog ricoQylov Kavviyx
xov Tfjq BQLtruvviag [ilv stQwrov vitovgyov iQri^iatiöavxog,
rrjg ö' dv&QCjnorrjTOS xoivov svegyerov (iaQTVQO(xävov.
Zjjg a> (iDLY.dQ Kävviyx, v.al ov &üvsg 9avdv
o nüg yao cticov ovnoz ollvGi xleog,
ovnsQ cvys ttqo 7tavz6s ctQzicpQ(ov scov,
i^yoig 6cpQaylg nitpavGai Sr] ya9ols fiovog.
"AvaKTag, tv yccg nsiGug oQ&wg ^vficpQOveip,
av&qconözrjzog itQOGzüzccg Tiaarjs nilsiv
noivovg , Gv zovzoig ctlziav ys rrjv nalrjv
didmtag, cogzs firjKSz' slvai cog nular
„ Ovzoi (tat, Gol ö' ixetvoi, rjfiHg diGiioxai."
'All' ovv coepovg tfar' i'/jiSQOv 6%bvztg, ß(>ozoi$
tov tcqIv xä%iGz ä^ovGi vrjvS(iov ßiov.
vtatriQ yuQ (og anccvzag ?| I'gov laovg
rpililv slov%' , olg svvofisla&c'i av ftfljj.
o&tv gv GcotrjQ ov ftovov Sift EllccSog,
üü' r\v rslst6z7]zcc övvctvzcci ßoozol
oN^£ö'^•' in eaav, cd'ttos TavzT]$ av sf.
Miaccllen. 127
cot» ovv nXfog fiiy ov fiövov nocQu ßgoroig,
aXX' ißtai gol sv x ovQmoig dö£ ay&irog.
«coxf , rfj r\ avyovazov
iv Aovöivw. rswQyiog Xqi<sriav6g.
In dem ersten Bande von Külin's Opusculis academicis medicis
et phiiologicis sind nur die ersten drei Abhandlungen ffir Philologen
Wichtig, nämlich: 1) De causa mortis hpminum aqua submersorum eos-
que in vi tarn revocandi ratwne, veteribus Graeciae medicis usurpata.
v. J. 1778. 2) Quaedam de dubia Aretaei aetate constituenda novaeque
editiouis ejus specimen. v. J. 1779. [Aretäus wird in die Regierungs-
zeit des K. Nero gesetzt.] 3) De philosophis ante Hippocratem medi-
cinae cultoribus, ad Celsi de media, praejat. Spec. I. v. J. 1781. [Nur
Pythagonis, Alkmäon und Empedokles werden behandelt.] — Von
dem Museum criticumy er Cambridge Classical Research.es ist zu Cam-
bridge, printed at the University Press, for J. Murray, 1826 Vol. II
Nr. V11I erschienen (Nr, VII erschien bereits 1821.), und mit dieser
Nummer die Zeitschrift geschlossen Morden. Das Wichtigste dieses Hef-
tes sind 27 in Bootien gefundene Griech. Inschriften von Leake mit
Anmerkk. von B lomf ield , und dann Emendationes in Anthologiam
Graecam , Bio m fiel dii animadversiones in Sapphonis , Alcaei et
Stesichori fragmenta, und die Fortsetzung der Fragmentensamrnlung
des Sophron Syracusanus. Nächstdem sind zu beachten eine Abhand-
lung über die Griechische Cursivschri/t und eine sehr ausführliche Re-
cension von Elmslej's und Hermanns Ausgaben der Bacchae des Eu-
ripides. Wenig werth ist das Memoir of Dr. James Duport. Noch sind
17 Briefe von Rieh. B e n 1 1 e y mitgetheilt, die aber auch in Burney'a
Sammlung und in dem Leipziger Abdruck stehen, und 6 Prolusionesvon
Boeckh aus den Berliner Lectionsverzeichnissen von 1812 — 23 wie-
der abgedruckt worden.
Zu Turin sind 1826 erschienen: M. Tullii Ciceronis opera ex re-
censione Chr. G. Schützii additis commentariis , welche nach einer
kurzen Nachricht im Tübing. L. Bl. 1827 Nr. 96 S. 384 ausser einem
eehr correcten Text und zahlreichen Conjecturen des Correctors im
5n Bande auch Varianten aus einem Turiner Codex rescriptus [wahr-
scheinlich die früher von Peyron bekannt gemachten] enthalten sollen. —
Das AVerk : Les etudes greetjues sur Virgile, ou recueil de tous les pas-
sages des poetes grecs imites dans les Boucoliques, les Georgiques et
V Enc'ide, avec le texte latin et des rapproch emens litteraires , par F.
G. Eich ho ff (Paris 1825. III voll. 8.), welches Wagner in der
Hall. Lit. Zeit. 1826 Nr. 51 recht gut gewürdigt hat, ist von dem kön.
Rathe des öffentlichen Unterrichts in Paris unter die Zahl der classi-
schen Bücher aufgenommen worden, welche in diesem Jahre in den
Cursen der Rhethorik und der Humaniora erklärt werden sollen. —
In Wien in der Jacob Meyer'schen Buchhandlung erscheinen: Romi-
128 M i 8 c e 1 1 e n.
sehe und Griechische Dichter in Deutschen Uebersetzungen der Tauch-
nitzer Leipziger Stereotypausgaben , von denen bis zum Januar 1828
fertig geworden ist : Quintus Horatius Flaccus nach Vossens Ueberse-
tzung. [Bloss die Oden und Epoden.] Nebst Biographie und Bildniss,
dann geograph isch - historisch - mythologischem Erklär ungswörterbuche
und einer Bibliographie aller Horazischen Ausgaben. Der l)is Ende
Januars 1828 gültige Priinumerationspreis war 1F1., auf Velinpapier 1F1.
30 Kr., der spätere Ladenpreis 1 Fl. 15 Kr., auf Velpp. 2 Fl. Auch
wird das Buch in 2 Abtheilungen verkauft; die Oden und Epoden, nebst
Horazens Bildniss und Biographie für 20 Kr. (Velpp. 36 Kr.); das Er-
klärungswörterbuch nebst der Bibliographie, als Anhang zu allen Deut-
schen Uebersetzungen des Horaz , für 30 Kr. (Velpp. 48 Kr.). Nach
dem Horaz sollen Aeschylos und Virgilius, ebenfalls nach Voss über-
setzt, folgen. Bei diesem Nachdruck der Vossischen Uebersetzungen
ist bloss der absurde Zusatz nach den Tauchnitzer Stereotypausgaben,
sonderbar, und beweist, in welcher Achtung dieselben in Oesterreich
(-teilen müssen.
Vom Anfang des Jahres 1828 an wird, von Bottiger herausge-
geben, eine neue Zeitschrift, Archäologie und Kunst, in zwanglosen
Heften bei Max in Breslau erscheinen. Ihre Gegenstände bezeichnet der
Titel zur Genüge : sie wird die mit dem dritten Bande geschlossene
Amahhea ersetzen und gewissermaassen fortsetzen. Das erste Heft er-
öffnet eine Abhandlung des Staatsraths von Köhler in Petersburg,
Dioskorides und Solon , nebst einer Einleitung über die Gemmen mit
den Namen der Künstler; eben so reich an neuen eigenen Ansichten,
wie an Berichtigungen früherer Forscher über denselben viel bespro-
chenen Streitpunkt, besonders Millin's und Visconti's. Dasselbe Stück
wird eine Abhandlung des gelehrten Herausgebers über Behexun-
gen durch das Auge , den Fascinus der Alten, eine Uebersicht über das
Toilettenwesen der alten Aegyptierinnen aus den Passalacquaschen Schä-
tzen von Levezow, einen Beitrag zur Erklärung des dreiseitigen
Candelaberfusses in Dresden von Passow u. a. enthalten. — Bei Ge-
legenheit der Aufstellung einer alten Römischen Inschrift im Stadthause
zu Trento hat der dortige Podesta, Graf Giovanelli zwei archäo-
logische Gelegenheitsschriften {Biscorso sopra un1 iscrizione Trentina
del tempo degli Antonini, und: Trento, Citta de Rezj e Colonia
B.omana.') drucken lassen,- über welche im Tübinger Lit. Bl. 1827 Nr.
95 sehr ungnügend berichtet wird. In der letztern soll behauptet seyn,
dass Trento nicht von den Cänomanischen Galliern, sondern von den
Rhätiern erbaut sey, aber schon vor Unterjochung der Rhäticr durch
August eine Römische Colonie war, und dass Trento der Ort war, wo
Catulus von den Cimbern geschlagen ward. Der Dos di Trento auf dem
rechten Ufer der Etsch soll das castellum editum ad Athesin seyn. Den
Campus Baudius , wo Marius die Cimbern schlug , dürfe man nicht
hei Vercclli im Piemontcsischen, sondern in der Venctianischen Ebene
M i s c c I 1 c n. 129
suchen, weil sonst nicht einzusehen sey, wie die Tiguriner, welche die
Naclihut hatten, in den dorischen Bergen stehen konnten. Vielleicht
sey statt ad Vercellas zu lesen ad Veronam. — Ueher die von Har-
ris und Angell hei Sclinus in Sicilien gefundenen Bildwerke sind in Ita-
lien zwei ziemlich seichte Schriften erschienen. Die erste : Memoire
autle opere di scultura in Selinunte uUimamente scoperte da Pie tro
Pisani (Palermo, 1823) sucht die Bildwerke als Hetrurische und die
Stadt als von den Sikulern gegründet nachzuweisen. Ihr widerstreitet
mit seichten Gründen Francesco I n ghi r aiu i in der Sehr.: Os-
Servazipni sulle antichitä di Selinunte illustrate dal Sig. Pietro Pisani
(Poligrafia Fiesolana 1825), welche auch in dessen Nuova Collezione
di opusculi e notizie di scienze , lettere ed arti steht. Wichtiger ist
die Beurtheilung heider Schriften in d. Tübinger Kunsthl. 1827 Nr. 98,
welche zugleich gegen Pisani erweist, dass Syrakus Ol. XI, 4 gegründet
ist, dass die Besetzung Hybla's durch die Megarer um Olymp. XV, 4
und die Gründung von Sclinus also, welches Pisani noch vor 1442 v. Chr.
erbaut seyn läs&t, gegen Ol. XL, 4 fällt.
Zu Mailand und London sind von 1816 bis 1826 in Italienischer
und Französischer Sprache in 9 Foliobänden, welche mit vielen Kupfern
und Charten versehen sind, erschienen : Moeurs et coutumes ancien-
nes et modernes, ou histoire du gouvernement , de la milice, de la re-
ligion, des arts et des usages de tous les peuples, d" apres les monumens
de Vantiquite. Das Werk wird in der Revue encyclop. empfohlen und
soll über Waffen, Kleidung, Insignien, Kriegsgeräthschaften, Opfer-
gebräuche , Feierlichkeiten , Ceremonieen u. s. w. der verschiedensten
Völker eine oft bis in die kleinsten Züge ausgeführte Darstellung liefern. —
Dass die Römer eben so wie die neuern Völker jedem Kriegsschiffe
einen besondern Namen gaben, hat der Antiquar Cardinali in einem
Kataloge Römischer Schiffsnamen nachgewiesen und in demselben alle
aus Inschriften bekannt gewordenen Namen Römischer Kriegsschiffe auf-
gezählt, auch die Namen einiger ausgezeichneten Römischen Seehe-
fehlshaber beigefügt. Beispiele solcher Schiffsnamen sind : Amnion,
Mars, Neptunus, Aesculapius, Sol, Athena, Isis, Ops, Augustus, Ar-
sinoe, Padus, Dacicus, Aquila, Galea, Iuventus, Pater, Pietas, Salus,
Triumphus, Vinum , Providentia , Victoria , Armata , Clypeus , Grypi,
Arusma etc.
„In der Nähe des Mineralbades Topusco, zwei Stunden von Glina
im Banal- Gencralat, lag die Römische Colonialstadt Siscia , Szissegg.
Gemäuer von Rom. Ziegeln, hie und da verstreute Münzen und manche
noch wichtigere Reste des Alterthums beweisen diess zur Guüge, sind
leider aber grösstcntheils durch Nichtbeachtung wieder verwendet oder
zerstört worden. So ward ein steinerner Meilen zeiger mit der Aufschrift :
Tausend sechshundert acht und achtzigster Meilenzeiger von Aquileja
Jahrb. f. Phil. u. Pädag. Jahrg. 111. Heft Q
130 M i s c e 1 1 c n.
nach Siscia , daselbst von dem Bischof von Agram , Wcrhovacz , ent-
deckt, aber noch, bevor er ihn zu retten vermochte, wieder vermauert.
Ein Stciii mit der Inschrift :
CANTABRIA
SACR.
CVSTOD.
EIVSDEM.
befand sich noch voriges Jahr daselbst, ist aber nunmehr [1825] schon
verschwunden. Die meisten Römerspuren finden sich auf einer schlam-
migen Wiese, wo mehrere Quellen aufsprudeln, die jetzt noch die hei-
ssesten sind und 49° Wärme zeigen. Da nun Cantabries , wie ich mir
sagen Hess, Wasser bedeutet, welches aus Wiesen quillt, so scheint es
mir sehr glaublich, dass jener Stein einst hier gestanden, und ein Al-
tar war, den die II ' iesenquelle ihren Schutzern , etwa den Nymphen
oder den Genien des Orts, welchen die Römer allenthalben so gern
Altarsteine setzten, weihte." [Jnsz. aus der Wiener Zeitschr. für Kunst,
Lit., Theat. u. Mode, 1827 Nr. 121 S. 999.]
In der 1824 von der päpstlichen Regierung angekauften Isola di
Farnese hat man bei angestellten Nachgrabungen viele Lateinische In-
schriften aufgefunden, durch welche die Lage des alten Veji, dessen
Mauern der Fluss Creincra bespülte, bestimmt Avird und auf denen die
Obrigkeiten der Vejenter genannt werden. Die vorzüglichste ist fol-
gende: IUI VIRIS VEIENT1VM. MVN1CIPES MVNIC. I AVGVSTI
INTRAMVRANI PATRONO.
Wer Griechische Mythologie gern mit dem Glauben anderer Völ-
ker vergleicht, der kann dazu künftig auch die Araucaner in Südame-
rica benutzen. Diese Indianer glauben nämlich , dass die Seelen der
Verstorbenen in abgesondertem Zustande fortdauern und alles das be-
sitzen werden, was Mährend ihrer Vereinigung mit dem Körper ihr Ei-
genthum war. So hat die Seele eines Mannes ihre Weiber, aber ohne
geistige Nachkommenschaft, weil das neue Land von den Geistern der
Todten bevölkert wird. Dieses Land der Todten liegt jenseit des Mee-
res nach Westen, und dorthin bringt die Seelen die alte Fährfrau Tem-
pulagi, welche sich derselben bemächtigt, nachdem die Verwandten bei
dem Körper getrauert und ihn beerdigt haben , und sie über das Meer
fährt.
Plutarch (Pompej. 36) und andere alte Schriftsteller erzählen,
dass Pompejus im Kriege mit Mithridat (690 n. R. E.) vom Voi-dringen
bis zum Caspischen Meere durch eine Menge giftiger Schlangen abge-
halten worden sey. Dass die Nachricht keine Fabel sey, hat der Franz.
Reisende, Ritter Gam ba, nachgewiesen, indem er berichtet, dass sich
in der Steppe von Mougan während der Monate Juni, Juli und August
so viele Schlangen finden, dass Menschen und Pferdesich nicht blicken
M i s c e 1 1 e n. 131
lassen dürfen, ohne der grössten Gefahr ausgesetzt zu seyn. Als im J.
1800 der General Zuboli' auf der Ebene von Moiigan mit seinem Heer
ein Winterlager bezog und die Soldaten die Zcltpfühle eingruben, fand
mau eine grosse Auzabl von Schlangen im Zustünde der Erstarrung.
VgL Spiker's Jour. f. die neuesten Land- und Seereisen, 1827, August
S. 321.
In Paris bei Didot ist 1827 der erste Theil folgender Reisebeschrei-
bung erschienen : Relation (Tun vojage dans la Marmarique. la Cy-
renaique et les Oasis d\Judjelah, aecompagnee de cartes geographiques
et topographiques et de planches repre'sentant les memumens de ces
contrdes ; par M. J. It. P a e h o. (Lpz., bei Ponthieu, die ersten 3 Liefr.
mit 2 Heften Atlas 12 Thlr.) Es erregt schon ein gutes Vorurtheil,
dass der Verfasser durch die Reise, welche hier beschrieben ist, den
von der geographischen Gesellschaft zu Paris für eine antiquarische
und topographische Untersuchung des alten Cyrenaika ausgesetzten Preis
eich erwarb, und dass er zu der Herausgabe des Buchs von der Re-
gierung Unterstützung erhielt. Auch enthält der erste Band , der die
Reise durch Marmarika beschreibt, in 2 Heften Kupfertafeln gute Dar-
stellungen der dort gefundenen Alterthümer. Besonders aber wird
diese Schrift durch ihren zweiten Theil, die Beschreibung des alten
Cyrene, wichtig werden , weil wir von diesem Landstrich im Ganzen
nur wenig wissen , und uns meist immer noch mit den von dem Italie-
ner De IIa Cella gegebenen Nachrichten begnügen müssen.
Zu den wichtigsten Werken und Quellen über die Geographie,
Geschichte und Cultur Asiens, besonders Hindostans, gehören die Me-
moirs of Zehir-ed'din Muliamined llaber Emperor of Hindoostan, writ-
ten by himself, in the Jaghatai Turki and translated partly by the la-
te JohnLeyden, partly by William Erskine, welche in Lon-
don 1826 in 4 erschienen sind. — Zu Paris hat D uf our eine Charte
von Palästina zur Zeit Christi, gestochen von Blondeau , herausgege-
ben, welche vorzüglich seyn soll.
In Paris ist 1827 erschienen: Manuel de Ihistoire ancienne con-
sideree sous le rapport des constitutions , du commerce et des colomes
des divers etats de l'antiquiti ; trad. de l ' allemand de Mr. A. II. L.
Heeren, par Thurot. 2e eüit. 8. SFr. In London erschien in
dems. J. : Elements of universal history ; containijig a selection of the
most remarkable events. Translated, with alternations and additions,
fr um the Geriuan of G. G. Bredow, 12.
Für die Geschichte des Mittelalters und des Kreuzzuges unter Kais.
Friedrich I ist aus einer Peigainenthandschr. aus dem Anfange des
13 Jahrb., die aus den Händen eines Juden gerettet worden ist, er-
schienen : Ilistoria de expeditione Friderici Imperatoris , edita a quo-
dam Austriensi clerico, qui eidem interfuit, nomine Ansbertus. Ptunc
132 M i a c e 1 1 e n.
■primum e Gerlaci chronica , cuius ea partem constituit , typis expres-
sa, curante J o h. Dobrowsky. Prag bei Cajetan von Mayregg.
1827. XIV u. 138 S. 8. 1 Thlr. 4 Gr. In der Vorrede wird nocb nach-
gewiesen, dass das Böhmische Chronicon, welches man unter dem Na-
men des Chr. Vincentii et Chrouographi Siloensis kennt, von dem Abt Ger-
lach von Milewsk verfasst sey. — Ein anderer und früherer Thcil des
Mittelalters ist sehr gut, vielleicht mit etwas zu wenig Scepticismus,
behandelt in d. Sehr. : Histoire des expeditions maritimes des Nor-
mands et de leur etablissement en France au dixieme siede. Par G<
Depping. Ouvrage couronne en 1822 par l'academie royale des ins-
criptt. et b. lettr. Paris, Ponthieu et Sautelet. 1826. II Voll. LH,
464 u. 348 S. 8. Vgl. Lpz. L. Z. 1827 Nr. 317 f.
Von Historikern sind nicht zu übersehen die Lettres sur V histoire
de France pour servir d'introduction ä V etude de cette histoire. Par
Augustin Thierry. Paris , Ponthieu. 1827. XII u. 472 S. 8.
2 Thlr. 12 Gr. Sie sind nicht bloss als Kritik der Franz. Geschichte und
Geschichtschreibung wichtig, sondern enthalten viele allgemeine tref-
fende Bemerkungen über Behandlung der Geschichte überhaupt, unter
andern eine scharfe Prüfung der drei historischen Methoden [der histo-
rischen Romanschreiber , der Nachahmer der alten Geschichtschrei-
bung, der philosophirenden und reflectirenden Geschichtschreiberj seit
dem 16 Jahrhundert. — Eine der wichtigeren Erscheinungen der histo-
rischen Literatur der neusten Zeit ist John Lingard's Geschichte
von England seit dem ersten Einfalle der Romer, von welcher jetzt
zwei Deutsche Uebersetzungen (die eine in Quedlinburg bei Basse, die
andere und sorgfältigere von C. A. von Salis in Franf. a. M. bei
Wesche) erscheinen. Das Werk hat in England eine ungemein gün-
stige Aufnahme gefunden , obschon man gegen den katholischen Prie-
ster, welcher Lingard ist, Vorurtheile hatte. Auch tritt es durch ei-
nige Eigenthümlichkeiten der bestehenden Sitte scharf entgegen. Zu-
erst nämlich hat sich Lingard zum Gesetz gemacht, nichts aus neuern
Historikern zu nehmen , sondern in seinen Forschungen sich überall
auf die Originaldocumcnte und ältesten Autoren zu beschränken, neue-
re aber erst dann zu Käthe zu ziehen , wenn er sein eigenes Urtheil
schon festgestellt und niedergeschrieben hatte. Sodann hat er sich al-
ler philosophischen Betrachtungen und Combinationen enthalten, in-
dem er behauptet , dass die philosophischen Historiker bei ihrem Ei-
fer, eine Lieblingstheorie durchzuführen, nicht selten sich verleiten las-
sen , Thatsachen zu entstellen oder ganz wegzulassen , wenn sie dem
von ihrer Phantasie geschaffenen System widerstreiten. Nur der histo-
rische Romanschreiber habe das Vorrecht, die geheimen Beweggründe
derjenigen anzugeben, deren Charakter und Handlungen er beschreibt;
der Historiker dürfe nicht mehr davon wissen, als was die Quellen sagen
oder was sich aus der Thatsache nothwendig ergiebt. Endlich ist es
nicht gering anzuschlagen , dass er die Thatsachen der frühern Zeit
nicht von dem Civilisaüonspunctc unserer Zeit aus betrachtet und schil-
M i S c c 1 1 e n. 133
dert, sondern 6ic stets von ihrem cigenthümlichen und ihrer Zeit an-
gehangen Gesichtspunctc aus würdigt.
In Wien bei Schrämbl soll im J. 1828 erscheinen : Grosses ety-
mologisches If^orterbuch der Oberdeutschen Sprache ; a) als einer ei~
genthümlichen Stammsprache ; b) als einer Tochter der Altgriechischen,
Hebräischen, Lateinischen, Slavischen etc. Sprachen ; c) als der er-
sten Quelle der Hochdeutschen ujid Niederdeutschen Mundart ; kritisch
bearbeitet und herausgegeben von Joseph A. Moshamer. Aller
14 Tage soll ein Heft von 4 Bogen ausgegeben und das Ganze in einem
Jahre vollendet werden. Auf jedes Heft kann man mit 20 Kr. pränu-
meriren; doch ist der Priinumerationstermin bereits zu Ende des Ja-
nuars geschlossen. — In Paris bei Didot hat M. Suckau 1827 her-
ausgegeben : Tableaux sjnoptiques de la langue allemande , und : E**
ercices gradue's pour apprendre Vallemand d' 'apres la methode natu-
relle. Das erste Buch ist zum Gebrauch des Herzogs von Bordeaux,
das zweite für die Vorlesungen bestimmt, die Suckau in Paris über
Deutsche Sprache hält.
In Paris hat der Jurist Vernier eine neue Methode im Unter-
richt der Sprachen erfunden, wodurch das Studium derselben sehr ver-
einfacht und beschleunigt wird. Eine im vorigen Sommer öffentlich
angestellte Probe gab das Resultat , dass 5 junge Leute von 12 Jah-
ren, die vorher das Lateinische gar nicht kannten, nachdem sie 4 Mo-
nate lang täglich eine Stunde darin unterrichtet worden waren, den
Phädrus , Curtius und Virgilius interpretiren konnten.
Schul- und Universitätsnachrichten, Beförderungen und
Ehrenbezeigungen.
Aaches. Der Lehrer W. Körten am Gymnasium ist zum Oberlehrer
ernannt worden. Vgl. Preusseiv.
Berlin. Se. Majestät der König haben dem geh. Oberregierungs-
rath Dr. /. Schulze, dem Oberbibliothekar Prof. IVilken und dem
Professor BÖckh in Berlin, dem Professor Mackeldey in Bonn und dem
Consistorial- undSchulrath Mohnike in Stralsund den rothen Adlerorden
3r Classe zu ertheilen geruht. Der geh. ORB. Dr. Schulze ist von der kön.
Deutschen Gesellschaft zu Königsberg in Preussen und vom Thüringisch-
Sächsischen Vereine zur Erforschung der vaterländischen Alterthümer
zum Ehrenmitgliede gewählt worden. Dem Dr. Lehmus ist das Prädi-
cat eines Professors beigelegt, der Professor an der kön. Kriegsschule
Dr. Zumpt zum ausserordentlichen Professor in der philosoph. Facult.
der Universität, der Privatgclehrte TVilh. Bindorf in Leipzig zum au-
131 Schul- und Universitätsnachrichten,
sserordentlichen Professor in derselben Facultät und zum ersten Custos
der kön. Bibliothek ernannt. Der Candidat der Philologie Moritz Pin-
der und der Studierende Knorr sind als Gehülfen bei derselben Biblio-
thek gegen eine monatliche Remuneration von 12 Thlrn. angenommen.
Für das kön. Museumist die vom verstorbenen Generalconsul liartholdy
hinterlassene Sammlung von Aegyptiscben, Hetrurischen, Griechischen
und Römischen Alterthümern und Kunstwerken, deren Beschreibung
Panofka in der Sehr, il Museo Bartoldiano geliefert hat , angekauft
worden. Vgl. Preussen.
Bonn. Dem Professor Dr. Ernst Bischojf ist der Charakter eines
geh. Hofraths, dem Prof. Dr. IJüllmann der Charakter eines geh. Re-
gierungsraths ertheilt. Vgl. Berlin. Die hiesige kön. wissenschaftliche
Prüfungscommission hat im vergangenen Jahre 37 gelehrte Schulamts-
candidaten (darunter 35 katholische) geprüft.
Cöln. Der Dr. d. Theol. JSico/aus München hat den Titel eines
geistlichen Raths erhalten.
Cottbus. Der Schulamtscandidat Carl Christian Stäber ist als
Cantor und Lehrer beim Gymnasium angestellt worden.
Dessau. Der bisher. Inspector Lindner an der herzogl. Franz-
schule in Zerbst ist mit dem Beginn dieses Jahres als herzogl. Biblio-
thekar und als Lehrer an der hiesigen Ilauptschule an fVilh. Müller's
Stelle eingetreten.
Erfürt. Der Conrector Gott hilf Härtung hat vom Fürsten zu
Schwarzburg- Sondershausen den Titel eines Educationsraths erhalten.
Vgl. Preussen.
Glogau. Am evangel. Gymnasium ist der Schulamtscandidat Carl
Erdmann Klose als Lehrer angestellt worden.
Greifswald. Der ausserordentliche Professor Dr. Stiedenroth ist
ordentlicher Professor in der philosoph. Facult. geworden.
Guben Der Elementarlehrer Fechner ist als Zeichen- u. Schreib-
lehrer beim Gymnasium gegen Kündigung angenommen.
Halle. Dem Professor der Franz. Spr. Bonafont ist vom Herzog
von Sachsen - Coburg - Gotha das Prädicat eines Legationsraths beige-
legt worden. Vgl. Preussen.
Königsberg in d. Neumark. Der erste Collaborator am Gymnas.
Dr. Haupt hat das Prädicat eines Oberlehrers erhalten.
Königsberg in Preussen. Der Privatdocent Dr. C. G. Jacobi ist
zum ausserord. Professor der Mathematik in der philosoph. Facult. der
Universität ernannt.
Magdeburg. Der bisher, interimistische Lehrer Dr. Stern am Pä-
dagogium unsrer lieben Frauen ist definitiv angestellt worden.
]\eu- Stettin. Der Director Dr. Kauljüss hat für das unter seiner
Leitung stehende Gymnasium einen Verein zur Unterstützung hilfsbe-
dürftiger Gymnasiasten gegründet. Dieser Verein zählt bereits 40 Mit-
glieder, welche sich zu vierteljährlichen oder jährlichen Beiträgen an-
heischig gemacht haben.
Potsdam. Der Schreib- und Zeichenlehrer aui Schuilchrerscmi-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 135
nar C. JV. Heinrich ist auch am Gymnas. als Zeichenlehrer angestellt
worden. Vgl. Preussev.
Preussen. Von den sämmtlichen Gymnasien dieses Staates sind im
J. 1826 im Ganzen 120!) Schüler nach bestandener Abiturientenprüfung
zur Universität entlassen worden: von ihnen erhielten 194 das Zeug-
niss Nr. 1 (unbedingter Tüchtigkeit) , 930 das Zeugn. Nr. II (bedingter
Tüchtigkeit), 77 das Zeugn. Nr. III (Untüchtigkcit zu den Universitäts-
studien). Ausserdem wurden von den wissenschaftlichen Prüfungscom-
missionen in dems. J. noch 517 pro immatriculatione geprüft, von wel-
chen 200 das Zeugniss Nr. II und 279 das Zeugn. Nr. III erhielten, 38
aber, als nicht einmal für die Prima eines Gymnas. reif, gänzlich ab-
gewiesen wurden. Die Gesanimtzahl der Geprüften war demnach 1726.
Von ihnen waren unter 17 Jahren 8 , 17 Jahr alt waren 71 , 18 J. 249,
19 J. 382, 20 J. 419, über 20 J. 579. Davon wollten 763 Theologie,
537 Jurisprudenz, 158 Medicin , 143 Philologie und 52 Kaincralwissen-
schaften studiren, 1457 inländische , 101 ausländische und 29 erst in-
ländische und dann ausländische Universitäten besuchen. Die Zahl der
im J. 1827 Geprüften lässt sich noch nicht mit Sicherheit angeben. Sie
betrug 1631 im J. 1825, 1662 im J. 1824, 1433 im J. 1823, 1189 im J.
1822, 1139 im J. 1821 und 950 im J. 1820. — Dem Gymnas. in Arns-
berg ist ein jährlicher Zuschuss von 500 Thlrn. aus Staatsfonds bewil-
ligt worden. Gehaltszulagen erhielten in Berlin der Prof. Levezow
450 Tlilr., in Breslau der Leetor an der Univ. Dr. Otto 40 Thlr.; ebenso
die Consistorial- und Schulräthe Freymark in Brosiberg, Bruch und
Kraft in Cöln und Pithon und Kortum in Düsseldorf, jeder 100 Thlr.
Dem Director Riegler in Cleve ward, um ihn für die mit seiner frü-
hern Stelle in Aachen verbundenen Einkünfte zu entschädigen, eine per-
sönliche Zulage von 150 Thlrn. jährlich, dem kathol. Geistlichen und
Schulrath Schonger in Ereirt eine ausserordentliche Unterstützung von
600 Thlrn. als Umzugs- und Einrichtungskosten bewilligt. Ausserordent-
liche Bemunerationen wurden ertheilt in Aacren den Lehrern Körte
und Oebecke (jedem 50 Thlr.); in Berlin dem Prof. Dr. Bemhardy
an der Univ. 150 Thlr., dem Oberlehrer Dr. Uhlemann am Fricdrich-
Wilh.-Gymn. 75 Thlr. , dem Schulamtscandidaten Dr. Paldamus für
an demselben Gymn. ertheilte Lehrstunden 50 Thlr. , dem Schulamts-
candidaten Salomo am Joachim sth. Gymn. 50 Thlr.; in Fraustadt dem
Lehrer Dr. Lagner an der Kreisschule 100 Thlr. ; in Halle dem Pri-
vatdocenten Dr. Weber 100 Thlr. ; in Potsdam dem Gymnasiallehrer
Dr. Klingebeil 50 Thlr.; in Prenzlau dem Conrector Dr. Schmidt 50
Thlr. ; in Salzwedel dem Lehrer Dr. Solbrig am Gymn. 75 Thlr. und
dem Collaborator JVoltersdorf 100 Thlr. ; in Wetzlar dem Zeichen-
lehrer Deicker am Gymn. 50 Thlr. ; in Wittenberg dem Zeichenleh-
rer Dietrich am Gymn. 50 Thlr.
Ratibor. Der bisher am Gymnas. interimistisch beschäftigte Schul-
amtscandidat Dr. Müller ist als zweiter Oberlehrer definitiv angestellt
worden.
Salzwedkl. Der Diaconus und Collaborator JVoltersdorf hat bei
136 Schul- und Universitätsnachrichten etc.
seinem 50jähr. Amtsjubiläum das allgem. Ehrenzeichen erster Classe
erhalten. Auch soll demselben die Besoldung, welche er als Lehrer des
Gymnasiums bisher bezogen hat, auch nach seiner Entbindung von den
Lehrgeschäften als lebenslängliche persönliche Zulage belassen werden.
Stettin. Der Superintendent Richter ist zum dritten Consisto-
rialrath im dortigen Consijtorium ernannt. Am Gymnasium ist der Dr.
Rhades als Arzt und ausserordentlicher Lehrer der Naturwissenschaften
vorläufig auf ein Jahr angenommen worden.
TnoRN. Der Professor Schirmer am Gymnasium ist zum Director
der dasigen Bürgerschule ernannt worden.
Ulm. Am Gymnasium hat der ausserordentl. Professor Hassler
den Titel und Rang eines ordentlichen Gymnasialprofessors erhalten.
Nachschrift.
i».uf die von mehrern Seiten her gemachte Anfrage, oh die
Jahrbücher auch freiwillig eingesandte Recensionen aufneh-
men, erklären wir, dass diess sehr gern geschehen wird, so-
bald dieselben nicht Werke betreffen , die bereits in den Jahr-
büchern recensirt oder einem ordentlichen Mitarbeiter zur Be-
urtheilung übertragen sind, und sobald sie ihrer Form und
ihrem Werthe nach zur Aufnahme sich eignen. Entsprechen
sie den zu machenden Forderungen, so werden wir sie nicht al-
lein recht freundlich willkommen heissen , sondern wünschen
auch recht sehr, dass recht viele dergleichen Beiträge eingehen*
mögen. Denn wenn wir auch im Allgemeinen den Grundsatz
festhalten müssen , für zu beurtheilende Werke die Recensen-
ten uns selbst zu wählen, so sind uns doch desshalb freiwillige
Anerbietungen nicht minder angenehm, ja vorzüglich erwünscht
in der Rücksicht, dass die Zahl unserer ordentlichen Mitarbei-
ter noch lange nicht eine vollständige ist, sondern in ihrer Reihe
noch sehr viele Gelehrte fehlen , deren Theilnahme den Jahr-
büchern die gediegensten kritischen Aufsätze bringen und ih-
nen zur besondern Zierde gereichen würde. Viele von ihnen
fehlen vielleicht durch unsere Schuld , indem sie von uns dazu
nicht aufgefordert wurden, theils weil wir ihre Theilnahme
kaum erwarten zu dürfen glaubten, theils weil uns der Umfang
ihrer iutellectuellen Kraft und Gelehrsamkeit nicht gehörig be-
kannt war. Da wir nun nicht gern durch unsere Unkunde und
Nachlässigkeit mehrere tüchtige Arbeiter für die Jahrbücher
verlieren möchten, so sey hiermit jeder, der sich überzeugt hat,
dass unsere Zeitschrift für die philologisch-pädagogischen Wis-
senschaften etwas Gründliches leisten wolle, und der sie darum
Nachschrift. 137
seiner Beihülfe nicht für unwerth hält , öffentlich aufgefordert,
uns freiwillig und aucli ohne unsere specielle Aufforderung mit
Beurtheilungen hierher gehöriger Schriften zu unterstützen. Be-
sonders sey diese Aufforderung denjenigen ans Herz gelegt,
welche nicht gerade Willens sind, als permanente Mitarbeiter
unsers Instituts aufzutreten , aber doch in einzelnen Fallen ge-
neigt seyn dürften , über irgend ein Werk ihr Urtheil öffent-
lich abzugeben. Um ihnen die vorher nöthige, aber vielleicht
unwillkommene Anfrage zu ersparen, ob das zu wählende Werk
an einen Recensenten bereits versagt sey, werden wir künftig
am Schluss der einzelnen Hefte allemal die Schriften anzeigen,
deren Beurtheilung einem Mitarbeiter bereits überlassen ist *),
und wünschen daher von dem, welcher eine noch unbesetzte zu
wählen gedenkt, nur eine kurze jNachricht darüber, damit sie wäh-
rend der Abfassung der Recension nicht anderweit versagt werde.
In Bezug auf die Einrichtung solcher ausserordentlichen Be-
censiojien sey bemerkt, dass wir nicht blosse Inhaltsanzeigen
oder kurze lobende oder tadelnde Berichte, sondern vollständige
Kritiken zu erhalten wünschen , welche das Wesen und den
Standpunct des beurtheilten Buchs gehörig erörtern und wohl
auch, wofern dies nöthig, über den Inhalt desselben sich selbst-
ständig weiter verbreiten. Am willkommensten werden uns
daher die Beurtheilungen seyn, welche, von dem bestehen-
den Standpuncte des in der recensirten Schrift behandelten
Wissenschaftszweiges ausgehend, derselben ihren Platz genau
anweisen und mit Umsicht darlegen, wie weit sie den behandelten
Zweig gefördert hat und Mas sie noch zu wünschen übrig lässt.
Natürlich wünschen wir auch zu Beurtheilungen der Art solche
Schriften gewählt zu sehen , die ihrerii Inhalte nach als wich-
tig hervortreten und deren Werth eine ausführlichere Erörte-
rung verdient. Fällt die Wahl 'auf Programme oder seltnere
ausländische Schriften, so wünschen, wir hier vorzüglich einen
gedrängten Inhaltsbericht, welcher, mit Uebergehung des Ge-
wöhnlichen und schon anders woher Bekannten, dasjenige im
Auszuge darlegt, was als neu und eigenthümlich oder philolo-
gisch wichtig hervortritt. Gedrängte Kürze ist für jede dieser
Arbeiten ein Haupterf orderniss , so wenig wir auch gesonnen
sind, für irgend eine Beurtheilung eine bestimmte und nicht zu
überschreitende Länge festzusetzen. Für jeden Beitrag müssen
wir auch noch die Namensunterschrift des Verf. verlangen,
da keine Recension anonym oder pseudonym aufgenommen wer-
*) Im ^ oraus machen wir desshalb auf das bibliographische Ver-
zeichniss des in diesen Tagen erscheinenden vierten Heftes des fünften
Bande» aufmerksam , wo die bereits versprochenen Werke mit einem
Kreuz bezeichnet sind.
9*
13H Nachschrift.
den kann. Ob übrigens eine freiwillig uns zugeschickte Re-
cension in Acn Jahrbüchern Aufnahme finden könne oder nicht,
darüber müssen wir uns freilich unser, von dem Werthe der-
selben abhängiges, Urtheil vorbehalten, weil sich kaum erwar-
ten lässt, dass sie alle der Art sind, dass über ihre Zulässig-
keit nie ein Zweifel obwalten könnte. Sollten wir aber auch
in einzelnen Fällen die Aufnahme verweigern müssen, so sey
doch den Verfassern solcher Arbeiten im Voraus die gewis-
senhafteste Discretion und die strengste Verschwiegenheit dar-
über von unserer Seite zugesagt. Findet aber die Aufnahme
der llecensiou statt, so wird sie nicht blos ebenso, wie die
von den ordentlichen Mitarbeitern verfassten Beurtheilungen,
honorirt , sondern überhaupt in allen Zugeständnissen densel-
ben völlig gleich gestellt. Von allen solchen freiwillig einge-
schickten Arbeiten wird ferner portofreie Zusendung verlangt,
wogegen wir erbötig sind, das Porto zu vergüten, sobald die
Aufnahme in die Jahrbücher stattfindet. Doch wird für die-
sen Fall die Zusendung soviel als möglich durch Buchhändler-
gelegenheit oder doch auf dem mindest kostspieligen Wege ver-
langt Alle Zusendungen aber , die der Redaction zur eigen-
händigen Eröffnung zukommen sollen , bitten wir entweder auf
den Namen des Redacteurs (M. Jahn) zu stellen, oder mit fol-
gender Addresse zu bezeichnen:
An die Redaction der Jahrbücher für Philologie und
Pädagogik
zu
Leipzig.
Was dagegen für die Verlagshandlung bestimmt ist, diess werde
an die Expedition der Jahrbücher addressirt.
Noch sieht sich die Redaction genöthigt, zu erklären, dass
sie ihrer vielfachen Geschälte wegen nicht immer jeden an sie
eingegangenen Brief beantworten kann, und bittet daher, nur
auf solche Briefe Antwort zu erwarten, deren Inhalt dieselbe
unumgänglich nothwendig macht. Um indess den Absendern
wissen zu lassen, dass ihre Briefe richtig eingegangen sind,
wird sie künftig am Schlüsse der einzelnen Hefte den Empfang
derselben notiren, und ersucht diese desshalb, sich den Monats-
tag zu merken , an welchem die Briefe geschrieben sind.
Die Redaction.
Inhalt
von des ersten Bandes erstem Hefte.
Vom Gymnasiallehrer Dr.
Bobertag in Brieg.
Vom Dr. Weise in Orla-
münde.
3
30
39 — 59
59
81
Müller: Prolegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie. — Vom Pro-
fessor Dr. Baur in Tübingen. ..... S.
/ idua : Inscriptiones antiquae. — Vom Profess. Dr. Osann in Giessen. .
Ueber die neuesten Bearbeitungen der Griechischen Anthologie. Zweiter
Artikel. [IVcichert : Anthologia Graeca; Sjoestrocm et Bergen-
heim : Anthologium epigrammatum Graecorum ; H. de Bosch : 01>-
servatt. et nott. in Anthol. Graec. , absolvit van Lennep ; Antho-
logia Graeca, edit. Tauchuitz.; JVelcker: Epigrammata Graeca es
marmoribus collecta.] — Vom Prof. Dr. Passow in Breslau.
Matthiä : Lehrbuch für den ersten Unterricht
in der Philosophie. .
Mussmann: Darf auf Gymnasien philosoph.
Unterricht ertheilt werden 1
Bobertag : Ueber den Unterricht in der Phi-
losophie auf Gymnasien.
Hermsdorf : Leitfaden beim Schulunterricht
in der mathematischen Geographie.
Heusinger : Elementargeographie oder To-
pographie des Erdbodens. ■
Hicrschc: Wegweiser durch das Gebiet der
allgemeinen Geographie.
Petersen : Kurzer Abriss der Erdbeschreibung.
Selten : Grundlage beim Unterricht in der
Erdheschreibung. . .
Stein: Kleine Geographie.
Miscellen 126 — 133
Schul - und Universitätsnachrichten , Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 133 — 136
Nachschrift 136 — 138
81 — 126
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JAHRBUCHER
FÜR
PHILOLOGIE und PÄDAGOGIK.
Eine kritische Zeitschrift
in Verbindung mit einem Verein von Gelehrten
herausgegeben
von
Bf. Joh. Christ. Jahn.
Dritter Jahrgang,
Erster Band. Zweites Heft.
Oder der ganzen Folge
Sechster Band. Zweites Heft.
Leipzig,
Dmck und Verlag von B. G. Teubner.
18 2 8.
Si quid novisti rectius istis,
Candidus imperti; si nun, his utero mccuni.
Römische Litteratur.
Luc ilii lunioris Aetna. Recensuit notasque Jos. Scaligeri,
Frid. Lindcnbrachii et suas addidit Fridericus Jacob. Lipsiac, sum-
tibus Frider. Christ. Guil. Vogelii. 1826. XXIV und 270 S. und
ein Blatt Corrigenda et Addenda. 8. 1 Tbl*. 12 Gr.
[Vgl. Jahrbb. Bd. V S. 374.]
"ie meisten der früher dem Virgil beigelegten Gedichte hat
das Schicksal betroffen , unwissenden oder gewissenlosen Ab-
schreibern in die Hände zu fallen. Die dadurch entstandenen
Verderbnisse sind in mehrern derselben so gross, dass man
?.n ihrer gänzlichen Heilung um so mehr zu verzweifeln anfängt,
je genauer man sich mit ihnen bekannt macht* Aber nicht die
Handschriften allein tragen die Schuld ; mehr noch kommt, wie
überhaupt bei den meisten classischen Schriftstellern, auf die
Rechnung der Herausgeber, die an die Bearbeitungen solcher Ue-
berreste des Alterthums ohne die nöthige innere und äussere
Vorbereitung gingen, und den Lesern zumutheten, ihre sub-
jectiven Urtheile für objective Wahrheit anzunehmen. Unbe-
kümmert um das Dasein und die Lesarten der Handschriften
schrieben sie den frühern theiis aus schlechten Quellen entlehn-
ten theils proprio Marte interpolirten Ausgaben diplomatischen
Werth zu , und indem so Conjectur auf Conjectur gebaut und
die ächten Quellen ganz vernachlässigt wurden , entstand ein
Text , über dessen Fehler der Verf. , wenn er ihn zu Gesicht
bekäme, erschrecken würde. Das Gedicht nun, von dessen
neuster Bearbeitung ich hier Bericht geben will, ist, wie weni-
ge, auf die oben angegebne Art gemisshandelt worden. Nur
Seal ig er und Wernsdorf, beide mit sehr beschränkten
äussern Hülfsmitteln versehen, suchten der Sache gründlicher
auf die Spur zu kommen. Beide haben durch richtige Kritik
und Interpretation manche Stelle berichtigt, manche Schwierig-
keit gehoben. Allein immer blieb noch eine sehr reiche Nach-
lese übrig, und man muss sich freuen, dass endlich in unsern
Tagen ein Mann sich des lange vernachlässigten Dichters annahm,
der seinen Gegenstand scharf betrachtend keine Mühe scheute,
um eine Arbeit zu liefern , die dem uiisieheni Schwanken und
10*
142 Römische Litteratur.
Vermuthen ein Ende machen, und für Kritik und Interpretation
des Gedichts eine sichere Grundlage hilden sollte. Jeder Un-
befangne wird gestehen , dass Hrn. J. diese Bemühung gelun-
gen ist und er sich den Dank aller Philologen durch seine sorg-
fältige und gelehrte Arbeit verdient hat. Ohne eine vorhan-
dene Recension zum Grunde zu legen, folgte er den unten nä-
her zu beschreibenden Handschriften, und wo diese nicht auszu-
reichen schienen, seinem eignen Urtheil, das ihn nicht selten
zu sehr glücklichen Vermuthungen leitete , die er nur bisweilen
etwas zu dilatorisch hinstellt. Mit Glück ist die Lesart der
Handschriften oft gegen voreilige Aenderungsversuche gerecht-
fertigt (s. zu Vs. 9, 13, 15, 20, 31, 36, 57,61), falsche aber blenden-
de Lesarten dieser oder jener Handschrift abgewiesen (s.Vs. 11,
12), bisweilen auch die keines weitern Beweises bedürftige Lesart
stillschweigend aufgenommen worden (s. Vs.fS). Treffliche Be-
merkungen, besonders über den poetischen Sprachgebrauch,
vermehren unsere Kenntniss des Lateinischen Idioms (s. zu Vs. 1,
20, 55, 60, 68) und mit Glück verbreitet sich auch der Hr. Her-
ausgeber gelegentlich über andere Schriftsteller, besonders über
Lucretius und Manilius. Grössere Sorgfalt wäre vielleicht in
der Interpunction nöthig gewesen, wo namentlich der zu häu-
fige Gebrauch des Comraa stört ; bisweilen finden sich auch Ver-
sehen in der Angabe der Lesarten der Handschriften, die nicht
immer aufgenommen worden sind, selbst wo Hr. J. sie für rich-
tig erklärt. So steht Vs. 29 noch jetzt fallacia, da doch alle
codd. pellacia haben, was in Ann Bemerkungen mit Recht vor-
gezogen wird. Nach dieser allgemeinen, aus voller Ueberzeu-
gung ausgesprochenen Anerkenntniss der Leistung des Herrn
Herausgebers, der sich auch besonders durch die aus der Phy-
sik und Naturkunde der Alten entlehnten Erklärungen um den
Dichter verdient gemacht hat , und namentlich auch durch die
Gleichmässigkeit , mit der er das Ganze behandelt, sich sehr
zu seinem Vortheil von andern neuem Herausgebern unterschei-
det, will ich nun Herrn J. durch einen Theil seines Buches be-
gleiten, und bei der Erwähnung der Abweichungen von der
Wernsdorf sehen Lesart über einige Stellen meine Ansicht mit-
theilcn, wo diese von der des Hrn. J. abweicht.',
In der Vorrede, die, trotz ihres geringen Umfangs, manche
wichtige Sache zur Sprache bringt, erzählt zuerst Hr. J. , dass
er den Aetna zur Erholung von einem weitläuftigen Werke über
die Römischen Partikeln bearbeitet hat, durch dessen Ankündi-
gung er den Philologen eine sehr erfreuliche Nachricht mittheilt.
Nach kurzer aber gerechter Würdigung seiner Vorgänger in der
Bearbeitung des Aetna gellt er zu den Handschriften über,
deren Gebrauch ihm selbst verstattet war. Er besass nämlich
1) eine durch Hrn. Prof. Lachmann in Berlin verfertigte Colla-
tiou des Cod. Hclmstadiensis, jetzt bei Ebert Nr. 917 \ — 2) und 3)
Lucilii Aetna. Rccens. Jacob. 143
zwei Collationen , die er aus dem Nachlasse des verstorbenen
F. A. Wernike durch dessen Bruder Julius Wernike erhielt. Der
Nr. 3 bezeichnete Codex ergab sich als der llehdigersche(s. jetzt
auch Praef. ad Statium Marklandi p. XX) , von dem Hr. Prof.
Passow , der auch mir mit demselben Codex eine grosse Gefäl-
ligkeit erzeugte, dem Herrn Herausgeber eine zweite eigen-
händige sehr genaue Collation überschickte. Der Aufbewah-
rungsort von Nr. 2 konnte nicht entdeckt werden. Alle diese
Bücher fliessen, wie auch das Fiorentinische, aus einer und der-
selben Quelle. Dieser Codex Florentinus aber, von Nie. Heiu-
sius excerpirt und in den Actis Societ. Lat. Jen. V, init. so wie
auch in der Pf. Bibliothek der schönen Wissenschaften und freien
Künste 59, 311 in diesen Excerpten jedermann zugänglich, führt
nur mit Unrecht seinen Namen. Er enthält nur einen Theil
des ganzen Gedichts (Vs. 130 — 289) und wird in keinem Cata-
log der Mediceischen Bibliothek erwähnt, und sollte vielmehr
Lucensis genannt werden. INicolaus Hcinsius nämlich sagt in
der Vorrede zum Claudian (Amstel. 1065) dass erExcerpte ei-
nes Cod. Lucensis zu unserm Gedichte gefunden, die Hand-
schrift aber selbst vergebens gesucht habe. Diese Excerpte be-
sass Ernstius , von dem sie Heinsius entlehnte und den Cata-
lecten des Pithoeus beischrieb , welches Exemplar später an
Kulenkamp und durch diesen an Fr. Chr. Matthiae gelangte. In
diesem Exemplar hatte Heinsius jene Excerpte als aus einem Cod.
Florent. entnommen angegeben, gewiss nur desswegen, weil sie
ihm Ernstius in Florenz mitgetheilt hatte. Nun aber Avird wirk-
lich in der Bibliotheca Medicea ein an eine alte Ausgabe des
Claudian angebundnes handschriftliches Fragment unsersGedich-
tes (Vs. 267 — 285) erwähnt (Bandini Tom. II col. 96. Cod. I.),
dessen Varianten früher von Schrader den Catalecten des Pi-
thoeus beigeschrieben, später von Heeren zum zweitenmal ex-
cerpirt wurden, die mit dem erstgenannten grössern Fragment
genau übereinstimmen. Warum aber sogleich daraus gefolgert
Averden soll, dass der Cod. Lucensis und das Fragm. Medic. die-
selbe Handschrift geAvesen seien, ist nicht abzusehen. Viel-
mehr nimmt Hr. J. richtiger an, dass das Fragm. Medic. aus dem-
selben Cod. Luc. abgeschrieben sei, Avoher die längern Hein-
sius'schen Excerpte genommen werden, widerspricht sich aber
selbst, wenn er diese Excerpte schedas Mediceas nennt, da
sie ja nicht in der bibliotheca Medicea sondern nur in dem Be-
sitz von Ernstius, der Sammlung des Pithoeus beigeschrieben,
sich befanden. — Hierauf geht S. XII. Ih\ J. zu den Lücken
über, die unser Gedicht entstellen und so viel zu seiner Sclnvie-
rigkeit beitragen, und indem er zuerst bemerkt, dass viele
Verse ausfallen konnten, ohne dass A\ir dicss bei der abgeriss-
neu Schreibart des Lucilius bemerken, sucht er die Entstehung
dieser Lücken auf eine überraschende Weise zu erklären. Er
144 Römische Litteratur.
nimmt an, dass der Urcodex mit Longobardischen Buchstaben
geschrieben, die an und für sich zu grossen Verirrungen Anlass
geben konnten , auf jeder Seite achtzehn Zeilen enthielt , von
denen dann die untersten leicht ganz oder theilweis vertilgt
werden konnten. Woher Hr. J. auf diesen Gedanken gekom-
men sei, giebt er nicht an, und erzählt nur, dass er durch ei-
nen Irrthum sich in ihm gebildet habe. Als Beweis aber führt
er die allerdings auffallende Erscheinung an , dass fast stets
nach dem 18ten Vers bedeutende Corruptelen oder Lücken vor-
handen seien. So ist Vs. 53 (im Urcodex fol. 2 rect. penult.)
nur in Bruchstücken erhalten, Vers 70 ff. stimmen zu den frühern
sehr wenig; 105 — 108 seien ebenfalls sehr verdorben, u. s. w.
Ich will nicht leugnen, dass diese Ansicht manches für sich hat.
Allein dennoch scheint es nöthig, die grösste Vorsicht anzuwen-
den. Denn erstens ist nicht allemal bei dem 18ten Vers eine
Lücke; zweitens finden sich , wie Hr. J. selbst zugiebt, auch
Lücken an andern Stellen, wo die verhängnissvolle Zahl nicht
spukt ; drittens darf man einem Dichter wie Lucilius schon man-
chen kühnern Uebergang zutrauen, ohne desswegen sogleich
den Verlust von einem oder mehrern Versen anzunehmen, und
viertens ist selbst in den genausten Codd. bisweilen die Zahl
der Zeilen auf den einzelnen Seiten verschieden. Gleich bei
der ersten Stelle können wir nicht ganz mit Hrn. J. über-
einstimmen. In der Vorrede sagt er, dass Vs. 18 der letzte der er-
sten Seite gewesen sei, und demnach fehlte hier nichts, ind ern eine
hinter ihm befindliche Lücke nicht möglich war. Und doch heisst
es imCommentar S. 86 dass Vs.19 desswegen nicht mit Vs. 18
genau zusammenhänge, weil zwischen beiden sehr leicht ein Vers
ausfallen konnte. War diess der Fall, so musste die Hand-
schrift auch an dem obern Rand der Blätter verstümmelt sein,
Mas denn doch die Sache wohl etwas zu weit treiben Messe.
Ja um es noch genauer zu nehmen, möchte eben hier noch be-
sonders folgender Umstand beachtenswerth sein. Wer sehr
alte oder altern genau nachgebildete Codd. in den Händen ge-
habt hat, weiss, dass die Schreiber die Ueberschrift des Buchs
eben so weit von dem obern Rand entfernten, als den Text auf
den nachfolgenden Seiten. (Man vgl. z. B. das Facsimile von
2 Handschriften des Coluthus in der Ausgabe von Julien , Pa-
ris 1823, p. 2 und 32.) Nehmen Avir aber nur den Raum einer
einzigen Zeile an, deu der Schreiber des Urcodex brauchte,
um etwa sein AETNA INCIPIT einzuschwärzen , so ergiebt
sich daraus, dass die erste Seite mit Vs. Yi endigte, und die
zw eile mit Vs, 18 anfing , wo wir dann annehmen müssen , dass
eine Lücke mitten in den übrigen Versen zwischen 18 und 19
entstanden sei. Allerdings ist diess möglich; aber wozu bedarf
es denn jener Erklärung'? Und gewiss wird mich niemand der
Kleinigkeitskrämerei beschuldigen , da ja Ih\ J. durch seine
Lucüii Aetna. Recens. Jacob. 145
Annahme eine ganze Ciasse von Corruptelen statuirt , und bei
solchen neuaufgestellten Sätzen jede Möglichkeit beachtet
»erden rauss , die dafür oder dagegen spricht. Desswegen
musste hier auch im Widerspruch mit dem, was ich oben selbst
erwähnte, die gleiche Zahl der Zeile» auf allen Seiten festge-
halten werden. Allein es fragt sich hier noch besonders, ob
denn wirklich Vs. 18 und 10 gar nicht im Zusammenhang ge-
dacht werden können. Sie lauten nach Hrn. J. folgender-
maassen:
Quis non Argolico deßevit Pergamon igni?
Impositam et tristi gnatorum funere mattem?
Früher wurde das Fragezeichen nach igni weggelassen, und
Pergamon impositam verbunden, so dass dann der übrige Theil
des zweiten Verses einen neuen Gedanken enthielt. Dagegen
hat Hr. J. eingewendet, dass, da Lucilius weiter xyuten flebile
Pergamon sage, der Gebrauch desselben Wortes in verschiede-
nem Geschlecht anstössig sei, obgleich hier die Analogie die
Inconsequenz entschuldigt. Ileusinger zu Vechners Hollenole-
xias S. 30 hat diess durch Beispiele, wie Tigranocerta, orum
(bei Tacit. Annal. XV, 5) und Tigranocertq, ae (idem XIV, 24),
Thyatira, orum (Liv. XXXVII, 8) und Thyatira, ae (id. 44)
vollständig bewiesen *). Wenn wir nun die alte Interpunction
wieder hervorsuchen, so fragt sich, welche Erklärung dann
möglich ist. Ohne seihst die Stelle zu erläutern, was auch die
Uebersetzung,
Wer hat Pergamon nicht in argivischer Flamme beweinet,
nicht vermag, verwirft Hr. J. jeden Versuch mit den Worten:
quis urbem tanquam corpus aliquod igni impositam audivit?,
fügt aber freilich unmittelbar hinzu; possedici, si quis satis
audas sit, non nego. Und wahrlich, eine solche Audaciä darf
bei einem Lucilius nicht befremden, zumal da es sich noch fragt,
ob es denn so sehr kühn sei. Zuerst nämlich hat Hr. J. die Bedeu-
tung des Wortes impositam viel zu eng gefasst, welches hier
*) Aehnliche Beispiele hat auch Hofman-Peerlkamp in ähn-
licher Absicht (Biblioth. crit. nova III. p. 246) angeführt, dessen Beur-
theilung der vorliegenden Ausgabe ich erst nach der Vollendung meiner
Anzeige verglehhen konnte, Worinnen ich zu meiner Freude mit
diesem trefflichen Gelehrten übereinstimme , habe ich in den unterge-
setzten Anmerkungen gewissenhaft angegeben; und ich würde dann je-
desmal von mir geschwiegen haben, wenn nicht sich wieder mehrere
Verschiedenheiten in der Auffassung und Erklärung gezeigt hätten; diess,
60 wie der Umstand, dass der Holländische Gelehrte sich gewöhnlich
mit der einfachen Erwähnung seiner Annahmen begnügte, die Beweis-
führung aber für unnöthig hielt, mag mich entschuldigen und gegen
den Verdacht eines Flagiums rechtfertigen.
146 Römische Litteratur.
(ähnlich dem entgegengesetzten suppositus bei Catull. 67 , 32)
ganz einfach bedeutet positus, conditus in aliqua re , super-
structus alicui rei. Die Worte aber selbst müssen dann durch
die den Dichtern sehr gewöhnliche historische Prolepsis erklärt
werden, nach der durch Anticipirung historische Ereignisse
als schon bestehend erwähnt werden, während sie doch erst in
Folge anderer Ereignisse möglich wurden. (Bentl. opusc. p. 17
— 39. Aehnlich ist die rhetorische, über die zu vergleichen ist
Cicero N. D. I, 16, c. n. Davis.) Troja war nun vom Schicksal
dazu bestimmt , von den Griechen verbrannt zu werden (s. Ca-
tull. 64, 344 ff, Horat. Od, I, 15, 35), und die Worte sind nach
dieser einfachen Erklärung nicht kühner, als die ähnlichen bei
Horaz ; et incedis per ignes suppositos cineri doloso. Scheint
nun bis jetzt die Stelle gegen den Verdacht einer Corruptel ge-
rechtfertigt, so bleibt noch der Rest des zweiten Verses übrig,
den man sehr verschieden erklärt hat. Einige denken an die
Medea, andere an die Aerope, Gemahlin des Thyestes, Hr. J.
an dieNiobe; auch ist Iocaste erwähnt worden, die nach vie-
len alten Dichtern ihre Söhne überlebte. Allein der Zusam-
menhang der Stelle zeigt, dass der Gedanke des ersten Verses
in dem zweiten fortgeführt wird. Mit Recht hat daher schon
der Glossator des Codex Helmstadiensis den Namen der Hecuba
zugeschrieben. Wem ist ihr Jammer unbekannt*? und wie schön
stimmen hierzu die auf dasselbe Ereigniss bezüglichen Worte
des Catullus(64, 319):
Saepe fatebuntur gnatorum in funere rnatres,
nach welchen mit einer sehr geringen Aenderung, indem der
einfache Ablativus hier kaum gerechtfertigt werden kann , und
durch Hrn. J. auch mittelst einer vollständigem Stelle bei Ne-
mesian. Cyneg. 38 und einer corrumpirten des Properz (vgl. dort
Hrn. Jacob p. 226) nicht gerechtfertigt worden ist , die beiden
Verse vielleicht so zu schreiben sind :
Quis non Argolico deflevit Pergamon igni
Impositam , et tristi gnatoruM IN funere malrem ? *)
Wie erklärt sich nun vollends die Lücke auf der ersten Seite des
IJrcodex, da doch die zweite Seite, wo Vs. 35, 36 den Schluss
machten, nicht die geringste Spur einer Corruptel zeigt?
Vs. 53 ist allerdings auf uns nur in einzelnen Worten gekommen,
was sich aber zum Theil auch daher erklären lässt , dass zwei
Verse mit demselben Worte anfangen, woraus bekanntlich un-
zählige Versetzungen und Auslassungen entstanden sind. — r
Neuen Anstoss fand Hr. J, und musste ihn finden bei Vs. 70 ff.,
denen er allen Zusammenhang mit den vorhergehenden Zeilen
abspricht ; mit welchem Rechte will ich jet?t dem Leser darie-
*) So bereits Hofnian - Feerlfcamp a. a. 0, S. 248,
Lucilii Aetna ltccena. Jficol». 147
gen. Von Vs. 41 an hatte Lucilius sich vorgenommen, ilie zwei-
te mythische Erklärung der Ausbrüche des Aetna sä widerlegen.
Kr erzählt daher den Krieg der Giganten gegen die Götter, und
Vs. 62 ff. den Sieg, den lupiter durch seine Blitze über sie da-
von trug, worauf er so fortfährt:
— Tum pax est reddita coelo.
68 Tum Liber celsi venu per sidera coeli,
Defensique decus mundi nunc redditur astris.
70 Gurgite Trinacrio morientem lupiter Aetna
Obruit JjJnceladum; vasti quoque pondere viontis
Aestuat et petulans exspirat faueibus ignem.
Haec est mendosae vulgata licentia famae.
Hr. J. bemerkt in der Vorrede nur : Versus 70 sqq. vide quam
aegre ad priora coeant. Ist aber irgend eine Stelle in einem
Schriftsteller des Alterthums unverdorben, so ist es diese. Lu-
cilius nämlich, von einem gewissen Oestro poetico getrieben, geht
von der Beschreibung des Siegs sclmell zu seinen Folgen über,
und muss nun, was früher erwähnt den Gang der Verse unter-
brochen haben würde, den eigentlichen Zweck dieser Digression
nachholen. Vortrefflich stimmt damit Vs. 73 überein. Es
kam ja hier nicht darauf an, die Folgen des Siegs im Allge-
meinen zu schildern — diess geschieht nur beiläufig — , son-
dern der Schluss des Ganzen musste die Bestrafung des Ence-
ladus sein. Ich werde unten an einem andern Beispiel zeigen,
wie sehr es dem Sprachgebrauch unsers Dichters angemessen
ist, solche Parenthesen in sein Gedicht einzuflechten und dann
mit einer etwas kühnen Wendung zu dem zurückzukehren, wo-
von er bei dem Anfang der Parenthese ausging. Da ich mich
aber einmal mit dieser Stelle beschäftige, so werde ich sogleich
hier noch eine Aenderiing des Herausgebers erwähnen , die er
in den Anmerkungen zu ihr vorträgt. Grossen Anstoss nämlich
erregt in ihm die Erwähnung des Bacchus, wozu er nicht den
geringsten Grund sich denken kann. Denn Bacchus kam erst
nach vielen auf der Erde vollführten Grossthatcn in den Olymp,
nicht aber damals. (Wo ist denn hier die Verbindung zwischen
der Gigantomachie und den Zügen des Bacchus sichtbar'?) An
Bacchus Zagreus lässt sich auch nicht denken (nur ein Cieri-
cus konnte einen so absurden Einfall haben!) und es muss hier
gelesen werden :
Thuribulum et celsi venu per sidera eoeli,
welches von dem Himmelsgestirn des Altars erklärt wird, der
damals von den Göttern selbst zur dankbaren Erinnerung an ih-
ren Sieg unter die Sterne versetzt wurde. So geistreich aber
und gelehrt auch diese Combination ist, so scheint doch dem
Bacchus sein Platz nicht entrissen werden zu dürfen, indem
schon Wernsdorf mit vollem Recht die Worte deslloraz (Od.
II, 19, 21) angeführt hat, wo, nachdem die Erlegung desKhoe-
148 Römische Litteratur.
tus durch den Bacchus erwähnt worden ist, der Dichter so fort^
fährt:
Quamquam choreis aptior et iocis
Ludoque dictus (es) .
Offenbar will daher auch Lucilius hier sagen, dass neue Freude
und Heiterkeit zu den Göttern zurückgekehrt sei, welcher Ge-
danke um so erklärlicher wird , wenn wir ihn in Verbindung
mit Vs. 02 setzen: Stant utrimque Metus. Somit ist nun wohl
mich kein Zweifel , dass aus dem tune des Codex Vratisl. tum
geschrieben und in den Text aufgenommen werden muss, was
wir dann unbedenklich von jenem Himmelsgestirne verstehen,
indem jede andere Deutung ungelenk und schleppend ist. In
Vs. 68 hat Hr. ,T. aus dem Cod. Heimst, (wenn ich die Varian-
ten-Angabe anders richtig verstehe) celsi geschrieben, und
den Sprachgebrauch der Präposition per sehr gut erläutert. -~-
Bei der vierten Stelle (Vs. 105—108), die Hr. J. zur Bestäti-
gung seiner Meinung anführt, ist es zuerst auffallend, dass er
in der Vorrede sie als eine solche anzeigt, deren Theile non
saniores seien ; was man in diesem Zusammenhange nur von dem
Vorhandensein einer Lücke verstehen kann; während er in der
Anmerkung sie behandelt, wie jede andere kritisch verdächti-
ge Stelle zu behandeln ist, und sogar nach einigen vorgeschla-
genen und auch in den Text aufgenommenen Veränderungen
hinzufügt: sensus autem expeditissimus est. Um nun den Le-
ser in den Stand zu setzen , über Hrn. Jacob's Ansicht ein
selbstständiges Urthcil sich zu begründen, ist es nöthig, die
ganze Stelle hier im Zusammenhang wiederzugeben, und zwar
wie sie bei Wernsdorf lautet:
101 Scilicet haud olim diviso corpore mundi
In maria, ac terras et sidera, sors data coelo
Prima, secuta maris, deseditque infima tellus
Sed totis rimosa cavis , et qualis acervus
105 Exsüit imparibus iactis ex tempore saxis,
Ut crebro introrsus spalio vacuata corymbos
Pendeat in sesc; simüi quoqite terra Jigura
Li tenues laxata vias , jion omnis in aretum,
109 Nee siipata coit,
Für haud (Vs. 101) hat Hr. 3. nach Handschriften und Zusam-
menhang richtig geschrieben mit; Vs. 104 steht bei ihm ut,
qualis, Vs, 10G Sic — vacuata, corymbus, und Vs. 107 ist das
Colon gestrichen, sodass die Worte Pendeat in sese das Schluss-
verbum zu terra enthalten. Allein auf den ersten Blick stört
die beispiellose und ^egen alle Denk- und Sprachgesetze strei-
tende Durcheinanderwerfung verschiedener Schhissverba eines
Subjects, indem das eine, Pendeat (Coiijunctivus) in der Par-
enthese, das andere, coit (Indicat.) in dem Hauptsatz sich fin-
det. Zweitens ist dann als Apposition gebraucht corymbus,
Lucilii Aetna. Reoens. Jacob, 149
was stillschweigend aus dem corymbos der Handschriften ge-
schrieben worden ist. Unmöglich kann ohne ein hinzugesetztes
velut die Erde geradezu eine Epheutraube genannt werden.
Endlich möchte das sie — simili quoque figura sich kaum recht-
fertigen lassen. Unendlich schleppend wird überhaupt der Satz
von der zweiten Hälfte des 108ten Verses an. Ohne nun corym-
bus als femininum annehmen zu wollen, denn r\ xoQVfißrj der
Griechen hierher zu ziehen möchte niemand ungestraft wagen,
ohne ferner eine einzige jener Aenderungen des neusten Heraus-
gebers zu billigen, glaube ich im Widerspruch mit seiner An-
sicht, aber übereinstimmend mit Scaliger und Wernsdorf, dass
die Verderbniss der Stelle in dem seiner Bedeutung nach hier
kaum zu rechtfertigenden vacuata liegt, und dass für SPATIO-
VACUATA gelesen werden muss SPATIQEXAEQUANTE. Die
Aenderung in den Buchstaben wird den der Paläographie Kundi-
gen als sehr unbedeutend erscheinen, zumal wenn mau sich er-
innert, dass für qu sehr oft c und umgekehrt gesell rieben wurde.
So , um diess kurz zu erwähnen , muss in der Curia \ s. 5 für
sibi quaerere, was gar keinen Sinn giebt , decurrere gelesen
werden. Das Verbum exaequare findet sich unter andern auch
bei Ovid (Amor. III, 8, 61):
AI nunc, exaequet tetricas licet illa Subinas.
Die ganze Stelle ist nun nach meiner Meinung so zu interpungi-
ren und zu schreiben ;
101 Scilicet aut olim, diviso corpore mundi
In maria ac terras et sidera, sors data coelo
Prima, secuta maris, deseditque inßma tellus,
Sed totis rimosa cavis ,■ et qualis acervus
105 Exsilit imparibus iactis ex tempore saxis
Ut, crebro introrsus spalio exaequante corymbos,
Pendeat in sese , simili quoque terra ßgura
In tenues laxata vias, non omnis in aretum
Nee stipata coit,
„und so wie ein Steinhaufen aus ungleichen Steinen zufällig zu-
sammengeworfen sich erhebt, so dass er, indem die drinnen
„ befindlichen häufigen leeren Bäume den Epheutrauben gleich
„kommen, in sich selbst schwebt, auf ähnliche Weise u. s. w."
Doch es genüge, durch diese wenigen Beispiele bewiesen zu
haben, dass jene neue Yermuthung Herrn Jakob's über die Lük-
ken, deren er offenbar zu viele annimmt, durchaus nicht so be-
gründet sei , wie sie ihm erscheint. Die Worte : illud profecto
a vero aberraret , si quis tot et tanta indicia casui nescio cui
tribuens , nihil huic meae conjeeturae concedere vellct, stellen
allerdings die Untersuchung ziemlich als abgeschlossen dar.
Erweist sich aber, wie es nach meinem Dafürhalten sich nicht
anders annehmen lässt, dass gleich die 3 ersten Stellen (denn
Ys. 53 lasse ich, wie schon oben geschehen, ganz ausser dem
150 Rumische Litteratur.
Spiele), auf die jene Hypothese begründet wurde, sich ohne
unkritische Willkührlichkeit durchaus nicht dafür gebrauchen
lassen, so dürfte man wohl, ohne das Dasein so mancher Lücke
leugnen zu wollen, an dem neuen Erklärungsversuche etwas irre
werden. Wenigstens müsste die Beweisführung schärfer und
umsichtiger sein, als sie es, wenigstens in den bisher näher
beleuchteten Stellen, in Wahrheit ist.
Von diesem Abweg kehre ich jetzt zu der Vorrede zurück,
in der Hr. J. p. XIV beweist, dass alle Handschriften zwar aus
einer Quelle geflossen sind, aber der Cod. Florent. und Helmstad.
einer sorgfältigem Abschrift folgen, Mährend 2 und 3 eine
trübe Quelle verrathen. Die membrana Scaligeri (über die et-
was genauer zu sprechen war; s. Scaliger ad Vs. 224 p. 146 und
Vs. 279 p. 163 dieser Ausgabe) gehört nach Hrn. J. zu einer an-
dern Classe, und es wäre gut gewesen, der bessern Uebersicht
wegen, die wenigen Varianten, die Scaliger aus ihr mitgetheilt
hat , mit der übrigen Varietas lectionis dem Texte unterzuse-
tzen , zumal da diess die Absicht des Herausgebers selbst nacb
seinen eignen Worten (s. p. XV gegen Ende) gewesen zu sein
scheint. Mit, dem grössten Recht unterliess er, die Varianten
aus den alten Ausgaben hinzuzufügen. Vollkommen stimme ich
ferner den Grundsätzen bei, die den Herausgeber bei seinen
Conjecturen leiteten. Gedichte wie der Aetna, der Culex, die
Ciris und ähnliche gestatten und verlangen durch ihren jetzigen
Zustand eine andere Art der Behandlung, als z. B. Virgilius
oder Lucanus, wo so viele und zum Theil so treffliche Hand-
schriften uns unterstützen. In dem Namen des Dichters stimmt
Hr. J. mit Wernsdorf überein. In den frühesten Zeiten
ward das Gedicht, weil es mit vielen ähnlichen in Art einer
Anthologie dem Virgilius vielleicht einigemal zugegeben wor-
den war, diesem beigelegt, und so hat z.B. schon Pseudo-Ser-
vius in seiner Vita Virgilii (Cod. Paris. 7959. saec. IX.) folgende
Worte: Scripsit etiam septem sive octolibros hos: cirina. etnam
(i. e. cirin, aetnam, woher sich auch die Verstümmelungen
crina, circina u. s. w. erklären lassen,) culicem. priapeia. cata-
c
lepton. epigrammata. copam. diras. Hiermit stimmen Cod. 7960
und andere überein ; als merkwürdig excerpirte ich mir unter
andern in Paris folgende Worte aus Cod. 7930: Scripsit etiam
acthna de qua ambigitur. I l Folge dieser mit Begierde auf-
gegriffnen Nachrichten ward in den frühern Ausgaben diess
Gedicht dem Virgilius zugeschrieben, bis J. J. Scaliger, der
es in den Catalectis Virgil. herausgab, mit Berufung auf Sene-
cae epist. 79 den Cornelius Severus, Zeitgenossen des Augustus,
als Verf. nannte, ein Maine, der schon in frühem Ausgaben die-
ses Gedichts, ja sogar in Handschriften gefunden wird. Jeder
beruhigte sich bei dieser mehr hingestellten als bewiesnen Be
Lucilü Aetna. Rccens. Jacob. 151
hauptung des grossen Mannes, und nur erst Wernsdorf fand
«len rechten Verf. im Lucilius Junior , Freund des Seneca. Mit
grosser Gelehrsamkeit und tief eindringendem Scharfsinn stellte
er diese Untersuchung an, eine der besten, welche sich in sei-
ner Sammlung der kleinern Lateinischen Dichter finden. Ihm
tritt Hr. J. bei, beweist gegen Markland zum Statius I, 1, 65,
dass das Gedicht einem aevo inferiori nicht angehöre, und bringt
noch folgende Gründe bei, die für Lucilius sprechen. Erstens,
wo der Dichter vom Seneca abweicht, dessen Quaestiones natu-
rales er übrigens oft nachahmt, geschieht diess stets mit Be-
scheidenheit und Vorsicht. Zweitens bedient er sich sehr oft
der Hypallage, wegen deren allzuhäufigen Gebrauch Seneca
selbst den Lucilius tadelt. Drittens sind seine poetischen Be-
schreibungen matt ; glücklicher ist er als gnomischer Dichter,
und die Schwächen seines Freundes kannte Seneca recht gut.
(s. Epist. 21.)
Die Vorrede beschliesst (p. XX — XXIV) die vollständi-
gere Mittheilung der Varianten des Codex Florentinus aus der
N. Bibliothek der schönen Wissenschaften, die Hr. J. erst erhal-
ten hatte, als es nicht mehr möglich war, sie in die Anmerkun-
geu aufzunehmen. Hr. J. fügt die Conjecturen Matthiä's hinzu,
und begleitet sie mit einigen Bemerkungen , die theils seine
frühern Ansichten noch mehr bekräftigen, theils Zweifel gegen
dieselben äussern.
Vs. 6 hat Hr. J. aus den Handschriften richtig geschrieben
Seu tibi Dodona mit Berufung auf Statu Thebais III, 101 und der
Anführung einer Stelle aus Voss's Antisymbolik. Die von dem
Herausgeber nicht entdeckte Quelle, woraus Voss theils dort,
theils in den mythologischen Briefen III, 81, 110, 127 schöpfte,
fliesst, wenn ich mich nicht täusche, im Etymol. M. s. v.
dcüdavaiog, wo zur Erklärung von II. it. 233: Zev ava 4ndco-
vale, folgendes auch von dem Scholiasten entlehnte gesagt wird:
iv %GJQia> xäv rT7tsQßogeo}v ry daöoovi] rL(ic6^£ve tfj ©EöJtQoria,
woraus die Folgerungen leicht gezogen werden können.
Vs. 15 lautet in den Handschriften so :
— (quum) pingui Pallas oliva
Secretos amnes aleret, quum gratia ruris — .
Frühere Herausgeber änderten das , was sie nicht verstanden,
und erst Hrn. J. gelang es , den ersten Theil der Stelle vor je-
nen Anfechtungen zu retten, währender selbst an den letzten
Worten Anstoss nahm. Denn da eine nicht unpoetische, we-
nigstens lebhafte Beschreibung des goldnen Zeitalters voraus-
geht, so beleidigte ihn die gleich darauf folgende Mattigkeit der
Worte: quum gratia ruris, wofür er nun quae gratia ruris cor-
rigirt, und diess mit Gratii Cyneg. 200: quae gratia prima, zu
rechtfertigen sucht. Allein manches scheint gegen diesen Vor-
schlag , der vielleicht etwas zu schnell in den Text aufgenom-
152 Römische Litteratur.
men worden ist, zu streifen. Denn um zuerst bei der Gedan-
kenfolge aller vorhergehenden Worte stehen zu bleiben, so sieht
wohl jeder ein, dass die Verse:
Au, & i cjcuri qiiis nescii secuta regia ?
10 Qntim domitis nemo €erere:n iaetaret in arvis, ^
Venia/ isque malus prohiberei frugibus herbas;
Ännua sed sacras complerent horrea messes,
[pse suo flueret Bacchus pede , mettaque lentis
Pender ent foliis, et pingui Pallas olica
J 5 Secretos amnes ageret , quae gratia ritris ; —
Non cessit cuiquam melius sua tempora nosse.
nicht so interpungirt werden dürfen, wie Hr. J., dessen Aen-
derungen ich gefolgt bin, geüian hat, sondern dass Ys. 15 in
der genausten Beziehung zu Vs.9 steht, und demnach das Frag-
zeichen nach diesem wegfallen muss. Dass diess so ist, zeigt
Vs. 16 , der , wenn er für sich betrachtet wird , sehr gut auf
Vs.9 sich bezieht, aber ganz sinnlos ist, wenn man ihn mit
Vs. 10 flgd. und der oft wiederholten Partikel quam fit Verbin-
dung setzt. Ein zweiter Grund geg^n Hrn. J. liegt in den Wor-
ten quae gratia iuris selbst. Denn das, was sie nach der Ue-
bersetzung ausdrücken sollen:
— und Pallas der fetten Olive
Heimlich gleitende Ström' hinführte, des Landes Er-
quickung,
bezeichnen sie durchaus nicht; und selbst diess angenommen,
sind die Worte dann weit matter, als die gewöhnliche Lesart.
Das so nachschleppende quae ist unerträglich! Ferner streiten
diese Worte gegen den Sinn. Kann man denn nurdemOelbaume
gratiam ruris beilegen? Verdient nicht vielleicht Bacchus viel-
mehr den Vorzug ? Wie wird im Allgemeinen rus zu erklären
sein? Wo findet sich eine Stelle, die gratia in dem hier ange-
nommenen Sinne rechtfertigt? — Auch hier ist die Lesart der
Handschriften (denn das in einem Codex gefundene tum ist nur
Krücke zum leichtern Verständniss) die einzig richtige und dem
Lucilius sehr angemessen. Quum gratia ruris nämlich setzt die
vorige Schilderung fort. Der Dichter geht von der Fruchtbar-
keit j",nes Zeitalters zu der unveränderlichen Lieblichkeit über,
in der damals die Natur prangte (Ovid. Metam. I, 107, 108).
Er führt aber diess nicht aus , sondern unterbricht sich mit ei-
ner häufig vorkommenden Aposiopese, so dass der Satz nun als
völlig geschlossen anzusehen ist*) und Vs. 15 nur zur Verstär-
*) Einen andern Ausweg schlägt Hofman - Peerlkamp S. 244 ein,
ftllein mit zu kühnen Aenderungen , indem er Securos homines aleret
quum gr. r. vorschlägt , was eich aber auch aus andern Gründen nicht
rechtfertigen läset.
Lucilii Aetna. Rerens. Jacob. 153
kung von Vs. 9 «nd zum Uebergang zu den folgender» dient.
Gratiaruris ist auf eben die Art zu verstellen, >\ie gratia vil-
lae bei Plin. Epp. II, 17. Eine ähnliche, durch den Affect im-
terbrochne Ausdrucksweise findet sich in d. Ciris 260, welche.
Stelle aus der Ed. 1 nach berichtigter Iuterpunction so zu le-
sen ist :
Dicam equidem , quoniam — quid non tibi dicere nutrix
Non sinis ? — Extremum hoc munus morientis habeto.
Vgl. Ciris 13X
Nachdem der Dichter verschiedene alte Epopöen kurz er-
wähnt hat, geht er mit folgenden Worten, die wir nach Hrn. J.
geben, auf sich selbst über:
23 Quidquid in antiquum iaetata est fabula Carmen;
Fortius ignotas molimur pectore curas:
25 Quis tanto motus operi, quae causa perennis
Explicet immensum flammas , extrudat ab imo
Ingenti sonitu moles, et proxima qvaeque
Ignibus irriguis urat. Mens carminis kaec est.
Scaliger und Wernsdorf haben Vs. 23 für verdorben erklärt,
und durch Conjecturen zu heilen versucht. Auch Nr. J. stimmt
ihrem Urtheil bei, und schlägt mit den Worten: Mihi quidem
verissimum est, Luciliuni scripsisse, vor, zu lesen:
Quid quod et Aetnaeum iaetata est fabula carmen,
weil die nächsten beiden Zeilen zu abgebrochen da stünden,
wenn nicht die Erwähnung des Aetna kurz vorhergegangen
wäre. Wie aber die Worte nach dieser Conjectur zu erklären
sind, hat Hr. J. anzugeben unterlassen. Die Uebersetzung:
Ist doch das Mährchen vom Aetna selbst ein gepriesenes Epos,
reicht auch hier nicht aus. Denn entweder müsste es
heissen : Aetnaea iaetata est fabula carmen oder Aetnaeum
iaetatum est fabula carmen. So wie jetzt die Worte lauten,
heissen sie nichts anders : Ja sogar auch das Lied vom Aetna
hat sich als Fabel verbreitet ; Fabula iaetata aber für fabula ce~
lebrata zu erklären, wie es allerdings in der Uebersetzung liegt,
erlaubt die Bedeutung von iaetare nicht, und selbst dann, wie
jeder ohne meine Erinnerung sieht, müsste es heissen Aetnaea
fabula est carmen iaetatum. Allein gesetzt, wir stimmten auch
mit Hr. J. in dem Wortverstand der Stelle überein, so fragt
sich noch immer, wie der Vers sich nun zu den übrigen ver-
hält. Wenn schon das Mährchen vom Aetna von vielen behan-
delt worden war, was übrigens nur von beiläufiger Erwähnung
gelten zu können scheint (Heyne ad Virg. Aen. III , 578), nicht
eben von grössern epischen Gedichten gesagt werden kann, die
mit Hesiods und andrer Schilderung der Weltalter, mit den
Argonautiken , Thebaiden u. s. w. an Umfang wetteifern könn-
ten, warum nimmt denn der Dichter in den nachfolgenden Versen
den Mund 80 voll'} Der Unterschied zwischen der epischen
154: Römische Litteratur.
und philosophischen Behandlung jenes Stoffes , den Hr. J. viel-
leicht etwas sophistisch in dem Wort cura wiederfindet, ist
zu wenig hervorgehoben. Wollte diess der Dichter ausdrücken,
so musste er den Gegensatz vor allen bemerklich machen, dass
andere episch , er aber (nicht einmal ein nos findet sich) philo-
sophisch und naturhistorisch den Aetna besinge. Jetzt schlep-
pen sich die beiden Verse mühselig neben einander hin, und
Hr. J. hat noch immer nicht erklärt, wie dann die Worte tanto
operi zu nehmen seien , damit sie nichts von ihrer Bedeutung
verlieren. Diese Worte aber enthalten nichts, was eine Aen-
derung nöthig macht, wenn wir uns nur erinneren, dass Luci-
lius sogleich im ersten Verse seines Gedichts den Inhalt genau
angegeben hatte. Nach etwas anmaassend schliessender Paren-
these von Vs. 9 — 24, die ganz im Geist des Zeitalters ist
(vgl. Ciris 22 — 85, Culex 26—40), kehrt er zu seinem Vor-
wurf zurück. Daher ist es nöthig , nach curas vollständig zu
interpungiren, dass demnach Vs. 25 ff. von den Worten mens
carminis haec est abhängen, was auch dem Sprachgebrauch weit
angemessner ist (vgl. Lucret. I, 50, Virg. Georg. 1, 5), als wenn sie,
wie jetzt, von den übrigen abgerissen sind. Nun kann ich zu
obigem Verse zurückkehren , der genau zu untersuchen ist, da-
mit seine Integrität oder Corruptel erkannt werde. Was wollte
zuerst der Dichter sagen4? Offenbar nichts andres als: „Andere
haben den oder jenen Stoff besungen; ich bin kühnerund be-
handle etwas bisher unbekanntes." Wenn man nun aber die
Worte, wie sie in der Vulgata stehen, genau aber unbefangen
betrachtet, so ergiebt sich der Sinn: In welches alte Gedicht
nun auch, sei es in welches es wolle, die Fabel geworfen wor-
den sei, so habe ich doch grösseres vor. Fabula steht zuerst
hier absolut, als Begriff, das Ganze der Mythen. So Au-
etor ad Herenn. 1,8: Id genus narrationis , quod in negotio-
rum expositione positum est , tres habet partes , fabulam, hi-
storiam, argumentum. Fabula est, quae neque veras neque
verisimiles continet res. Antiquum cartnen setzt er seinem novo
carmini und ignotis curis entgegen, so dass jene Worte für
Carmen antiqui generis stehen. Und so wie nun jedes Wort
dieses Verses eine Verachtung gegen andere Dichter ausdrückt,
so ist auch' der Ausdruck iaetata est sehr bezeichnend, und ich
möchte mir nimmermehr diesen kühnen, aber durch Analogie
gerechtfertigten Gebrauch nehmen lassen. So wie nämlich im
Allgemeinen die Verba iacere , iaculari u. s. w., wo sie auf die
Rede übertragen werden , sehr oft den vorherrschenden Sinn
des wegiverf enden , verächtlichen und verachtenden haben , so
findet sich auch dieser Sprachgebrauch bei iaetare, ganz vor-
züglich aber, avo, wie jeder weiss, etwas cum fastu et alto su-
percilio vorgetragen wird. Wie kräftig ist nun der Vers des
Lucilius! Um zuerst die angegebne Bedeutung von dem Wort
Lucilii Aetna. Rccens. Jacob. 155
iactare selbst zu beweisen, so glaube ich kein schlagenderes
Beispiel auführen zu können, als folgendes aus Cicero de Orat.
I, 16 § 73:/ßc?Ye deckt? atur , utrum *s, gut dicat, tantummodo
in hoc declamatorio sit opere jactatus , an cd dicendum Omni-
bus ingenuis artibus instructus accesserit. Die Construction
aber endlich ist dieselbe, welche sich oft bei dem Verbo con-
jicere findet, welches Lucilius aber verschmähte, weil ihm das
andere nachdrücklicher war. So Cicero ad Att. XVI, 6 : itague
— conjeci {istud prooemiuin) in eum librum, guem tibi misi.
VII 5 16: plura praeter ~ea in eandem epistolam conjeci. — In
dem folgenden Verse hat Hr. J. guis aus Handschriften aufge-
nommen, trefflich immensum corrigirt (entgangen ist ihm, dass
Markiand ad Stat. Silv. III, 1, 1(53 dieselbe Emcndation ge-
macht hatte), und exlrudat (wofür Markland guae ructet) aus
den Handschriften wiederhergestellt, so dass die Stelle, nach
meiner Ansicht interpungirt , nun so lautet :
Quidguid in antiguum iactata est fabula carmen,
Fortius ignotas molimur pectore curas.
Quis tanto ?notus operi, guae causa per ennis
Kxplicet immensum flammas , extrudat ab irno
lngenti sonitu moles , et proxima guaegue
Ignibus irriguis urat , mens carminis kaec est *).
Vs. 29 ff. ist abermals die Interpunction nicht genau genug,
wodurch sogar der Zusammenhang leidet. Offenbar ist nach
dem sehr häufigen Sprachgebrauch , dass die auf eine Paren-
these folgenden Worte in genaue Verbindung zu jener gesetzt
werden (s. Ramshorn's Lat. Gr. S. 704, c), so zu schreiben:
Principio, ne guem capiat fallacia vatum,
Sedes esse Dei, tumidisgue e faucibus ignem
Vulcani ruere et clausis resonare cavernis
Festinantis opus, non est tarn sordida Divis
Cura.
Die durch Semicola in einzelne Sätzchen zerstückelte Inter-
punction des Herausgebers ist störend.
So richtig auch Vs. 40 et geschrieben ist (man kann über
diesen Gebrauch Markland ad Stat. Silv. III, 1, 44 vergleichen),
so weiss man doch nicht ob es aus Handschriften oder Conje-
ctur wiederhergestellt ist. Denn das Stillschweigen in der Va-
rietas lectionis lässt annehmen, dass die im Texte befindliche
Lesart die der Handschriften sei, und gleichwohl heisst es in
der Annotatio : Omnes habent : turpe est.
\ s. 49 haben alle Handschriften, Pelion Ossa creat, die
Ausgaben, ohne Zweifel aus blosser Vermuthung, terit. Hr. J.
*) Ueber Vs. 23 stellt eine eigne Vermuthung Hofman - Peerlkamp
a. a. O. S. 248 flgd. auf.
Jahrb. f. Fhil. u. Fädag. Jahrg. III. Heft 2. \\
1 56 Römische Litteratur.
schlägt gravat vor, welches, wenn sich nicht creat durch Ossa
Pelion quasi ex se progignere videtur erklären lässt, das an-
nehmbarste zu sein scheint.
Vs. 54 und 55 hat Hr. J. durch genaues Befolgen der hand-
schriftlichen Lesart zuerst geniessbar gemacht. Et coelo scheint
das einfachste und richtigste zu sein, wenn anders die Be-
schaffenheit der Stelle ein Urtheil über sie erlaubt. Die Er-
klärung des Wortes removet, auf die allerdings schon Wernsdorf
hingezeigt hatte , ist jetzt gegen alle Zweifel gerechtfertigt.
Vs. 57 ist Scaliger's Conjectur Hinc statt hie behalten, ob-
gleich alle Hülfsmittel und der Sprachgebrauch diess schützen.
Denn hie wird bekanntlich sehr oft für tum gebraucht. Man
vergleiche die Stellen aus Catull im Index des ltecensenten und
die Erklärer zu Phaedrus I, 14, 0.
Höchst gelungen und gut begründet scheint mir die Con-
jectur Aptaque in arma ruit zu Vs. 60.
Vs. 63 liest man nach Scaliger und Wernsdorf auch bei
Hr. J., wie folgt:
— validos tum Jupiter ignes
Increpat et iacto proturbat f ulmine montes.
Es wird aber niemandem entgehen, dass iacto nach dem incre-
pat höchst matt ist. Auch Hr. J. scheint es gefühlt zu haben,
indem er sich in der Ungewissheit, was aus dem victo, vinetos,
victor und iacto der Codd. zu machen ist , nur mit einem ge-
wissen Widerwillen für das letzte entscheidet. Mir scheint
hier nichts anders stehen zu können, als iuneto , über welches
Wortes hier geltende Bedeutung Gronov in den Observationi-
bus II, 3 p. 232 (ed. L. B. 1662) und Markland zu Statius Silv.
IV, 6, 18 p. 329 ed. Dresd. gesprochen haben. Bestätigt wird
meine Emendation durch Hesiod's Theogonie Vs. 690 ff.
In dem zunächst folgenden Verse hat Hr. J. gegen Werns-
dorf dieVulgata wiederhergestellt mit folgender Interpunctiou:
Illinc deveetae verterunt terga ruinae ;
65 Infestae Divis acies, atque impius hostis
Praeceps cum castris agitur.
Wie er die Worte deveetae ruinae erklärt , ist mir nicht klar
geworden. Denn während er in stillschweigender Ueberein-
stimmung mit Wernsdorf s Aenderung übersetzt:
Jetzo im jählingen Sturz' abrollend wandte zur Flucht sich
Eilig die Götterbedrohende Schlacht,
führt er im Commentar, ohne die Stelle eigentlich zu inter-
pretiren , nur Ovid's Trauerelegieen III, 5, 5 an :
Versaque amicitiae terga dedere ?neae,
welcher Pentameter aber erst seinen Sinn und zwar einen von Hrn.
Jacob's Deutung ganz verschiedenen durch den Hexameter erhält :
Ut cecidi , eunetique metu fuger e ruinae.
Die Redensart ruinae deveetae terga verlere möchte sich eben
Lucilii Aetna. Recens. Jacob. 157
so schwer rechtfertigen lassen , als wenn Ovid inimicitiae ge-
sagt hätte. Der einzig mögliche Ausweg, den man zur Er-
klärung der Vulgata einschlagen könnte, dürfte der sein, dass
man ruina für den herabstürzenden Blitz nähme, wo aber de-
vectae wiederum sehr matt ist. Und wie schlecht schliesst sich
das gleichsam in der Luft schwebende Infestae Divis acies mit
dem darauf folgenden atque an ! So wie aber ruina für die her-
abstürzenden Giganten gar nicht genommen werden kann, eben
so wenig möchte ich Wernsdorf's Aenderung billigen, der aber
darin wenigstens das richtige gesehen hat, dass er Vs. 64 mit
Vs. 63 verbindet. Aus den bisher angeführten Gründen glaube
ich allerdings, dass die Stelle verdorben ist, zugleich aber
auch , dass sie durch folgende sehr leichte Aenderung geheilt
werden kann :
Mine deveetae verterunt terga ruinä
Infestae Divis acies
was durch die schon von Wernsdorf angeführten Worte des
Livius V, 47: ruindque totd prolapsa acies in praeeeps deferri,
trefflich bestätigt wird *).
Ueber die in dem 67ten Vers aufgenommene Aenderung
könnte ich mit dein Herausgeber übereinstimmen, wenn er nur
die Construction gerechtfertigt hätte , nach der in den Worten
materque iacentes involvens utero das Participium geradezu
für involvit genommen werden soll.
Das Verständniss von Vs. 80 f. hat zuerst Hr. J. möglich
gemacht , und theils um des Herausgebers Scharfsinn und Ge-
lehrsamkeit gebührend anzuerkennen, theils um darüber, wo
er noch nicht das Wahre getroffen zu haben scheint, meine
Vermuthung mitzutheilen, will ich Hrn. Jakob's Untersuchung
genauer darlegen. In Scaliger's Catalecten findet sich folgende
Lesart :
Sollicitant (poetae) magna te circum Tantale poena,
Sollicitantqtie Sciri/n. Minos etc.,
wo aber Scaliger selbst die in den ältesten Ausgaben befindli-
che Lesart siti vorzieht, und für circum entweder siecum oder
cur tum vermuthet. Wernsdorf schrieb: Sollicitant stagno, te
circum , Tantale, pleno, SoUicitantque siti, was Hr. J. mit sehr
gutem Grund widerlegt. Jene matte Lesart nun magna poena
findet sich im Cod. 2, während der Helmstad. Uli und pena,
der Vratislav. aber Uli und poena haben, und siti ganz deutlich
in beiden steht. (Für sirit 3 muss es in der Varietas lectionis
p. 1 1 lin. 3 von unten heissen sirit 2. s. Anmerkungen S. 102.)
Diese Lesarten der Handschriften führten Hrn. J. auf den ein-
*) Ruina bat auch Hofman-Peerlkamp S. 250, der aber auch de-
ieetae schreiben will.
11*
158 Römische Litteratur.
zig richtigen Weg , so dass er, mit Beziehung auf Od. A, 588
schrieb :
Sollicitant malo te circum, Tatale, Poeno
Sollicitant que siti,
welches malo er aus dem magna und Uli der Codd. entnimmt,
zwischen denen jenes gleichsam in der Mitte stehe. So willig
nun jeder für die Richtigkeit der Lesart im Allgemeinen sich
entscheiden wird und muss, so möchte doch wohl noch ein
Zweifel über das malo walten, indem der sehr gute Cod. Vra-
tisl. etwas anderes giebt. Sollte sich diess nicht auf eine andere
und weniger gewaltsame Art benutzen lassen*? Es gilt einen
Versuch , den unbekannten Schreiber des Cod. Vratislav. von
dem Vorwurf der Ungenauigkeit zu befreien. — Zuerst will
ich von der Bemerkung ausgehen, dass poena, wie es der Co-
dex hat, hier substantivisch zu nehmen ist, und mala hinzuge-
dacht werden muss. Dieser bis jetzt sehr wenig beobachtete
Sprachgebrauch wird bestätigt durch Columella XII, 41, 2, Pal-
lad. Mart. 10, wo sich beidemal punicea findet, und durch die
Analogie ähnlicher Fälle. So findet sich Sicyonia sc. calcea-
menta (vgl. Gronov. obss. IV, 25 , p. 3J)ö) , IIsqöixu, AaxavLXttl
bei Aristophanes. Dieses poena ist nun natürlich der Accusa-
tivus, abhängig von sollicitant* wozu illi (poetae) das Subject
ist. Nun muss freilich die Bezeichnung desselben Subjects
durch hi und z'/fo'Anstoss erregen. Allein es fragt sich sehr,
was von dem hi zu halten sei. Die Stelle nämlich im Zusam-
menhange lautet so :
— vates
S/ib terris nigros viderunt carmine Manes
Atqne inter einer es Ditis pallentia regna ;
Mentiti vates Stygias undasque canesque ;
Hi Tityon Septem stravere in iugerafoedum;
Sollicitant illi —
Wie ungeschickt stehen hier diese einzelnen Verse ohne irgend
eine Verbindung ! Wie zeigt sich so ganz als Stütze des Ver-
ses das nach einem Participio {rnentiti) unerträgliche hi, wel-
ches Hr. J. durch seine Uebersetzung entfernt hat! Nichts ist ge-
wisser, als dass Lucilius geschrieben hat: HICTITYON, wel-
ches theils aus Nachlässigkeit, theils wohl auch durch lächer-
liche Verbesserungssucht in das hi der Handschriften überging.
Hie, nämlich in der so eben kurz beschriebnen Unterwelt. Nun
ist das illi höchst kräftig, und dem Sprachgebrauch ganz
angemessen, und ich kann nun zu dem Vers zurückgehen, der
diese ganze Untersuchung veranlasst hat. Te circum stellt nun
ganz einfach für circum te , und poena sollicitare für mala pu-
nica movere. Dass aber sollicitare auch von äussern Gegen-
ständen gebraucht wird , zeigt , um alle Anführungen zu er-
sparen , Gesner im Thesaurus s. h. v. 2. Nun bleiben nur noch
Lucilii Aetna. Recens. Jacob. 151)
die Worte Sollicüantque siti übrig, wo aus dem darauf folgen-
den Minos zu lesen ist sitim, worauf auch das sirim der alten
Ausgaben führt. Aus dem kurz vorhergehenden te muss tuam
stipplirl werden, und die ganze Stelle ist demnach so zu
schreiben:
— vates
Sab terris nigros viderunt carmine Manes
Atqite inter eine res Dilis pallcntia regna.
Mentiti vates Stygius undasque canesque
Hie Tityon Septem stravere in iugera foedum ;
Sollicitant Uli te cireuni Tantale poena,
Sullicitantque sitim ; Minos etc.
Diess genüge, um sich eine Ansicht von dieser Ausgabe eines
sehr schwierigen Gedichts zu verschaffen, das ausserdem noch um
4 Verse bereichert worden ist, indem Vs. 53 (lückenhaft), 187,
195 und 236 bei Wernsdorf vergebens gesucht werden, die Hr.
J. grösstenteils aus dem Codex Florentinus aufgenommen hat.
Was die äussere Einrichtung anlangt, so sind die Anmerkungen
von S. 76 — 270 enthalten; unter dem Text stehen die Varian-
ten der 3 neu verglichenen Handschriften, ihm gegenüber die
metrische Uebersetzung, mit deren Erwähnung ich diese Anzeige
schliessen will. Hr. J. hat sie nicht einmal auf dem Titel er-
wähnt , und auch in der Vorrede sie sehr kurz abgefertigt. Er
wünscht, nach S. XX, dass sie als Interpretation dienen möge,
und wenn ich auch schon oben an einigen Stellen bemerkte, dass
sie nicht immer den Sinn des Lucilius trifft, so wird doch ge-
wiss jeder den Versuch des Herausgebers rühmen , einen so
dunkeln und verdorbenen Dichter metrisch zu verdeutschen. Es
bedarf nicht der Erwähnung, dass Hr. J. keine Ansprüche an die
Verfertigung eines metrischen Kunstwerks macht, und man wird
meiner Versicherung wohl glauben, dass nicht selten die Dun-
kelheit der Uebersetzung mit der der Urschrift sehr nahe ver-
wandt ist. Wo aber Lucilius selbst klar und fasslich ist , da
liest sich auch die Uebersetzung sehr angenehm , und zum Be-
weis will ich den Anfang des Gedichts hier wiederholen:
Aetna, und jach aus der Esse Geklüft verbrechende Flammen,
Welch ein Betrieb doch iso kraftvoll aufwalze den Glutl>rand,
Welches Gebot er beinurrt, was heiser die Lohe hervorzwängt,
Das ist mein Lied. Gunstvoll , o nahe dich , Spender des Liedes,
Ob du in Xanthos weilst, ob Delos lieber als jenes,
Ob Dodona dir thenerer ist; und in freundlicher Eile
Leite zu neuem Gebet7 vom Tierischen Quelle die Schwestern;
Sicherer wandl' ich in Phöbua Geleit unkundige Bahnen.
Goldene Zeit, wem wärest du fremd, des friedlichen Herrschers '{
Wo in gebändigte Flur niemand ausstreute die Ceres,
Oder die keimende Frucht vor verderblichem Kraute bewahrte,
Jaliresbedarf anfüllte das Haus mit heiliger Erndte,
160 Griechische Litteratur.
Bacchus dem eigenen Fuss' entfloss, und zähe der Honig
Niederträufte vom Blatt', und Pallas der fetten Olive
Heimlich gleitende Ström' hinführte, des Landes Erquickung.
Besser gelang's niemandem , die eigene Zeit zu erkennen.
Schwieg vom Colchier wer, der Jüngling' äusserstem Kampfe?
Wer hat Pergamon nicht in argivischer Flamme beweinet?
Oder die Mutter, dem traurigen Grab' der Erzeugten ein Benkmal?
Oder des Tags Wandlung? und die Zahn' als Saame gestreuet?
Wer nicht beklagt den Verrath des treulos täuschenden Kieles,
Minos Tochter, verlassen am einsamen Ufer, bejammernd?
Ist doch das Mährchen vom Aetna selbst ein gepriesenes Epos !
Kühner, zu noch unkundigem Trachten erhebt sich die Brust mir;
Welcherlei Grund so Grosses bewirkt, was nimmer versiegend
Flamm' ausspreize zum Himmel empor, auspresse dem Abgrund
Mit unsäglichem Schall Felsmassen , und rings die Gefilde
Brenne mit flüssiger Glut ; diess ist des Liedes Gedanke.
Julius Sillig.
Griechische Litteratur.
Piatonis Meno. Prolegomenis et commentariis illustravit Go-
dofr. Stallbaumius. Accesserunt scholia graeca. Lipsiae e libraria
Hartmanni. MDCCCXXVH. LX u. 156 S. 8. 18 Gr.
T orliegende Ausgabe, über deren Plan die vorausgeschickte
gründliche Abhandlung de Menone Platonico keine Andeutung
und nur eine Hinweisung auf die ähnlich eingerichtete, von
demselben Gelehrten besorgte, Ausgabe des Eythyphron, die
Rec. nicht vorliegt, enthält, kündigt sich durch ihre ganze Ein-
richtung, vorzüglich insofern die Varianten nur mit Auswahl
mitgetheilt sind, als eine Schulausgabe an. Sie hat wegen der
vielen eigenen Bemerkungen des Herausgebers und der instru-
ctiven Hinweisungen auf andere Schriften und auf erläuternde
Bemerkungen anderer Gelehrten manche Vorzüge vor der sonst
vortrefflichen Butt mann' sehen Ausgabe, ausweicherauch
die Sachbemerkungen , wenn auch zuweilen nur in zweckmä-
ssigen Auszügen mitgetheilt sind. Nur hätte Rec. gewünscht,
dass nicht manche Bemerkungen Buttmann's übergangen,
oder nur kurz angedeutet seyn möchten, damit wenigstens jun-
gen Studirenden Buttmann's Ausgabe entbehrlich gemacht wäre,
und ferner dass, da dieser Dialog theils wegen seiner Leichtig-
keit, theils wegen jener auf gründliche Belehrung der Jugend
berechneten Bearbeitung Buttmann's jungen Leuten zuerst in die
Hände gegeben zu werden pflegt , um durch die Lesung dessel-
ben zum Studium der Platonischen Dialoge vorbereitet zu wer-
Piatonis Meuo. lliustravit Slallbaum. 1G1
den und zu einem tiefern Eindringen in die griechische Syntax
und in den Sprachgebrauch jener Schriften Anleitung zu erhal-
ten, die Zweckmässigkeit des Buchs noch dadurch erhöht seyn
möchte, dass die eigenen Sprachbemerkungen noch mit andern
vermehrt wären , wozu sich zuweilen Gelegenheit darbot, und
dafür manche weggelassen seyn möchten , die unpassend und
nicht zur Sache gehörig sind. Doch über jenes wollen wir mit
Herrn Stallbaum nicht rechten und nur einige Bemerkungen
über das wirklich Gegebene mittheilen. Wir übergehen dabei
alle Stellen, wo Herr St. das von Butt mann und Bekker
aus Mss. schon aufgenommene gleichfalls in den Text aufgenom-
men hat. Wenn Hr. St. auch in diesem Falle zuweilen sagt,
reposui, emendavi ex Codd., so ist der Grund hiervon wohl da-
rin zu suchen , dass Hr. St. selbst schon früher jenes für die
richtige Lesart erkannt hatte. Ausserdem ist manches, was
Buttm. nur in den Anmerkungen als die richtige oder ihm rich-
tig scheinende Lesart bezeichnet, nun wirklich aufgenommen
und die Aufnahme von Hr. St. durch eigene Gründe und oft durch
die Auctorität seiner von Bekker und Buttm. noch nicht benutz-
ten Codd. gerechtfertigt. Bei Conjecturen ist Hr. St. sehr vor-
sichtig, die er meist in die Anmerkungen verweist. Um so mehr
wunderte es Rec. , an zwei Stellen Conjecturen aufgenommen
zu sehen, die, wie nachher gezeigt werden soll, bestimmt ver-
fehlt sind. Es sind dies zwei mathematische Stellen, wo sich
Hr. St. seinen Vorgängern in die Arme geworfen hat. Da Rec.
über die schwierige dritte mathemat. Stelle, wo Hr. St. eine
eigne Erklärung versucht hat, ein Mehreres wird sagen müssen,
so mögen zunächst in einem vorausgeschickten kleinen Aufsatze
jene Stellen zusammenbehandelt werden.
Ueber drei mathematische Stellen im Menon.
1) P. 83 C (p. 69): ovyl dito aev xavzr\g XBtQaitXdGiov; —
tstagtov ds a%o tijg r^ucöeag ravrrjöl rovti', Gedike zeich-
nete hier ein grösseres Quadrat ABCD, welches das ursprüng-
liche Quadrat Abcd, dessen Seite zwei Fuss war, 4 mal in sich
schliesst, und lässt nun den Socrates sagen: „Nichtwahr jenes
grössere Quadrat slBCD (dessen Seite noch einmal so gross
ist, als die des ursprünglichen) ist das vierfache von diesem
Abcd, und dieses Abcd, welches über der halben Seite des
grösseren construirt ist, ist das Viertel von jenem?" Hieran
nahm Buttmann mit Recht Anstoss, denn es ist doch sonder-
bar zu sagen: Dieses Quadrat ist das vierfache von jenem, und
jenes das Viertel von diesem ; diese Seite ist das Doppelte von
jener, und jene ist die Hälfte von dieser. Dies würde eine nichts
sagende Tautologie seyn, und wer wird denn das Gegebnein
derselben Zeile durch das daraus erst gemachte bestimmen,
wenn dadurch durchaus nichts erreicht wird'* Buttm. sagt da-
162
Griechische Litteratur.
her : „Quare unice vera est Cornarii emendatio tstgaTtow1,1 (st.
tstccqtov). Hr. Stallb., der wörtlich Buttm. Anmerkung wie-
dersieht, nimmt dieses tEtgänow in den Text auf. Aber wie?
wenn nun Gedike eine falsche Figur gezeichnet hat'? Ist darum
jenes Wort falsch'? Die Lesart der Mss. ist allein richtig. So-
crates geht in beiden Bestimmungen von der Seite des ursprüng-
lichen Quadrats aus. Erst hatte er ein grösseres Quadrat ABCD
über der öiitXuöia, ypa^iju^ construirt, dies gab das vierfache
des ursprünglichen Quadrats Abcd , dann zeichnet er noch ein
kleineres and r?}g rjpiötag ravtrjöi d. i. ein Quadrat über der
halben Seite des ursprünglichen Quadrats , und dieses (Aßy§)
ist nothwendig das Viertel des ursprünglichen. Um also dem
Menon recbt anschaulich zu machen, dass er um das doppelt
so grosse Quadrat zu finden, nicht die Seite doppelt so gross
nehmen dürfe, zeigt er ihm dies auf doppelte Weise: „Nicht-
wahr das Quadrat über der doppelten Seite ist das vierfache,
und eben so das Quadrat über der halben Seite das Viertel des-
selben (ursprünglichen) Quadrats ?" Demnach ist zugleich ein Irr-
thum in einer Anmerkung Biest er 's über eine frühere Stelle
zu berichtigen. Oben p. 82 C (p. 66) ist der Ausdruck xavtaöl
dia fisöov auch nach Rec. Meinung nicht von Diagonalen sondern
von Parallelliuien, die das Quadrat in 4 kleinere theilen , zu ver-
stehen; aber falsch ist, wenn Biester sagt, es werde jetzt schon
die Figur, die nachher gebraucht wird, d. i. das grössere Qua-
drat gezeichnet , was erst p. 83 A, B geschieht. Vielmehr wird
hier das ursprüngliche Quadrat in 4 kleinere getheilt, wovon
jedes = 1 Q Fuss, eben dasriraotov, was nachher erwähnt
wird , ist.
Die Figur ist also diese:
A ß b
B
d
d
D
2) P. 85 A (p. 76), wo Socrates Diameter oder Diagonalen
zieht, heisst es in allen Mss.: ovjcom/ zöziv carry yoaftfti} Ix
Ucber drei mathemat. Stellen im Menon. 1C3
ycoviag sZg ycoviav xiva xe{ivov6a 8i%a zxaGxov xovxcov tav %co-
qlgjv; denn dass in dem Cod. Par. E bei xiva über t drüber ge-
schrieben ist £i und über cc ovöcc, ist mit Buttm. für eine
Emendation eines Späteren zn halten , der eine gleich dranf
folgende ähnliche Stelle benutzt hat. Buttm. schob mit
Struve nach avxr\ den Artikel ein; F. A. Wolf, der mit
Recht an dem unpassenden xiva Anstoss nahm , conjicirte ij —
zbIvbi. Diese Conjecturen nimmt Hr. St. auf, indem er sagt:
„Non dubitavi recipere F. A. Woljii emendationem, quippe quae
tantam habeat verisimilitudinem, ut faciliorem loci corrigendi
rationem nemo quisquam reperiat.'-'' Wir wollenden Versuch ei-
ner leichteren Emendation machen. Schon Schleiermacher
bemerkt richtig, dass das von Wolf hinzugesetzte xeivu zur
Vollständigkeit des Sinnes nicht nothwendig sei; denn es würde
die adverbialische Form des Prädicats 7} Ix ycoviag tig ycoviav
ygapp,r) grammatisch vollkommen genügen. Offenbar verdorben
ist das tiväy aber leicht zu corrigiren. Es ist nämlich auch
hier durch jenes so häufige Versehen der Abschreiber die letzte
Silbe des vorhergehenden Wortes statt zweimal nur einmal ge-
schrieben. So bekommen wir ycoviav dvxiva. Wer erkennt nun
nicht sogleich das richtige avxiav'l Nun fragt sich ferner, ob
jener von den Herausgebern ein geschwärzte Artikel 7} nöthig
sei. Man verbinde yQttp,{irj nicht mit avxr], sondern nehme avxiq
allein als Subject, und ziehe yga^^iT] zum Prädicat, in welchem
nichts als die ganz natürliche Definition der Diagonale: ygap,-
p,rj sx ycoviag sl§ ycoviav dvxlav xip,vov6a to %coqiov, enthal-
ten ist. Man übersetze: Nonne haec est (talis) linea^ quae
spatium ab angulo uno ad alterum oppositum in daas partes
dissecat ?
3) Wir kommen nun auf die bekannte, nun fast fabelhaft
gewordene, mathem. Stelle, von welcher Herr St. eine neue
Erklärung versucht hat. Rec. wird hier nothgedrungen seines
früheren Studentenschriftchens , welches Hr. St. an das Licht
gezogen hat, {Commentatio de loco mathemat ico in
Piatonis Menone. Halle 1825, bei Anton.) Erwähnung
thun müssen. Ohne anmaasslich in dieser Sache das letzte Wort
behalten zu wollen, was allein Herrn Prof. Dr. Schleier ma-
ch er gebührt, der nach einer brieflichen Mittheilung in den
Nachträgen zu seiner Uebersetzung des Piaton noch einmal auf
diese Stelle znrückkommen wird, will Rec, ehe er zur Beur-
theilung der Stallbaum'schen Erklärung übergeht, die
dargebotne Gelegenheit benutzen, das, was seit dem Erschei-
nen jener kleinen Schrift, in welcher die früheren Versuche mit-
getheilt und beurtheilt wurden, in einer Recension derselben
und anderwärts über die Stelle gesagt worden ist , für Schul-
männer zusammenstellen, so dass folgendes als ein Anhang zu
jener Schrift angesehen werden kann.
164 Griechische Litteratur.
Die Erklärung, die Rec. damals dem Publicum vorlegte,
glaubte er, trotz der dabei notwendigen aber durchaus nicht
unwahrscheinlichen Annahmen , so lange für richtig halten zu
müssen, bis durch entscheidende Gründe etwas geradezu als
falsch bewiesen oder eine andere Erklärung aufgestellt seyn
würde , die keine Voraussetzungen , aber zugleich auch , wie
die des Rec. , keine Textesänderung nöthig machte. Eine neue
Erklärung mit Ausnahme der, Rec. muss es schon jetzt sagen,
ihm ganz unstatthaft scheinenden Stallbaum'scben ist nicht er-
schienen , und was anderwärts über jene bemerkt worden ist,
konnte Rec. in jener Meinung nicht irre machen, zumal da seine
Erklärung von mehrern Seiten gebilligt wurde. Rec. erlaubt sich
nur Hrn. Prof. Ideler zu nennen, und man deute es ihm nicht
falsch, wenn er blos um der Sache willen die Worte dieses
Gelehrten aus einem Briefe anführt : „Nachdem ich alles noch
einmal erwogen habe, zweifle ich nicht länger, dass Ihre An-
sicht , wenn den Worten weder durch Emendation noch durch
Interpretation Gewalt geschehen soll, die richtige ist, so sehr
mich auch die grosse Einfachheit des Sinnes überrascht, weil
ich immer einen tiefern Sinn in ihr vermuthet hatte."
Zuerst erschien: Vollständige Auflösung der
Aufgabe , in einen Kreis ein Dreieck mit einem
gegebnen Winkel und Inhalt zti be schreiben. Zur
Prüfung der von Dr. Wex versuchten Erklärung der mathemat.
Stelle in Piatons Meno dargestellt von Joh. ffolfgang Müller,
Professor der Mathematik. Mit einer Steindrucktafel. Nürn-
berg, bei Riegel und Wiessner. 1826.
Herr Prof. Müller bestreitet einige Sätze in dem jener
Schrift angehängten mathematischen Excurse , und behandelt
den mathematischen Satz , den Rec. in jener Stelle gefunden
hatte, selbstständig und ausführlich von neuem. Dadurch aber
kann keineswegs die philologische Erklärung der Stelle selbst
als falsch nachgewiesen werden. Denn durch jenen angehäug-
ten Excurs wollte Rec. damals nur zeigen, dass jener Satz, der
nach der gegebnen Erklärung und der in den Worten gefun-
denen Auflösung blos eine auf unmittelbare Anschauung gegrün-
dete höchst einfache Erörterung für den der Mathematik ver-
muthlich nicht sehr kundigen Menon enthielt , dennoch einen
tieferen mathematischen Sinn und ein aus der Schule der Geo-
meter wirklich entnommenes Problem in sich schliessen kön-
ne, welchem Socrates nur durch seine Popularisirmethode den
mathematisch-wissenschaftlichenAnstrich genommen habe. Diese
Ansicht und Meinung ist völlig dadurch gerechtfertigt, dass Hr.
Prof. Müller selbst jenen Satz einer tiefern mathemat. Behand-
lung fähig gefunden hat. Es kömmt hinzu, dass der Satz, wor-
auf Rec. seinen geometrischen Beweis gründete, sich, was er
damals nicht wusste, wirklich im Euclid VI, 15 findet, wie
Uebcr drei niathemat. Stellen im Menon. 165
einRec. in der Schulzeitung nachgewiesen hat. Wie weit Piaton
selbst die streng geometrische Behandlung jenes Satzes gekannt
habe, dies zu untersuchen kommt nicht dem philologischen
Erklärer jener Stelle zu , sondern gehört in eine Abhandlung
über die mathem. Kenntnisse de.; Piaton und seiner Zeit. Habe
also immerhin jener mathematische Excurs manche Mängel,
dies schadet der Erklärung nichts. Ausserdem aber nimmt Hr.
Prof. Müller Anstoss an dem hinzugedachten nicht ausdrück-
lich in den Worten bemerkten Verfahren bei der Construction
der Figur. Will jemand die Zulässigkeit solcher Annahmen bei
einer gewissermaassen dramatischen, und daher des erklären-
den Scholiasten bedürfenden Scene bezweifeln, so ist zugleich
jeder Combination dieser Art das Urtheil gesprochen. So et-
was lässt sich nicht beweisen oder jemandem aufdrängen, es
kann sich nur durch Leichtigkeit und überraschende Einfach-
heit des hervorgehenden Resultats empfehlen. Uebrigens musste
ja auch in dem obigen Gespräche mit dem Knaben manches hin-
zugedacht w erden : z. B. p. 85 A werden 4 Diagonalen gezo-
gen; wo aber steht, wie sie gezogen werden sollen'? Warum
zog man sie nicht so, dass zwei und zwei parallel sind, oder so,
dass sie verlängert in der Mitte sich schneiden*? warum? weil
auf diese Weise nichts herauskömmt , und das Resultat sie so
zu ziehen verlangt, wie man es gethan hat. Die gegebne Er-
klärung von izaQat£Tcc[iEvov aber durfte Hr. Prof. Müller nicht
bezweifeln; denn sprachlich ist es durchaus begründet, dass
wenn nagcczsivELV verlängern, dehnen heisst, icoqlov nagatE-
xayLEVov die durch Verlängerung (der Linie) gewonnene Fläche
bedeuten kann.
Hr. Prof. M. vermuthet, dass einige Worte ausgefallen sind;
seine eigne frühere Meinung scheint er zurückgenommen zu
haben.
Der übrigens sachkundige Recensent in der Schulzeitung
(Litteraturblatt 1827, II Nr. 5) scheint gegen das Schriftcheu
etwas eingenommen zu seyn wegen des darin herrschenden Stu-
dententones, was bei solchen Tirociniis eine leicht verzeihliche
Schwäche ist. Er billigt zum Schluss die meisten Erklärungen
der einzelnen Worte, nur die des Wortes jtaQUTEivco, drüber-
hinausziehen, misbilligt er ohne hinreichenden Grund. Denn
wenn auch nagä in andern Compositis in der Sprache der Ma-
thematiker eine andre Bedeutung haben sollte, — wovon jener
Rec. keine Beweise oder Stellen anbringt; r'as von Mollwei-
de p. 39 verglichene ttccgccxE lö&ccl beweist nichts, indem eine
Präposition, mit einem Verbum der Ruhe verbunden, eine an-
dre Bedeutung haben muss, als wenn es mit einem Verbum,
das eine Bewegung und eine zu bewirkende Richtung bezeich-
net, zusammengesetzt ist, — so folgt daraus durchaus nicht,
dass itaqazzivuv , wobei doch gewiss xeLveiv der Hauptbegriff
166 Griechische Litteratur.
bleibt, falsch erklärt sei; denn ^den bestimmte?! Sinn des Wor-
tes in technischer Bedeutung" kennen wir ja nicht. Der Rec.
hätte diesen durch Stellen nachweisen sollen ; dann war der
Einwurf begründet. Dass es wirklich ein mathemat. Kunstaus-
druck sei, dies, aber auch weiter nichts, erhellt aus der von
mir p. 14 citirten Stelle aus Plato de rep. VII p. 521, A, die Hr.
Stallbaum nicht hätte als Beleg für die Richtigkeit der von
mir gegebnen Erklärung jenes Wortes anführen sollen. Sehr un-
passend vergleicht jener Rec. das schon von Mollweide benutzte
Wort itaQccßahksiv. Dass dies ein Parallelogramm construiren
heisst, liegt blos in dem Begriffe ßdlXEiv, weil man sich ein Paral-
lelogramm als entstanden denken kann durch Aufrollen (Aufwer-
fen) eines umwickelten Stabes. Ob das itccgatsiveiv vielleicht an-
derwärts bey den griech. Mathematikern vorkommt, darüber
giebt vielleicht einmal ein in dieser Litteratur belesener Mann
uns Aufschluss. Jener Rec. giebt keine eigne Erklärung und
bezweifelt mit Klügel die Möglichkeit derselben. Auch er bil-
ligt nicht ganz den mathemat. Excurs, was, wie schon bemerkt,
ganz indifferent ist; nur durfte er mir nicht einen Fehler ^QSen
die wissenschaftliche Methode vorrücken , insofern ich den
speciellen Fall vor dem allgemeinen abgehandelt habe. Denn
p. 29 entschuldige ich mit einem ganz natürlichen Grunde die-
sen von mir selbst dort gerügten Verstoss. Dass %goqlov zuwei-
len für Figur vorkomme, wusste ich gleichfalls schon selbst,
was jener Rec. aus p.15 sehen musste. Mit Recht verwirft Rec.
die von mir beiläufig erwähnte Conjectur Tqvds öo^slöav als
grammatisch falsch ; auch war sie ganz unnöthig , denn rj öo-
%ü6a yQa[i[ir] heisst, wie ich jetzt glaube, liuea, qualis data
est, data alicuius lineae longitudo. Welche Linie gemeint war,
sah Menon aus der Construction, die vor seinen Augen gemacht
wurde; durch die grammatische Form ist nichts demonstrativ
hinweisendes auf eine bestimmte Linie gegeben. Er verbessert
in der mathematischen Demonstration p. S4 ein Versehen , wo
die Ausdrücke maior und minor vertauscht sind. Das bei itccQa-
TSLvavrog zu supplirende tivog, was auch jener Rec. billigt, ent-
schuldigt sich, wie ich jetzt glaube, besser durch den Sprach-
gebrauch der mathematischen Schulen, die vielleicht bei der
häufig bei Constructionen wiederkehrenden Formel : wenn man
etc., das twoq durch eine gebräuchliche Ellipse ausliessen, als
durch die von mir beigebrachten Stellen, zu denen ich noch
Poppo Proleg. ad Thucyd. I p. 120 hinzufügen könnte.
Nun einiges zurBeurtheilung der Stallbaum'schen Erklärung.
Rec. möchte gern das harte Urtheil, welches er über diesen Ver-
such eines so achtbaren Gelehrten aussprechen muss, unter-
drücken, aber er kann nicht verhehlen, dass Ilr. St., wenn
er als Herausgeber des Menon diese Stelle berühren musste,
besser gethan hätte, irgend einender früheren Versuche, z. B.
lieber drei mathcmat. Stellen im Menon. 167
den von Mollweide, abdrucken zu lassen, als denseinigen mitzu-
theilen. Denn falsch zwar können alle frühere seyn, aber keiner
kann in dem Grade unwissenschaftlich seyn. Die dahin gehöli-
gen Schriften scheint Hr. St. nicht mit der nöthigen Aufmerk-
samkeit gelesen zu haben. Den consequenten Mathematiker
Mollweide lässt er dem Worte nctQUXElvELV eine zweifache,
durchaus von einander verschiedene Bedeutung beilegen, indem
er sowohl die Erklärung dieses Wortes, die Ilec. allein zu ver-
antworten hat, mit dessen eigenen Worten Mollweiden aufdrängt,
als auch die von jenem wirklich gegebne ihm zuschreibt. Hr.
St. schwankt, und hält lieber beide für richtig, was an sich
unmöglich ist, ja er glaubt, dass das Wort an dieser Stelle
beide Bedeutungen zugleich habe, so dass es erst verlängern
und dann gleich drauf ein Parallelogramm construiren heisse.
Zugleich bekommt die Präposition nccQU an einer und derselben
Stelle eine doppelte Bedeutung, indem es in ticcqccxsivelv drüber
hinaus und dann neben heissen soll. Ja dann, wo es zur Er-
klärung der Stelle selbst kommt, behält JiccQuxzlvuv nicht ein-
mal eine von jenen beiden Bedeutungen, sondern Hr. St. corri-
girt durch eine ihm leicht (?) scheinende Aenderung nuQaxü-
vaöav st. nagaxüvavTa und übersetzt TtccQuxElvuGcc mit intran-
sitiver Bedeutung ulterius protensa s. ulterius porreeta mit der
Bemerkung: „Nam nuQUXEivEiv nunc intransitiva significatione
aeeipiendum. Qui usus nihil habet insolentiae, sie enim p. 85 B
et sexcentis aliis locis." ltec. sagt dagegen : so , wie Hr. St.
es nimmt, kommt es bei den Mathematikern nie vor, und will
zeigen , dass wo man es so erklären zu können glaubt , immer
eine Täuschung zum Grunde liegt. Warum sagen die Alten rj
ygunnrj xeLvei, vtioxelvei etc? weil sie sich den Winkel immer
in Verbindung mit dem Kreisbogen dachten , der sein Maas ist.
So ist z. B. die Hypotenuse ganz einfach die Linie , die den Bo-
gen, der das Maas des rechten Winkels ist, als Sehne spannt,
mithin behält es durchaus hier seine etymologische Bedeutung
spannen. Wenn es nun in der von Hr. St. aus dem Menon an-
geführten Stelle p. 85 B heisst : änö xrjg E'K yeaviag ag yaviav
xsivovörjs (fQccnii'rjs), so heisst hier die Diagonale xslvovöa, weil
sie den Bogen des der Diagonale gegenüberliegenden Winkels
spannt. Daraus folgt zur Genüge, dass xeivelv nicht eben so
von der Richtung einer Linie gesagt werden könne, die keinem
Winkel gegenüberliegt, dessen Bogen sie als Sehne spannen
könnte.
Ich übergehe eine andere grammatische Schwierigkeit,
insofern einige Worte durch eine das Verständniss erschwerende
Construction , als stünden sie zweimal , doppelt verstanden
werden.
In mathematischer Hinsicht aber ist die Erklärung — Hr.
St. verzeihe mir den Ausdruck — ein Unding, Hr. St. verlän-
Griechische Litterat ur.
gert ganz nach Beliehen eine Linie, ohne dass in den Worten
Piatons oder durch die Beschaffenheit der entstandenen Figur
nur die geringste Andeutung liegt von einer Gränze, wie weit
man verlängern solle. Ueher der durch die heliebige Verlän-
gerung der Linie entstandenen Ausdehnung derselben wird ein
Parallelogramm construirt, das gerade so gross gemacht ist,
als es seyn muss, wenn nach Wegnahme eines gleichen Stückes
von dem gegebnen Quadrate ( s. nachher) dieses dem in den
Kreis verzeichneten Dreiecke an Flächeninhalt gleich ist. Es
ist also weiter nichts gesagt als : Wenn man soviel wegnehmen
kann, als vorher hinzuzusetzen beliebte, sodass man sich keinen
Fall denken kann, auf den die folgenden Worte: ü advvaröv
l<5xi rovro Tta&slv, anwendbar wären. Hier hört alle Mathe-
matik auf. Das eigenthümliche der Stallbaum'schen Erklärung
ist nämlich dies, dass IL St. nicht wie seine Vorgänger rovro
ro %coqiov TQiycovov verbindet, sondern rovro rö %cooiov von
dem obigen Quadrate, das in dem Gespräche mit dem Knaben
vorkam, versteht, und rolycovov adverbialisch zu avrci&rjvcci,
bezieht. Abgesehen davon, dass dann, um dem Missverständ-
nisse vorzubeugen, gewiss gesagt worden wäre: r. r. #. ivra-
&rjvai, roiyavov, so hätte diese Aufgabe blos dann mathema-
tisch einen Sinn, wenn von einem Quadrate die Rede wäre, das
dem einschreibbar grössten Dreiecke gleich sei; denn welches
Quadrat, das nicht grösser ist, als jenes maximum, liesse sich
nicht als ein Dreieck in einen Kreis einschreiben? Und dass
überhaupt, wenn man von diesem Standpuncte ausgeht, nichts
herauskomme, beweist der vorliegende Versuch.
Wir gehen nun über zu den übrigen Bemerkungen über das
in dieser Ausgabe gegebne.
P. 70 B (p.4 Stallb.) schrieb Buttm. nach demCod.Coisl.
AttQiöcuoi (aber mit 66). H. St., der dasselbe schon früher ver-
muthet hatte, findet es auch durch Flor. X bestätigt, und nahm
es gleichfalls auf. Da diese Verbesserung richtig scheint, so
sieht man daraus, dass an der nun ganz ähnlichen Stelle zu An-
fang des Phädon F. A. Wolf (p. 7 seiner Bemerkungen) vor
Ohaöiav ohne Grund den Artikel rcov einschob, H e i n d o r f aber
vor dieses Wort ein Coraraa hätte setzen sollen. Dies beiläufig.
— Ibid. ILSt. giebt mit Bekker vplv, Rec. billigt dagegen
durchaus mit Buttm. die andre Lesart tjfilv, wegen des dann
darinliegenden sokratisch ironischen Seitenblicks auf die Thes-
salier , die jetzt auf einmal den Ruhm der Weisheit den Athe-
nern zu rauben drohen. Die Bemerkung Buttmann's, dass
das vyXv frostig und nichts sagend sei, hat H. St. durchaus
nicht entkräftet. — P. 71 A (p. 6) ist mit Recht B's. Vermu-
thung roöovrov st. roöovrov als unnöthig zurückgewiesen. —
P. 71 C (p. 8) finden wir mit B. den Aor. anayyslco^tv st. des
Praes., was II. St. aus der Mehrzahl der Mss. giebt, für noth-
Piatonis Mcno. Illustravit Stallbaum. 169
wendig. Den Codd. ist in solchen Kleinigkeiten nicht zu trauen,
und hei 31atthiae § (nicht p.) 517, 2, den H. St. citirt, findet
sich ja an den meisten Stellen der Aorist. An den heiden Stel-
len, wo das Praes. steht, ist dies leicht hegreiflich, weil von ei-
ner Handlung die Rede ist, die in demselben Augenblicke der
Gegenwart anfangen soll; was an unsrer Stelle nicht der Fall
ist. — P. 71 D (p. 10) schreibt H. St., so wieB., den Impera-
tiv uitov. Rec. zweifelt noch sehr an der Richtigkeit dieser
Accentuation. Ueber die einander sich widersprechenden Ue-
berlieferungen der alten Grammatiker und der Codd. urtheile
man, wie man will ; bei einem im gewöhnlichen Leben so häufig
Aviederkehrenden Worte Ayar eine Unterscheidung durch den
Accent gewiss höchst notliAvendig. Ibid. Inud^ xai äneört,. Ue-
ber dieses xal, Avelches von den Herausgebern so wenig beach-
tet Avird, Avar eine Anmerkung sehr am Orte, um auf diesen
Gräzismus aufmerksam zu machen. Es findet sich p. 30 eine
Andeutung davon, aber dort an einer ganz unpassenden Stelle. —
P. 72 B (p. 12) schreibt H. St. mit B. richtig (isUtrrjg ksqI ov-
öiag st. TttQL. Wenn aber in der Anmerkung auf Hermann
Soph. 0. Col. v. 85 venviesen Avird, so ist der Punct, Avorüber
dort, vorzüglich aber an den Stellen der alten Grammatiker, die
Hermann im Sinne hat, gehandelt Avird, ein ganz andrer, der
hierher nicht gehört. Nämlich der Streit zwischen Aristarch
und Ptolomäus bei Eustathius — man vergleiche auch Apollo-
nius Dyscolus p. 303 sq., Neophytus ad Theodorum Gazam p.
1051 u. 1060 — bezieht sich auf die Anastrophe in dem Falle,
avo zwei Worte im Prädicatsverhältnisse stehen, nicht wo der
eine von dem andern regiert wird. Mithin kann kaum in die-
sem Streite der Grund der Abweichung der Codd. liegen, oder
Avenigstens durfte nicht von dieser Seite die auf jene Varianten
gegründete Vermuthung B's. , die übrigens auch Rec. nicht bil-
ligt, zurückgeAviesen Averden. — P. 72 C (p. 14) ist nach Ms-
vcov ein Colon statt des früheren Comma gesetzt, Avodurch die
Construction sich ändert. — Ibid. (p. 15) Das Praes. %bv aitoxQi-
v6[isvov war mit B. beizubehalten und nicht mitBekker mit
a7toxQLVcc[i£VOV zu vertauschen. Augenscheinlich ist der Aor.
Avie das Fut., Avas in andern Codd. sich findet, spätere Emenda-
tion. Das Partie, praes. hat bei gewissen Wörtern sehr häufig
ganz seine Tempus -Bedeutung verloren und dient geradezu als
Substantiv. Vgl. Soph. Antig. v. 239 u. 325: 6 dgäv der Thäter.
H. St. behauptet, der Aorist sei oft ganz zeitlos, und gebe den
blosen Begriff des Worts. Gut ; aber nur sind dabei die Modi zu
unterscheiden. Vom Particip. Avird H. St. dies nicht beAveisen
können, nicht einmal vom Indicativ ; denn wenn dieser die Be-
deutung des allgemein geltenden hat, da ist er nicht wirklich
zeitlos, sondern ein vergangner Fall Avird als Norm für alle übri-
gen genommen und so durch einen Schluss , dass es auch jetzt
und künftig so sein werde, erst die Bedeutung des allg. gelten-
170 Griechische Litteratur.
den bewirkt. So ist nicht allein die Stelle aus Hom., über wel-
che Herrn, de emend. rat. g. g. p. 190 sq. spricht und wo der
Schol. Venet. die richtige Ansicht hat , sondern überhaupt alle
zu erklären, wo der Aor. die Bedeutung pflegen haben soll. Vgl.
Dissen de temp. et modis verbi graeci p. 18. — P. 73 D (p. 19)
hat H. St. die vielbesprochne Stelle ccqiuv occpts üvav sehr
glücklich emendirt. Die diplomatisch leichte Aenderung ol'avts
hebt alle Schwierigkeiten, wie in der vortrefflichen Anmerkung
gezeigt ist. — Ibid. (p. 20) begreifen wir nicht , wie H. St. an
den Worten stl yccg aal rods öxotzsl und an der Partikel yaQ
Anstoss nehmen und Conjecturen versuchen konnte. — P. 73
E (p. 51) billigen wir nicht, dass IL St. hier, u. p. 24, wo der-
selbe Ausdruck wiederkehrt, oTLxeci aXXa eötl 6%r^iata geschrie-
ben hat st. fort. Auf alla liegt ein zu grosser und ausschliess-
licher Nachdruck, als dass nicht sörl mit seiner enklitischen
Accentuation sich anschliessen sollte. — P. 7-1 A (p. 22) hal-
ten wir den Nimbus von Stellen in einer nicht im geringsten be-
fremdenden Satzanknüpfung, worin II. St. ein Asyndeton findet,
für überflüssig und störend für die Tirones. Wir Deutschen re-
den eben so. Richtig ist das statt des Punctes nach ns7i6v&tt-
fiEV gesetzte Colon. — P. 7-1 D (p. 25) zeigt H. St. in einer
gründlichen und ausführlichen Anmerkung, dass öötig nie für
das Fragwort xig stehe. Da kaum zulässig ist, mit den frühe-
ren Herausgebern ein Kiys, oder ärtoxQLVOv zu suppliren, so
konnte H. St. nach Rec. Meinung getrost Gedike's Verbes-
serung xl auch in den Text aufnehmen. Das unerwartete An-
heben einer Frage veranlasste jene Corruptel. — P.75A(p. 30),
iva xal ysvrjTai, wo das xcci auf ganz gewöhnliche Weise ge-
setzt ist und zu den folgenden Worten Ttgög trjv cctcoxq. 71bq\
rrjs «ogT^g gehört, sind unnöthig Stellen verglichen. Beson-
ders findet eine störende Verwechslung statt mit dem aal nach
Fragwörtern und Relativen, welches selbst wieder zwei unter
sich ganz verschiedne Fälle sind. Rec. wird nächstens in ei-
nem Excurs zu einem andern Schriftsteller über den griechi-
schen Gebrauch dieser Partikel ein weiteres bemerken. — P.75
C (p. 32) ist, was schon Heusd e und Heindorf vorgeschla-
gen hatte, sfav dem Menon gegeben, so dass dessen Rede nicht
unterbrochen wird. II. St. verweist zugleich auf seine Anmer-
kung zum Eythyphron p. 88. Nicht übergehen durfte H. St.
auch den für jene Emendation sprechenden Grund, dass diese
Partikel beiFicinus nicht übersetzt ist, was eher möglich war,
wenn es in der Mitte der Rede stand, als wenn es eine beson-
dere Erwiederung des Socrates war. — P. 75 D (p. 33) miss-
fällt uns die Anmerkung über das 6 £Qcorc6[ievog. Schleierm.
und Buttm. billigten die Emendation des Cornarius 6 ipö-
fisvog. H. St. ohne einen Grund anzuführen, selbst nicht ein-
mal den von Gedike und Ullrich aus der Sokratischen Un-
Platonw Mcno. Illustravit Stallbanm. 171
terrichtsweise entlehnten, der, wenn dies auch in diesem Zu-
sammenhange der Stelle etwas befremdend bleibt, docli allein
die Schwierigkeit zu heben vermochte, übersetzt einfach die
Stelle, und daraus soll folgen, dass 6 SQCjrauivog richtig sei.
Aber II. St. fühlt das Unpassende dieses Wortes selbst; er be-
hält es nicht, sondern will mit dem Cod. Flor, den Artikel o weg-
lassen, so dass zu dem jtgogopoloyy als Subj. xig supplirt wer-
de. Ob durch diese Emendation etwas gewonnen wird, zweifelt
Ilec. ; denn wenn auch das schleppende Particip. f ocjTc^ufvog
entschuldigt werden könnte, so wird doch eine besondere Be-
ziehung der im Gespräch gegenüberstehenden Personen noth-
w endig erwartet, und durch das supplirte xig sehr mangelhaft
erreicht. So viel ist gewiss, dass II. St. 6 SQaxd^iBVog nicht
vertheidigt hat; für jetzt muss man sich also mit Ullrich da-
bei beruhigen, dass der 31itsprecher in einem Sokratischen Ge-
spräch füglich der Befragte genannt werden könne. — P. 75 D
(p. 34) ist richtig mit Bekker aus Mss. aufgenommen xslsvxijV
uutelg xi; xoiövöc liya etc. Man vergleiche gleich darauf:
xcöl; IniTttSov nalstg xi — ; statt nüvxa xctvxa vermuthete
auch Rec. nävxa yaQ xccvxcc, wie II. St. vorschlägt; doch ist die
Aenderung nicht durchaus nothwendig. — P. 76 E. (p. 39.) 'ADÜ
ovx böxlv, a Ttal '4k8%idrjtiov, cog ipavxov TtcLfta. Hier nimmt
II. St. mit B. ein Anakoluth an. Rec. vermuthet, dass ovx höxcv
tag zu verbinden und ebenso zu erklären sei, wie das bei Tra-
gikern so häufige ovx sö&' onsog, so dass der ganze Ausdruck
auf das vorhergehende xQccyix^ yccg iötiv etc. sich bezöge und
Socratesmit ironischer Parodie selbst in den tragischen Ton ein-
stimmte. Freilich sollte man dann eher das Fut. erwarten. —
P. 77 B (p. 40) ist dvvttö&at, gegen Buttm. richtig erklärt sc.
xedec. II. St. konnte zum Beleg das gleich darauf folgende tco-
qi&öQui anführen. Man vergleiche auch p. 78 B: oxi i'ötiv r}
dgBxri ßovk£6&cd xe xuyaftü ttal dvvaöftui. — P. 78 B(p.43)
hätte II. St. nicht mit B. die von Schleierm. früher vorge-
schlagne und später zurückgenommene Aenderung: tourou
xov hzyßtivTog, billigen sollen. Besser würde freilich gefallen,
was Il.St. dann erwartet: xovtov cjfiokoyrjfiivov, aber xovxov
telühxog ist offenbar dasselbe. — P. 78 C (p. 44) hat H. St.
bei tö xayu&ü nach Codd. mit Bekker richtig den einen Arti-
kel herausgeworfen, aber hoffentlich doch wohl nicht das xo
sondern ra; daher schreibt Rec. lieber deutlich xo ayu&a st.
xaya&d. — P. 78 E (p. 4fi, 47) heisst es in der Anmerkung:
„Notabilisusus vocis ccnogicc, quae hoc loco xcp tioqcö sive quae-
stuisic opponitur, utsignificet abstinentiam a quaestu faciundo."
Nein. cuiooLu behält seine Bedeutung Vnvermögen und noQog
heisst in der ganzen Stelle nicht qnaestus, sondern facultas
suppeditandi, acquirendi. - — P. 79 B (p. 49) nimmt II. St. seine
frühere Conjectur xi ovvdrj', USIK. xovxo Myco, in den Text
Jahrb.f.FhU. u.Pädag. Jahrg.lW. Heftt' J%
172 Griechische Litteratur.
auf. Rec. neigt sich mehr zu Heusde's Meinung hin, der
diese Worte zusammen dem Socrates beilegt. Rec. schweben
dahei ähnliche Stellen aus Cic. vor. Laelius § 42 : Quorsum haec *?
quin cet. Cato maj.44: quorsum igitur tarn multa de voluptatel
quia cet. § 13: Quorsum tarn multa de Maximo? quia profecto
videtis cet. — P. 79 C (p. 50) schreibt II. St. ohne ein Wort zu
bemerken, vermuthlich aus Mss., noXXov ösi ö' bItibIv statt des
gewöhnlichen noXlov dsig slnslv, was Rec. allein richtig
scheint. — Ibid. schreibt II. St. mit Buttm. und Bekk. aus
iCod.u.Fic. bI st. rj. Als Rec. sl las, ohne zu wissen, dass es
eine Neuerung sei, cönjicirte er ij. Nach Rec. Meinung ist
die Stelle durch jene Emendation corrumpirt worden. Man
vgl. den Zusammenhang, vorzüglich die folgenden Worte : tovto
ytxg b6xl Xeysiv cet. Der Sinn ist: oder meinst du vielleicht
cet. 1 Denn diese Meinung verräth einer, wenn er sagt etc. Bei
dieser Gelegenheit wird die Bedeutung des tl — äv mit Opt. er-
klärt. — P. 79 E (p. 52) halten Mir mit Buttm. für hart, zu
dstföBödcii skblvov zu supplireu, Avas II. St. thut. Es muss durch-
aus dtqösö&ai hier die Bedeutung von Ötrjösiv haben; und eben-
so ist es kurz vorher p. 79 C gebraucht. — P. 80 A (p.53) hätte
H. St. mit Buttm. aus einigen Codd. die Lesart Oro^i« st. öojixo:
aufnehmen sollen; denn hätte Piaton öco^ia geschrieben, so
würde aus leicht begreiflichen Gründen öcö^a vor tyvyriv stehen.
— P. 80 C (p. 55) ist richtig die Lesart der Codd. jrfol a.QBtrtg
o böTiv vertheidigt. Denn jenes ist dem Sinne nach = tr^v ov~
6iav rrjg ägETrjg. Es konnte verglichen werden p. 72 C (p. 15):
Zxeivo dqXcoöai, o zvy%ävu ovöoc. agtry]. - — P.80E. (p.57.) böxv
et.eötl. Ibid.o y oüöaaus Stob. u. Cod. Flor. — P.81 A istder Arti-
kel vor IbqbmSv weggelassen, was schonButtm. wollte. — P. 81 B
ÖE^rjtat u. 81 E uXXcc nag st. äXl' eexkoog aus Stob, und 2 Codd. —
P. 82 B (p. 65) wäre nach Schleiermacher's Vorgange
(siehe Buttm.) eine Würdigung der Socratischen Mäeutik am
Orte gewesen. EinCandidat, der bei uns ein solches Specimen,
seiner heuristischen Methode gäbe, würde füglich durchfallen.
1 — P. 82 E (p. 67) bestimmen uns die beiden von Buttm. ange-
führten Gründe, die Lesart tovtav für die richtige zu halten.
H. St. behält tovtov. — P.82E (p.67) brauchte die Wahl zwi-
schen den Lesarten oxraxovg u. öxtumovg nicht durch die blose
Auctorität der Codd. bestimmt zu werden. Aus der Lehre von
der attischen Wortbildung musste gelehrt werden, dass in den
Compositis, deren zweiter Theil ein Substantiv ist, das Zahl-
wort keinen Umlaut annimmt , hingegen die mit — nkovg und
stkuGiog zusammengesetzten den Bindevocal a. annehmen. Vgl.
Elmsley ad Eurip. Med. p. 278 not. ed. Lips. — P. 84 C.
(p. 73.) ou xal ävBvgqöEi. «tat, was hier nock, ausserdem
heisst, ist unpassend mit dem xccl nach Fragwörtern verglichen.
o tv richtig st. ozl nach Schleiermacher's Vorgange. —
PlatonU Mcno. lllustravit Stallbaum. 173
P. 84 D. (p. 74.) Statt des „cansulto tacemus, cur" cct. wäre
eine deutliche Darlegung der Grüude den jungen Lesern sehr
ersprieslichund gewiss erwünscht gewesen. — Ibid. ist die sehr
wichtige Variante rovrcov (st. toutov), die in den besten Codd.
sich findet, ganz mit Stillschweigen übergangen, ltec. tritt
li utt in. 's Meinung bei, dass jenes rovrcov die richtige Lesart
sei und statt tibqI rovrcov stelle. Vgl. Butt, zu § 7 not. 2. —
P. 85 C. (p. 78.) reo ovx bIöotl ccqcc. Leber diese Stelle war
eine bestimmtere und klarere Erörterung nöthig. Rec. urtheilt
so : Entweder ist der Satz jisql cov av ^irj tldy ein eigentlich
entbehrlicher Zusatz, den die weitschweifige Ausführlichkeit
des Socrates mit sich bringt ; dann hat allein II e i n d o r f Hecht,
wenn er übersetzt : qui nescit, quidquid iüud es/, cuius est ne~
scius, und es durften Hut tm., Lllrich und H. St. keine wei-
tere Erklärung jenes an sich einfachen Gedankens hinzusetzen;
oder es liegt ein tieferer Sinn darin; dann reicht man nicht
mit einer Lebersetzung oder Paraphrase aus, sondern es musste
erörtert werden, worin die Schwierigkeit liege. Nämlich das
ovx bIöevccl wäre dann in doppelter Bedeutung genommen, wor-
auf vielleicht auch die doppelte Construction dieses Wortes aa
unsrer Stelle hinweist. Es wäre 1) = äyvoelv, das absolute
Nichtwissen einer Sache nach dem gewöhnlichen Sprachge-
brauche im Leben, und 2) = ovx IniöraG^at-, d. i. das nach
Socratischer Ansicht noch nicht zum Bewusstsein , zum Durch-
bruch gekommene Wissen, welches aber insofern nicht ein ab-
solutes Nichtwissen ist, weil ja das Wissen dunkel in der Seele
liegt vermöge der ö6£cu. Es wäre dann zugleich die Negation
des Wissens in plülosophischer Bedeutung, d. i. der deutlichen
Vorstellung von der wahren Beschaffenheit der Sache. Dann
wäre also der Sinn mit andern Worten : ööng äyvoEÖ xt, ortovv
av y , äxs ovx £7CLöTa^iBvog rovro, ov ^tlv ETciörarat, dlK b\ucog
evEiöt avrcö ahq%&iq Öo^ai jieql rovrcov, cov ovx oide. Dies
6ch webte II. St. vor, nur durfte er nicht in der Lebersetzung
habere polest sagen, sondern habet. Ob der erste oder zweite
Fall wirklich hier statt finde, mag Rec. nicht entscheiden, neigt
sich aber zu dem erstem hin , weil diese genauere Darlegung
der Somatischen Ansicht hier antieipirt wäre. — P.85 E. (p.80.)
MitBekk. aus Codd. akXcog rs xcel. Leber dies zuweilen aus-
gelassene xa\ wird Belehrung gegeben. P. 85 E (p. 81) gefällt
uns sehr H. St.'s Conjectur ei — laßcov ovx ijdi] rovro örjlov
etc. Zwei Codd. geben wirklich ijörj, was freilich die andere
Form rjdr] st. rjÖEi sein könnte; aber kaum findet sich ein an-
drer gleich leichter Weg der Emendation. — P. 86 A. (p. 83.)
Hier und früher p. 61 ist bemerkt, dass zur Zeit der Abfassung
des Menon Piaton seine Ansichten über manche Lehren noch
nicht so ausgebildet hatte, wie sie in seinen spätem Schriften
erscheinen.— P. 86 D (p.85) ist richtig gegen B. bemerkt, dass
12*
174 Griechische Litteratur.
oivto auf die virtus nicht auf die quaestio zu beziehen, sei. —
P. 89 E (p. 102 u. 103) ist zweimal st. avrog nach Struve'a
Conjectur, die durch den Cod. Flor, bestätigt wird, "Avvxog
aufgenommen , auch die Bedenklichkeit B.'s , dass wenigstens
an der ersteren Stelle nichts zu ändern sei, glücklich gehoben
durch die richtige Auffassung des oj {isxccdäfisv, quem partici-
pem faciamus i. e. itaque eum participem faciamus. — P. 90 B.
ccQStrjg nEQi richtig erklärt durch de virtute, quod attinet ad
virtutem. Anders Buttm. — P. 90 E. (p. 106.) Bei ^toüvt« (tavQd-
veiv können wir weder Uli rieh's noch Butt ra. 's Meinung
beitreten , welchem letztern II. St. folgt. Beider Erklärung
scheint uns hart. Könnte man nicht auch hier die diplomatisch
so leichte und an vielen Stellen nothwendige Emendation t,iq-
rovvtog anwenden, so dass man aus dem vorhergegangenen xtg
sxblvov supplirte? Dann wäre der Sinn: indem (sodass) dann
jener von denen zu lernen verlangen würde, die cet. — P. 91
A (p. 107 J vergleicht II. St. in der Anmerkung, um die Lesart
einigerCodd. ö£ st. öol wahrscheinlich zu machen, unpassende
Stellen, wie die angeführte aus Cyrop. 2, 1, 15: £%e6xc ö' vfxlv
— kccßövxag öxlcc — l{ißcdv£iv: denn solche Participia stehen im
Acc. sehr oft beim Inf., wenn der Dativ vorausgegangen ist,
und was soll überhaupt diese Stelle beweisen, da ja dort v^ilv
steht? — P. 91 C (p. 108) behält H. St. ßy'jxs döxov (lyxs ijg-
vov , weil er die allerdings unbestimmt ausgedrückte Anmer-
kung B.'s, der die Genitive hat, nicht verstehe. Buttm. meint,
erst standen die Genitive övyysvcov — tplkcov, weil sie alle
Eine Classe bilden (ol cplXoi) , dann aber geht Socrates auf ein
andres Genus über, so dass der Grund zum Genitiv wegfällt. —
P.92 B.(p. 111.) xai ür\v ys ist richtig gegen Buttm. erklärt vom
"Wunsche. So schon S c hie ierm ach er. — P. 92 C musste
H. St. nach Rec. Meinung F. A. Wolf 's Conjectur oloi (st. ot),
die durch 2 Codd. bestätigt wird, mit Bekk. aufnehmen, da bg
nicht wie das Lat. qui qualis bedeuten kann. Denn es handelt
sich dort nicht darum, wer jene Sophisten wären (so II. St.),
sondern quales sitd. Zwar behauptet Heindorf ad Phaedrum
§ 46, den H. St. hätte anführen können , dass ög zuweilen st.
olog stehe; aber die dort citirten Stellen sind von andrer Art. —
P. 94 B. (p. 119) Iva 8h {it} oUyovg oey xal tovg cpavXoxdxovg
cet. Die Herausgeber stossen hier an, weil Männer, wie Ari-
stides und Pericles kurz vorher erwähnt sind. H. St. hält die
Stelle für corrupt und schlägt eine Emendation vor. Itec. meint,
dass die Vergleichung mit dem vorhergehenden auf das oliyovg
zu beschränken sei, und mit dem cpavloxdrovg nicht ein zweites
Prädicat denselben Personen gegeben, sondern mit einer
nicht ganz wegzustreitenden Nachlässigkeit das xal (pavhoxd-
zovg darum angeknüpft sei , weil dem Schriftsteller der Nach-
satz vorschwebte : nKüözovs xal xovg övvccxazdxovg ovopdGa.
Piatonis Meno. lllustravit Stallbauiu. 175
Ob vielleicht etwas gewonnen würde, wenn man nach einer be-
kanntlich leichten Aenderung jj st. xai läse, will Rec. derBeur-
theilung der Leser überlassen. Was II. St. conjicirt : xairot ov
(pavkoxürovc;, würde Rec. billigen, wenn st. ol?; gesagt wäre Ae-
yyS, _ P.04 D (p. 121) vertheidigt II. St. ov fuv sdsi 8an.,
indem er ov für tv olg gesetzt glaubt. Diesen Gebrauch der
Partikel ov, dass es ohne Beziehung auf Raum geradezu für in
quibus rebus stehe, musste II. St. durch Stellen belegen. Rec.
hat es so noch nicht gefunden. Für jetzt gefällt ihm also mit
Buttm. ol, was der Auetor dialogi devirtute giebt, und was auch
Reisig ind. enarratioOed. Col. p. LXXII billigt. Wenn dort ol
quam in parte/n, in welcher Hinsicht, von Reisig erklärt wird,
so weicht Rec. für diese Stelle von seinem Lehrer ab, und giebt
hier dem ol die Dativbedeutung der Richtung nach etwas
hin, so dass ol soviel ist als £tg o, wie auch dccTiaväv construirt
wird. — P. 96 E (p. 129) ist richtig aus 3 Codd. dicccpevyEi st.
diacpsvyuv geschrieben. Nur musste II. St. durch eine klare
Erörterung der inneren Verschiedenheit der Sätze, welche
Buttm. vergleicht, von dem unsrigen die Notwendigkeit dieser
Aenderung darthun. Durch das blose non omni es parte simi-
lia sunt wird nichts gewonnen. — P. 99 C. (p. 140.) Das «A^ft?)
xcel jtoW.a scheint Rec. eben so erklärt werden zu müssen, als
wenn nach dem bekannten Gräzismus noXla nccl äkrj&ij gesagt
wäre. Die Griechen verbinden jene Quantitätsbezeichnung mit
andern Adjectiven durch xal, weil sie dieselbe wie ein beson-
deres Attribut behandeln. Mithin konnte das xai noXXcc auch
nachstehen. — P. 99 D (p. 141) ist aus einzelnen indieiis Codd.
glücklich durch Emendation hergestellt: do£h% ccq «V kkäoZ-
fiev. — Ibid. ft&Covg xs cet. hat H. St. nicht richtig aufge-
fasst, weil ihm ein Gebrauch der Partikeln ts - xcci entging,
insofern dieses oft bedeutet itt-sic wie ovrs-ovts tit non-
sie non. Ueber letzteres vgl. W e 1 1 a u e r zu Aesch. Choeph. 256.
Doch soviel. Möge H. St. diese Bemerkungen mit dersel-
ben Gesinnung aufnehmen, mit welcher sie geschrieben wurden»
Freuen würde es Rec, wenn H. St. einiges brauchbare darin
linden sollte.
Dr. C.W e x in Pforta.
Vergleichende Sprachkunde.
Lettre a M. Abel - Remusat, de la nature des j armes
grammaticales eu gene'ral, et sur le Genie de
la lang tie Chinoise en particulicr , par M. G. de
176 Vergleichende Sprachkundc.
Humboldt, Paris, ;i la librairie Orientale de Dondey-Duprd,
1827. V1U u. 123 S. 8. 1 Thlr. 14 Gr.
JLFör unterzeichnete Referent fühlt sich gedrungen, um jegli-
chem Vorwurfe der Anmaassung zu begegnen, gleich im Ein-
gange dieser Anzeige zu erklären, dass er himmelweit entfernt
sei , eine Schrift zu beurtheilen , deren Verfasser einen weiten
Cyclus von menschlichen Sprachen mit der objectiven Kraft sei-
nes Scharfsinnes und Forschungsgeistes zu beherrschen und den
allgemeinen Gesetzen des in Wort und Schrift sich offenbaren-
den, über Alles waltenden Geistes zu unterwerfen vermag. Wir
glauben im Gegentheü schon allein dadurch etwas recht Er-
spriessliches zu bezwecken, wenn wir von dieser geistreichen
und gehaltvollen Schrift einen treuen Auszug zu geben uns be-
mühen, um auf diese Weise unsre philologischen Leser nicht
(so sehr auf die feineren Eigenthümlichkeiten der Chinesischen
Sprache, als vielmehr auf die ebenso neuen als tiefsinnigen An-
sichten des Verfassers über die Natur der grammatischen For-
menüberhaupt und ihre Beziehung zu der Chinesischen Sprache
aufmerksam zu machen.
Vorstehende Schritt tritt aus dem Gebiet der Grammatik,
wie wir gemeinhin das Wort nehmen , heraus. Denn wir sind
jetzo oft zu sehr in der Grammatik befangen, um sie mit Frei-
heit der Ansicht zu beurtheilen: dadurch aber, dass man sich
von der fixirten Form der classischen Sprachen mehr losmacht,
hat wirklich schon das Sprachstudium heutzutag einen neuen
Standpunct gewonnen. Durch alle menschlichen Zungen weht
doch zuletzt nur Ein göttlicher Geist, der nur hier und da
in einer mehr oder minder geläuterten Form hervortritt. Aus
brieflichen Mittheilungen des Herrn Staatsministers Freiherrn
Wilh. v. Humboldt hat Referent gelernt, dass die Sprachen
der Südseeinseln, die bisher grammatisch noch so gut als gänz-
lich unbekannt waren, grammatischer sind als die Chinesische,
und ungrammatischer als die Amerikanischen. Die Griechische
und Römische Literatur ist nie durch etwas Anderes erreicht
worden ; selbst durch das Indische , dessen Reichthum in Ele-
menten und Formen allgemein anerkannt ist, soll man ihr kaum
nahe kommen. Wenn man aber dem Baue solcher Sprachen
nachgeht, die noch gar keinen Grad der Bildung erreicht ha-
ben, öffnet sich die Geschichte des Menschengeschlechtes selbst,
und in den alltäglichen Ausdrücken des nur mit materiellem
Bedürfen und Ergötzen beschäftigten Menschen erkennt man
das Gewebe eines über alles Bewusstsein des Individuums hin-
aus in der Masse liegenden Geistes,
In der Vorrede erklärt der Herausgeber, Herr Abel-Re-
nuisa t, dass dieser Brief seine Entstehung einem gegenseitigen
Ideenaustausch zwischen Herrn W. von Humboldt und dem
G. de Humboldt: De la natura des formes grammaticalcs. 1^7
gedachten Pariser Professor verdanke. Einige in der Berliner
Akademie der Wissenschaften vorgelesene Abhandlungen, wel-
che Hr. v. H. Französischen Gelehrten mittheilte, schlugen in
das Gebiet der allgemeinen oder besser vergleichenden Sprach-
kunde ein, und veranlassten Hrn. lt., weil das Chinesische fast
unberücksichtigt geblieben war, auf diese in ihrer Art einzige
Erscheinung besonders aufmerksam zu machen. Compare'es
sous ce rapport au samscrit (heisst es weiter), au grec, a l'alle-
maud, et aux autres idiomes pciir lesquels M. G. de Humboldt
annoncait une juste predilection, la langue chinoise offrait des
particularite's qu'il n'etait plus permis de negliger. In diesem
Briefe nun hat Hr. v. H. seine immittelst gewonnenen Ergebnisse
über den Geist der Chinesischen Sprache und ihr Yerhältniss
zu andern Sprachen in lichtvoller Ordnung niedergelegt , ohne
jedoch seine Ansichten zur öffentlichen Bekanntmachung durch
den Druck selbst bestimmt zu haben. Hr. R. aber glaubte sich
mit Recht ein Verdienst zu erwerben , wenn er das Resultat so
tief durchdachter Forschungen ans Tageslicht ziehen und in
beigegebenen Anmerkungen seine eigne Ansicht über diesen
oder jenen Punct aussprechen würde.
Hr. v. H. eröffnet seinen Brief mit dem Lobe, welches er
der Cbinesischen Grammatik Re'musat's und dessen Ausgabe
des Tchoüng-yoüng ertheilt, und versichert, dass durch beide
"Werke dieses Studium auf bewundernswürdige Weise gefördert
worden sei. Der erste Eindruck, welchen das Lesen eines Chi-
nesischen Satzes zurücklässt, vermag uns zu überzeugen, dass
diese Sprache sich fast von allen unterscheidet, die man kannte;
allein bei Sprachen muss man vor allgemeinen Urtheilen auf sei-
ner Huth sein. Man würde schwerlich ßagen dürfen , die Chi-
nesische Sprache unterscheide sich ganz und gar von allen an-
dern. Desshalb will Hr. v. H. sich hauptsächlich an die classi-
schen Sprachen halten, so oft er auf die Chinesische im Gegen-
satz zu andern Sprachen zu sprechen kommt. Er glaubt den
Unterschied, welcher zwischen der Chinesischen und andern
Sprachen statt findet, auf den einzigen Hauptstandpunct zurück-
führen zu dürfen, dass erstere, um in ihren Sätzen die Verbin-
dung der Wörter anzudeuten, keinen Gebrauch von grammati-
schen Kategorien macht, und ihre Grammatik gar nicht auf die
Eintheilung der Wörter gründet, sondern auf andre Weise die
Verhältnisse der Sprachelemente in der Gedankenverknüpfung
bestimmt. Der etymologische Theil der Sprache geht der Chi-
nesischen ab ; sie kennt nur die Syntaxis. Grammatische Ka-
tegorien nennt aber Hr. v. H. die den Wörtern durch die Gram-
matik gegebenen Formen, d. h. die Redetheile und die übrigen
darauf sich beziehenden Formen. Es giebt Wortarten, welche
gewisse grammatische Eigenthümlichkeiten an sich tragen, die
mau theils au den den Wörtern selbst anhängenden Merkinaleu,
178 Vergleichende Sprachkundc.
theils an der Stellung der Wörter, theils endlich an der Stel-
lung der Sätze erkennt. Schwerlich besitzt irgend eine Spra-
che alle diese Formen; allein man darf behaupten, dass eine
Sprache sich ihrer zur Bezeichnung der Wortverbindung bedient,
wenn zum wenigsten die Hauptformen kenntlich sind und wenn
die Natur der Sprache den Geist der sie Redenden an sich
trägt, so dass man jedes Wort, selbst da, wo es keine unter-
scheidenden Merkmale darbietet, einem dieser ltedetheile zu-
zutheilen in den Stand gesetzt ist. Die Einth eilung der Wörter
nach grammatischen Kategorien leitet ihren Ursprung aus einer
doppelten Quelle her: aus der Natur des Ausdrucks, welcher
mittelst der Sprache dem Gedanken eingeprägt ist, und aus der
»wischen dem letzteren und der wirklichen Welt obwaltenden
Aehnlichkeit. Da man beim Sprechen die Gedanken durch auf-
einander folgende Wörter ausdrückt, so muss in der Vereini-
gung dieser Elemente eine bestimmte Ordnung herrschen , auf
dass sie das Ganze des ausgedrückten Gedankens bilden kön-
nen ; und diese Ordnung muss eine und dieselbe sein im Geiste
des Redenden und des Zuhörers , damit beide sich gegenseitig
verstehen. Dieses Gefühl für grammatische Kategorien wohnt,
wenn gleich nur dunkel, in uns. Es ist demnächst etwas ganz
Verschiedenes, 1) nach diesenFormen zu sprechen, und 2) sich
durch Untersuchung zur Kenntnis» derselben zu erheben ; denn
der Mensch würde weder sich selbst noch Andre verstehen,
wenn diese Formen sich nicht wie Urbilder in seinem Geiste
vorfänden, oder, um deutlicher zu reden, wenn sein Sprach-
vermögen nicht wie durch eine Art natürlichen Instincts den
durch diese Formen gegebenen Gesetzen unterworfen Aväre.
Die grammatischen Kategorien stehen in engster Verbindung mit
der Einheit des Satzes ; denn sie bezeichnen die Verhältnisse
der Wörter zu dieser Einheit, und, wenn sie bestimmt und deut-
lich erfasst sind, machen sie diese Einheit begreiflicher. Die
Verhältnisse der Wörter müssen sich , je nachdem die Sätze
länger und ineinander verkettet sind , vervielfältigen und ver-
ändern, und es ergibt sich daraus natürlich, dass das Bedürf-
niss, die Bezeichnung der grammatischen Kategorien bis in ihre
letzten Verzweigungen zu verfolgen, überhaupt aus dem Bestre-
ben hervorgeht, lange und verwickelte Perioden zu bilden. Da
wo selten durch Zwischensätze die Grenze des einfachen Satzes
überschritten wird, erfordert die Einsicht nur, dass man sich die
grammatischen Formen der Wörter genau vorstellt, oder dass
man die Bezeichnung derselben bis zu dem Puncto fortführt, wo
eine jede dieser Formen in ihrer ganzen Individualität erscheint.
Es genügt alsdann sehr oft zu wissen, dass ein Wort Subject
des Satzes ist, ohne dass man sich genaue Rechenschaft darü-
ber abzulegen hätte, ob es ein Substantivum oder ein Infiniti-
vus ist; dass ein anderes Wort dadurch ein drittes bestimmt,
G. de Humboldt: De Ia nature des formcs grainmaticales. 171)
ohne dass man es als ein Participium oder Adjectivum ansehen
müsste.
Die Wörter werden natürlich unter diejenigen Kategorien
gebracht, zu welchen die darzustellenden Gegenstände gehö-
ren. Daher gibt es in jeder Sprache Wörter von substantivischer,
adjeetivischer uud verbalischer Bedeutung, und die Begriffe
dieser drei grammatischen Formen entspringen sehr natürlich
aus ebendenselben Wörtern. Aber diese können auch einem
andern Begriff angepasst werden: was also seinem Begriffe nach
substantivisch ist, kann in ein Verbum umgewandelt werden,
oder umgekehrt. Es gibt in der TJiat Wörter, deren ideale
Bedeutung durchaus nicht ebendieselbe Aehnlichkeit in der
wirklichen Welt findet. Demnach hat man in jeder Sprache
zwei Wortarten zu unterscheiden: 1) solche, denen ihre Be-
deutung, d. h. der Gegenstand, welchen sie vorstellen, (Substanz,
Thätigkeit oder Beschaffenheit) eine grammatische Kategorie
beilegt; 2) solche, die nach dem Gesichtspuncte, unter wel-
chem man sie betrachtet, in einem höheren Sinne aufgefaßt
werden können, als eine grammatische Kategorie. Wenn eine
Sprache den letzteren die Gestalt der Kategorien gibt, so er-
halten sie wirklich eine grammatische Bedeutung, sie werden
Substantiva oder Verba. Wenn dagegen die Kategorien dieser
Wörter unbestimmt bleiben, so haben selbst diejenigen, deren
Bedeutung die grammatische Kategorie andeuten wird, keine
grammatische Geltung mehr : es sind bloss Ausdrücke von Ver-
bal- oder Substantiv -Begriffen. Man kann also nur dann zu
grammatischen Kategorien gelangen, wenn ein Volk darauf aus-
geht, seine Sprache zwar als eine besondere, aber der wirkli-
chen ähnliche Welt zu betrachten , in jedem Worte ein Indivi-
duum zu erblicken und kein einziges gelten zu lassen, das man
nicht irgend einer Gattung zutheilen könnte. Dieses Bestreben
entspringt im Allgemeinen aus dem Eifer einer der Sprache
angepassten Einbildungskraft; und in denjenigen Sprachen,
welche sich durch eine reiche und mannigfaltige Grammatik
auszeichnen, scheint dieser Eifer den intellectuellen Instinct
entwickelt zu haben. In solchen Sprachen , welche die gram-
matischen Kategorien nur unvollkommen unterscheiden, oder in
welchen diese Unterscheidung ganz und gar zu schwinden scheint,
müssen gleichwol die zu einem Satze verketteten Wörter eine
grammatische Geltung haben: diese jedoch besteht nicht indem
Worte für sich genommen, sondern sie ist von der als gramma-
tische Regel festgestellten Anordnung der Wörter oder von dem
Gedankengange abhängig.
Jedes Urtheil des Geistes ist eine Vergleichung von zwei
Vorstellungen, deren Gleichheit oder Ungleichheit man aus-
spricht. Jedes Urtheil kann also auf eine mathematische Glei-
chung zurückgeführt werden. Die Sprachen verfahren hierbei
180 Vergleichende Sprachkunde.
synthetisch, indem sie den Begriff des Daseins hinzufugen; und
dazu bedienen sie sicli des flectirten Verbums, als der Verwirk-
lichung des Verbalbegriffs. Daher wird das Verbum der Mit-
telpunct der Grammatik aller Sprachen. In jedem Satze ist ein
Begriff (das Wort, welches das Subject eines Satzes bildet)
entweder thätig oder leidend dargestellt. Die innere Thätig-
keit, mittelst deren man ein Urtheil bildet, bezieht sich auf
den Gegenstand, über den man etwas ausspricht. Anstatt zu
sagen: Ich finde die Idee des höchsten Wesens und der Eivig-
heit identisch, setzt man folgendes Urtheil dafür: Das höchste
Wesen ist ewig. Dieses könnte man die imaginative Seite der
Sprachen nennen , welche ihren Culminationspunct in den clas-
sischen Sprachen erreicht hat. Die Chinesische Sprache nimmt
nichts davon an, als was geradezu nothwendig ist, um zu re-
den und verstanden zu werden.
Die Unterscheidung der Redeth eile, welche den classischen
Sprachen eigenthümlich ist, vielen andern hingegen abgeht,
gehört ganz und gar zur imaginativen Seite der Sprachen. So-
bald die jugendliche und tbätige Einbildungskraft eines Volkes
alle Wörter belebt, die Sprache der wirklichen Welt ganz gleich
knacht und dadurch die Personification vollendet, dass man aus
jeder Periode ein Gemälde bildet, worin die Anordnung der
Theile mehr zum Ausdruck des Gedankens, als zum Gedanken
selbst gehört; alsdann müssen die Wörter Gattungen haben,
gleichwie die lebenden Wesen zu einem Geschlechte gehören.
So wie ein Volk auf dieser Bahn fortschreitet, vervollständigt
sich das System, weil der Begriff von einer dieser Kategorien
natürlich zu der andern hinführt.
Die Chinesische Sprache gebraucht alle Wörter in dem
Zustande, in welchem sie den auszudrückenden Gedanken be-
zeichnen, ohne Rücksicht auf irgend ein grammatisches Ver-
hältniss. Obgleich alle Chinesischen Wörter in einen Satz ver-
kettet sind , befinden sie sich dennoch in einem status absolu-
tus, und gleichen desshalb den Wurzeln der Sanscrit -Sprache.
Die ChinesischeSprache hat also keine eigentlichen Verba, son-
dern nur Ausdrücke von Verbal -Begriffen, welche in Gestalt
Ton Infinitiven erscheinen, d.h. in der unbestimmtesten, die
wir kennen. Man kann in der That sagen, dass bei vorherge-
hendem Substantivum oder Pronomen der Ausdruck eines Ver-
bal-Begriffs im Chinesischen eben so gut die Geltung eines
flectirten Verbums hat, als im Englischen die Wörter they like.
Die Zeit ist im Chinesischen grösstentheils nicht bezeichnet,
oder ist es nicht als ein unumgängliches Zubehör des Verbums,
sondern als zum Ausdruck der Idee des Satzes gehörig. Will
man dem Chinesischen Verbum eine grammatische Form anwei-
sen, ohne ihm zu geben, was es weder andeutet noch besitzt,
so ist es ein Infinitivus , d. h. in einem zwischen dem Verbum
G. de Humboldt: De la nature des forme« grammaticales. 181
und Substantivum in der Mitte befindlichen Zustande *). Man
erkennt die Nomina daran, dass sie vorangehen und die Verba
daran, dass sie nachfolgen.
Die Präpositionen , welche das Ziel einer Handlung anzei-
gen (v. Re'musat Grammaire Chin. No. 81 — 91), enthalten ur-
sprünglich fast ohne Ausnahme einen Verbal -Begriff. Die Be-
griffe von Substantivum und Yerbum fliessen im Chinesischen
nothwendig zusammen.
Man kann als Grundsatz aufstellen, dass, sobald ein gram-
matisches Verhältniss den Geist eines Volkes lebhaft ergreift,
dieses Verhältniss irgend einen Ausdruck in derjenigen Sprache
findet, welche ebendasselbe Volk spricht. Alles was der Mensch
mit Lebhaftigkeit und Klarheit im Gedanken erfasst, drückt er
unfehlbar in seiner Sprache aus. Man kann gleicherweise die-
sen Grundsatz umstellen und sagen: Wenn ein grammatisches
Verhältniss keinen Ausdruck in einer Sprache findet, so ergreift
es nicht lebhaft das Volk , welches sie spricht , und ist daher
nicht mit Klarheit und Bestimmtheit gefühlt worden. Denn
das ganze Werk der Sprache besteht darin, dem Gedanken ei-
nen Körper zu geben. Die beiden Mittel , deren sich die Chi-
nesische Sprache zur Anzeige der Wortverbinduug bedient, die
Partikeln und die Wortstellung, scheinen nicht die Bezeichnung
der grammatischen Formen zum Zweck zu haben, sondern um
auf eine andre Weise zu dem Verständniss des Satzgefüges zu
führen. Die Partikeln bezeichnen bloss den Uebergang eines
Gedankens zum andern, und können, wie durch zahlreiche Bei-
spiele dargethan wird , auf mehrere grammatische Kategorien
angewandt werden. Hinsichtlich der Wortstellung kann man
mit Sicherheit behaupten, dass das Subject dem Verbum vor-
angeht, und die näheren Bestimmungen darauf folgen ; aberdie
Stellung allein bietet kein Mittel zur Erkennung des Verbums
dar, dieses ersten Kettenringes, an den man die übrigen anzu-
reihen hat. Da in diesem Falle die grammatischen Regeln nicht
zulänglich sind, bleibt keine andre Ausflucht übrig, als zu der
Bedeutung der Wörter und zum ganzen Zusammenhange. Ohne
dieses Mittel ist die Wortstellung an und für sich selten eine
sichere Führerin zum Verständniss Chinesischer Schriften.
Hieraus geht zur Genüge hervor, dass etwanige Amphibologien
nur durch richtige Auffassung der lexikalischen Wortbedeutung
vermeidlich sind.
•) Wer die Ansichten des Verfassers über die Bedeutung des Infini-
tivus genauer kennen lernen will, der lese dessen geistvolle Abhand-
lung hierüber in A. W. von Schlegels Indischer Bibliothek , Bd. 2 Hft.
2 (1824) und vergleiche damit ein gehaltreiches Programm ; über den
1 nfi nitiv, von M* Schmidt. Breslau 1826, 4.
182 Vergleichende Spvachkunde.
Fast alle Chinesischen Sätze sind sehr kurz, und seihst
diejenigen , welche lang und verwickelt zu sein scheinen, zer-
fallen leicht in mehrere sehr kurze und einfache Sätze, und diese
Art der Ansicht scheint dem Geiste der Sprache am meisten zu
entsprechen. S. 46 f. werden folgende fünf Hauptpuncte her-
vorgehoben, um sich einen richtigen Begriff von der Chinesi-
schen Sprache zu machen :
1) Die Chinesische Sprache bezeichnet weder die gramma-
tische Kategorie, zu welcher die Wörter gehören, noch
auch ihre grammatische Bedeutung im Allgemeinen. Die
Zeichen für die Gedanken in Aussprache und Schrift blei-
ben dieselben , wie es sich auch immerhin mit dieser Be-
deutung verhalten mag.
2) Die Chinesische Sprache hängt gar nicht die bedeutungs-
losen Wörter an die bedeutungsvollen an, um jedesmal, so
oft man ein bedeutungsvolles Wort mit seinem bedeutungs-
losen aus dem Satze herausnimmt , mit Hilfe des letzteren
die Kategorie der ersteren bestimmt erkennen zu können.
3) Die grammatische Bedeutung ist also nur in der Zusam-
mensetzung des Satzes selbst erkennbar.
4) Sie ist es selbst alsdann nur dadurch , dass man die Be-
deutung eines oder mehrerer Wörter des Satzes kennt.
5) Die Chinesische Sprache befolgt in ihrer Art, die gram-
matische Bedeutung anzugeben , niemals das System der
grammatischen Kategorien, speeificirt sie niemals in ihren
feinsten Nuancen , und bestimmt sie nur in soweit , als die
Sprache es unbedingt nothwendig macht.
Wach dieser Voraussetzung könnte man die Chinesische
Sprache mit jenen unvollkommncn solcher Völkerschaften zusam-
menwerfen, welche niemals eine bedeutende Entwickclung ih-
rer geistigen Fähigkeiten erreicht haben, oder bei welchen
diese Entwickelung niemals kräftig auf die Sprache eingewirkt
hat. Allein das wäre ein ausgemachter Irrthum. Die Chinesi-
sche Sprache zeichnet sich vor all diesen unvollkommnen Spra-
chen durch ihre Folgerechti^keit und Begelmässigkeit aus, wo-
mit sie das einmal angenommene System geltend macht , wäh-
rend die Sprachen barbarischer Völker entweder auf der Mitte
des Weges stille stehen, oder das vorgesteckte Ziel verfehlen.
Alle diese Sprachen geben ihre Mangelhaftigkeit zugleich durch
Abwesenheit und unnützen Ueberflnss grammatischer Formen
kund. Die Chinesische Sprache dagegen stellt sich durch Zier-
lichkeit und Reinheit in Anwendung ihres grammatischen Sy-
stems den classischen Sprachen gleich , d. li. den vollkommen-
sten , die wir kennen.
Wenn man die Sprachen von dem Gesichtspuucte aus be-
trachtet , von dem wir hier ausgehen , so wird man drei ver-
schiedne Arten finden. Die Chinesische Sprache leistet auf die
G. de Humboldt: De la nature dea formen grammaticalc«. 183
bestimmte und pünctliche Unterscheidung der grammatischen
Kategorien Verzicht, ordnet die Wörter der Sätze nach einer
minder an die Bestimmung der Gedanken gebundenen Reihen-
folge, und gibt den Perioden einen für dieses System anwend-
baren Bau. Die Sanscrit- Sprache, die mit ihr in offenbarer
Verwandtschaft stehenden und vielleicht noch andre Sprachen
setzen die Unterscheidung der grammatischen Kategorien als
einzige Grundlage ihrer Grammatik fest, verfolgen diese Un-
terscheidung bis in ihre letzten Verzweigungen, und lassen
in der Bildung ihrer Sätze Allem freien Lauf, was dieser sichre
und treue Führer ihnen zu ergreifen verstattet. Die Griechi-
sche Sprache geniesst diesen Vortheil im höchsten Grade : denn
fürwahr stehen selbst die Lateinische und Sanscrit-Sprache tief
unter ihr in dieser genauen, reichhaltigen und zugleich schö-
nen Satzbildung, welche sich in alle Falten des Gedankens
einschleicht und alle seine Nuancen ausdrückt. Es sind noch
Sprachen übrig, welche gewissermaassen darauf ausgehen, sich
wahre grammatische Formen anzueignen , ohne dieses Ziel zu
erreichen; welche die grammatische Kategorie unterscheiden,
aber die Verhältnisse nur unvollständig bezeichnen. — Die
grammatischen Verhältnisse befinden sich in dem Geiste der
Menschen, von welcher Beschaffenheit das Maass ihrer geisti-
gen Fähigkeiten auch immerhin sein mag, oder genauer gespro-
chen , der Mensch befolgt beim Reden mittelst seines intelle-
ctuellen Instincts die allgemeinenGesctze des Gedankenausdrucks
durch das Wort. Die Voraussetzung einer ausdrücklichen
Uebereinkunft würde zweifelsohne ein Hirngespinst sein. Der
Ursprung der Sprache im Allgemeinen ist so geheimnissvoll , es
ist rein unmöglich die Erscheinung, dass die Menschen spre-
chen und sich verstehen, mechanisch zu erklären. Wie aber
hat man sich diesen Umstand zu erklären'? Untersuchungen der
Art muss man auf positive Thatsachen gründen , und die Prü-
fung mehrerer Sprachen führt zur Erklärung des Ursprungs
der Formen, welche die grammatischen Verhältnisse ausdrük-
ken. Es ist dem Menschen , insonderlich dem geistig noch
wenig ausgebildeten , angeboren , beim Sprechen dem Haupt-
gedanken eine Menge Nebengedanken anzureihen, welche Be-
ziehungen der Zeit, der Orte, der Personen und der Umstände
ausdrücken, ohne darauf zu achten, ob diese Begriffe an die-
ser Stelle ausdrücklich nothwendig sind oder nicht. Er ist
nicht nur mit Worten, sondern auch mit Wiederholungen des
schon Gesagten und mit Einschiebseln, welche weniger einen
Gedanken als eineGemüthsstimmung ausdrücken, nicht sonder-
lich geizig. Diese Nebengedanken, welche beständige Gefährten
der Hauptgedanken und durch den intellectuellen lustinet so wie
durch die fortschreitende Entwickelung des Geistes und der
ihm entsprechenden Ausdrücke bedingt sind, scheinen in vielen
184 Vergleichende Sprachkunde.
Sprachen die Exponenten der grammatischen Verhältnisse ge-
worden zu sein. Wenn man die Amerikanischen Sprachen un-
tersucht, so bemerkt man, dass gewisse Verhältnisse (z.B.
die des Numerus und des Genus) nur da ausgedrückt sind, wo
der Sinn es fordert, wogegen eine Menge anderer Verhältnisse
engedeutet sind, wo man sie leicht fahren lassen würde. —
Der Uebergang von Wörtern , welche Nebengedanken ausdrük-
ken, in den Zustand von Exponenten grammatischer Verhält-
nisse findet sich mehr oder minder deutlich in der Baskischen
und Koptischen Sprache, in denen der Südseeinseln und der
Tartarischen Völkerschaften, und ohne Zweifel in allen Spra-
chen, welche ganz und gar der Flexionen ermangeln, oder in
welchen Avenigstens das System der Flexionen unvollständig oder
fehlerhaft ist.
Wenn die Neigung der Völker mit dem sprachbildendcn
Instinct glücklich zusammentrifft, wenn sich mit dieser günstigen
Richtung die oben berührte Art der Einbildungskraft vereinigt,
welche die Elemente der Sprache den Gegenständen der wirk-
lichen Welt gleich macht; so wird das Verfahren, dem ihre
Grammatik das Dasein verdankt, einen vollkommnen Erfolg
haben. Alle Verhältnisse, welche eine vollständige Analysis
des Wortes unterscheidet, werden ihre Exponenten finden;
man wird keine überflüssigen bemerken, und dieselben werden
den Wörtern so fest eingeprägt sein , dass jedes in einen Satz
verkettete Wort den Geist nur in einer grammatischen Bedeu-
tung berühren wird. Gleichwie bei Individuen die Anlagen
für verschiedenartige Gegenstände sich verschieden entwickeln,
ebenso scheint der Geist der Sprachen unter die Völker ver-
theilt zu sein. Die Kraft des intellectuellen Instincts , welche
den Menschen zum Sprechen antreibt, der Geist und die Ein-
bildungskraft , wenn sie nach der Gestalt und Farbe gerichtet
sind , welche das Wort dem Gedanken gibt , ein feines Gehör,
ein glückliches Sprachwerkzeug und vielleicht wol noch andre
Umstände bilden diese Wunderwerke der Sprachen, welche
für eine lange Reihe von Jahrhunderten die Typen der tiefsten
und erhabensten Gedanken werden. Ferner erklärt der Verf.,
er wolle lieber denjenigen beipflichten, welche den Ursprung
der Sprachen auf eine unmittelbare Offenbarung der Gottheit
zurückführen, als denjenigen, welche der Sprachentwickelung
einen allgemeinen und mechanischen Gang unterschieben, wel-
cher sie Schritt für Schritt von dem rohesten Beginn bis zu ih-
rer Vollkommenheit fortschleppen würde. Jene erkennen we-
nigstens den göttlichen Funken an, welcher durch alle, selbst
die unvollkommensten Sprachen hindurchschimmert.
Das Eigenthümliche der Chinesischen Sprache besteht da-
rin, dass sie, insoweit die Natur der Sprache es verstattet, mit
Verschmähung der Farben und Nuancen, welche der Ausdruck
G. de Humboldt : De la natnro de» forme9 grammaticales. 185
dem Gedanken leiht, die Gedanken hervorspringen lässt, und
die Kunst besitzt, selbige unmittelbar aneinander zu reihen, und
zwar so , dass ihre Ähnlichkeiten und Gegensätze nicht nur,
wie in andern Sprachen, gefühlt und verstanden werden, son-
dern dass sie auch den Geist mit einer frischen Kraft erfassen
und anregen, ihre gegenseitigen Verhältniste weiter zu verfol-
gen und sich zu vergegenwärtigen. In den Schriftwerken aus
alter und neuer Zeit ist es hauptsächlich der SM, weicher un-
ser Interesse in Anspruch nimmt. Betrachtet man aber die Ver-
zichtleistung der Chinesischen Sprache auf so viele Mittel, wo-
durch andre Sprachen den Ausdruck mannigfaltig gestalten, so
könnte man vermuthen, der in andern Sprachen so genannte
Stil müsste ihr ganz und gar abgehen. Allein ihr sehr bezeich-
nender Stil entspringt aus der unmittelbaren Berührung der Ge-
danken, aus dem ganz neuen Verhältniss, dessen Ursprung in
dem fast gänzlichen Mangel grammatischer Zeichen zwi-
schen dem Gedanken und dem Ausdruck zu finden ist, und aus
der durch die Chinesische Satzbildung erleichterten Kunst, die
Wörter so zu ordnen, dass die gegenseitigen Beziehungen der
Gedanken aus der Construction selbst hervorgehen. Die Chine-
sische Sprache unterscheidet sich von den gemeinhin so genann-
ten unvollkommnen Sprachen durch ihren folgerechten Geist
und ihre Regelmässigkeit , sowie von den classischen Sprachen
durch die ihrem grammatischen System entgegengesetzte Na-
tur. Die grammatische Vollkommenheit in den classischen Spra-
chen ist zugleich ein Mittel, dem Gedanken mehr Umfang, Fein-
heit, Farbe, Genauigkeit und Treue zugeben, und zwar die-
ses durch Symmetrie der Formen und Harmonie der Töne, wel-
che dem ausgesprochenen Gedanken und den sie begleitenden
Bewegungen der Seele entsprechen. Auf der andern Seite er-
scheint uns der von den Fesseln des Worts befreite Gedanke
weit vollständiger und reiner; wie namentlich selbst dann, wenn
wir in der Muttersprache schreiben, die Verlegenheit beweist,
solche Ausdrücke zu finden, die den Sinn, welchen wir ihnen
geben wollen, durchaus nicht verändern.
Die Chinesische Sprache hat unstreitig eine feste und re-
gelmässige Grammatik, und die Regeln dieser Grammatik be-
stimmen die Verbindung der Wörter in der Verkettung der
Sätze, jedoch mit dem Unterschiede, dass sie, sehr wenige
Fälle ausgenommen, den grammatischen Modifikationen keine
Laute in Gestalt eines Zeichens beifügt, sondern dem Leser
die Sorge überlässt, sie aus der Stellung der Wörter, aus ih-
rer Bedeutung und selbst aus dem Zusammenhange abzuleiten,
und dass sie die Wörter nicht für den Zweck gestaltet, den sie
im Satze haben. Dieses ist an und für sich von Wichtigkeit,
aber mehr noch dadurch , dass es die Chinesische Satzbildung
beschränkt, sie zwingt ihre Perioden zu durchschneiden, und
186 Vergleichende Sprachkunde.
freien Aufschwung des Gedankens in diesen langen Verkettun-
gen der Sätze hemmt, durch welche hindurch die grammati-
schen Formen allein als Leitstern dienen können. Der Chinesi-
schen Sprache ist es rein unmöglich, die hesondern Vortheile
solcher Sprachen zu erreichen, welche die Construction nach
grammatischen Formen lenken, während diese selbst, falls der
Gegenstand es erheischt , von ihren Formen nur einen massigen
Gebrauch machen, oft die Ideenverbindungen einschränken,
die aller unbestimmtesten Formen anwenden (man denke nur
unter andern an den Lateinischen Infinitivus historicus) , und
den Lakonismus und die Kühnheit der Chinesischen Ausdrucks-
weise in gewisser Beziehung erreichen können. In den andern
Sprachen wirkt die Einfachheit und Kühnheit dieses oder jenes
Ausdrucks, dieser oder jener Wendung des Satzes auf den Geist;
in den Chinesischen Schriftwerken aber die Einfachheit und
Kühnheit der Sprache selbst. Allein dieser Vortheil ist auf Un-
kosten wichtigerer und wesentlicherer Vortheile erschwungen.
Die Abwesenheit der grammatischen Formen erinnert uns
an die Sprache der Kinder, welche gewöhnlich die Wörter hin-
stellen ohne sie gehörig miteinander zu verbinden. Setzt man
bei Völkern wie bei Individuen eine Kindheit voraus, so wird
auf den ersten Augenblick die Ansicht ganz natürlich erschei-
nen, die Chinesische Sprache sei in diesem Zeitpuncte der all-
gemeinen Sprachentwickelung stehen geblieben. Richtig ist
dieser Vergleich jedoch keineswegs. Denn die Kindheit reicht
nur bis auf einen gewissen Punct, nämlich den der Reife. Nun
lässt sich zwar in der Entwickelung der Sprachen ein Punct
nachweisen , den sie nicht überschreiten und von woher sie oft
wieder zurückschreiten ; allein den können wir nicht als Punct
der Ruhe betrachten. Ein Volk kann nicht als ausgewachsen,
also auch nicht als ein Kind betrachtet werden. Denn die Reife
selbst setzt ein Individuum voraus und leidet keine Anwendung
auf einen Collectiv -Begriff. Vielleicht würde es natürlicher
sein, von einer Kindheit der Sprachen selbst zu reden, obgleich
dieser Ausdruck ebenfalls grosse Vorsicht verlangt. Man fin-
det, dass, wie gross auch die Veränderungen einer Sprache im
Verlauf mehrerer Jahrhunderte in gewisser Hinsicht sein mö-
gen, ihr wahres grammatisches und lexikographisches System,
ihr Bau im Grossen ein und dieselben bleiben, und dass man
dahin, wo das System sich ändert, z. B. beim Uebergange der
Lateinischen in die Romanischen Sprachen, den Ursprung ei-
ner neuen Sprache zu setzen hat. Es scheint also in den Spra-
chen einen Zeitpunct zu geben, wo sie zu einer im Wesentlichen
nicht mehr veränderlichen Form gelangen. Das würde der
wahre Punct der Reife sein; um aber von ihrer Kindheit zu spre-
chen, müsste man noch wissen, ob sie diese Form unvermerkt
erreichen, oder ob nicht vielmehr ihr erster Keim diese Form
G. de Humboldt: De la nature des fornics granimaticales. 187
selbst darbietet. Da uns die Geschichte nicht bis in den
Urzustand des Menschengeschlechtes zurückfuhrt, so bleibt
jegliche Untersuchung der Art hypothetisch, und bei Sprachfor-
schungen ist einzig die Methode vernünftig, welche sich am
wenigsten von Thatsachen entfernt.
Der Verf. betrachtet die von Remusat in seiner Abhand-
lung sur la nature mo?iosyllabique du chinois aufgestellten bei-
den Facta als Grundpfeiler für diesen Gegenstand: 1) die Chi-
nesische Sprache verdankt ihren Ursprung einem Volke, bei
dem uns nichts veranlasst, einevollkommnere Bildungsstufe vor-
auszusetzen, als sie der Urzustand der Gesellschaft gewöhnlich
darstellt; 2) Sprachen, welche für sehr alt angesehen werden,
selbst roher und ungebildeter Völker, sind, weit entfernt in
ihrer Grammatik den Chinesen gleich zu stehen, im Gegentheil
mit Schwierigkeiten und grammatischen Unterscheidungen über-
laden. Dieses findet sich in der Baskischen, den Amerikani-
schen und den Sprachen des stillen Meeres. In gewisser Be-
ziehung haben alle diese Sprachen grosse Berührungspuncte mit
dem Chinesischen. Die Redetheile sind gewöhnlich nicht be-
zeichnet, der Pluralis ist oft eben so beschaffen wie im Chine-
sischen u. s. w. Man muss hierbei bedenken, dass uns die
Kenntniss nur mittelbar durch Menschen überliefert ist, welche
an ein sehr ängstliches grammatisches System gewöhnt sind.
Es gibt wol keine Sprache, welche ein der Chinesischen ganz
gleiches grammatisches System darbieten dürfte, wenigstens
ist dem Verf., von dessen weit verbreiteten Sprachforschungen
jeder Unterrichtete überzeugt ist, bis jetzt keine vorgekom-
men. Die vorerwähnten und anderweitige Aehnlichkeiten er-
strecken sich fast auf alle Ursprachen und haben selbst in den
grammatisch ausgebildeten Sprachen Spuren zurückgelassen.
Bildet man nicht im Sanscrit mittelst des Wortes sma ein Prä-
teritum und im Griechischen durch den Indicativus des Ver-
bums und die Partikel av einen Conjunctivus'? — Viele Gründe
führen zu der Annahme, dass die wilden Amerikanischen Völ-
kerschaften von ihrer frühern Bildungsstufe herabgestossene
Racen sind, oder nach einem passenden Ausdruck Alexander
von Humboldt's , gerettete Trümmer eines allgemeinen Schiff-
bruchs. Die Bemerkungen ebendesselben Gelehrten über die
Amerikanischen Sprachen in seiner Reisebeschreibuug führen
alle zu dieser Annahme.
Die Chinesische Schrift drückt jedes einzelne Wort und je-
den integrirenden Theii zusammengesetzter Wörter durch ein
einziges Zeichen aus; sie entspricht also vollkommen dem gram-
matischen System der Sprache, welche nach einem gleichför-
migen Princip eine dreifache Eigenheit darbietet, in den Ge-
danken, Wörtern und Schriftzügen. Die Chinesische Sprache
hat unstreitig früher bestanden, als man sie schriftlich fixirte,
Jahrb. f. Phil. u. Pädag. Jahrg. III. Heft 2. 23
188 Vergleichende Sprachkundig
und man hat so geschrieben, wie gesprochen. Ohne Zweifel
hat diese Schrift bedeutenden Einfluss auf den Geist und da-
durch auch auf die Sprache der Chinesen ausüben müssen. Weil
die Einbildungskraft in allem, was die Sprache anlangt, eine
so bedeutende Rolle spielt, so ist die Schriftart, deren sich
ein Volk bedient, niemals gleichgiltig. Die Schriftzüge geben
ein Bild mehr, worein sich die Gedanken einhüllen, und dieses
Bild verschmilzt sich bei denen, welche von diesen Schriftzü-
gen häufig Gebrauch machen , mit dem Gedanken selbst. Bei
der Buchstabenschrift ist dieser Einfluss weit mehr negativ. Ob-
gleich nach Re'niusat die Schreibkunst in China über 4000 Jahre
hinausreicht , so muss doch nothwendiger Weise ein Zeitraum
gewesen sein, wo das Chinesische gesprochen wurde, ohne ge-
schrieben zu werden. Die erste Schrift schien hieroglyphisch,
also von ganz andrer Natur gewesen zu sein , als heutigestags.
Eine der Hauptursachen von dem besondern Baue der Chinesi-
schen Sprache ist in ihrem phonetischen Theile zu suchen. Re-
musat hat zur Genüge gezeigt, dass man diese Sprache ganz
mit Unrecht monosyllabisch nennt. Sämmtliche Sprachen sind
aller Wahrscheinlichkeit nach ursprünglich monosyllabisch ge-
wesen, weil kein Grund vorhanden ist, warum man, so lange
einfache Worter für's Bedürfniss hinreichen, einen einzigen Ge-
genstand durch mehr als Eine Sylbe bezeichnen soll ; aber es
scheint noch gewisser, dass sich dermalen keine Sprache mehr
in diesem Zustande befindet. Dennoch herrscht die monosyl-
labische Eigenschaft der Wörter in der Chinesischen Sprache,
und der Verf. erinnert sich nirgends eine Nachricht gefunden
zu haben, ob die Chinesen bei der Aussprache eines mehrsilbi-
gen ^Wortes seine verschiedenen Sylben unter ein und demsel-
ben Accent zusammenfassen oder nicht; denn die Einheit des
Wortes ist dnrch den Accent bestimmt. Ohne diese feste Re-
gel würde dieVertheilung mehrerer Sylben in ein einziges oder
in verschiedene Wörter willkührlich sein. Noch merkwürdiger
als der Ueberfluss an einsylbigen Wörtern scheint im phoneti-
schen System der Chinesen die beschränkte Anzahl der Wörter
überhaupt. Es sei damit nicht gesagt, als ob die übrigen Spra-
chen etwa eine grössere Anzahl wahrer Wurzelwörter hätten,
sondern dass die Chinesen diese Sylben nicht hinlänglich ver-
theilt, gemischt und verbunden haben, um sich dadurch in den
Besitz eines grossen Reichthums oder einer Mannigfaltigkeit von
Lauten zu setzen. Die grössere oder geringere Mannigfaltig-
keit und Harmonie in dieser natürlichen Vertheilung ist von dem
grössten Einfluss auf die Natur der Sprachen: sie erstreckt sich
auf die physische Organisation und auf die geistigen Anlagen
der Völker ; allein sie entspringt vielleicht noch mehr aus der
Berührung und Vermischung verschiedener Völkerschaften mit-
einander. Die Fülle dieses Urstoffes der Sprachen erklärt sich
G. de Humboldt : De la nature des formes grammaticales. 189
weit natürlicher aus einem Zusammenfluss zufälliger Ursachen,
unter welchen die Wanderungen und Vereinigungen verschie-
dener Völker am einflussreichsten sind, als aus den Fortschrit-
ten des erfindsamen Geistes der Völker. Das Beispiel der Chi-
nesen selbst beweist, dass ein Volk lieber durch allerhand
Kunstgriffe eine kleine Anzahl von Wörtern seinen Bedürfni-
ssen anpasst, als dass es sie zu vermehren oder zu erweitern ge-
denkt. Die Absonderung der Völker ist also keineswegs heilsam für
die Sprachen. Sie hemmt unstreitig die Vereinigung eines gro-
ssen Vorrathes von Wörtern, Redensarten und Formen, welcher
unbedingt noth wendig ist, auf dass die glückliche Lage eines
Volkes, das ihn besitzt, daraus allinählig eine umfassende, rei-
che und mannigfaltige Sprache bilden kann. Die systematische
Ordnung, der bezeichnende und passende Gedaukenausdruck,
die Uebereinstimmung der grammatischen Formen mit dem Be-
dürfniss der Unterredung, kurzum die Organisation und der Bau
stammt zweifelsohne von den geistigen Anlagen der Völker
her; aber den Stoff und den Vorrath der Laute und Wörter
hat man dem Zusammenfluss der Umstände zu verdanken, wel-
che die Völker einigen und trennen, Ursachen, die gewiss von
allgemeinen Gesetzen beherrscht werden, die wir aber zufällige
nennen, weil wir ihre Ordnung und Verkettung nicht kennen.
In die Chinesische Sprache sind auch fremde Wörter ein-
geschlichen. S. Re'musat in den Fundgruben des Orients Th.
3 S. 285 N. 6. Aber die Geschichte von China beweist, dass
die gesellschaftliche Entwickelung des Volkes, soweit wir es
kennen, nicht durch bedeutende Stürme von aussen her getrübt
worden ist. Wenn die ersten Chinesischen Colonien nur unge-
fähr 100 Ilausgenossenschaften umfasst , ( s. Tableaux bist,
de l'Asie, par M. Klaproth, S. SO.) wenn diese sich eine lange
Reihe von Jahrhunderten hindurch ohne sonderliche Verände-
rung ihrer Sitten, Gebräuche und ihrer Sprache erhalten ha-
ben, wenn endlich die Schrift sich vom Ursprung der Monar-
chie selbst herschreibt, deren Gründer jene Colonisten waren;
so würden diese historischen Facta zusammengenommen ohne
Zweifel die beschränkte Anzahl der Sprachzeichen und selbst
die Abwesenheit der Bestimmungswörter erklären, welche in
andern Sprachen dieAffixa und dieFlexionen ausmachen. Wenn
man diese Unvollkommenheiten der Chinesischen Sprache ins
Auge fasst, so hält es schwer, sich von dem philosophischen
Gepräge, von dem tiefen Geiste, welcher sich augenschein-
lich in dem ganzen Baue dieser ausserordentlichen Sprache kund
gibt, Rechenschaft abzulegen. Man begreift in gewissem Be-
trachte, aus welchen Gründen sie nicht zu den Vortheilen ge-
langt ist, die wir mehr oder weniger in fast allen andern Spra-
chen antreffen; aber man begreift weit weniger, wie sie Voll-
kommenheiten erreicht hat, die nur ihr allein angehören. Einiger-
13*
190 Elementarbucher der Lateinischen Sprache.
maassen erklärt sich diese Frage aus dem Alterthum der Chine-
sischen Schrift und Litteratur. Denn gesetzt der grammatische
Bau der Sprache wäre sowol der Schrift als auch der Litteratur
ohne Widerrede vorangegangen, so hätte dasjenige, was die
wesentliche Grundlage dieses Baues bildet, einem rohen und
ungebildeten Volke angehören können , und der philosophische
Anstrich, den wir noch daran gewahren, hätte durch Men-
schen von höherer Ausbildung zugegeben werden können.
Das bisher Vorgetragene bezog sich bloss auf den alten
Stil der Chinesischen Sprache : der neue unterscheidet sich nicht
wesentlich von dem alten. Die grösste Verschiedenheit besteht
in der grossen Anzahl zusammengesetzter Wörter, in grösserer
Deutlichkeit und Gewandtheit.
S. 97 — 122 hat Re'musat einige Bemerkungen angefügt,
die jedoch, weil sie hauptsächlich das Einzelne berühren, für
unsre Leser weniger Interesse haben dürften; wesshalb wir
nunmehr unsern Bericht abbrechen. Das Mitgetheilte ist
natürlich nur als ein dürres Gerippe zu betrachten von dem le-
bendigen Leibe, welchen der schöpferische Geist und das er-
greifende Wort des Verfassers in allen Theilen durchdringt.
Der Referent wird sich für seine Mühe hinlänglich belohnt füh-
len, wenn es ihm gelingen sollte, durch seine Darstellung bei
recht Vielen ein gründliches Studium der Schrift selbst zu
wecken.
Oppeln, im November 1827. Dr. N.Bach.
Elementarbucher der Lateinischen Sprache.
Lateinisches Lesebuch nach der Stufenfolge
der Formenlehr e für die ersten Anfänger mit Hinweisung
auf die Regeln in der zweiten Ausgabe der Schulgrammatik, nebst
einigen Anhängen für Geübtere von Dr. Joh. Phil. Krebs, Prof. der
alten Litteratur am Herzogl. Nassauischen Gymnasium zu Weilburg.
Fünfte verbesserte und vermehrte Ausgabe. Giessen, bei Georg
Friedr. Heyer. 1825. VI u. 193 S. in 8. 10 Gr. oder 75 Xr.
"bgleich dieses Lesebuch nicht zu den neuesten Erscheinun-
gen im Gebiet der pädagogischen Literatur gehört, da es schon
5 Auflagen erlebt hat , und die letzte selbst vor einigen Jahren
erschienen und vielfach beurtheilt worden ist, so liegt doch
auch jetzt noch eine neue Beurtheilung desselben nicht ausser-
halb des Bereiches dieser Jahrbücher , besonders indem Rec.
es mit andern ähnlichen zusammenstellt , und das Buch nicht
Krebs: Lateinisches Lesebuch. 191
eine ephemere Erscheinung in dem Kreise Latein. Lesebücher
ist, sondern sich durch mehrere Auflagen als zweckmässig er-
wiesen hat. Vorliegende fite Ausgabe sollte nun nichts weiter
als ein Abdruck der vierten sein, nur dass in dieser auf die §§
der 2ten Ausgabe der Schulgrammatik des Hrn.Verfs. hingewie-
sen wird. Jedoch, sagt er in der Vorrede, sei er jetzt der
Meinung, die Abschnitte von den Verben nicht nach den 4 Con-
jugationen zu trennen , da ja streng genommen nur in den Zeit-
formen der dauernden Handlung, nicht aber in denen der voll-
endeten ein Unterschied in der Conjugation wahrgenommen
werde. Ueber diese häufig zur Sprache kommende Ansicht,
und ob ihre Anwendung für ein Schulbuch jetzt schon zweck-
mässig sei, zu sprechen, kann hier nicht der Ort sein, da der
Hr. Verf. nur erwähnt, was er habe thun wollen; dass er sich
aber an der Ausführung seines Vorhabens durch den zu schnel-
len Abdruck dieser Ausgabe hat verhindern lassen, ist kaum
erklärlich , da ja die dadurch nothwendig gewordene Umarbei-
tung sich in einem Tage hätte vollbringen lassen, und es wenig-
stens nicht Recht ist, der Hurtigkeit der Presse eine bessere
Ansicht zu opfern, deren Verwirklichung in dem Kreise dieses
Schulbuches nun wieder auf mehrere Jahre hinausgeschoben
ist. — Der Plan des ganzen Buches ist S. 3 und 4 angegeben;
es enthält: § 1 — 12 Vorerinnerungen über Subjekt, Copula
und Prädikat, und Einzelnes über Verbindung der Nomina, dar-
auf 6 Abschnitte über die Deklinationen, unter denen ein be-
sonderer der Griechisch - Latein. Deklinat. gewidmet ist (§ IS
— 37), dann in 2 Abschn. (§ 38—46) die Adjectiva, Zahl-
wörter und Pronomina, in 1 Abschn. (§47 — 62) sunt mit sei-
nen Compositis, und endlich die regelmässigen und unregelmä-
ssigen Veiba in 9 Abschn. (§ 63 — 127) , mit einer Vorerinne-
rung über die Latein. Satzverbindung. Hieran schliessen sich
3 Anhänge (S. 97 — 138): 1) Kurze Notizen aus der Rom. Ge-
schichte. 2) Geschichte des Rom. Königthums , ein Auszug
aus Livius. 3) Erzählungen aus Cicero. Den Schluss macht
das Wörterregister (S. 139 — 193). Dieser Plan des Lehrbuchs
empfiehlt sich gewiss einem Jeden als durchaus praktisch , und
die Art, wie er vom Hrn. Verf. ausgeführt ist, verdient die
Anerkennung aller Schulmänner, indem mit fleissiger Auswahl
und verständiger Abwägung die Materialien gesammelt und ge-
ordnet sind, und nirgends vorgegriffen wird, sondern stets des
Schülers stufenmässiges Fortschreiten in den Beispielen beo-
bachtet ist. Nur hätte der Hr. Verf. im Gefühl seiner ange-
wandten Mühe nicht aufs Unbestimmte hin einen tadelnden
Seitenblick auf andere ähnliche Bücher werfen sollen. Noch
viel mehr aber wäre es zu wünschen gewesen, dass am Schluss
der Vorrede der Ausfall auf manche Schullehrer ausgelassen
wäre, die ungenau und ungrammatisch mit ihren Schülern die
192 Elementarbücher der Lateinischen Sprache.
Alten läsen ; denn es ist keine geringe Unbedachtsamkeit einen
Tadel gegen Lehrer vor Schülern auszusprechen, denen diese
Worte der Vorrede doch auch zu Gesichte kommen. — Dass
die gesammelten Sätze nicht aus dem Cicero allein genommen
sind, darüber werden jetzt gewiss nur wenig Schulleute den
Kopf schütteln, was der Hr. Verf. meint; allein dass es heim
Anfänger ziemlich gleichgültig sei, oh die Sätze aus den besten
oder aus weniger durch Reinheit der Sprache sich auszeichnen-
den Schriften genommen sind, muss Rec. sehr bestreiten. Denn,
wenn es auch wahr ist, dass den Anfänger nur die Form, ihre
Entzifferung und Bedeutung , unbekümmert ob das Wort selbst
ein achtes oder unächtes sei , beschäftige , so haftet doch in
jedem Lernenden nichts fester und tiefer als das zuerst Gelern-
te, und woher anders kommt es, dass selbst den Schülern hö-
herer Classen für viele Bedeutungen der unklassische Aus-
druck eher als der acht Römische zu Gebote steht , als dass
sie jenen bei ihrem ersten Unterrichte gelernt haben*? Daher
scheint es gerade beim Lesebuch für Anfänger unerlässlich,
dass Alles in demselben, wenn auch nicht bloss Ciceronisch,
doch durchaus klassisch sei. Obgleich nun zwar die meisten
Beispiele dieses Lesebuches eine durchaus reine Latinität ent-
halten, so befinden sich doch manche darunter, denen die ei-
gentlich Lateinische Farbe fehlt , und die sich zu sehr als un-
klassisch , oder als ein neueres nach moderner Denkweise ge-
formtes Machwerk kund thun. Dahin rechnet Rec. z. B. S. 17
zur 4ten Deklinat. : Incolae feri terrae sunt plerumque in spe-
cubus montium. — Firns domus est commoda habitatio. — Fe-
ri» hominibus plerumque sunt vestes super genua, et specus
montium pro domibus. S. 25: Liberae reipublicae multi sapien-
tes viri sunt necessarii. — Per dies festos ogricolis non sunt
labores. — S. 39 : Feminae fuerunt , quae filiae regum , nxo-
res regum et matres regum fuerint. S. 28 : Ex anni tempori-
bus ver est saluberrimum , deinde hiems ; periculosior est ae-
stas , et auctumnus est pericidosissimus , und so noch mehrere,
die aber im Vergleich mit den vielen guten immer nur wenige
sind. Besonders aber aufgefallen ist es Rec. in den Beispielen
zu finden S. 13: Animalium quadrupe dium, und S. 28: oculi
sunt — collocati in altissimum locum corporis hum.
— Die 3 Anhänge sind für schon Geübtere berechnet, von de-
nen der Ite kurze Notizen aus der Rom. Geschichte (S.97 — 103)
in tabellarischer Uebersicht nebst Angabe der Jahreszahlen a.
Ch. und a. U. bis A. 30 enthält; allein diese passen mehr zum
Auswendiglernen beim historischen Unterricht als zur Lektüre.
Der 2te Anh. dagegen, Geschichte des Rom. Königthums, ein
Auszug aus Livius, ist sehr geeignet für die Lektüre eines An-
fängers, weit mehr als Eutropius , Aurelius Victor, einzelne
Fabeln u. dgl., indem er den Schüler nicht erst in eine schon
Krebs : Lateinisches Lesebuch. 193
verdorbene Latinität, sondern ohne bedeutende Schwierigkeit
in das klassische Alterthum selbst einführt. Der Auszug ist
dabei keinesweges dürftig oder mager, und, ohne bedeutende
Veränderungen in den Worten des Schriftstellers, ist der Zu-
sammenhang nie verletzt oder undeutlich. Der 3te Anh. end-
lich (S. 128 — 136) enthält Erzählungen aus Cicero, von leich-
teren zu schwerereu übergehend , die sich zwar meist in ande-
ren Lesebüchern finden, sich aber doch alle von einem Knaben
mit Interesse lesen lassen. — Für den ersten Unterricht im
Lateinischen eignet sich dieses Lesebuch vortrefflich, nur soll-
te ein grösserer Reichthum von Beispielen, besonders zur 3ten
Conjugation vorhanden sein , damit der Schüler mit mehreren
Formationen der Perfekten und Supinen derselben bekannt ge-
macht würde, und das Buch zugleich durch seine grössere Aus-
dehnung für mehr als einen Cursus ausreichte, was jetzt
schwerlich zu erwarten ist. Eben so wäre es zu wünschen ge-
wesen, dass der Ilr. Verf. noch andere und mehr historische
Abschnitte aus dem Livius im Auszuge mitgetheilt hätte. Der
Umfang des Buches würde dabei auch nicht einmal bedeutend
zugenommen haben, wenn Hr. K. sich mancher Einschränkun-
gen bedient hätte. So hätten vorzüglich die Vokabeln, die sich
bei den Beispielen zur Deklination hinter jedem Abschnitte be-
finden, und jedesmal einige Seiten einnehmen, in das Wörter-
register (S. 139 — 193), in dem sie fast alle wiederholt werden,
aufgenommen werden müssen; und in den Anmerkk. und Vor-
erinnerungen hätte Manches weggelassen, Manches weniger
breit aufgenommen werden können. Ausgelassen konnten wer-
den: entweder die Citationen der §§ der Grammatik, indem
die Regel selbst jedesmal genügend angegeben wird, oder bes-
ser in den meisten Fällen die Regel, damit der Schüler sich
nicht darauf verlasse, sie, wenn er danach gefragt werde, in
der Stunde abzulesen, und er zugleich, durch das Aufschlagen
derselben in seiner Grammatik, mit dieser selbst vertraut wer-
de. Ganz überflüssig aber waren, um die Regel in Anwendung
zu bringen, Fragen, wie S. 17: nützlich für die Gesundheit;
für den Körper ; für Menschen und Thiere? S. 19: Was heisst
nach Morgen sm, gegen Abend, nach dem Ocean zu, nach Rom
zu? u. dgl. m., da solche dem Schiller wie dem Lehrer zu je-
der Zeit in grosser Menge zu Gebote stehen. Ueberflüssig war
es endlich auch, in den Anmerkk. zu den Zahlwörtern von
mei, tui, nostri, cujusque und zu der lten Conjugat. von ritt
die Nominative und von summus den Positiv nachzuweisen.
Zu breit ist Abschn. 6 (S. 21 — 24) über die Griech.- Latein.
Deklination, der ausführliche Schemata derselben und Beispiele
dazu enthält, weil der Anfänger davon höchstens die lte De-
klinat. zu kennen braucht, indem die übrigen nicht einmal der
ganz unverdorbenen Latinität angehören. Derselbe Vorwurf zu
194 Elementarbücher der Lateinischen Sprache.
grosser Breite trifft noch manches Einzelne in den Anmerkk.
und Vorerinnerungen, obgleich sie meist klar und einfach sind.
Dagegen vermisst Itec. etwas Ausführlicheres über die Conju-
gatio periphrastica , über deren passive Form nur kurz der Kath
gegeben wird, sie gleich beim Passivum zu lernen, wobei aber
über die Form mit dem Partie. Fut. Act. gar nichts angemerkt
ist. Ebenso folgen die Beispiele zu den Deponentibus nach den
Passiven ohne irgend eine Erklärung. Zum Schluss möchte Rec.
noch über Einiges in den Vorerinnerungen zu den Verben mit
Hrn. K. rechten. S. 42 heisst es nemlich im lOten Abschnitt:
„1) Die Hauptverben : Die Verba auf o bezeichnen eine Thätig-
keit und Wirksamkeit auf sich und auf andere , oder eine Thä-
tigkeit, die auf niemanden wirkt. Es giebt daher 2 Gattungen
der Verba 1) Transitiva 2) Intransitiva etc." und die Beispiele
dazu stehen unter der etwas gezierten Ueberschrift: „der Acti-
ven erste Ckmjügation." Diesen werden S. 62 die Passiven ge-
genübergestellt, indem der Hr. Verf. sagt: „Ausser den tran-
sit. und intransit. Verben giebt es auch Passiven.'-1' Hiernach
scheint er also die transit. und intransit. Verben den Passiven
gegenüberzustellen; allein S. 63 verliert er diesen Gesichts-
punkt , indem er § 91 sagt : „Jedoch nicht jedes transitive Ver-
bum hat ein ganzes Passivum durch alle Personen ," und § 92 :
„Eben so können intransit. Verba kein Passivum haben''1' etc.,
wonach dasPassivum offenbar nur als eine Form des Verbi tran-
sit. erscheint. Dazu kommt nun noch , dass die Behauptung un-
richtig ist, dass nicht jedes Transitivum ein ganzes Passivum
habe, denn disceris und scriberis kann ich, ein Gedicht, Brief
und dgl. anredend, eben so gut sagen, wie legebar und dgl.
wirklich gefunden wird. Eben so unrichtig ist , wenn Hr. K.
sagt : „Indess kommen auch diese (V. intrans.) im Pass. vor,
aber nur in der ^ten Pers., welche jedoch auch nur als Neutr.
ohne Subj. gedacht wird.* Was soll das heissen: „als Neu-
trum ohne Subjekt ?" Wie kann irgend ein Satz ohne Subj. ge-
dacht werden? Endlich war aus § 94 keine besondre Nr. zu
machen, denn dass parco kein vollständiges Pass. haben könne,
versteht sich darum von selbst, weil es kein Verb, trans. ist;
dagegen ist es unrichtig, dass damit peto und quaero zusammen-
gestellt werden, die ein vollständiges Passiv haben, nur nicht
in der Bedeutung bitten und fragen.
Lateinis che Schulgr ammatik für die untersten Gymnasial -
Klassen. Nebst Uebungsbeispielen zum Uebersetzen ins Lateini-
sche und einem Lesebuche. Von F. JV. Burchard , Inspektor am
Joachimsthalischen Gymnasium zu Berlin. Berlin, bei Carl Frie-
drich Plahn. 1827. VIII u. 500 S. in 8. 20 Gr.
Des Hrn. Verfs. Absicht war statt des Auszuges der
Zump Ische n Grammatik und der Uebungsbücher von
Burchard: Latein. Grammatik. 195
Christ. Ferd. Schulze und von Friedr. Jacobs ein
Buch zu geben, das an die Stelle dieser drei träte, und zugleich
für den Elementarunterricht zweckmässiger wäre. Dass in dem
Auszuge von Zumpts Grammatik nur die Masse geringer sei
als in der grössern, nicht die Schwierigkeit, und der Lehrer
oft verhindert sei, das Aufgestellte vom Schüler auswendig-
lernen zu lassen, darin hat Hr. B. allerdings Recht; allein von
einer jeden Regel dieses Auszuges lässt sich der Hauptinhalt
mit Beibehaltung der Worte des Verf. so zusammenziehen, dass
sie die einfache Gestalt erhält, welche sich zum Auswendig-
lernen eignet. Man braucht daher nur von dem Schüler je-
desmal den Hauptbestandteil der Regel unterstreichen zu las-
sen, so leistet dieses Buch auch in Bezug auf das Auswendig-
lernen das Gewünschte. Dabei entsteht noch derVortheil, dass
die Regel nach dem jedesmaligen Bedürfnisse ausgedehnt und
zusammengezogen werden kann , und der Schüler , was nicht
zu gering anzuschlagen ist , nicht nur mit der Grammatik ver-
traut wird , die ihn bei seinem spätem Unterrichte leiten soll,
sondern auch schon beim ersten Lernen der Regel durch eigne
Ueberzeugung inne wird, was er jetzt lernt, sei nur der Haupt-
inhalt derselben, und dass er später nicht darüber betroffen
wird, was sonst häufig geschieht, dass selbst Schriftsteller,
die ihm als Muster der Latein. Redeweise aufgestellt werden,
von den von ihm gelernten Regeln in manchen Fällen abwei-
chen. Hr. B. scheint auch nichts weiter haben leisten wollen,
als einen solchen Auszug von dem Auszuge der Zumptschen
Gramm, zur Bequemlichkeit der Lernenden drucken zu lassen.
Desshalb weicht er nur in Wenigem von demselben ab , wovon
Manches auch schwerlich auf besondere Erwähnung Ansprü-
che macht, wie, dass ille und iste nach dem Schema von ipse
flectirt werden sollen u. dgl. Rec. erwähnt dagegen als eigen-
thümliche Veränderungen des Hrn. B. die viel reichere Zahl
von Beispielen mit der Deutschen Bedeutung zu den Deklinatio-
nen, zur lten und 2ten unstreitig zu viel, bei der 3ten dagegen
hält die angeführte Menge das gehörige Maass, ist gut geord-
net , und recht zweckmässig für die Erlernung der Flexion des
Genit. (doch vergl. Z. Ausz. § 14). Anschaulich ist (S. 29) die
Anordnung der Pron. relat. und indefin. , sehr zweckmässig (§
27 S. 58) eine ausführliche Anweisung über die Flexion des
Präsens der 3ten Conjugat. auf zo, und was damit zusammen-
hängt, auch dass über den Gebrauch von sui, sibi etc. gespro-
chen wird: nur sollte es nicht als § 58 den Schluss der grara-
mat. Regeln machen, sondern seine Stelle lieber unter den Pro-
nominibus einnehmen. Eben so würde Rec. die Anweisung, wie
unser man Lateinisch ausgedrückt wird, eher beim Pron. oder in
der Syntax als bei den Anmerkk. zur Conjugat. gesucht haben.
Das Bedeutendste aber von dem dieser Grammatik in Vergleich
196 Elenientarbüclier der Lateinischen Sprache.
mit der Zumptschen Eigenthümlichen ist die Anordnung der
Verba oder Beispiele zur Hebung in der Conjugation (S. 65 —
8») , die der Hr. Verf., davon ausgehend (S. VI) , dass es nicht
vier, sondern eine regelmässige Conjugation und drei zusam-
mengezogene gähe, nicht nach den Conjugationen aufzählt, son-
dern nach der Verschiedenheit der Endungen des Perfectums
in vier Klassen , mit besondrer Berücksichtigung des Karakters,
getheilt hat. Hierin ist die Behutsamkeit, mit welcher derselbe
diese schon häufig versuchte Neuerung in sein Schulbuch auf-
genommen hat, zu loben, wiewohl durch diese Methode für die
Vereinfachung beim Erlernen der Conjugationen auf Schulen
nicht so viel gewonnen wird, als man gewöhnlich glaubt, weil
der Schüler doch immer die Aier alten Conjugationsformen wird
besonders lernen müssen, die übrigen Vortheile aber, die dar-
aus entstellen, auch leicht bei der alten Methode durch ge-
schickte Vergleichung der Formationen der einzelnen Conjuga-
tionen mit einander gewonnen werden können. — Indem nun
der Hr. Verf. sich bestrebte , sämmtliche Regeln so einzurich-
ten, dass sie verbotenus auswendig gelernt werden könnten, ge-
lang es ihm, sie meistentheils klar und einfach auszudrücken.
Besonders gehören dahin § 53, 1 und 2 vom Gebrauch des Perf.
und Imperf., § 54 von quum mit dem Indic, § 56 über Inf. und
Ger. Allein auch in der hier auftretenden Gestalt eignen sich
nicht alle zum Auswendiglernen, wie § 4T, 3: „Wenn ein Ad-
jectivum auf mehrere lebende Wesen masculiui und anderen Ge-
neris im Si/tgularis , oder Sing, und Plur. bezogen ivird, so
steht es im Pluralis Generis masculini ; in allen anderen Fällen
entweder im Neutrum Pluralis, oder neben einem der Nomina
in dem Genus dieses;" eben so § 48, 6; § 56, 6; § 58 und
noch manche andere. Auch hat Hr. B. durch das leider erst
nach dem Abdrucke des Buches, laut der Vorrede, bemerkte
Versehen, viele Regeln durch so und daher aneinander zu knü-
pfen, ihrer Tauglichkeit zum wörtlich Auswendiglernen gescha-
det. Ausserdem aber hat ihn das Streben nach Kürze zu man-
chen Unvollständigkeiten und Fehlern verleitet. So § 1 A. 5:
„ti sprich wie s«,u wonach der Schüler laudati wie laudazi
spricht u. dgl. ; § 6 fehlt die abweichende Deklination xowDeus;
§ 8, 4 über den Nom. plur. auf ia hätte vetera als Ausnahme
angemerkt werden müssen, oder § 15, 3 statt zu sagen: „die
Adjectiva einer Endung haben im Pluralis für das Neutrum die
Endung a, gewöhnlich ia^ hätte es richtiger heissen sollen:
Die Adj. etc. haben ia , ausser vetera ; § 8 , 5 fehlen die wich-
tigsten Adjekt. , welche um behalten; § 16 ist es für den Kna-
ben noch nicht ganz deutlich , wenn von den Komparativendun-
gen bloss gesagt wird : „welche statt der Casusendung des Ge-
nitivs i oder is an das Adjektivum gehängt wird ;u § 26 hätte
bei der Bildung der Tempora der Infinitiv als vierte Grundform
Burchard: Lateinische Schulgramniatik. 197
angenommen, und die abgeleiteten Tempora alle vollständig
aufgeführt werden müssen, weil eine genaue Kenntnis« der Ab-
leitung der Tempora für eine leichte und sichere Erlernung der
Conjugat. durchaus nothwendig ist. Durch diese üngenauig-
keit oder eigenthümliche Ansicht des Hrn. Verfs. sind auch die
Schemata zur Conjugat. auf eine Art geordnet, die sich der bei
der Griech. Conjugat. üblichen nähert, allein für die Erlernung
der Lat. Conjugationsformen nicht so zweckmässig wie die ety-
mologische Anordnung ist, indem nach dem Praes. Ind. und
Conj., der Imperat., Inf. Praes., Gerund., Partie. Praes.,
Impf. Ind. und Conj., das Perf., Inf. Perf, Plusqpf., Fut. I,
Inf. Fat., Part. Fat., Fut. II und Supin. folgen; wiewohl da-
bei wieder in der Anordnung zu loben ist, dass auf der gegen-
überstehenden Seite immer dieselben Formen des Passiv ange-
führt sind. Ferner fehlt § 29 über die Frequentativa, dass sie
vom Supino herkommen ; § 48 die Lehre von der Apposition ;
§ 49, 1: „Wenn das Prädikat des Subjekts ein Verbum trans-
itivum ist , so heisst der Gegenstand , auf tvelchen die Thätig-
keit desselben übergeht etc.u verführt zur falschen Ansicht vom
Prädikat; § 53, 3: „Auf ein Praesens folgt tvieder ein Präsens
und sofort,1-1" ist falsch und ungenau; § 54, 2: „Die Zeitpar-
tikeln postquam etc. haben den Indikativ nach sich,'-1' war über-
flüssig, wenn nicht bemerkt werden sollte, dass bei diesen
"Wörtern das Perfectum Ind. gewöhnlich sei ; § 55 hätte auch
von den hypothet. Sätzen gesprochen werden müssen. Endlich
ist zu wenig von dem Gebrauch der Participia angeführt, zu-
mal da das Einzige, was § 57 über die Ablativi absol. gesagt
wird: „Wenn Vordersätze oder Zwischensätze durch Zeitpar-
tikeln — mit einem vom Hauptsatze verschiedenen Subjekte ein-
treten , so kann , mit Weglassimg der Conjunction , ihr Subjekt
in den Ablat. und ihr Prädik. ebenfalls in den Ablat. — gesetzt
werden,1-'' die Schüler zu dem Fehler verführt, dass sie einen
Satz, wie: Nachdem Troja zehn Jahre belagert war, eroberten
es die Griechen, richtig zu übersetzen glauben durch: Troja
decem annos oppugnata, eam Graeci ceperunt ; auf den Ge-
brauch der Particc. in solchem Falle hätte also noch aufmerk-
sam gemacht werden müssen. Den Schluss der Schulgramma-
tik macht ein Anhang , die gereimten Genusregeln enthaltend,
die Hr. B. (S. VI) als zu unglaublicher Gedankenlosigkeit ver-
führend, verwirft, weshalb er auch die Genusregeln in seine
Grammatik in Prosa aufgenommen habe. Allein ein jedes wört-
liche Auswendiglernen von Sprachregeln, besonders der syn-
taktischen, was doch der Hauptzweck des grammat. Theiles
vorliegenden Werkes ist, verführt zu Gedankenlosigkeit, und
kann einer Seits nur dazu dienen, einen gewissen Schatz im
Gedächtniss des Schülers anzulegen, in dem er immer finden
könne, was er braucht, zu dessen nützlicher Verwendung aber
198 ElementarMcher der Lateinischen Sprache.
nicht nur eine grosse Sicherheit und Festigkeit im Behalten
nöthig ist, sondern ein deutliches Bewusstsein, in welchem
Fache des Gedächtnissschatzes jedesmal dasNöthige zu suchen
sei ; anderer Seits aber sind auswendig gelernte Regeln das be-
ste Kriterium , wodurch in schwankenden Fällen der Schiller
selbst das Richtige entscheiden kann. Dazu werden aber solche
Regeln am besten dienen , die sich am leichtesten lernen und
behalten lassen : was unstreitig gereimte Regeln sind; denn der
Rhythmus übt eine gewaltige Kraft über das Gedächtniss aus;
und daher kürze man nur die gereimten Genusregeln etwas ab,
beraube sich aber ja nicht einiger seltener Wörter in denselben
ganz wegen des grossen Vortheils , den sie fürs Auswendigler-
nen haben. Die syntakt. Regeln aber lasse man entweder gar
nicht wörtlich lernen , oder suche auch für sie , wo es angeht
einen rhythmischen Fall ; denn jeder Lehrer wird die Erfah-
rung gemacht haben , dass gerade diejenigen von ihnen am fe-
stesten im Gedächtniss haften, in denen sich ein gewisser Rhyth-
mus findet, wie etwa die welche anfangen: utor , fruor , fun-
gor oder juvo und adjuvo u. dgl.
S. 126 folgt der 2teTheil des Buches: Uebungsbeispiele zu
den Regeln der Grammatik, in zwei gleichen Cursen, welcher
auf dem Joachimsthal. Gyran. die Stelle des früher gebrauchten
von Christ. Ferd. Schulze vertreten soll. Es folgt den
Regeln der Schulgrammatik Schritt für Schritt; ausserdem sind
einigen Abschnitten noch ergänzende prakt. Regeln vorausge-
schickt, die im Ganzen zweckmässig sind, von denen aber S. 134 :
„a von und de von unterscheiden sich so , dass sich a auf
den Urheber, de auf den Gegenstand bezieht, von welchem et-
washandelt; oder, a steht active, de passive,1-'- für den Knaben
wieder einer Erläuterung bedarf, und S. 174, ergänzende Anm.
zu interest und refert, und S. 180 zu den Verbis schätzen etc.
passender zu den Regeln selbst in die Grammat. gesetzt wären.
Die Beispiele sind der Fassungskraft der Schüler angemessen
und nicht gedankenleer, auch steigen sie gehörig vom Leichte-
ren zum Schwereren aufwärts; allein zu rasch ist der Ueber-
gang zum Syntaktischen, wozu doch der Gebrauch der Präpo-
sitionen schon zu rechnen ist, indem diesem nur 7 halbe Seiten
gewidmet sind ; und besonders ist zu tadeln, dass für die regel-
mässige Conjugat. , deren Einübung für den Anfänger gerade
das Wichtigste ist, kein einziges Beispiel vorhanden ist. Die
Latein. Bedeutungen, die Substantt. mit dem Genit., die Verba
mit den Tempp. thematicis, sind auf jeder Seite unter den Ue-
bungssätzen angegeben , welches ein Fehler in der Einrichtung
des Buches ist, denn es wird nicht allein der Text selbst durch
die grossen, fast hinter jedem Worte eingeschalteten Ziffern
zerrissen , sondern die Nachlässigkeit der Schüler bei der Vor-
bereitung zu sehr begünstigt ; auch ist durch die nicht zu ver-
Burchard : Lateinische Schulgrainmatik. 199
meidende Wiederholung zu viel Raum verschwendet. Zweck-
mässiger wäre also ein besonderes Wörterregister gewesen.
Der 3te Theil , von S. 317 an, enthält ein Lat. Lesebuch,
welches erst einfache Sätze, dann bekannte Fabeln, Etwas aus
der Mythologie und Erzählungen enthält, und am meisten Aehn-
lichkeit mit dem Gedickeschen in seiner neuesten Auflage hat,
zunächst aber an die Stelle des lten Theiles des von Friedr.
Jacobs treten soll. Der Hr. Verf. scheint es nur angefer-
tigt zu haben , um Alles Mas der Anfänger braucht in einem
Buche zusammenzufassen; sonst genügte das Buch von Jacobs
allen Anforderungen , bis auf die wenigen, auch von Hr. B. ge-
rügten, Mängel in den Uebungen in einzelnen Sätzen, welche je-
doch in vorliegendem Lesebuche nicht ganz beseitigt sind. Denn
Beispiele nach den Deklinatt. geordnet sind überflüssig, wenn
der Schüler schon konjugiren kann, was in diesem Lesebuche
vorausgesetzt wird , deren zu den Conjugatt. aber viel zu we-
nig, weil nur durch vieles Lesen sich eine Sprache erlernen
lässt, der untersten, formalen Classe eines Gymnasii aber vor-
züglich Gelegenheit gegeben werden muss, mit den mannich-
fachen Formen der Latein. Verben durch viele Lektüre bekannt
zu werden, was durch die geringe Zahl von 8 Seiten in jedem
Halbjahre nicht möglich ist. Die in den Beispielen vorkommen-
den Wörter sind (S. 439 — 500) in einem Wörterbuche verei-
nigt. — Zum Schluss bedauert Rec. noch , dass die einzelnen
Theile dieses Buches nicht besonders erschienen sind , da der
2te manchem Bedürfnisse abhilft, und sehr gut auf Schulen ge-
braucht werden könnte , deren Latein. Unterrichte der Auszug
der Zumptschen Gfammat. zum Grunde liegt, und in seinen Bei-
spielen reicher als Dronke und für Anfänger fasslicher als
August ist, dessen Anleitung zum Uebersetzen mehr für mitt-
lere Classen berechnet ist.
Lateinis che s Lesebuch von Rudolf Hanhart, Professor
und Rector des Gymnasiums zu Basel. Zweiter Theil. Erster Cur-
8us. Basel in der Schweighäuserschen Buchhandlung. 1825. XIII u.
180 S. iu 8. 12 Gr.
Rec. geht ungern an die Beurtheilung dieses Buches ; denn
eine so grosse Achtung er auch sonst vor dem pädagogischen
Rufe des Hrn. Verfs. hat, so ist es ihm doch nicht möglich, da-
von sein gegenwärtiges Urtheil abhängen zu lassen, und es thut
ihm Leid , dass er nach Durchsicht dieses Theils eine ganz
andere Vorstellung von der Brauchbarkeit desselben für den
Unterricht bekommen hat, als er nach den beiden Cursen des
ersten Theils erwartete, und dem Hrn. Verf. selbst vorgeschwebt
zu haben scheint. Dieser zweite Theil soll nemlich nur eine
Fortsetzung und Ergänzung des ersten sein, und wie dieser zur
Einübung der regelmässigen Formen aller Redetheile dienen
Elementarlriicher der Lateinischen Sprache.
sollte, so bezweckt er die Bekanntschaft mit den unregelmässi-
gen Formen der Deklinationen und Conjugationen, besonders
in der Flexion der Perfecta und Supina. Er ist für Schüler,
die sich schon etwas mit der Latein. Sprache beschäftigt haben,
bestimmt, doch höchstens für die 2te oder 3te der untersten
Classen, da Hr. Ilanhart ihn an die Stelle des Eutropius zu
setzen wünscht. Mit grösserer Sorgfalt als irgendwo sind
besonders die Deklinationen behandelt: zu allen Griech. und
kontrahirten Endungen, zu den Heteroclitis und Defektiven al-
ler Art findet man eine grosse Anzahl aus Latein. Schriftstel-
lern gesammelter Uebungssätze. Da liest man Beispiele zu
(S. 5) coelicolum, Lapühiini , consili, auxüi, (S. 15) progenii,
specii, lu&urii, Atho, divom u. dgl. Allein kann es wirklich
die Absicht irgend eines Unterrichts, zumal für Anfänger, sein,
diese Formen durch besondere Lektüre einzuüben, und sich
nicht bloss darauf zu beschränken , sie gelegentlich zu erklä-
ren? und würde nicht ein Lehrer, der seine Schüler eine Zeit
lang vorzugsweise auf eine solche Lektüre beschränkte, mehr
ihrer ganzen Ausbildung im Lateinischen schaden als nützen?
Denn der Knabe liebt das Sonderbare, daher hascht er gern
nach dem Abweichenden und Ungewöhnlichen, und wenn er
sich kaum die Bekanntschaft mit den gebräuchlichen Formen
erworben hat, möchte die viele Beschäftigung mit den seltenen
leicht das Streben, was sich bei den schwächern Schülern ge-
rade am häufigsten zeigt, begünstigen, in veralteten und sel-
tenen Wörtern und Formen eine besondere Feinheit zu suchen.
Dazu kommt noch, dass Hr. llanh. , dessen Beispiele sich in
dem lten Theile durch ihre Angemessenheit empfehlen, hier
die leichtesten Sätze mit schwierigen Stellen aus Prosaikern
und besonders Dichtern abwechseln lässt; aber ein Schüler,
der noch die Elemente der Sprache lernt , ist doch unmöglich
im Stande aus dem Zusammenhang gerissene Stellen aus Plau-
tus, Terenz, Horaz, Virgil , Tibull etc. zu verstehen, und
zwar nicht bloss einzelne Sentenzen u. dgl., sondern grössere
Abschnitte von 6, 8, 10 und mehr Versen? wobei am Ende
der Hauptzweck, die Kenntniss jener abweichenden Formen,
ganz in den Hintergrund tritt. So werden z. B. S. 4 wegen der
Form Dardanidum 6 Verse aus Virgil , S. 9 , um Thaleti an-
zubringen , 7 Verse angeblicher Sprüche dieses Philosophen
angeführt, und so fort. Zu bedauern ist es, dass dessen, was
über des Anfängers Fassungskraft weit hinausliegt , so viel ist,
dass es bedenklich ist , ihm dies Buch in die Hände zu geben,
und ihm daher auch das Gute entzogen werden muss, was Hr.
Hanh. mit sorgsamen Fleiss für ihn gesammelt hat. Dahin rech-
net Rec. bei den Deklinationen schon die Beispiele zu den Plur.
tantum, welche zugleich die Erklärung der einzelnen Bedeu-
tungen auf eine leichte und zweckmässige Art enthalten, wie
lianhart: Lateinisches Lesebuch. 201
S. 24 : Impedimenta in exercitu dicuntur non solum sarcinae,
sed etiam jumentu. — Inferias dixerttnt veter es sacrificia, quae
diis Mariibm inferebunt. Justa sunt exsequiae et sacrificia, quae
mortuis impenduntur , quod jure fierent Ms, qui de ?iobis vi-
ventes bene meriti fuerant. Besonders aber gehören dahin die
Sätze zur Einübung der von der regelmässigen Flexion abwei-
chenden Formen des Verbi, weiche nach dem in Zumpts Gram-
matik gegebenen Verzeichnisse geordnet sind, und worin Hr.
Hanli., mit Recht die Einübung der unregelmässigen Verba
und Deponentia für die zweckmässigste Uebung eines Anfän-
gers haltend, an Vollständigkeit alle früheren Beispielsamm-
lungen übertrifft , indem er fast zu jedem Verbo Uebungsbei-
spiele in möglichst verschiedenen Formen anführt. Dass Aktiv
und Passiv nicht gesondert sind, auch bei den früheren Conju-
gationen die Formen aus den späteren nicht vermieden werden,
war bei der Voraussetzung des Hrn. Verfs. natürlich, dass dies
Buch nicht für die ersten Anfänger bestimmt sei. Allein für
eine Hauptbedingung bei einer Beispielsammlung zur Conjuga-
tion hält es Rec, dass jedes Verbum wenigstens einmal in sei-
ner Grundbedeutung vorkomme, dagegen poetische und auf
besonderer Eigenthümlichkeit beruhende lieber ganz vermieden
werden, weil es unmöglich bloss auf die Kenntniss der Latein.
Form ankommen kann. Und doch sind z. B. zu luo und solvo (S. 4?)
nur vorhanden die Beispiele: gravissimas luiturum poenas, und:
nos eo die coenati solvimus , soluta est navis. Der Vorwurf der
Ungleichheit in Hinsicht ihres Verständnisses und ihrer Aus-
dehnung kann zwar den Sätzen zur Conjugation weniger als de-
nen zur Deklination gemacht werden, obwohl auch hier noch
ein zu grosses Missverhältniss herrscht. Denn neben einem Satze
•wie (S. 45) : Ferunt siccari einulsa pi/igue palude solum, stehen
10 Verse aus Virg. Georg., um mulsere anzuführen ; und so nicht
selten, wie S. 44, wo commixtam in 8 Virgilischen Hexametern,
und S. 56 devortar in einer ganzen Scene desTerenz eingehüllt
ist. Auch kann sich Rec. nicht davon überzeugen , dass die
Beispiele für eine Vorschule der klassischen Latinität zweck-
mässig gewählt sind ; denn sowohl Dichter als Prosaiker der
schon sinkenden Latinität, wie der ältere Piinius , Celsus u. a.,
auch das Monumentum Ancyranum, haben meistens den Stoff
dazu bieten müssen. Dabei sind sie , wenn der Anfänger end-
lich die Schwierigkeiten des Verständnisses überwunden hat,
zum Theil wenigstens von so wenig sagendem Inhalte, dass er
sie gewiss ohne inneres Interesse lesen wird, welches aber dann
in ihm nur recht lebendig sein kann, wenn es ihm Freude macht,
den Inhalt des zu Uebersetzenden zu erfahren. Um die Rich-
tigkeit dieser Behauptung zu zeigen , müsste Rec. wenigstens
eine ganze Seite aus dem Lesebuche abdrucken lassen ; allein
er glaubt, dass diejenigen Schulmänner, denen dieses Lese-
202 Elementarbücher der Lateinischen Sprache.
buch bekannt ist, schon selbst dieselbe Ueberzeugung gewon-
nen haben; wer es aber nichtkennt und Misstrauen in des Rec.
Urtheil setzen sollte, auch diese Seite gerade für absichtlich
gewählt halten könnte. Den einzelnen Sätzen folgen Briefe von
Cicero undPlinius, zwar leicht aber ohne eigentliches Interesse,
dann Erzählungen und grössere Dichterstellen aus Ovid, Horaz,
Catull, Martialis, Claudian etc., zu welchen der Uebergang
viel zu rasch gemacht zu sein scheint. Das Wörterregister ist,
wie in den früheren Theilen, nach den Seiten des Lesebuchs
geordnet, und S. VII verspricht der Hr. Verf., sich über die
Beibehaltung dieser Einrichtung in der Anleitung zum Gebrauch
dieses Elementarwerks zu rechtfertigen. Rec. muss aber be-
dauern, dass ihm von dieser Anleitung noch nichts zu Gesichte
gekommen ist, übrigens kann er die Zweckmässigkeit dieser
Einrichtung eben so wenig , wie die Beurtheiler des früheren
Theiles einsehen. Was die äussere Einrichtung betrifft, so
wäre eine Sonderung der einzelnen Beispiele durch Ziffern zu
Wünschen , da die Schüler , zumal bei der Schwierigkeit der-
selben, häufig nicht wissen werden, ob das folgende Punktum
zum früheren gehöre , oder für sich zu verstehen sei. Bei der
Abbrechung derSylben sind die üblichen Regeln nicht beobach-
tet , auch laufen einige garstige Druckfehler mitunter , wie S.
9 : sao sepidcro , S. 31 : projectu est.
Lateinisch- deutsche Sprechübungen. Ein prakti-
sches Hilfsbuch zur Einübung der lateinischen Conversationsspra-
che von Dr. Ferd. Philippi, Grossherzogl. Sächsischem Hofrathe.
Leipzig. Verlag von Carl Focke. 1827. 172 S. 16 Gr.
Dieses Buch, das ohne irgend ein einleitendes Wort er-
scheint, und über dessen Zweck bloss der Titel Auskunft giebt,
dass es nemlich zur Einübung der Latein. Conversationssprache
dienen solle, ist grösstentheils nur ein Auszug der bekannten
Colloquia Erasmi, dem von S. 10S — 172 ein Anhang der
„wichtigsten und gebräuchlichsten Latein. Sprichwö?ter" folgt.
Wie jene Colloquia so zerfällt auch die erste Hälfte dieses Bu-
ches in mehrere Abschnitte, welche Gespräche verschiedenen
Inhalts enthalten; es sind ihrer folgende 25, ohne Ueberschrif-
ten: 1) Begrüssungen. 2) Unterredung beim Abschiede. 3) Bei
der Rückkehr von einer Reise. 4) Zwischen zwei Knaben auf dem
Schulwege. 5) Ein Morgenbesuch. 6) Gespräch zwischen Schü-
lern über ihre Lektion. 7)Ueber das Lesen von Dichtern. 8)Ueber
schriftliche Arbeiten. 9) Während des Lehrers Abwesenheit. 10)
Ueber das Leihen vonBüchern u.dgl. 11) Ein Streit. 12) Gespräch
zwischen einem Schüler und einem Fremden über seinen Unter-
richt. 13)u. 14) Gespräche über die Mahlzeit. 15) Ueber Feuer-
anzünden und Einheizen. 16) Ueber das Schlafen. 17) Gespiäch
zwischen Knaben, welche eiiien Fürbitter an den Lehrer schik-
Phüippi: Lateinisch - Deutsche Sprachübungen. 203
ken wollen. 18) Ein Wettlauf. 19) Ueber das Schwimmen. 20)
Leber Jagd und Fischfang. 21) Ueber das Würfelspiel. 22)
Eine Wasserfahrt. 23) Ein Spatziergang in verschiedenen Jah-
reszeiten. 23) Gespräche über Geldscheine, Rechtsstreitigkei-
ten, Krankheit und Krieg. 24) Ein Schiffbruch. 25) Philosophi-
sche Gegenstände. — ]\eben dem Lateinischen steht jedesmal
die Deutsche Uebersetzung, welche die Denk- und Redeweise
der Latein. Sprache der unsrigen anzupassen sucht , z. B. S. 8 :
Nondum togam virilem sumsisti: adhuc praetextatus es. „Du
trägst dich noch nicht wie ein Erwachsener ; du hast noch den
Knaben? ock an." Nempe tirocinium nondum posui. „Allerdings,
weil ich noch kein Probestück abgelegt habe.1''' Grösstentheils
ist diese Uebertragung nicht misslungen, obgleich der Hr. Verf.
häufig den entsprechenden Deutschen Ausdruck nicht trifft, und
bisweilen undeutsch übersetzt. Man vergleiche z. B. S. 7: Tua
dieta refello. „Das glaube ich ?iicht." S. 25: Mores f adle tutor.
„Ich will gern gehorchen." S. 56: Lepidum caput. „Werther
Freund." S. 58: lngrediar aqitam usque ad mentum et submer-
gam. „Ich werde bis ans Kinn ins Wasser gehen." Ante omnia
corpora Theophilus emicat. „Vor allen Leibern ragt Gott-
lieb hervor." Heri partim abfuit, quin submergerer. „Gestern
fehlte wenig , dass ich nicht untersank." Jubet excidi funes
onmes. „Liess er alle Taue abschneiden." Turrini sacram.
„Einen heiligen Thurm" statt Kirchthurm. Multum aquae sal-
sae. „Viel gesalzenes Wasser" st. Salzwasser. Geradezu un-
richtig ist z. B. S. 51: redit domum multa de nocte. „Er kehrt
früh zurück." S. 57: Hie carcer esto. „Dieser einge-
schlossene Raum sei es." S. 58: cutn sit s olstitium.
„da jetzt Sommer ist." S. 85: Tota spes erat in clavo. „Die
ganze Hoffnung war noch im Ruder." — Ob der Hr. Verf.
sein Buch für Schulen bestimmt habe, oder überhaupt für La-
tein. Conversation , darüber erhalten wir keine Auskunft. Eine
Anleitung dieser Art wäre für den letzteren Zweck freilich ei-
gentlich überflüssig, denn Conversationssprache im eigentlichen
Sinne des Worts kann die Latein. Sprache nicht wieder werden,
als solche kann sie jetzt nur Mittel der geistigen Mittheilung
zwischen Gelehrten sein; aber auch unter diesen sind die Ver-
hältnisse des gewöhnlichen Lebens meist von ihrem Kreise ge-
schieden. Auf Schulen aber kann sie als Medium der mündli-
chen Unterhaltung nur dienen , um Festigkeit in den Latein.
Kenntnissen der Schüler hervorzubringen , und ihnen allmäh-
lich die Gewandheit des Ausdrucks zu verschaffen, die sie tüch-
tig macht, an den mündlichen Unterhandlungen über wissen-
schaftliche Gegenstände Theil zu nehmen. Aber auch auf Schu-
len sind es nicht die Verhältnisse des gewöhnlichen Lebens, die
den Stoff der Latein. Conversation ausmachen, sondern durch
die Gegenstände des Unterrichts sowohl als durch den eigent-
Jahrb.f. Phil.u. Pädag. Jahrg. III. Heft 2. J£
204 Programme.
liehen Zweck des Studiums der Latein. Sprache würde die
mündliche Unterhaltung sich überwiegend auf die wissenschaft-
liche Sprache beschränken müssen. Nur, wo man geneigt wäre,
schon in den unteren Classen den Latein. Unterricht durch
Sprechübungen zu beleben, wo sich wissenschaftliche und auch
historische Gegenstände noch von selbst verbieten, würde man,
nach der Art, wie man die Französische Conversationssprache
erlernt, den Stoff aus den Knaben bekannten Kreisen des Lebens
nehmen müssen, und für diesen Zweck das Buch des Hrn. Phi-
lippi nicht unangemessen sein , da theils die Colloquia Erasmi,
selbst in der für das Dessauische Philanthropinum bestimmten
Ausgabe , Leipzig 1775, für Knaben noch zu viel Unangemesse-
nes enthalten, theils aber für einen solchen Gebrauch eine
Deutsche Uebersetzung neben dem Latein. Texte unentbehrlich
ist. — Die zweite Abtheilung enthält eine Sammlung Latein.
Sprichwörter, deren Bekanntschaft immer nützlich und lehr-
reich ist , nur hätte der Hr. Verf. die grosse Menge von Ge-
meinplätzen oder ganz gewöhnlichen Redensarten, wie: Accom-
modabo te ad ingenmm meum , Ad interrogata non semper re-
spondendum est , Ad maledicendum nunquam ei verba desunt,
ad benedicendum vero elinguis et mutus est u. dgl. m. von den
eigentlichen Sprichwörtern, die durch ihre kräftige Kürze und
die ewige Wahrheit ihres Inhalts Herz und Geist ansprechen,
sondern sollen.
E. Bonn eil.
Programme.
De cyclo epico poetisque cyclicis commentatio philolo-
gica ab illustri Philosophorum ordine in Academia Borussica Rhe-
nana praemio ornata. Scripsit Fr. f Füllner. Monasterii , ex off.
Coppenrathiana. 1825. VI und 98 S. 8.
JCiine durch gediegene Gelehrsamkeit und gesundes Urtheil
gleich ausgezeichnete Schrift, bei der es in der That zu ver-
wundern ist, dass unseres Wissens ausser Passow *) noch Nie-
mand ein gerechtes Urtheil öffentlich über sie ausgesprochen
hat. Wir wollen daher den Versuch machen , ob wir mittelst
einer kurzen Darlegung der aus den gründlichen Forschungen
des Verfassers hervorgegangenen Resultate auf die Vorzüge
*) Beiläufig in der Recension von Groddecks und Schoells Griechi-
scher Litteraturgesch., Jahrbücher Bd. II S. 153.
Wüllner : De cyclo epico poctisquc cyclicisä. 205
dieser Abhandlung die Aufmerksamkeit derjenigen zu lenken
vermögen , die sie bis jetzt nicht näher angesehen haben
sollten.
Pars prior. De cyclo epico ejusque constitutione et dis-
positione.
I) Weil die Bedeutung des epischen Kyklos nur nach sol-
chen Stellen alter Grammatiker festgesetzt werden kann, wel-
che berichten, dass diese oder jene Sage darin bebandelt wor-
den, keinesweges nach bestimmten, den Begriff des Gegen-
standes erschöpfenden Zeugnissen; so wird es nur durch Cora-
binationskraft möglich der Wahrheit näher zu rücken. Den
Hauptschlüssel bieten die Excerpte aus Proklos Chrestomathie
beiPhotios, dessen hierher gehörige Worte (Bibl. p. 521 ed.
Hoeschel.) also lauten: AiaXapßävei de [IJgoxXog] xal negl xov
Xeyofievov emxov xvxXov , og ag%exav fxev ex xrjg Ovgavov xal
rrjg (iv^oXoyov^evrjg pl^etog' e^ rjg ccvral (I. avxoX) xul xgelg
TtaiÖug yivaöxovöi, (1. yevväöi) exaxovTa%eigag xal xgeig exe-
govg dnoxixxovGi Kvxlanag • dieieg%excu de negl ftecov xd te
aklu tolg"ElXri6ipv%oKoyovpeva aal ei nov xt xal itgog töxogl-
av s^uXrjQ'i&xcci. Kai negaxovxai 6 Imxog xvxXog 6v(i7tl,rjgov-
uevog ex diacpogcav Ttoirjxäv iie%gt xrjg eig 'I&ecxrjv anoßäöecog
Odvööeag' ev y xal vjtö xov aaidog TrjXeyovov, dyvoovvrog
cog naxrjg eXrj , xxelvexai. Hieraus folgert Wüllner ganz rich-
tig, der epische Kyklos habe sämmtliche Mythen vom Ursprung
der Dinge bis zur Rückkehr der Griechen aus dem Trojanischen
Kriege, überhaupt das ganze mythische Zeitalter umfasst; je-
doch mit der Einschränkung, dass nur die ältesten, einfach-
sten und bekanntesten Sagen in den Kyklos aufgenommen wur-
den. Dieser Bestimmung widerspricht Heyne Excurs. I ad
Virg. Aen. II p. 353: Non satis constanter traditur , quam late
cycli epici argumentum patuerit ; modo enim intra belli Trojani
fines iüe substitisse , modo ad ipsam cosmogoniam evagatus
esse narratur. Wüllner entgegnet mit Hecht, dass diese
Definition der historischen Basis ermangele; denn Heynes Be-
rufung auf die tabula Iliaca, wo er zu Tgco'Cxog supplirt wissen
will xu'xÄog, ist insofern für unzureichend zu erklären, als die
Interpretation dieser Stelle auf zu schwachen Füssen steht:
mit grösserer Wahrscheinlichkeit ist zu ergänzen %'ivcA, oder
ein anderes Wort ähnlicher Bedeutung. Der Sinn freilich ist
unbedenklich der, dass auf der Tafel der Trojanische Sagen-
kreis dargestellt werden sollte; woraus jedoch keinesweges
hervorgeht, dass die Alten den epischen Kyklos nur auf deu
Trojanischen Sagenkreis (einen Theil von jenem) bezogen
hätten.
II) Cyclum epicum nihil fuisse aliud , quam complexionem
quandam epicorum carminum, ex veterum scriptorum aliquot
locis satis apparet, Photios z. B. fährt an der citirten Stelle
n*
206 Programme.
fort: Akyu 8s, dg xov litixov xvxXov tu jioirmata diaöa&Tcci
aal 6%ovdat,sxai xolg TtoXkolg. Athenäos (VII p. 277, D) deu-
tet an, dass die Titanomachie zum epischen Kyklos gehört, und
Sophokles den Stoff" zu vielen seiner Stücke aus den Kyklikern
entlehnt habe: s%aiQE Ö' 6 ZocpoxXrjg xcp ETtixa xvxXa , dg xal
öka ÖQcc^ata itoirjöai xaxccxokov&cov xfj iv xovxco ^iv^onoita.
Dasselbe ergiebt sich aus Aristoteles Analyt. post. I, 9 p. 84, cf.
Sophist. Elench. I, 9 p. 181. Aus allem erklärt sich die Stelle
des Photios: 6 inixog xvxXog ov}i7iXi]Qov^Evog ex öiacpoQav
TtOLrjtäv, cyclus epicus (nach Ws. Interpretation) co?ista?is ex va-
riorum poetarum carminibus.
III) Die einzelnen zum epischen Kyklos gehörigen Gedichte
waren nacb dem Inhalte der darin behandelten Mythen derge-
stalt angeordnet, dass sie nach der festgesetzten Zeitfolge der
Begebenheiten auf einander folgten , und zwar von den frühe-
sten Zeiten bis zu den letzten Schicksalen des Odysseus. Pho-
tios 1. c: AkyEi ds, dg xov ehixov xvxlov xcc Ttoirniaxa diuöd-
tpxai neu 67tovdd£,sxcu xolg Ttolkolg ov^ovreo dia xr\v ccQExqv, dg
ölcc xr\v axoXovftluv xdv Iv avxco TtQayyuxxav. Diese Aufeinan-
derfolge ist jedoch nicht so zu nehmen, als ob der gewöhnli-
che Gang der eigentlichen Geschichtschreibung darin beobach-
tet worden wäre. Der Verf. bestreitet daher Wolfs (Prolegg.
ad Homer, p. 127) Ansicht , dass die Kykliker die Homerische
Sitte, Episoden einzuweben, aufgegeben hätten ; indem ja ei-
nesteils die Homerischen Gedichte selbst zum epischen Kyklos
gehörten (der Beweis im zweiten Theil), anderntheils aus meh-
reren kyklischen Gedichten sich auf das Gegentheil schliessen
lasse. Dazukommt, dass es ja durchaus nicht in der Absicht
der Dichter selbst lag , einen Kyklos festzusetzen. Darum hat
man ohne Grund die kyklischen Gedichte für eine besondere
Gattung der epischen Poesie gehalten , eine Ansicht , die erst
ganz und gar zum Luftgebilde wird, wenn man darin einen
Gegensatz zur Homerischen Poesie finden will.
IV) Im Allgemeinen wird angenommen , dass irgend ein
Grammatiker die kyklischen Gedichte gesammelt und angeord-
net habe. Einige nehmen den Dionysios von Miletos , Andere
einen gewissen Polemon als solchen an. Der erstere blühete um
die 65ste Olympias. Er führte den Beinamen xvxloygägiog, und
sein xvxhog wird verschiedentlich angeführt, cf. Valckenar. ad
Schol. Euripid. Phoen. 1123. Er war jedoch kein Dichter, son-
dern (iv&oyQccq)og oder löxoQtoygaqiog. S. Salmas. ad Solin. p.
595. Der von Athenäos (XI p. 481 E) angeführte Dionysios von
Samos tceqX xvxlov ist aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem
Milesischen eine und dieselbe Person, da zumal anderswoher
ein solcher Samier nicht bekannt ist. Weil ein xvxXog [öxogi-
icög und wiederum ein xvxlog {iv&ixog des Dionysios angeführt
wird, schloss man auf zwei abgesonderte xvxKovg, wofür sich
Wüllner: De cyclo cpico poetisque cyclicis. 207
beim Scholiasten des Pindaros (Isthin. IV, 104) eine Bestäti-
gung zu linden schien: Salmasius aber emendirt iv ngcötco nv-
xlov statt der Vulg. xvkXcov.. Denn es ist nicht nur nirgends
von zweien die Rede, sondern Dionysios wird auch ohne wei-
teres und schlicht citirt iv reo xvxlco. Es wird weiterhin gründ-
lich dargethan, dass x. LöroQixog und x. [iv&Lxog auf ein und
dasselbe hinauslaufe. Aus dem Gesagten geht hervor, dass Di-
onysios nicht als Sammler der kyklischen Gedichte zu betrach-
ten ist, sondern vielmehr zu den sogenannten Logo- oderMy-
thographen gehört. — Der Scholiast zur Ilias y, 242 berich-
tet, dass die Geschichte von dem Raube der Helena durch
Theseus beschrieben sei nuQa rolg IlokE[iavLoig ?} roig xvxXi-
xolg. Casaubonus (ad Athen, p. 479) will daraus auf einen Po-
lemon schliessen, der jene alten Dichter zuerst gesammelt habe,
so dass Polemonische und Zyklische Dichter gleiche Geltung hät-
ten. Eine in der That wie mit Haaren herbeigezogene Erklä-
rung. Die Wahrheit giebt wohl eine Emendation in Fabricii
Bibl. Gr. I p. 242, ed. Harles: Ttccgä IloU^avc xcci rotg xvxkt-
xolg. cf. Welcker. ad Alcm. p. 20. Bescheiden äussert W. noch
die Vermuthung, dass etwa Polemon (insofern die Lesart der
Codd. feststehen sollte) eine ähnliche Chrestomathie, wie spä-
ter Proklos , angefertigt haben dürfte.
V) Ganz grundlos hat man den Polemon , der wenigstens
nicht über das Zeitalter der Alexandrinischen Grammatiker hin-
ausreicht, für den ersten Sammler der kyklischen Gedichte ge-
halten. Denn nach Proklos haben Zenon und Ilellanikos die
Odyssee dem Homeros abgesprochen, die Alten ( oi a.Q%al ot)
jedoch ihm sogar den Kyklos zugeschrieben. Hellanicos blühe-
ta nicht lange nach Olymp. 70. Da nun aber der Ausdruck ot
ccQ%odoi nothwendiger Weise auf solche hindeutet, die an Al-
ter dem Hellanicos vorangiengen; so muss die Festsetzung des
epischen Kyklos spätestens in die ßOste Olympias fallen. Schon
Aristoteles spricht von dem Kyklos als einer allgemein bekann-
ten Sache.
VI) Obgleich es ziemlich erwiesen ist, dass die Anordnung
des Kyklos nicht von Grammatikern herrührt , so ist es doch
auffallend, dass, insofern nicht lange nach den Pisistratiden
die kyklischen Gedichte gesammelt worden, dieses Umstandes
nirgends gedacht wird.
VII) In der älteren Zeit hatte Griechenland einen bedeu-
tenden Vorrath epischer Gedichte, welche zusammengenommen
die ganze Mythengeschichte umfassten. Eine der Natur der
Mythen angemessene Anordnung dieser Gedichte bildete sich
Anfangs wohl nur in der Seele des mit dem Inhalte derselben
hinlänglich Vertrauten; und in diesem Sinne hat man es auf-
zufassen, wenn in früherer Zeit von einem epischen Kjklos die
Rede ist: ein eigends constituirter Kanon oder Katalog dieser
208 Programme.
Gedichte mochte wohl erst von den Grammatikern angefertigt
worden sein.
VIII) Kurz berührt wird eine oder die andere Meinung,
die verschiedentlich aufgestellt worden , z. B. dass die Alten
alle epischen Dichter kyklische genannt hätten.
IX) Heyne (Evcurs. I ad Virg. Aen. II p. 353) nimmt an,
dass zu ebenderselben Zeit von dem einen dieser, von dem an-
dern jener Dichter zu dem epischen Kyklos gerechnet worden
sei. Nun sind allerdings nur die ältesten Homeriden Kykliker
genannt worden: dass diese aber Einen Gegenstand in vielen
Gedichten besungen hätten, ist nicht bekannt, so dass in den
meisten Fällen die Grammatiker nicht einmal eine Auswahl tref-
fen konnten. Nur bei Homeros stimmen gewissermaassen die
Nachrichten nicht ganz überein, indem Einige ihn den Kykli-
kern zurechnen, Andere ihn ausschliessen. Jedoch ist das Letz-
tere noch zweifelhaft; denn dass die Scholiasten zu den Home-
rischen Gedichten anmerken ltaga, tolg xvitfoiioig , oder iv xco
xvxXa, liefert zwar einen indirecten Beweis dafür, dass jene
sich einen Unterschied zwischen den Homerischen und kykli-
schen Gedichten gedacht haben; wenn man aber dagegen das
nur zu oft gedankenlose Excerpiren der auf uns gekommenen
Scholiasten erwägt, so lässt sich auf dergleichen indirecte
Nachrichten nicht immer mit Sicherheit lauen.
X) Es wird mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit dargethan,
dass immer eben dieselben Gedichte zum Kyklos gehörten, und
niemals ältere solchen, die in späterer Zeit einen und denselben
Gegenstand behandelten, Platz gemacht haben konnten.
XI) Es wird die Frage aufgestellt , ob die übrigen kykli-
schen Gedichte so wie die Homerischen erst unter den Pisistra-
tiden aufgeschrieben worden, und dahin beantwortet, dass die-
jenigen, deren Verfasser zu einer Zeit lebten, wo die Schreib-
kunst allgemein verbreitet war, von ebendenselben auch gleich
aufgeschrieben sein dürften. Sodann fragt es sich, zu welcher
Zeit die kyklischen Gedichte untergegangen sind. Nach der
angeführten Stelle des Photios (xä noirftittTa dt,u<5ät,etai aal
6nov8dt,exau rolg sroAAofg) wäre die Vermuthung erlaubt , dass
Proklos noch alle gelesen habe. W. will indess diese Nach-
richt dahin einschränken, dass Proklos wohl viele, aber schwer-
lich noch alle kyklischen Gedichte gelesen habe, und beruft
sich dieserhalb auf die bekannte Sorglosigkeit der Epitomato-
ren. Wir müssen jedoch gestehen, dass hier der Ausdruck zu
bestimmt und deutlich ist, als dass man an eine absichtslose
Lüge zu denken habe; und eine absichtliche dem Photios unter-
zuschieben wäre doch wohl ungerecht. Auf jeden Fall aber
muss Photios gerechtfertigt werden : nur der Fall wäre noch
denkbar, dass Proklos selbst aufs Gerathewohl etwas aus-
gesprochen hätte , wovon sich ihm bei genauerer Untersuchung
Wüllner: De cyclo epico poctisque cyclicis. 209
vielleicht das Gegentheil ergehen haben würde ; dass er alle
selbst gelesen habe, ist nicht gesagt; seinem Auszuge konnte
also leicht ein früherer zur Quelle gedient haben. In letzte-
rer Beziehung hätte Heyne (Bibl. vett. litt, et artt. fasc. I
Ined. p. 17) Recht, wenn gleich aus dem Titel %Qr]GTO(i(x&Eicc
yQap(iar Lxrj an und für sich eine solche Folgerung nicht ge-
zogen werden darf.
XII) Kvxhog bedeutet mitunter, wie im Lat. corona, cir-
culns, eine in Ein Ganzes gebrachte Mehrheit, mullüiidinem
in orbern collectam. Sowie nun Agatbias eine Epigrammen-
sammlung xvxkog genannt hat, ebenso könnte ein Inbegriff
von epischen Gedichten , die man sich wie in Ein Ganzes ver-
einigt dachte, denselben Namen verdienen. Andere behaup-
ten mit nicht geringerer Wahrscheinlichkeit, dass der Name
xvx'kog auf den inneru Zusammenhang der besungenen Mythen
zu beziehen sei, wie aus dem Gebrauche des Wortes inlyxv-
xfaog ttcudela hervorgeht, cf. Quintilian. I, 10 init., Vitruv. I,
1, 12.
XIII) Carmina, qaae cyclum constituebant, et xvxkov
fioirjficctcc et sxr] xvxXixcc appellata sunt. Poetae autem ot
3tQuyiiaTev6{i£Voi xöv izttxov xvxXov (v. Phot. 1. c),
oi tov xvxXov noentai (v. Clement. Alex. Strom. I p.
333), vel plerumque simpliciter oi xvxXixol vocantur. Die-
ses ist die ursprüngliche Bedeutung des Wortes xvxÄLXog.
Deinde recentiores poetae quidam xvxXixol vocantur, qui
epici carminis naturae et artis ignari narrationem a primis rei
primordiis, repetitam per singulas partes, tamquam scriptores
pedestres, exponunt. Auf diese Gattung beziehen sich manche
Stellen, welche der kyklischen Dichtungsart mit einer gewis-
sen Verächtlichkeit gedenken. W. scheint sich dahin zu nei-
gen, auch Horatius A. P. 136 darauf zu beziehen: wahrschein-
licher jedoch kommt es uns vor, dass Horatius einen Kykliker
iu der ersten Bedeutung des Wortes versteht; denn daraus,
dass er im Gegensatz zu Homeros jenen Dichter etwas verächt-
lich durchzieht, folgt noch nicht, dass gleich ein Xccmodvtrjg
dXXoTQLCov tTteav zu verstehen sei. Wie mancher an und für
sich preiswürdige Dichter zieht sich in den Schatten zurück,
wenn der dslog doidög ihm zur Seite gestellt wird? W. muss
dieses consequenter Maassen auch zugeben , wenn er S. 38 f.
sagt : Non enim bona carmina cujusque argumenti exstabant,
ut etiam minus laudabilia ad cyclum perßciendum suseipi ne-
cesse fuerit. Kykliker wurden drittens genannt eine Art von
Marktschreier -Dichtern, die in sehr später Zeit ihr Hand-
werk trieben. Fast dieselbe Erscheinung von Bänkelsängerei
kam in dem späteren Mittelalter zum Vorschein, als der le-
bendige Geist des Minnesanges in todtes Formelwesen und lee-
ren Klingklang ausgeartet war. Viertens sind zu berücksichti-
210 Programme.
gen die %oqoI xvxXioi. S. Bentl. Opusc. p. 319. KvxXioi liei-
ssen sie von ihrer Form, wegshalb niemals xvxXcxol. Denn xv-
xXiog bedeutet ungefähr so viel als xvxXosidqg , xvxXixög aber,
was zum xvxXog gehört , ein Theil desselben. Nach dieser in
der Natur des Gegenstandes selbst begründeten Auseinander-
setzung müssen einzelne aus Fahrlässigkeit corrumpirte Stellen
emendirt werden. Bentleys (ad Ilorat. A. P. 136) Vermuthung,
auch für die epischen Kykliker wäre xvxXiog die alte und wahre
Form, zerfällt in sich selbst. Dazu kommt, dass die Stellen
der Alten zu Wüllners Gunsten den Ausschlag geben; denn alle
von Bentley angeführten Stellen, welche xvxXiog bieten, sind
mit Ausnahme von zweien auf die kyklischen Chöre zu be-
ziehen.
XIV) Hier werden noch einige Stellen in Betracht gezogen,
wo Iv xvxXco gleichbedeutend ist mit lyxvxXiG>g = xoiVG)g, vul-
go. Atqui syxvxXto g et xvxXixög, si eorum naturam,
quidque per se signißcent , spectes , ita sibi cognata sunt , ut,
si uno tantummodo loco significatio xo tvo g vocabulo xvxXi-
xög unice apta sit , nemo debeat dubitare , quin haec ibi sit
verissima. Hierauf mehrere Beispiele.
Pars posterior. De poematis et poetis cyclicis.
Die Gedichte, welche entweder mit Gewissheit oder mit
Wahrscheinlichkeit zum Kyklos gerechnet werden dürfen, sind
der Reihe nach aufgezählt.
1) (dtoyovla. Euseb. Praep. Ev. I, 10 p. 39. Ueber den
Verfasser lässt sich nichts mit Bestimmtheit ausmitteln.
2) Tixavop,a%la. Euseb. 1. c, Athen. VII p. 277 D. Einige
geben alp Verf. den Eumelos von Korinth, Andere den Arktinos
an: die gewöhnliche Annahme der Alten scheint für den erste-
ren zu sprechen, weil der Schol. zu Apollon. llhod. I, 1165 ihn
allein als Dichter der Titanomachie aufführt.
3) riyavzoncc%icc. Euseb. 1. c. Der Verf. ist nicht auszu-
mitteln.
4) 'Hgaoyovia. Die Aufnahme dieses Gedichts beruht
nicht auf bestimmten Nachrichten, sondern einzig auf einer
aus dem innern Zusammenhang der Mythen und der dadurch
bedingten Bedeutung des Kyklos hergenommenen Vermuthung.
Bei den nächstfolgenden Titeln sollen die nur auf dem
Wege der Conjecturalkritik auszumittelnden der leichteren Ue-
bersicht halber mit einem Sternchen bezeichnet werden.
5) davcctg (QoQavtg, 'Ivec%Lg).* Heyne Exe. I ad Aen. Hp. 354.
6) KoQLV&iccxd. Der Verf. Eumelos, welchen Clemens
Alex. Strom. I p. 333 und Athenäos VII p. 277 D als kyklischen
Dichter bezeichnen.
7) 'JXxpaiavig.* Apollodor I, 8, 5, Heyne p. 352, Strabo
X, 2, 9. Quare autem hoc poema in cyclo fuisse putem , causa
Wüllner: De cyclo cpico poctisquc cyclicis. 211
es/, quod in argumento cycli requiritur, quod nullum aliud,
quod ejus locum esplere potuerit , nolum est quodque illud satis
antiquum videtur.
8) JlyL[iiog.* Valckenar. ad Eurip. Phoen. p. 735,
Gr od deck, ia Bibl. vett. litt, et artt. fasc. II p. 84. Einige
schreiben das Gedicht dem Ilesiodos, Andere einem gewissen
Kerkops von Miletos zu (Athen. XI p. 503 D) , wesshalb W. es
zu den kyklischen zählt.
9) 'HgccxteLa* Es gab mehrere, von denen am ältesten die
des Kinäthon und Peisandros.
10) Ol%aUag ccXaöig. Verf. Kreophylos von Samos ; auch
dem Homeros zugeschrieben.
11) Mtvvdg.* Pausanias IV, 33, 7 nennt den Prodikos von
Phokäa , jedoch nicht mit Bestimmtheit , als Verf.
12) 'slT&Lg* Wir glauben dass diese nicht mit gehörigem
Grund aufgenommen worden (W. scheint es übrigens selbst ein-
zusehen), weil die nächstfolgende ©f]ör]lg im Wesentlichen
ebendesselben Inhaltes sein musste. Der Titel kann hier kei-
nen Unterschied machen, weil er nur zufällig ist.
13) ©rjörjlg. Aristot. Poet. c. 8. Weil es in den Scholien
zur Ilias y, 242 heisst, der Raub der Helena durch Thcseus
und der Untergang von Aphidua sei von kyklischen Dichtern
besungen worden, so wird diese Notiz mit grosser Wahrschein-
lichkeit auf die These'is bezogen.
14) 'jlnecZ,ovtg. Homeros als Verf. Suidas v. "OpyQog.
15) EvQCOJtsia. Verf. einer solchen ist vor Stesichoros
schon Eumelos gewesen. Das Citat Schol. ad II. £, 130 ist falsch
statt 131. Ueber den Inhalt des Gedichtes hätte W. noch ver-
weisen können auf W e 1 c k e r über eine Kretische Kolonie in
Theben S. 51, 70, 72.
16) Oldinodicc.* Auf der tabula Iliaca wird Kinäthon als
Verf. genannt. Es fragt sich aber, ob das zu Nr. 12 Bemerkte
hier nicht ebenfalls Anwendung finden dürfte.
17) ©rjßa'ig. Zu unterscheiden ist die kyklische Thebais
von der des Antimachos. v. Athen. XI p. 465 E, F. Die ange-
führten Verse sind fast ganz nach der Wolfischen Emendation
im Anhange zur Odyssee gegeben. Am meisten corrumpirt sind
die zwei letzten Verse, deren durch Hermann (ad Soph.
Oedip. Col. 1317) versuchte Heilung neuerlich auch Dindorf
befolgt hat. In dem zweiten Fragment Vs. 3 schlägt Butt-
mann Griech. Gram. II S. 405 vor: Evxro de <d\ ßu6ih~ji. cf.
Boeckh. Thes. Inscr. Gr. I N. 16. Im Allgemeinen mag W.
Recht haben, dass er alle Stellen, wo die Thebais ohne nähere
Angabe citirt wird , auf die kyklische beziehen will , wiewohl
man in diesem Puncte nicht vorsichtig genug sein kann. Von
Einigen wird Homeros selbst als Verf. der kyklischen Thebais
angegeben.
212
r o g ramme.
18) 'Eniyovoi. Herodot. IV, 32 nennt sie Homerisch, 6t
dt] t« lovxi ys "OfiTjQog xavxa xcc eitscc Itcoltjöb. Wolf Prolegg.
ad Hom. p. 157 hält die Stelle für interpolirt: ob mit Recht,
bleibt billiger Weise dahingestellt. Zu der Stelle des Pausa-
nias IX, 9, 3 ist dem Verf. Franckes (adCallin. p. 22 sq.) Er-
klärung entgangen.
19) AQyovctvxixu* Salmasius hat diese ohne eigent-
lichen Grund aufgenommen.
20) Ta Kvtcqlcc. Ein S. 70 aufgeführtes, verstümmeltes
Fragment hat Baumgarten-Crusius in den Jahrbüchern
1827 Bd. II H. 1 S. 13 herzustellen versucht. — In einem an-
dern Fragment S. 72 ist der letzte Vers also geschrieben :
frygicc o6<5 ' TjjtSLQog dvaxgicpu, bq>ga (pvyot, (ilv.
So scheint ihn W. aus der Casaubonischen oder Schweighäuser-
schen Ausgabe des Athenäos abgeschrieben zu haben, ohne
zu erwägen, dass der letztere Herausgeber selbst den Weg zur
richtigen Lesart gebahnt hat. In allen Handschriften steht
nämlich rjnsigog aivä xghyu. Dass das Epitheton aivä zu fra-
gtet hier ganz an seinem Orte ist, wird Niemand in Abrede stel-
len ; min aber findet sich ein Anstoss im Metrum , der auf je-
den Fall beseitigt werden muss. Dieses geschieht durch leise
Aenderung der ersten Worte in &7}gi' oö' rjnsigog aivä tgscpei.
— (iiv am Ende des Verses statt viv ist hier wohl nur Druck-
fehler. — In dem S. 73 angeführten Vers des Naevius oder
Laevius :
Fecundo penetrat penitus thalamoque potitur.
wird feeundus thalamus erklärt: vel conclave nuptiale, at sit
thalamus sensu vulgaris vel id, in quo opes et divitiae recon-
duntur. Diese Interpretation ist viel zu gezwungen und darum
unmöglich die richtige. Weit natürlicher lässt sich erklären,
thalamus, quifetus edit, wie das Griechische yovi^iog. Diesen
Tropus wird Niemand verwerfen, dem ähnliche poetische Aus-
drücke schon in Menge vorgekommen sind. — Etwas auffal-
lend ist S. 76 folgende Aeusserung : Si quis forte feminarum,
quae prae maritorum amore mortem sibi conseiverint , plura no-
mina cognoscere cupiat (id quod fieri potest , quoniam earum
numerus non ita magnus est atque exemplis ad mulierum ani-
mos flectendos nonnunqua?n videtur opus esse), is igitur, si pla-
cet, Tzetzam adeat. Wir wollen hoffen, dass die Parenthese
so ernstlich nicht gemeint sei; denn sonst müssten wir es ja
nur tadeln , dass die Englische Regierung der bekannten Lei-
denschaft der Indischen Frauen, sich nach dem Tode ihrer
Männer lebendig zu verbrennen, aus allen Kräften zu steuern
sucht.
21) rO[iygov 'Ifadg.
22) Al&iOTilg 'JgatCvov. Aus dem Schol. zuPindar. Isthm.
IV, 58 geht hervor , dass der Verf. mitunter als ungewiss galt;
Wüllncr: De cyclo cpico poctisquc cyclicis. 213
sonst wird Arktinos von Miletos genannt, der wahrscheinlich
um Ol. 9 blühete.
23) 'Ifoccg (iltcqcc. S. 84 ist unstreitig zu lesen Ivncolov
statt ivTtidlov. La den erhaltenen Versen sind Gegenstände
behandelt , welche bei Proklos gar nicht berührt werden. Pau-
sanias(X, 26, 1; III, 20, 7) aber nennt denLesches nur als Verf.
der 'lUov negöig, und führt die 'Ifaag [ilxqcc mir anonym auf.
Ferner erzählt Pausanias (X, 25) Dinge aus der 'IUov asgöig
des Lesches, welche bei Tzetzes (ad Lycophr. 12(>3) wörtlich
aus dessen 'lfoccg fiLHQa citirt werden. Diesen Widerspruch weiss
W. geschickt zu heben: Lesches uno carmine in quatuor plu-
resve libros diviso fabulas Troicas inde ab Achillis armorum ju-
dicio iisque ad Trqjae novissima fata exposuit. Pars hujus Ilia-
dis parvae posterior Trojae excidium comprehendebat et inde
ab equo Trojano res sie enarrabat , ut pro novo carmine haberi
posset inscribereturque'IHov nkgöig: qualia in nmllis carmini-
öus facta esse videmns. Inde facile aeeidit , ut Ilias parva,
siciit alia carmina , in duas -partes divelleretur. Pausanias igi-
lur et fortasse etiani alii Iliadem parvam et Leschis llii persin,
proprie Iliadis parvae particulas , pro diversis carminibus ha-
buerunt ; contra Aristoteles et «Y, e qnibus Tzetzes aliique supra
laudati sua hauriebant, duas particulas in unum Carmen adhuc
conjunetas legerunt. Cum Pausania Proclus consentit , nisi ar-
gumentum ab excerptore mutilatum est. Si autem Proclus par-
ticulas disjunetas habuit , integra Bias parva quinque vel pluri-
bus libris constitisse debet. Hiermit ist immer noch nicht die
Frage erledigt, ob denn das Ganze der kleinen Ilias oder nur
der erste Theil in den epischen Kyklos aufgenommen worden
sei*? Wir glauben, diese Streitfrage ist absonderlich dazu ge-
eignet , die Untersuchung über die Geschichte des epischen
Kyklos fester zu begründen. Es scheint nämlich hierdurch
klar zu werden, dass Grammatiker sowie die xavovsg, also
auch den xvxÄog fixirt, und diejenigen aus den vorhandenen
Gedichten darein aufgenommen haben , welche ihrem Urtheile
am meisten zusagten. Hier ergab es sich nun , dass in dem
zweiten Theil der kleinen Ilias des Lesches auch die'lMov tcbq-
öig behandelt war, die Arktinos in einem besondern Gedichte
besungen. Der Letztere scheint nach dem Urtheil der Gram-
matiker den Vorrang erhalten zu haben; um aber kein Gedicht
über einen und denselben Gegenstand doppelt dem Kyklos ein-
zuverleiben, könnten sie vielleicht folgenden Ausweg einge-
schlagen haben, dass sie den ersten Theil des Lesches, als die
beste unter den vorhandenen poetischen Bearbeitungen des Ge-
genstandes , für classisch erklärten, den letzten dagegen weg-
liessen , weil er bereits durch ein besseres Gedicht des Arkti-
nos ersetzt war. Daher könnte es nun auch gekommen sein,
dass in späterer Zeit nicht immer das vollständige Gedicht des
214 Programme.
Lesches abgeschrieben wurde, sondern oft nur der zum Kyklos
gehörige Theil. Somit entstanden doppelte Exemplare, die
sich nach beiden Seiten hin weiter verbreiteten. Setzen wir
dieses mit Recht voraus , so ist jeder Widerspruch von selbst
gehoben.
24) 'Riov nsQdig. Von Arktinos aus Miletos.
25) Noötoi. Von Augias aus Trözen. Mohnike und
Groddeck hielten diesen Augias, der ausser bei Proklos
sonst nirgendswo mit Bestimmtheit genannt wird, für Eine Per-
son mit dem Komiker dieses Namens. W. stimmt nicht bei und
fährt fort: Fortasse tarnen idem Augias est, quem Clemens
Alexandrinus laudat cujusque versum unum , qui speciem quan-
dam antiquitatis habet, servat (Strom. VI p. 204). Weil in-
dess der Name Augias nicht weiter vorkommt , meint W. , dass
alle voöxov welche entweder anonym sind oder dem Homeros
zugeschrieben werden, mit den von Proklos dem Augias bei-
gelegten zusammenfallen.
20) rO[l7]QOV 'OÖVÖÖEICC.
27) Trjksyovlu. Von Eugammon aus Kyrene , um Ol. 53.
Hiermit hätten wir einen Grundriss der gediegenen Ab-
handlung entworfen. Wer die Schrift selbst in die Hand nimmt,
der wird sich bald schon auf den ersten Seiten angenehm über-
rascht und das Bedürfniss fühlen , selbige bis zu Ende mit un-
unterbrochener Aufmerksamkeit durchzulesen. So gewandt,
rein untTungezwungen ist die Schreibart und so gründlich ge-
arbeitet und so schicklich angeordnet das Chaotische des Stof-
fes, dass man offenbar ungerecht sein müsste, wenn man die-
ser Behandlungsweise seinen ungetheilten Beifall versagen wollte.
Es wäre daher äusserst wünschenswerth , wenn Lobeck,
der alle hierher gehörigen Stellen gesammelt hat, falls er selbst
sobald nicht ans Werk schreiten sollte, seinen Vorrath Wüll-
nern zur Veranstaltung einer vollständigen Fragmentensamm-
lung der kyklischen Dichter überlassen wollte.
Dr. N. Bach.
Zur öffentlichen Prüfung der Zöglinge des Kö-
niglichen D om - G ymnasiums am 21sten und 22äten
September 182G ladet ehrerbietigst ein Dr. E. K. Tl. Maas , Dire-
ctor. Halberstadt, gedr. in d. Dölleschen ßuchdruckerei. 36 S.
in 4.
"ieses Programm enthält zuerst eine Abhandlung über Au-
torität der Gymnasial- Lehr er , vom Dr. II. A. Chr.
Grimm, Prediger und Oberlehrer daselbst. In dieser ist
die Rede I) von der Notwendigkeit des Ansehens und der Liebe
Grimm : lieber Autorität der Gymn. - Lehrer. 215
der Lehrer bei ihren Zöglingen; II) wird gefragt, wie der
Lehrer sich dieselbe erwerben könne. Die Antwort lautet:
1) durch unzweifelhafte Pflichtliebe und Amtstreue; 2) da-
durch dass erSanftmuth und Geduld besitze; 3) durch Beschei-
denheit; 4) durch unbestechliche Gerechtigkeit; 5) durch wohl-
wollende Gleichmüthigkcit; <j) durch Billigkeit bei der Beur
theilung der Schwächen und jugendlichen Fehler seiner Zög-
linge und durch den väterlichen Sinn bei ihren Vergehungen.
III) Was von Seiten der Eltern geschehen könne, um das An-
sehn der Lehrer ihrer Kinder zu erhöhen. Durch die frühere
häussliche Erziehung sollen die Knaben zur Thätigkeit , zum
Gehorsam , zur guten Sitte , zum anständigen ehrfurchtsvollen
Betragen gegen ältere Personen gewöhnt werden; am wenig-
sten sollen Väter ihren Söhnen erzählen, wie sie selbst früher
ihre Lehrer getäuscht , und welche lose Streiche sie ihnen ge-
spielt haben. Sie sollen sich ferner nie in Gegenwart ihrer
Söhne über Gegenstände des Unterrichtes nachtheilig äussern,
und die Erziehungs- und Unterrichtsmethode der Lehrer nicht
tadeln , sondern vielmehr billigen und loben , überhaupt aber
den öftern Verkehr mit den Lehrern ihrer Söhne für nothwen-
dig und sehr heilsam halten. — Referent, der von der Wich-
tigkeit der hier abgehandelten Materien innig überzeugt ist, hat
diesen Aufsatz mit demjenigen Vergnügen gelesen, welches uns
auf das Angenehmste durchdringt, wenn wir über heilige An-
gelegenheiten des Lebens und Berufes die Stimmen Gleichge-
sinnter vernehmen. Möchten recht viele Gymnasien das Glück
geniessen, keinen einzigen Lehrer zu haben, der die Treff-
lichkeit dieser Rathschläge unbeachtet Hesse, und sich nicht
unausgesetzt bemühte, auf diesem Wege den Segen und das
Gedeihen seines Unterrichtes zu begründen und zu verviel-
fältigen.
Zweitens enthält dieses Programm: Des Herrn Professor
Morgenstern Ansicht über Horat. Epist. I ep. 11 v. 7 — 11 be-
leuchtet von F. E. Theodor Scluuid, Oberlehrer daselbst.
Der Inhalt dieses kurzen Aufsatzes scheint dem Referenten der
Wahrheit am nächsten zu kommen , und wird deshalb auf all-
gemeines Interesse rechnen können. Es war nämlich der auch
um die Erklärung des Horaz so mannigfach verdiente Profes-
sor Morgenstern in Eichstädts kritischem Nachtrage zu
Nitsch und Haberfeldts Vorlesungen Bd. 4 S. 222 ff", der Mei-
nung vieler altern Ausleger und Kritiker beigetreten, welche
die bezeichnete Stelle für eine dem Bullatius in den Mund ge-
legte Gegenrede halten. Bothe zu Fea stimmte ihm bei,
und auch Pottier hat die dieser Fassung entsprechende In-
terpunetion. Dennoch ist die Mo rgens ternsche Beweis-
führung ganz unhaltbar. „Sonderbar bleibt es doch, sagt Hr.
M. , dass Horaz in Rom , Er , der unsers Wissens niemals in
216 Schmid: Ueber Hör. Ep. I, 11, 7 -11.
Kleinasien war , in einer Epistel an den Bnllatius , der in Klein-
asien herumreiset, nach einer Erkundigung über das Ionische
Lebedos unmittelbar mit einer Frage, wie: Scis, Lebedus quid
sit'? nachkommen kann. Viel natürlicher wäre sie als Gegen-
frage im Munde des Reisenden." Hierauf antwortet Herr
Schmid sehr richtig: Die Hypothese, dass Horaz nicht in
Kleinasien gewesen sei , ist sehr unbegründet. Es ist vielmehr
wahrscheinlich, dass Horaz dabei war, als Brutus und Cassius
mit dem Heere nach Kleinasien übersetzten. Ja seine specielle
Bekanntschaft mit dem Orte der Ueberfahrt von Sestos nach
Abydos ergiebt sich aus Epist. I, 3, 4, verglichen mit Strabo
lib. 13 § 22 p. 298, ed. Siebenkees. Wahrscheinlich war er
auch Augenzeuge bei dem lustigen Streite in der Ionischen Stadt
Clazomenä, den er Sat. I, 7 erzählt. — Ferner geht keines-
weges eine Erkundigung über das Ionische Lebedos voraus,
sondern an laudas ist dort eben so zu nehmen, wie das
vorhergehende: an venu in Votum, Endlich sind die Worte:
scis, Lebedus quid sit, gar nicht nothwendig eine Frage, son-
dern soviel als: Nosti Lebedum, du weist, was Lebedos für
ein Nest ist.
Wenn ferner Herr Morgenstern darauf sich beruft,
dass v. 8 sonst nicht mit v. 21 und 26 zu vereinigen sei, so
macht Herr Schmid darauf aufmerksam, dass der Dichter
seine Behauptung, auch an einem öden Orte könne man glück-
lich leben, von v. 11 an durch den Gedanken einschränkt, man
müsse jedoch nicht ohne Noth einen solchen Entschluss fassen.
Das vellem des 8ten Verses erklärt er sehr richtig so : „wenn
mir die Bedingung gemacht wäre, die aber nicht gemacht ist,
so würde ich wählen;" mit Billigung des Wielandschen
Zusatzes: „müssf es sein." Auch würde der eben dort zögernde
Bullatius nicht illic sondern hie gesagt haben. In v. 9 findet
er nicht Gleichgültigkeit gegen die Seinen, sondern gerade den
Ausdruck der zärtlichsten Liebe. Dass endlich Morgen-
stern nach Scis ein inquis hinzudachte , und so übersetzte:
Weisst du auch, hör' ich dich sagen, was für ein menschenlee-
res Oertchen Lebedos ist? erklärt er für eine ganz unzulässige
Ellipse, da hier kein eigentlicher Dialag statt findet, und die
Gegenrede nicht einmal durchs, At vero u. dgl. bezeichnet
ist. Auch findet er es der Urbanität unsers Dichters angemes-
sener, wenn er von v. 11 an dadurch dass er sich selbst corri-
girt , seinen milzsüchtigen Freund , ohne ihm wehe zu thun,
auf den rechten Weg weist; womit er die ähnliche Darstellung
in Sat. II , 7 vergleicht. In der hinzugefügten Uebersetzung
der ganzen Epistel würde eine schärfere Kritik noch manche
Aenderung wünschen, indessen ahmt sie den Ton des Originals
getreu nach , und gnügt dem Zwecke , die Auffassung des Zu-
sammenhanges dieses Gedichtes anschaulicher zu machen.
Nadermann : Dissert. excget. et cvit. de oda Horatü XIV lib. III. 217
Uebrigens zeigt die Interpunction bei Jahn und Doe-
ring, dass diese Herausgeber jene Stelle ebenso aufgefasst
haben.
Sechster Jahresbericht über das KSnigl. Gymnasium zu Münster in dem
Schuljahre 1824—25. Fraeniittitur disser t atio esege-
tica et critica de oda Iloratii XIV lib. III,
quam scripsit //. L. Naderviann , Professor et Director. Münster,
gedruckt in der Coupenrathschen Buchdrudkerei. 47 S. 4.
W i e 1 a n d hatte in seiner Bearbeitung v. Horazens Briefen
S. 32 behauptet, dieser republikanisch gesinnte Dichter habe
sich nie überwinden können, den Kaiser August zu preisen, oder
ihm zu schmeicheln. Dieser Ansicht widerspricht Herr Dir.
N ad er mann durch Yergleichung folgender Stellen: Ep. II,
I, 18; Od. IV, 2, 37; 5, 33; I, 12, 57; 2, 41; III, 5, 2; Ep.
II, 1, 16. Auch in dieser Ode preise er ihn , als er U. c. 730
nach glücklich beendigtem Feldzuge, während dessen er zuletzt
in Tarracon krank gelegen hatte, nach Rom zurückkehrte und
den Janustempel schloss. — Wahrscheinlich sei die Nachricht
vom seinem Kranksein nach Rom gekommen, viele hätten ihn
dem Tode nahe geglaubt, und darauf neue Entwürfe gebaut,
die Freiheit des Staates wiederherzustellen. An diese sei ei-
gentlich die Ode gerichtet, ihre Gemüther wolle der Dichter
beruhigen und mit neuer Bewunderung der hohen Verdienste
des Augustus erfüllen, der die Bürgerkriege beschwichtiget
habe und so sanft regiere. Bei einer solchen Aufgabe habe
nun der Dichter alle Vorsicht anwenden müssen, um auf keiner
Seite anzustossen ; daher sei das Gedicht zum Theil etwas dun-
kel gerathen; daher das Lob Augusts sehr massig und nüchtern
ausgefallen; das Benehmen der Unzufriedenen, die der alten
Freiheit noch immer anhingen und sich mit neuer Hoffnung
täuschten, sei versteckt angedeutet durch das, was Horaz am
Schlüsse der Ode von sich sage, dass er nämlich jetzt auch
ein ganz andrer sei, und anders denke und handle, als früher
in seinem 23sten Jahre , unter dem Consulate des Plancus , in
dem Freiheitskampfe unter dem Brutus. Nicht also der 2te
Vers , sondern das ganze Gedicht führe auf diese Ansicht. —
Dies sind die Grundzüge der aufgestellten Ansicht. Referent
würde sich eine nähere Prüfung derselben erlauben , wenn es
ihm nicht wahrscheinlich sein müsste , dass Herr N. selbst bei
fortgesetztem Studium dieses Gedichts bereits zu andrer Ueber-
zeugung gekommen sei.
Aus der nachfolgenden Erklärung der ersten 12 Verse
wird Manches wegfallen, wenn jene Ansicht von dem Ganzen
sich ändert, z. B. die Behauptung dass v. 1 die Anrede o plebs
im verächtlichen Sinne gemeint sei. Am umständlichsten ist
v. 11 behandelt. Die eigenthümliche Ansicht des Herrn Ver-
218 Programme.
fassers ist am Schlüsse in folgenden Worten niedergelegt: „Pri-
ma statim fronte conspicnum est, pueri atqne p?iellae in anti-
thesi aliqua esse ad praecedens iuvenum et virginum, et simnl
indicare aetatem iiiniorem. Si ergo iuvenes sunt milites, qui
Cantabricam tulerant sub Augusto militiam: pueri esse possunt
adolescentuli, qui aut nondum noinen dederant, aut nondum
interfuerant expeditioni bellicae. Et si virgines sunt uxores iu-
veniles militum e bello redeuntium: paellae possunt esse uxo-
res militum, qui nondum fecerant stipendia in bello aliquo. Vox
enim pnella, non minus ac virgo, poetis interdum est uxor ma-
rita , ut Od. III, 22, 2, Virgil. Georg. IV, 458. Tunc iam virum
expertae est nuperrime nuptae. Ergo popellum iuvenilem, cui
bella futura adhuc erant timenda , alloquitur poeta , dicitque:
mittite omnera timorem, ne turbetis publicum gaudium anxiis
de futuro tempore querelis infaustisque clamoribus; nil enim
amplius nunc nobis est timendum tenente Caesare terras , qui
suppressis omnibus bellis civilibus , devictisque Omnibus bosti-
bus externis, nunc victor redit in patriam, pacem daturus, Ja-
numque clausurus." Ganz dieselbe Ansicht dieser Stelle hatte
sich Referent auch gebildet. Nur pflegt er noch bemerkbar zu
machen, dass der Begriff „neuvermählt" ebenso auf die pueri
wie auf die puellae zu beziehen sei , und dass die Dunkelheit
der Stelle gar sehr verschwinde, wenn man das volle Punct
vor Vos tilge, und ein Colon setze.
Das Aeussere des Programms ist eleganter als gewöhnlich,
aber die vielen Druckfehler geben Anstoss. Auf der 4ten Seite
ist dem Herrn Verfasser der Ausdruck moderni interpretes ent-
schlüpft.
Cöslin. Müller.
Regiae Friderico - Alexandrinae litt, universitatis prorector D. Ad. Chr.
Henr. Henke successorem suum civibus academicis com-
mendat. Lectionum Homer icarum speeim. I praemittit
D. Ludov. Doederlein , Graec. et Lat. litt. P. P. O. et semin. phi-
lol. Director. Erlangae, typis Jungeanis. 1827. 8 S. 4.
Es ist gewiss allen Freunden der Homerischen Litteratur
eine erfreuliche Nachricht, dass der durch seine etymologi-
schen Leistungen rühmlichst bekannte Verfasser das von Butt-
mann unvollendet gelassene Werk Homerischer Etymologie auf-
genommen hat, und Hoffnung macht, alljährig in seinen Pro-
grammen einen Beitrag dazu zu liefern.
Den Anfang macht das vorliegende Progr. mit der Unter-
suchung : De origine voc : koKoos- Quid sit d%QBiov lö elv.
'Axqblos et uxQrjörog. 'A%Q8Zov ysXüv. Emendatur
Kpigramma adespoton et Theocritus. Die zwey ersten Artikel
Dödcrlcin: Lectionum Horacricarura Spec. I. 219
bezwecken eine Ehrenrettung des Thersites. Wir setzen die
eignen Worte des Verfassers bey : „Plerique Homeri enarrato-
res Tbersitae personam deridiculam et fatuam describi existima-
runt, quos ut ita censerent adductos puto quorundam vocabulo-
rum pravo intellectu, praecipue verborum dfiExgoBJitjg IxoAa'a,
quo garritus, et d%güov löcov, quo inepti hominis vultus signi-
ficari existimabatur.u Hr. Dödcrlein leitet daher otokcoäv [Iliad.
II, 212 u. I, 575] nicht mit Buttmann von xcckea, xeAgj, keXo-
p,at ab, weil er mit Recht die Bedeutung des Zankens , von
welcher im Wurzelwort keine Spur liegt, die aber im Deriva-
tum auf einmal als Hauptbedeutung hervortritt, unwahrschein-
lich findet, sondern, wie er schon in der latein. Synonymik T.
II p. 157 angedeutet hat, von xilkuv. „Ut egasa ab gsco. ita
quidem , ut xokaäv, objurgare, sive xoXgjhv (apud Antima-
chum) sive xoXoväv, nokovfißäv^ si sonum spectes, formae xokov-
uv, xoXoßovv , quae tarnen in metaphoricam detrectandi signi-
ficationem non transierunt , sin sensum respicias , formae xold-
\uv similius sit, quandoquidem jto'Aaöig justam vel legitimam,
xoAodg autem, si non injustam at inconditam castigationem in-
dicat." 'A^isxgoETtyjg wird ebenfalls treffend nicht von Schwatz-
haftigkeit, sondern von einem rücksichtslosen Hintansetzen aller
Bescheidenheit erklärt. ' ' A%qhov Idav [II. II, 269] wird er-
klärt : imbellis hominis speciem praebens vultu. Diese Bedeu-
tung von äxQHog wird durch Stellen, wie Aesch. Prora. 360:
aal vvv u%güov aal nagyogov df^ag xelxcu, sehr schön aus-
einander gesetzt, und ist ein wichtiger Beitrag zur richtigeren
Auffassung des Thersites. Bey der iVngabe des Unterschiedes
von d%güog und a%gii6xog , der darin gesucht wird , dass
u%Qri<5xog de rebus pleruraque, d%geiog autem de ani-
mantibus gesagt werde, ist das plerumque wohl zu beach-
ten. Denn wenn auch die Stelle des Liban. im Encom. Tbersi-
tae p. 83, B, ed. Steph.: „ag ovv i]v 6 0Egöixijg xm> tolgito-
fafiioig cpoßtQCQV , t'iys xovg vhlg sxEtvav dtö[ilovg rtyev si ds
p.r] ovxco xavx' ti%zv, aAA' t)v navxditaöiv ä%gr] örog, ovx av
ü%z xt)v dg%r)vt ovx Icovxog xov zliop,ri8ovg.i% wegen des spä-
teren Zeitalters weniger Gewicht hat, so verdient doch die von
Stephanus im Thes. angeführte Stelle aus Aristot. Oecon. : dg
dv y uxQ7]6xog xgjv dllcov, Beachtung. ' A%güog gebraucht Xen.
Memor. I, 2, 54 von Dingen: tXEye ös , ort xai £,äv exectixog
tavxov , ö ndvxcov p,ä?uöxa cpilti , xov öaiiaxog o, xi av d%gzi-
ov i) aal dvcoq)iX\g^ avxog xe dcpaigü xai dkXca naQ£%SL. Ari-
stoteles hingegen in der von Schneider in der letzten Ausgabe
augeführten Stelle braucht in demselben Sinne a^o^örog.
Blicken wir aber nun zurück auf den Zweck, von dem die
angegebene Untersuchung ausgieng, neinlich zu zeigen, dass
die persona Thersitae durch die falsche Auffassung der genann-
ten Ausdrücke als deridicula et fatua aui'gefasst worden sey, so
Jahrb. f. Phil. u. Pädag. Jahrg. III. Heft 2. J5
220 Programme.
scheint es uns , als ob auch durch die gegebene richtigere Er-
klärung dem Thersites nur das letztere nicht aber das erstere
Prädicat abgenommen worden sey. Das comische Element
lässt sich wohl aus dieser Episode des Thersites nicht verban-
nen. Man denke sich diesen verkrüppelten Menschen, von dem
esheisst, ai6%iGxog Vit "Iliov i\k%Ev. Warum malte wohl Ho-
mer seinen Zuhörern das Detail dieser Carricatur so anschau-
lich vor, wenn er nicht durch den Contrast, dass diese abnorme
Gestalt sich mit unbezähmbarer Zunge dem göttergleichen Herr-
scher Agamemnon gegenüberstellt, Lachen erregen wollte? Die-
ser Contrast musste im heroischen Alter, wo auf Schönheit der
Gestalt so hoher Werth gelegt wurde, noch viel auffallender
erscheinen , als izt. Sollte aber der Contrast wirkliche
Schneide haben, so durfte allerdings Thersites kein Dumm-
kopf seyn ; denn dieser ist nicht mehr lächerlich : sondern er
musste einigen Verstand, aber nur verkehrt angewendet , besi-
tzen. Befremdend ist uns bei Homer eine solche comische Scene
nicht im Mindesten, wenn wir uns an den ähnlichen Auftritt in
der Odyssee erinnern, wo die Boxerey des langen abgelager-
ten Bettlers Irus mit dem musculösen, stämmigen Odysseus so
acht comisch dargestellt ist; daher der englische Carricaturen-
Maler bey seiner Darstellung des Zweikampfes zwischen Pitt
und Fox noch nach Jahrtausenden seine Farben daher entleh-
nen konnte. Wir möchten daher noch immer den Thersites
lieber mit Plutarch de audiendis poet. c. 3 als yslaxoTtoidg, als
mit Libanius in seinem Encomium Thersitae als einen der er-
stenllelden vorTroja betrachten. — DenSchluss macht die Un-
tersuchung über ä%QEiov ys^äv, aus Veranlassung von Od. XVIII,
163, wo es von Penelope heisst: cc^qelov d' iyslaööEv, «zog r'
E(pax\ ek x' 6v6[icc££v: deren Resultat ist: „Proprio a%Q£iov
yzkäv est sine causa {1% ovöevl %qeei seu iQ^axi) ridcre, sed
hoc loco i. q. <x%QEic5dEg yskäv, quoniam habebat quidem Pene-
lope cur rideret, sed, quum tacita cogitatio, antequam ridiculi
aliquid vel dictum esset vel auditum vel spectatum, illum risum
expressisset , videri debebat sine causa ridere." In Folge die-
ser ebenso gelehrt als überzeugend ausgeführten Erklärung
kommt der Verf. auf die Emeudation des Epigr. adesp. CCXXXII :
ä%QEic)Q yäkaöov {iexu 8' EvxXEiovg n£cpvA.cc1-o, wo er der Con-
jectur von Jacobs: d%Q£icog yilaöoi' {is ' xd d', el y£ xXvEig, TiEtpv-
A«£o, eine eben so scharfsinnige an die Seite stellt : yslccöov ' [i£xd
ö' ev nyjcovg TtEcpvXa^o. Ferner wird Theoer. XXV, 72, wo ge-
wöhnlich gelesen wird : xov öl yEgovxa 'ji%QEiag xXk^ovxb tie-
QiGOaLvöv y eteqco&ev, die Reiskische Emendation: d%Q£icog
xlätpv %e jieqCoöcuvov 0' eteqcj&ev, durch die Erklärung sehr
plausibel begründet , dass xlä£ov xe als ölcc {ieGov gesetzt zu
betrachten sey.
Ref. schliesst mit der Bitte, uns recht bald mit der Fort-
Uebcr &s<ov iv yovvaöi »cirat. 221
setzung dieser Forschungen zu erfreuen , und benutzt die Ge-
legenheit, in solcher ehrenvoller Nachbarschaft ebenfalls eine
kurze Untersuchung mitzutheilcn:
Ueber frscov Iv yovvaöi xsitai.
Die nächste Veranlassung zu näherer Untersuchung dieser
sprüch wörtlich gewordenen Formel gab mir die von Nitzsch in
seinen sonst sehr schätzbaren erklärenden Anmerkungen zur
Odyssee gegebene Erklärung, die ich wörtlich voranstelle. Es
heisst hier zu I, 267: akX' y\xoi [i\v xavxa ftscov ev yovvaöi, xei-
xul. „Auf alle Fälle soll hiermit gesagt werden, dass der Mensch
mit seinem Willen, seiner Kraft, seinem Wunsche dabey nichts
vermöge. Desshalb können wir die Ilerleitung des Ausdrucks
vom Knieumfassen , oder dem Gebrauch , die Gaben den Göt-
tern auf das Knie zu legen oder zu heften (Heyne ad II. XVII,
514), nicht billigen. Der Gedanke, dabey kann man nichts
thun, als die Götter anflehen, wäre sogar gezwungen ausge-
drückt. Sodann gilt es auch oft die Entscheidung über eine viel-
fache Möglichkeit: Vs.400. Also ziehen wir die Deutung ev dv-
V&uei vor. Die alte Sprache nennt die Knie so bestimmt, als
den Hauptsitz der Körperkraft. II. XIX, 354: Iva \iy\ At^ög yov-
va&' ixoixo. Flesiod. egy. 509: ävatyv^ai (pika yovvaxa. Vergl.
Aristoph. Ran. 345.u Gewiss würde Herr Nitzsch, dessen Werk
von so genauer Kenntniss des Homer zeugt, dieser Erklärung
den Vorzug nicht gegeben haben, wären ihm die bildlichen
Darstellungen, auf welche der Ausdruck unverkennbar hinweist,
gegenwärtig gewesen. Die ältesten Götterbilder waren in der
Regel sitzend dargestellt , und zwar nicht nur die weiblichen,
wieWinckelmann z. Monument, ined. Nr. 50 sagt, sondern auch
die männlichen. Sitzend wurde in der ägyptischen Kunst ge-
wöhnlich die Isis dargestellt, bald mit dein kleinen Orus an
der Brust, bald ohne ihn: man vergl. Winckelm. Monumenti
ined. Nr. 74, Galleria Reale dt Firenze T. I PI. 40. Den
Osiris finden wir ebenfalls sitzend: denn für einen Osiris wird
wohl mit Recht die von Lanzi für eine Isis gehaltene Statue von
dem Herausgeber der Galleria Reale di Firenze Tom. I PI. 48
erklärt. Auf Thronen sitzend fand Tansanias eine Menge Göt-
terbilder aus alten Zeiten. Zu Megalopolis sass Zeus Soter auf
einem Thron, zur Rechten stand die Stadt Megalopolis, zur
Linken üie"Jgxe^ig öcoxeiga. Paus. VIII, 30, 10. InPatrae sass
Jupiter Olympius auf einem Thron, neben ihm stand Athene.
VII, 20, 3. Zu Argos war ein sitzender Aesculap, neben dem Hy-
giea stand. 11,23,4. Viele andere sind bey Quatremere deQuincy
Jupiter Olympien nachzusehen , der in einem eignen Capitel p.
314 — 323 von den Thronen der Götter handelt, und mehrere
abgebildet hat. Von den auf uns gekommenen Antiken erin-
nere ich nur an das dem alten Styl der Kunst angehörige Re-
15*
Programme.
lief in Villa Albani, die Leucothea mit dem jungen Bacchus
auf dem Schoos darstellend (abgebildet bei Winckelm. Gesch.
der Kunst T. III Tab. 3 u. Man, ined. Nr. 56), und an die nach
dem Muster der den Orus säugenden Isis gebildete Juno , mit
dem kleinen Mars an der Brust [Mus. Pio - Clement. T. I Tab. 4).
Besonders aber gehören hieher aus den von Ed. Gerhard zum
erstenmal bekannt gemachten Bildwerken (Tübingen und Stutt-
gardt 1827) Tab.l: Zeus und Here, sitzend, Idole nach dem
rohesten Styl, aus gebrannter Erde, die zu Samos gefunden
wurden , und dem Ritter Sir William Gell in Neapel gehören.
Tab. 2, wo Demeter und Köre auf Thronen sitzen, der kleine
lacchus zu ihren Füssen. Dieselben auf Tab. 3 in 3 verschie-
denen Abbildungen. Einige dieser Bilder haben in der rechten
Hand pateras , welche sie auf dem Knie auflegen, die zu nichts
anderem bestimmt seyn können, als um Gaben zu empfangen.
Die Frage ist nach diesem Allen nur die, ob diese Vorstellun-
gen auch bei Erklärung des Homer geltend gemacht und bis
in seine Zeit hinauf gerückt werden dürfen. Wir finden im Ho-
mer nur einmal ein Götterbild erwähnt. II. VI, 293 bringt
Hecabe, begleitet von den troischen Frauen, der Athene, wel-
che einen Tempel auf der Burg hatte, einen Peplos als Weih-
geschenk, und diesen legt ihr die Priesterin auf die Knie. Vs.
302: ri d' aga ittnXov kkovöu ©sava Tiallmäg^og drjxsv 'A&rj-
valr\q enl yovvccöiv ^VKOfioio. Phidias bildete bekanntlich
den Kopf, besonders den Blick seines Jupiter Olympius nach
der erhabenen Schilderung Homer's. Derselbe Jupiter war
sitzend. Würde ihn wohl der Künstler so gebildet haben,
hätte er sich nicht diese Stellung als die der homerischen Idee
angemessene, ja als die einzige zu solch gewaltigem Herrscher-
blick passende gedacht? Halten wir diese bildliche Darstel-
lung der Götter fest, und verbinden damit das, was Plin. H. N.
XI cap. 45 segm. 103 von der heiligen Bedeutung der Knie in
der alten Welt sagt: hominis genibus quaedam et religio inest,
observatione gentium: haec supplices attingunt: ad haec ma-
nus tendunt: haec ut aras adorant, so ist man, wie es mir
scheint, genöthigt, das %i.av Iv yovvaöi xtitai auch hieher
zu ziehen. Die Knie der Götter, auf denen der Andächtige seine
Gaben niederlegte, die er, flehend um Schutz und Beistand,
umfasste, wurden als der Sitz der Gnade betrachtet: von hier
aus hatte der unmächtige Mensch die Entscheidung seines
Schicksals zu erwarten. Aus dieser Idee entstand später die
Sitte, die Votiv- Tafeln an die Knie der Götter zu kleben. Da-
lier sagt Juvenal. Sat. X , 54 :
Ergo supervacua haec mit perniciosa petuntur,
Propter quae fas est genua incerare Deorum.
wo Ruperti zu vergl. Luciau im Philopseudes: noKXol, i\ d' og,
%X£lVtO oßolol 31QOS XOIV TtOÖOLV CCVTOV , XCil äKKa VO(li6(iaTCi
Ueber &Hav tv yovvaat untern. 223
Ivia äoyvQä rtQog xbv ^tjqov xtjQayiEXoXXrjfisvcc, aal
Ttttccka ti; ccQyvgov £v%at nvog, i] [iiöftog inl tfj idöu, onööoc
cV avxbv STtavöavto tivqstcö 1%6^vol Wenn Rutgersius Vor.
Lectt. Lib.V Cap. V und Duportus Homer. Gnomologia p. 08
den Ausdruck &eäv Iv y. %■ aus dieser Sitte entstanden glau-
ben, so fehlen sie zwar darin, dass sie eine spätere Sitte in
die homerische Zeit hinaufsetzen, aber den Zusammenhang der
dieser Sitte zu Grunde liegenden Idee mit der homerischen sa-
hen diese des Alterthums kundigen Männer doch richtig ein.
So viel möge genügen , nicht um eine neue Erklärung auf-
zustellen, sondern nur um die alte fester zu begründen und ge-
feit eine zwar ebenfalls alte, aber mehr nach hebräischem*),
als nach homerischem Alterthum riechende Erklärung zu ver-
th einigen.
Dr. Christian Walz, aus Tübingen.
Kürzere Anzeigen.
Corpus Script orum Historiae B yzantinae. Editio
emendatior et copiosior, consilio B. G. Niebuhrii C. F. instituta,
opera Eiusdem Niebuhrii, Imm. Bekkeri, L. Schopeni, G. Din-
dorfii aliorumque Philologorum parata. — Pars III. Agathias. —
Bonnae, Inipensis Ed. Webcri. MDCCCXXVIII.
Und mit dem besondern Titel:
A gathiae Myrinaei Historiarum libri quinque
cum versione latina et annotationibus Bon. Vulcanii. B. G. Nie-
buhrius C. F. Graeca recensuifc. Accedunt Agathiae Epigrammata.
Bonnae, Impensis Ed. Weberi. MDCCCXXVUI. XXXYU und 420 S.
gr. 8.
JCiin erhebendes Geschäft ist es uns , das gelehrte Publicum
auf die Erscheinung eines Werkes aufmerksam zu machen, das
unter den vielen litterärischen Erzeugnissen unserer Zeit glän-
*) Dass yovv und yovara allgemein, ohne jedesmalige be-
stimmte Rücksicht auf die Knie, für den Begriff der Kraft, Macht,
der hier erfordert wird, gebraucht werde, ist durch die beigebrach-
ten Stellen nicht erwiesen. Aristoph. Ran.345: yövv nällizca ytQOvrcov,
ist doch das Knie ohne alle weitere Bedeutung zu verstehen : und 11.
\I\: Iva [IT/ lifibs yovva&' i'noizo, ist wohl an nichts als an den natürli-
chen Zusammenhang eines leeren Magens mit wankenden Knieen ge-
dacht.
224 Kürzere Anzeigen.
zend hervortritt. Denn Mährend Schriften des klassischen Al-
terthums in unzähligen Abdrücken, ohne dass die Wissenschaf-
ten im Mindesten gefördert werden, wieder erscheinen: so
tritt hier ein Werk hervor, das trotz seiner hohen Wichtig-
keit für Philologie und Geschichte dennoch bis jetzt als ein un-
zugänglicher Schatz fast ganz verborgen lag. Es ist bekannt,
dass bisher von den gesammten Byzantinischen Schriftstellern
nur zwei Ausgaben, die Pariser, die in den Jahren 1(147 bis
1711 erschien, und die Venezianische, die 1729 — 1733 her-
auskam, vorhanden gewesen sind. Beide waren wegen ihrer
grossen Seltenheit fast bloss das Eigenthum grosser Bibliothe-
ken Europa' s und konnten daher nur von wenigen Gelehrten be-
nutzt werden. Schon aus diesem Grunde musste eine neueAus-
gabe dieser Schriftsteller im höchsten Grade wünschenswerth
seyn, da zumal die erste jener Ausgaben theils unvollständig
theils sehr incorrect und die andere, welche grössten-
theils aus der erstem abgedruckt wurde, durch eine Masse den
Sinn störender Fehler auffallend entstellt war. Ja wir behaup-
ten, dass ein blosser correcter Abdruck jener Schriftsteller
aus den vorhandenen Ausgaben einem allgemeinen Bedürfnisse
abgeholfen haben würde. Denn wenn schon nicht zu läugnen
ist, dass die meisten jener Schriftsteller mehr wegen der Sa-
chen, die sie uns erzählen, als wegen der Sprache, der sie
sich bedienen, gelesen zu werden verdienen: so ist doch auch
soviel gewiss , dass zu einer umfassenden Kenntniss einer Spra-
che die Bekanntschaft mit allen Schriftstellern , die in dersel-
ben geschrieben haben , vom aller ältesten bis zum spätesten
unumgänglich nothwendig ist. Wir könnten diese Nothwen-
digkeit ausführlicher auseinandersetzen, wenn wir nicht be-
fürchten müssten, über eine Sache zu sprechen, die jedem Le-
ser dieser Jahrbücher hinlänglich bekannt seyn wird. Mag es
also immer reizender und bezaubernder seyn, sich mit den klas-
sischen Werken der alten Griechen zu beschäftigen ; so darf
doch derjenige auch die Byzantinischen Schriftsteller nicht un-
gelesen lassen, dem an einer gründlichen und umfassenden
Kenntniss der griechischen Sprache gelegen ist. Ganz unent-
behrlich aber sind natürlich diese Schriftsteller jedem Ge-
schichtsforscher, der sich nicht begnügt das blindlings nach-
zusagen, was Andere vor ihm aus den Werken der Vorzeit
flüchtig ausgeschrieben haben, sondern mit emsiger Sorgfalt
unmittelbar aus den Quellen seine Data zu schöpfen bemüht ist.
Diese mussten ein grosses Bedürfniss befriedigt sehen, wenn
ihnen ein correcter Abdruck der Byzantin. Schriftsteller in die
Hände gegeben wurde.
Wie viel mehr müssen sie und mit ihnen alle Freunde der
Philologie auf das Erfreulichste überrascht werden, wenn sie
sehen , dass eine neue Ausgabe jener Schriftsteller unter der
Agathiae historiarum libb. V. Rec. Niebuhr. 225
Leitung des Geheimen Staatsrath Niebuhr erscheint, und auf
eine Weise besorgt wird, dass sie hinsichtlich ihres inaern und
äussern Werthes stets unübertroffen bleiben muss. Je überfiü-
ssiger es ist, das gelehrte Publicum darauf aufmerksam zu
machen , wie ein Unternehmen , das von jenem Manne gelei-
tet wird, trefflich hinausgeführt werden müsse; um so weniger
können wir uns enthalten, den überaus edlen und uneigennützi-
gen Sinn zu rühmen und Andern zur Nachahmung zu empfeh-
leu, mit welchem der Anordner dieser neuen Ausgabe sich von
den anziehendsten Arbeiten losriss und mit den drückendsten
und beschwerlichsten Geschäften überhäufte, um seinen Zeit-
genossen und der Nachwelt einen lange verborgenen Schatz
ohne irgend einen Gewinn für sich zugänglich und nutzbar zu
machen. Freilich hätte er sich die Arbeit sehr vereinfachen
können, wenn er, wie es so viele der heutigen Gelehrten ma-
chen, mit den ihm gerade zu Gebote stehenden Hülfsmitteln
zufrieden gewesen wäre , und sich begnügt hätte, mit blosser
Zuziehung der vorhandenen Ausgaben einen ziemlich lesbaren
Text zu geben. Allein mit welchem Zeitaufwand und mit wel-
chem Eifer er dafür gesorgt hat und unausgesetzt sorgt, dass
alle in den Bibliotheken Europa' s verborgen und zerstreut lie-
genden Schätze für die Verbesserung jedes einzelnen Byz.
Schriftstellers benutzt werden, davon zeugen die Berichte, wel-
che nach und nach über den Fortgang dieses ruhmvollen Unter-
nehmens ausgegeben worden sind. Doch müssen wir bekennen,
dass diese Bemühungen nimmermehr mit einem so glücklichen
Erfolg gekrönt worden seyn würden, wenn sie nicht von einem
Manne ausgegangen waren, dem wetteifernd jeder Gebildete Eu-
ropa's gefällig zu seyn sich zur Ehre und zum Ruhme anrech-
net. Auf diese Weise ist es dahin gekommen, dass für jeden
Schriftsteller fast alle nur vorhandenen Hülfsmittel, aus denen
seine Verbesserung möglich ist , sich in den Händen der Bear-
beiter befinden. Da nun die kritische Gestaltung der einzelnen
Schrr. theils vom Anordner des ganzen Unternehmens selbst,
theils von den ausgezeichnetsten Gelehrten Deutschlands über-
nommen worden ist; so ergiebt sich von selbst, dass wir in die-
ser neuen Ausgabe einen Text erhalten müssen, der durch keine
neue Ausgabe jemals erheblich verbessert erscheinen kann.
Allein nicht minder wird auch diese neue Ausgabe hinsicht-
lich ihres Aeusseren , des Druckes und des Papieres , stets un-
übertroffen bleiben. Zwar trifft dieses Lob zunächst den Ver-
leger, Hrn. Ed. Weber, einen Mann, dessen edles und unei-
gennütziges Bestreben, jeder Anforderung in dieser Hinsicht
vollkommen Gnüge zu leisten , allgemein bekannt ist. Allein
diesem Werke , das weder einen schnellen noch ausgebreiteten
Absatz erwarten liess , würde Hr. Weber, ohne sich selbst
ins grösste Unglück zu stürzen, nimmermehr eine so pracht
226 Kürzere Anzeigen.
volle Ausstattung haben geben können, wenn er sich nicht der
höhern Unterstützung des K. Ministeriums der geistlichen Ange-
legenheiten und des öffentlichen Unterrichts in Berlin hätte er-
freuen dürfen. Es ist bekannt, was dieses preisswürdige Mi-
nisterium gethan hat, um dem Verleger einen umfänglichen Ab-
satz zu gewähren. Nicht unerwähnt können wir hier eine neue
Gnadenerzeigung desselben K. Ministeriums lassen , die eben-
falls das glückliche Gedeihen dieses Unternehmens beabsich-
tigt, und darin besteht, dass es fünf Prämien halbjährig für
Studirende in Bonn ausgesetzt hat, welche sich als Correctoren
bei der Herausgabe der Byz. Schriftsteller besonders auszeich-
nen werden. Glücklich in der That ist das Land zu preissen,
dessen erhabener Fürst nicht aufhört das Gedeihen der Künste
und Wissenschaften auf die ruhmvollste Weise zu befördern.
Einen Beleg für die Wahrheit unseres Urtheils, das wir im
Allgemeinen von der neuen Ausgabe der Byz. Schriftsteller aus-
gesprochen haben, giebt nun der erste Band, den Agathias ent-
haltend, über dessen Beschaffenheit wir die Leser noch genauer
in Kenntniss zu setzen haben. Was das Aeussere anlangt, so
kennen wir keine in Deutschland erschienene Ausgabe irgend
eines alten Schriftstellers, deren Papier und Druck ausgezeich-
neter wäre, als beides in dieser Ausgabe des Agathias anzu-
treffen ist. Denn obgleich der Verleger den Subscribenten nur
das Versprechen gegeben hatte , den Druck nach dem Kühn-
schen Galenus einzurichten; so steht doch jene Ausgabe der
Mediciner in beiden Puncten dieser des Agathias weit nach:
ein Beweis von der Uneigennützigkeit des Hrn. Weber, wie
wir sie bei andern Buchhändlern fast nirgends finden. Ein aus-
gezeichnetes Lob verdienen ferner diejenigen , welche die Cor-
rectur der einzelnen Bogen übernommen haben. Denn wenn
wir auch dem Buche keine völlige Fehlerlosigkeit zuschreiben
können; so ist doch die Zahl der Fehler so gering, und ihre
Beschaffenheit so wenig störend, dass sie bei der übrigen Mu-
sterhaftigkeit der Correctur kaum in Betracht kommen. Wir
haben ausser den wenigen, die in den Addendis et Corrigen-
dis angezeigt worden sind , keine gefunden, mit Ausnahme sol-
cber, wo etwa ein Accent ausgefallen oder das u und n ver-
kehrt gesetzt worden sind. An solchen Geringfügigkeiten kann
aber natürlich kein Leser anstossen. Doch wird in den folgen-
den Bänden in dieser Hinsicht noch mehr und zwar etwas Aus-
gezeichnetes geleistet werden, wie die verehrungswürdige Ver-
fügung des preisswürdigen K. Ministeriums in Berlin zuversicht-
lich erwarten lässt.
Höher als alles dieses ist jedoch der innere Werth anzu-
schlagen, den der Agathias durch diese Bearbeitung erhalten
hat. Wie der Titel zeigt, hat der Geheime Staatsrath Hr. Nie-
buhr selbst die Bearbeitung dieses Schriftstellers übernommen,
Agathiac historiarum libb. V. Rec. Niebuhr. 227
wobei er jedoch in einigen Puiicten , die wir nachlier erwähnen
werden, von Hrn. Clas seil, einem ehemaligen Schüler Her-
manns, unterstützt worden ist. In der Vorrede, welche die Sei-
ten VII — XU einnimmt, werden die Ausgaben und Handschrif-
ten erwähnt, die der Herausg. für die Verbesserung des Aga-
thias benutzt hat.
Die erste Ausgahe wurde von Vulcanius in Leiden 1594
besorgt. Die Handschrift, der sich jener Gelehrte bediente,
ist noch jetzt vorhanden und ziert die Leidensche Universitäts-
bibliothek. Da die Setzer der Vulcanischen Ausgabe die Schreib-
art jener Handschrift in vielen Stellen nicht verstanden und
überhaupt ihr Geschäft nicht genau geführt hatten, worüber
Vulcanius selbst in den später erschienenen Bemerkungen zum
Agathias klagt; so hielt Hr. JNiebuhr eine neue und genaue Ver-
gleichung jener Handschr. mit Recht für nöthig und erhielt
sie auch auf sein Bitten von Hrn. Geel. Noch viel werthvoller
und für die Verbesserung des Agathias einflussreicher war aber
die in Breslau befindliche Rehdigersche Handschrift, die Hrn.
Niebuhr nach Bonn zur eignen Vergleichung zugeschickt wurde.
Ebendiese bestätigte eine grosse Anzahl von Verbesserungen,
die Hr. Niebuhr und zum Theil auch Hr. Classen vor ihrem Em-
pfang im Agathias gemacht hatten, und füllte mehrere Lücken
aus, die sich in den bisherigen Ausgaben befanden. Sie ist auf
Kosten Rehdigers um das Jahr 1560 aus einer Italiänischen
Handschrift in Italien abgeschrieben worden, und zwar, wie
Hr. Niebuhr unstreitig mit Recht muthmaasst, aus der Vatica-
nischen, die der lateinische Uebersetzer Persona gebraucht hat.
Wenigstens stimmt die Uebersetzung Persona's meistentheils
mit der Rehdigerschen Handschrift überein, und die Rehdiger-
sche II. mit der Vaticanischen, aus welcher Ang. Mai die Va-
rianten aus dem Anfang des IVten Buches Hrn. Niebuhr mitge-
theilt hat. Sollte einmal diese und etwa noch andere verbor-
gen liegende Handschriften des Agathias verglichen w erden und
die Vergleichung einen kleinen Gewinn geben, was jedoch kaum
zu erwarten ist ; so könnte dieser Gewinn von dem Verleger,
Hrn. Weber, recht leicht den Besitzern dieser Ausgabe in einem
Supplementbande nachträglich geliefert werden. Es ist diess
allerdings auch bei den übrigen Byz. Schriftstellern möglich,
dass trotz der ausgezeichneten Mühe, die sich der Anordner
giebt in Besitz aller Hülfsmittel zu gelangen, dennoch nach be-
endigtem Drucke Quellen entdeckt werden , aus denen die kri-
tische Gestaltung einiger Schriftsteller noch einen kleinen Ge-
winn ziehen kann. Würde diess den Besitzern dieser neuen
Ausgabe nach und nach raitgetheilt, so würde diese Ausgabe
für jeden Leser zu allen Zeiten eine vollkommen genügende
bleiben.
Es war natürlich , dass der Herausgeber bei der Herstel-
228 Kürzere Anzeigen.
lungf des Agathias vorzüglich der Rehdigerschen Handschrift
folgte. Dadurch sind nun unzählige Stellen, die in allen bis-
herigen Ausgaben verdorben waren, völlig hergestellt worden,
so dass selbst die, welche im Besitz früherer Ausgaben dieses
Schriftstellers sind , die Bonner Ausgabe auf keine Weise ent-
behren können.
Von 'S. XIII bis XX ist das Leben des Agathias auseinan-
dergesetzt worden, wobei mehrere Irrthümer, die bis jetzt ob-
walteten, berichtigt und einige treffende Bemerkungen über die
Aussprache und Accentuation der damaligen Griechen gemacht
worden sind. Alles ist zugleich mit Beweisstellen bewiesen
worden, so dass schon dieser Theil eine wahre Zierde des Bu-
ches ist. — Die SS. XXI und XXII nehmen die Urtheile grie-
chischer Schriftsteller und einiger neuern Gelehrten über den
Agathias ein. — S. XXIII und XXIV ist eine Probe von der
lateinischen Uebersetzung des obengenannten Christophorus
Persona aus dem zweiten Buche des Agathias gegeben worden.
So erbärmlich sie auch ist, so hat sie doch von der Seite eini-
gen Werth, dass sie das Original fast wörtlich wiedergiebt. —
S. XXV ist die Dedication aus der Pariser Ausgabe , S. XXVI
— XXVIII der Brief des bereits erwähnten Bonaventura Vulca-
liius, den er seiner Ausgabe vorgesetzt hat, S. XXIX —
XXXIII die sfriechischeu und lateinischen Lobgedichte auf die
Ausgabe des Vulcanius , und S. XXXIV — XXXVII desselben
Vulcan. Dedicatio und Praefatio JNotarum in Agathiam, die erst
später erschienen, abgedruckt worden.
Es folgen nun von S. 1 — 335 die fünf Geschichtsbücher
des Agathias selbst. Von der bedeutend verbesserten Gestalt
des Textes haben wir bereits gesprochen. Es ist daher nur noch
die höchst zweckmässige Einrichtung zu rühmen , dass erstlich
jedem Buche Argumenta vorausgesetzt sind, welche mit der
grössten Kürze den Inhalt desselben angeben und von Hrn.
Classen gemacht worden sind; zweitens sind dem Rande des
Textes durchweg die Seitenzahlen der Pariser und der Venezi-
anischen Ausgabe beigeschrieben und ausserdem noch, wie bei
den Dichtern die Verse , so jede fünfte Zeile numerirt worden.
Wie sehr diese Einrichtung den Gebrauch dieser Ausgabe und
das Nachschlagen von Stellen zum grossen Vortheil der Leser
erleichtere, fällt in die Augen. Auch die Jahreszahlen, auf
welche die einzelnen Erzählungen des Agathias sich beziehen,
sind überall am Hantle angemerkt worden. Unmittelbar unter
dem Text befinden sich die abweichenden Lesarten der Hand-
schriften und Ausgaben , wobei die zweckmässigste Kürze und
Raumersparung nicht genug gerühmt werden kann. Auch ist
in denselben überall auf den Suidas, der, wie bekannt ist, eine
Unzahl von Stellen aus dein Agathias anführt , verwiesen und
seine Abweichung vom Texte erwähnt worden. Unter den Va-
Agatlüac historiarum libb. V. Rec. Niebahr. 229
rianten steht die lateinische Uebersetzung. Zwar hätte es der
Hr. Herausgeber lieber gesehen , wenn sie ganz weggeblieben
wäre; allein er gab in diesem Puncte den Bitten des Verlegers
nach , der Ihre Ilinzufügung für nöthig hielt, wenn die neue
Ausgabe allgemeinen Beifall finden sollte. Und wir stimmen
hierin dem Hrn. Verleger durchaus bei. Denn es ist keine Frage,
dass es noch Aiele Gelehrte nicbt bloss im Auslande sondern
auch in Deutschland selbst giebt, die zwar einige Kenntmss von
der griechischen Sprache haben, aber doch noch nicht soweit
gekommen sind , dass sie einen griechischen Schriftsteller ohne
häufigen Gebrauch des Lexicon lesen und verstehen können.
Diesen ist eine lateinische Uebersetzung, die die Stelle des
Lexicon, der Grammatik, und des Commentars vertritt, von
der grössten Wichtigkeit. Namentlich verlangen sie diese bei
Geschichtsschreibern, deren Leetüre, wenn sie fruchtbar seyn
soll, nicht sehr aufgehalten werden darf. Desshalb sind wir
der festen Ueberzeugmig, dass diese neue Ausgabe der Byz.
Schrr. auch aus dem Grunde keiner Classe von Lesern etwas zu
wünschen übrig lassen w ird , weil den Griech. Schrr. durchaus
eine lat. Uebersetzung beigegeben ward.
Von S. 336 — 35ß folgen die Notae B. Vulcanii in Aga-
thiae Historias, welche theils kritischen theils exegetischen In-
halts sind und manche gute Bemerkung enthalten. — Nach die-
sen haben die Epigramme des Agathias ihren Platz gefunden
und hinter ihnen die metrische Uebersetzung einiger derselben
ins Lateinische von Jos. Scaliger, J. Dousa, und B. Vulcanius.
Den Beschluss des Buches machen drei musterhafte Indi-
ces, die Hrn. Classen zum Verfasser haben: 1) Index S er i-
ptorum, qui in Agathiae Historiis citantur, S.399; 2) Index He-
rum et Nominum in Ag. Historiis memorabilium, S. 400 — 408;
und endlich 3) Index Graecitatis in Ag Alistor ins, S. 409 — 419.
Nur zum zweiten hat der Hr. Herausg. einige Zusätze gegeben.
So wie der zweite den Freunden der Geschichte eine höchst
willkommene Zugabe ist, so hat der dritte für die Philologen
einen grossen Werth. Und in diesem vorzüglich hat Hr. Clas-
sen eine ausgezeichnete Probe seiner umfassenden Kenntniss in
der griechischen Sprache gegeben , in wie fern er auf die Ei-
gentümlichkeiten der Schreibart des Agathias und auf seine
Nachahmung des Homers und des Thucydides nimmermehr
hätte aufmerksam machen können, wenn ihm nicht der Sprach-
gebrauch der übrigen griechischen Schriftsteller bekannt ge-
wesen wäre.
Aus der ganzen Beschaffenheit des angezeigten Buches geht
nun ohne unsere besondere Erklärung unwiderleglich hervor,
dass die Art und Weise, wie der Agathias bearbeitet worden
ist, in jeder Hinsicht musterhaft zu nennen ist. Da nun die
übrigen Schriftsteller alle auf gleiche Weise bearbeitet erschei-
230 Kürzere Anzeigen.
nen sollen ; so wird unser oben ausgesprochenes Urtheil voll-
kommen bestätigt, dass diese neue Ausgabe der Byz. Schrift-
steller als ein glänzendes Werk unter den litterärischen Erzeug-
nissen unserer Zeit hervortritt. Wir schliessen diese Anzeige
mit dem innigen Wunsche , dass die Vorsehung dem Anordner
Gesundheit und Kraft schenken möge, das begonnene Werk zur
Ehre und zum Ruhme des deutschen Volkes ungestört ausfüh-
ren zu können.
Eduard Wunder.
M. T. Ciceronis Cato Maior seu de Senectute. Zum
Gebrauch für Schulen neu durchgesehen und mit den nothwendig-
stenWort- und Sacherklärungen ausgestattet von Dr. Ludwig Julius
Billerbeck. Hannover, im Verlage der Hahnschen Buchhandlung.
80 S. gr. 8. 6 Gr.
M. T. Cicero?iis Laelius sive de Amicitia dialo-
gus ad T. Pomponium Atticum. Zum Gehrauch für Schulen
neu besorgt und uiit Deutschen Wort- und Sacherklärungen ver-
sehen von Dr. Ludwig Julius Billerbeck. Hannover , in der Hahn-
schen Hofbuchhandlung. 1826. 118 S. gr. 8. 6 Gr.
Diese Ausgaben sind für solche Schulen bestimmt, in wel-
chen diese Schriften Cicero's mit den Anfängern in der Latei-
nischen Sprache gelesen werden. Diesen wird also in den No-
ten gesagt, dass quaesisse für quaesivisse von quaero, adjuro
für adjuvero, levasso für levavero stehe, dass sessum das Su-
pinum von sedeo sei; ferner wird ihnen über quin nach non
dubito, über den Genitiv bei verdammen, den Dativ bei persua-
dere, den Ablativ bei carere, bei ponere , bei opus est, bei
fungor, und in allen ähnlichen Fällen jedesmal der Paragraph
in der Grotefendischen Grammatik genau citirt; jedes quibus
für his enim, jedes isque in der Bedeutung von: und zwar, ist
erläutert und nachgewiesen. Mit diesen grammatischen Bemer-
kungen wechseln Worterklärungen. Diese sind in folgender
Art abgefasst. Cato Maior Seite 61) (§ VA) : ,Jta fit f. inde se-
quitur , hieraus folgt , hinc efficitur. — reliquum anstatt eines
Substantivs, der kurze Rest, breves reliquiae. — deserendum,
aufzugeben brauchen. Ein Bild von denen hergenommen, die
ihren Posten verlassen. — praesidio, von seiner Stelle bei ei-
ner Bedeckung, Convoi, Escorte, Besatzung, also f. von sei-
nem Posten. — statione, Standpunct, Standort, Schildwache,
Wache, Wacht -Picketposten, Wächtstand." — S. 34: „lectu-
lus, das Ruhebette, Sopha, Canapee, worauf die Alten studir-
ten, lasen, schrieben." — S. 48: „minor um avium , ozqov&cc-
ptW, 6tqov%g>v [iMQäv, Sperlinge, S patze , Ammern etc.u
— S. 56: „diligentiam , Accuratesse, sorgsamen, geschmack-
Ciceronis Cato Maior. Herausgeg. von ßülerbeck 231
vollen Fleiss im Gegensatz von blosser körperlicher Anstren-
gung, labor, industria, assiduitas, deren Begriffe wieder unter
einander schatllrt sind." — S. 59 : „salutari, dass einem Alten
der Art von Geringeren des Morgens um die erste und zweite
Komische Stunde die Cour gemacht wird." S.25: ^provecta est^
increvit, aucta est, progressus fecit, Fortschritte machte." S. 8:
„a/vwa, Brustwehr, Schild, Schutzmittel, praesidia." S. 12: ^ser-
?«o, Unterhaltung, praecepta, Rathscliläge." Hierzu kommen
Sacherklärungen, grösstentheils umständlich und erschöpfend,
in welchen sowohl die erwähnten Sachen und Personen, als auch
der Sinn und Zusammenhang fleissig erklärt werden. Z. B. S.
13: „Gorgias, der Chef der Sophisten zur Zeit des Socrates."
S. 30: „'2'. Pontii. Er wird auch de Finn. 1,3, sonst aber nir-
gends erwähnt. Zu Centurionen suchte man nach Vegetius 2,
14 die geschlankesten und stärksten Männer aus." — S. 46 :
„Dass Cicero in diesem Discours sich so weitläuftig und ganz
vorzüglich über die Vergnügungen des Landmanns auslässt, hat
seinen Grund in dessen eigner Vorliebe für das Landleben (S.
de Offic. I, 42), in Cato's Lieblingsneigung, und im eigentlichen
Leben des grossen Römers , im Leben des Landcavaliers (ru-
stici), in der gepriesenen rusticatio , rusticitas antiqua." — S.
60 : „ludis erg. Panathenaicis. Dieses Fest oder diese festlichen
Schauspiele bestanden im Pferderennen, im Certiren der Krie-
ger, Dichter, Musiker etc." Ferner sind häufig Urtheile über
die richtige Lesart vorgetragen. Z. B. S. 3: „digne hinter lau-
dari ist aus Gründen, von den Handschriften entlehnt, und we-
gen des in satis liegenden Begriffs gestrichen." — S. 4: „ß se
ipsis ist die richtigere Lesart (S. Gernhard ad Offic. I, 38,
137.), wofür Andere a se ipsi petunt, einer der Codd. Manut.
aber nach Wetzet nicht schlecht in se ipsis ponünt liest." —
S. 19: „Provehebantur , es fuhren auf den Staat ein, drängten
ans Staatsruder sich ; welches Verbum die wilde Wuth der
hochmüthigen Jünglinge trefflich schildert. Die Vulgata pro-
veniebant oratores novi, es traten neue Redner auf, musste
schon desshalb weichen, weil sie für das Metrum zwei Silben
zu viel hat." — [Waimm benutzte der Herausgeber nicht, was
Prof. Hermann in der Leipziger Lit. Zeit. Jahrg. 1819 No.
122 vorgetragen hat? — ] S. 16: „kaec nicht hanc, weil man
nicht inj diesem Sinne sagt , agere orationem , harangiren.^ —
S. 60: „Lacedaemone , zu Lacedämon, nicht Lacedaemonem,
denn dies hiesse: Lacedämon sei nichts als ein Wohnsitz des
Alters, wie Capua der Wohnsitz des Uebermuths und der Uep-
pigkeit genannt wird. Der Sinn ist dagegen: zu Lacedämon
wurde das Alter am meisten geehrt. Läse man mit Lambin
senectuti, so gäbe das wieder denverkehrten Sinn: das Alter
habe zu Lacedämon in einem bestimmten Hause seinen Aufent-
halt gefunden." — Auch Conjecturen werden dargeboten;
Kürzere Anzeigen.
z. B. S. 17: „ut si qui ist die richtigere Lesart für similesque
sunt üs, qui, weil sie die schwerere und ungewöhnlichere ist,
und Cicero sich derselben Wendung Offic. I, 25, 87 und an
mehr. St. bedient. Vielleicht läse man noch richtiger similiter-
que faciunt, 6p,Oiov <og sl." — S. 57: „et nitorem corporis be-
deutet dasselbe mit ornatumque , fehlt in den Handschriften
und in Gaza's Uebersetzung und ist desshalb eingeklammert.
Wenn allenfalls nidorem gelesen wäre, so passte dies sehr
gut zu den Wohlgerüchen, von welchen die Persischen Edlen,
wie überhaupt die Orientalen noch jetzt, so grosse Liebhaber
waren." — Mit gelehrien Citaten sind die Anmerkungen über-
all ausserordentlich reich ausgestattet. Bei den Stellen aus
Homer wird auch gewöhnlich die Uebersetzung beigefügt, bei
andern aber nicht. Zuweilen werden dieselben Citate auch
wiederholt, z. B. S. 16; und auch in der Note zu bovern vivum,
§ 33, verglichen mit der Note zu Milonis im 27sten §.
Als Beispiele von nachlässiger Abfassung können wohl fol-
gende gelten: S. 44 steht: „Turpione Amb. L. Turpio Ambi-
vius ein berühmter, mit Roscius de oratt. c. 20 gepriesener,
Schauspieler (actor scenicus) , zu den Zeiten des Terenz, in
dessen Stücken er sich auszeichnete." Ist kaum zu verstehen.
Und wo wird der Schüler wohl jenes Citat suchen 1 — Eben-
daselbst: „secum esse, sich selbst angehören, se et suam meu-
tern curare, neglectis inanibus studiis et voluptatibus populi.
Graevius. Also einerlei mit secum habitare." — Als ob secum
habitare in der klassischen Prosa gebräuchlich wäre. — S. 45:
„Scipionis erg. Nasicae , der 591 a. u. c. Consul und (»03 , tff o
dieser Discours gehalten ist, Oberpriester und schon ein Greis
war.u Vergl. S. 3, wo gesagt wird, dieser Discours falle in
das Jahr 604. — S. 41 steht: „Siehe Cornel.Nep. im Cato c.l,
Brutus c. 15, 6. Livius 29, 14." Wird der Schüler wohl an
Cicero's Brutus denken*? — S.18: „denuntio. Denn Cato pflegte
im Senate seine Reden stets mit den Worten zu beginnen: Ego
vero censeo , Carthaginem esse delendam. S. Vell. Patercul. II
c. 13. Plutarch. in Cato's vita c. 27. Livius Epitome 49. Florus
II, 15, 4." — ImVelleius ist es nicht lib. II sondern lib. I. Und
statt beginnen muss bekanntlich endigen stehen. Plutarch sagt:
7iQogE7ttq)G}V£Zv und Florus: profiuntiabat , in demselben Sinne.
— S. 21 (bei § 23) hätte Simonides nicht als Philosoph , son-
dern als Dichter aufgeführt werden sollen. — S. 23 : „odiosum
bedeutet lästig, unangenehm, injucundum , und ist folglich
nicht einerlei mit ab iis sperni, a quibus sis coli solitus, was
c. 3, 7 vorkam." — Hier musste wohl „nicht'"'' wegbleiben. —
S. 24 : „discebant fidibus , wobei canere ausgelassen ist. Der
berühmte Saitenspieler, ivobei Socrates das Saitenspiel erlernte,
hiess Connus. S. Epist. 9 , 22. Plato im Menexenus." — Wa-
rum nicht die Stelle im Menexenus näher bezeichnet? Und
Ciceronis Cato Maior. Herausgegeben von Billerlieck. 233
welche Kpistolas wird der Schüler nachschlagen*? — Herr
Gernhard Avird wohl die Schuld auf sich nehmen. Denn auch
bei ihm fehlen die Worte : Cic. ad Famil. — S. 16 : „cum Pyr-
rho. Im J. Roms 471 schickte Pyrrhus den Cinneas nach Rom,
um über den Frieden zu unterhandeln. Cicero machte den Se-
nat" u. s. w. Soll heissen : Cinneas machte u. s. w. — S. 21
ist die Bedeutung von studiorum agitatio durch Stellen aus Se-
neca und Valerius Maximus erläutert; anderwärts werden auch
Dichterstellen zu gleichem Zwecke gebraucht. — S. 20 steht:
„sepulcra legem, inscriptiones sepulcrorum. Kamm lectio vul-
go videbatur officere memoriae. Das [Was*?] that Cato bei An-
fertigung seiner Origines.Vergl. c. 2. [Dort steht gar nichts hier-
von.] Ueber diesen [Welchen4?] Aberglauben s. de Fiuibb. 5, 1,
3. Plautus im Trucul. 1,2, G2.u ■ — Diese letztern Citate sind
aus dem reichlich benutzten Ger nha rds eben Commentare.
Dieser Gelehrte sagt aber: „Kodem pertinere videtur vetus pro-
verbium, quod Cicero adbibet ;" und: „Nescio an huc pertineat
Plauti locus." Daraus macht unser Herausgeber: Ueber diesen
Aberglauben siehe etc.
Oft stehen auch blosse Citate, ohne Andeutung, wozu sie
dienen sollen. Z. B. S. 29 : „non clientes. Siehe Gellius V,
13. VII, 3. Plutarch in seinem Leben c. 11. Cicero de Offic. I,
11, 33." — Aufschluss giebt, wie gewöhnlich, Gernhards
Note.
Ganz in gleicher Manier ist der Laelius bearbeitet. Zu
wünschen bleibt also mehr Methode, mehr Geschmack und
mehr Sorgfalt. Dann werden dergleichen Arbeiten in ihrem
bezeichneten Kreise nicht ohne Nutzen sein.
Cöslin. Müller.
P. Papinii Statu libri quinque Silvarum. Ex vetustis
cxemplai'ibus reecnsuit et notas atque emendationes adjeeit Jer. Mar-
klandus , Collegii Sti Petri Cantabrig. socius. Editiu auetior indi-
eibusque instrueta. Dresdae, lihraria Wagneriana. 1827. XXXI u,
433 S. gr. 4. carton. auf Druckvelinpapier 4 Thlr. 18 Gr. , auf
Schreibvelinpapicr 0 Tblr. 12 Gr.
Referent gehört zwar nicht zu denjenigen, die sich im All-
gemeinen über unveränderte Abdrücke alter Ausgaben unbe-
dingt freuen, sondern macht auch bei Wiederdrucken der
ausgezeichnetsten Werke der vergangenen Zeit immer die Ein-
wendung, dass in ihnen vieles steht, was Mir nothwendig bes-
ser wissen müssen und dessenFortpflanzung also im günstigsten
Falle wenigstens unnütz ist. Ja er muss es sogar höchst ta-
delnswerth finden, dass jetzt die Sitte so sehr überhand genom-
234 Kürzere Anzeigen.
men hat , alle mögliche alte Schriften, wenn sie sich nur eini-
germaassen über Mittelmässigkeit erheben, wieder abzudruk-
ken. Jedoch mag er solche Abdrücke nicht ohne Ausnahme
verwerfen ; vielmehr hält er sie in einzelnen Fällen für höchst
verdienstlich , nämlich dann , wenn sie von Werken veranstal-
tet werden , welche für unsern Gebrauch noch sehr nöthig und
fastunentbebrlich, dabei aberschwer zugänglich sind. Beides ist
beiMarkland's 1728 zu London erschienener Ausgabe derSilven
des Statius in vorzüglichem Grade der Fall. Sie ist so selten, dass
nur wenig Philologen sie benutzen konnten, und gehört doch um
so mehr zu den nothwendigen Büchern derselben, je mehr sie an
und für sich zu den ausgezeichnetsten Erscheinungen der da-
maligen Philologie zu zählen und überdiess bis jetzt noch für
die jüngste kritische Ausgabe dieser Gedichte anzusehen ist. Denn
die von Hand angefangene Bearbeitung des Statius, in welcher
Markland's Noten auch vollständig abgedruckt werden sollten,
scheint nicht über den ersten Band hinausgehen sondern immer
ein Fragment bleiben zu wollen. Sonst aber kennen wir nur
noch Eine neue kritische Ausgabe, nämlich: P.Pap. Stallt 11-
bri quinque Silvarum cum vartetate lectionum et selectts Mar-
klandi aliorumque notts , qulbus suas addlderunt J. A. Amar et
JV. E. Lemaire. Paris, 1825. II Voll. 8. Was dieselbe, die
übrigens schon ihres enormen Preises wegen in Deutschland we-
nig Eingang linden wird, für die Silven leiste, wissen wir zwar
nicht; gestehen aber, dass wir wenig von ihr erwarten, weil
es uns noch in zu frischem Andenken ist, wie sehr Amar in den
ersten beiden Bänden der Ausgabe des Ovidius die Noten von
Heinsius , Burmann und Lennep verhunzt und wie wenig auch
Lemaire in dem In Bande desselben Buchs einen richtigen
Tact im Auswählen derselben bewährt hat. Jedenfalls aber
wird durch sie Markland's Ausgabe schon desshalb nicht ent-
behrlich gemacht , weil sie deren Noten nur theilweise wie-
dergiebt. Darum hat hoffentlich die Wagner'sche Buchhand-
lung der gelehrten Welt keinen unangenehmen Dienst erwiesen,
dass sie sich zum Abdruck derselben entschloss, und diess zu-
gleich auf eine solche Weise that, dass sie dabei den Rath ei-
nes wohlbekannten Philologen, des Hrn. M. Julius Sil 1 ig,
benutzte und diesem die Besorgung des Buchs übertrug.
Was nun aber diesen Abdruck selbst anlangt, so ist derselbe
treu und vollständig. Denn er giebt die ganze Originalausgabe
fast ohne Weglassung eines Buchstabens wieder und hat auch
die ursprüngliche Einrichtung derselben bewahrt. Der Text
ist der unveränderte Markland'sche , ausser dass die Lesarten,
welche dieser Gelehrte amEnde des Buchs in derFairago vari-
arum lectionum als in den Text aufzunehmende zusammenge-
stellt hatte, hier wirklich aufgenommen und die alten Lesarten
dieser Stellen in [] und mit beigefügtem ED. ])R. (Edltor Dr es-
Statu Ubri quinque Silvaruin. Reccns. Markland : 235
densis) unter den Text gesetzt worden sind. Hinter dem Texte
folgen Markland's Noten mit genauer Angabe der Seitenzahlen
der Originalausgabe. Auch hier sind die Addenda et Mutanda
gleich gehörigen Orts eingeschaltet und ebenfalls durch [] und
ein KD. DR. unterschieden worden. Nur ein einziges zu I, 4,
HS gehöriges Addendum, eine tqIttj (pQOVtlg Markland's, ist am
Ende stellen geblieben, weil es anfangs übersehen worden war.
Der Herausgeber ist hierbei so genau, dass er in den Stellen,
wo Markland in den Addendis Worte der Noten streichen hiess,
weil er sie an dem letztern Orte verbessert hatte, diese Ver-
besserung zwar einschaltet , aber doch auch die für falsch erklär-
ten Worte beibehält. Selbst das kurze Vorwort, welches den
Addendis und der Farrago vorausgeht, ist nicht weggeblieben,
sondern in der Vorrede des Herausgebers aufgenommen. Ver-
bessert sind aber die Druckfehler des Originals bis auf einige
wenige, welche anfangs übersehen und dann in der Vorrede an-
gezeigt worden sind. Neue Druckfehler haben wir , ausser ein
paar ganz unbedeutenden^ nicht gefunden. Endlich steht auch
die äussere Ausstattung dem Original wenig oder nicht nach.
Das Papier ist weiss und dicht und namentlich das Schreibvelin
sehr schön; die nach Englischer Manier geschnittenen Lettern
sind scharf und geschmackvoll ; der Druck selbst ist rein und
deutlich , ja nach unserer Ueberzeugung geschmackvoller als
im Original.
Sind demnach alle Forderungen des Abdrucks vollkommen
erfüllt, so ist das Buch auch noch durch zwei Beilagen berei-
chert worden, welche man für eine vorzügliche Zierde dessel-
ben ansehen wird. Zuerst nämlich ist hinter Markland's Indes
auetot um ein von dem Herausgeber angefertigter, sehr sorg-
fältiger und reichhaltiger Index rerinn et verborum in notas
Marklandi beigegeben, der um so verdienstlicher ist, je schmerz-
licher man ihn in der Originalausgabe vermisst. Zweitens ist
in der Vorrede S. XXI— XXX [nicht XXXIII, wie durch ei-
nen Druckfehler steht] eine vollständige Collation der Rhedi-
gerischen Handschrift der Silven in Breslau mitgetheilt , m ei-
che der Herausg. durch den Prof. Passow erhielt, und wel-
che treifliche Ausbeute liefert. Sie ist die besste aller bis jetzt
bekannten Handschriften dieser Gedichte, und ihre Yerglei-
cliung war auch noch desshalb sehr wünschenswert!!, da Hand
von derselben nur eine sehr mangelhafte Collation besass. Eine
genauere Beschreibung derselben haben Hand zu seinem Sta-
tins und Jacob in der Vorrede zum Lucilius geliefert. Der
Collation sind ein paar Bemerkungen Passow' s einverleibt,
die derselbe 1818 in einem Universitätsprogramm mitgetheilt
hatte. Er billigt nämlich in der Praefatio des In Bchs. Z. 15
die Lesart hahueruni und will I, 2, 81), wo die alten Ausgaben
praelusi bieten, woraus Bernartius praclusi machte, praejulsi
Jahrb. f. Phil. u. Pudae.. Jahrg. III. Hejl 2. 1(J
236 Kürzere Anzeigen.
lesen, weil Inder Rhedig.Handschr. praeulsi steht. DieConjectur
empfiehlt sich durch Leichtigkeit und passenden Sinn, und wenn
wir auch nicht überzeugt worden sind, dass praefulsi longe ex-
quisitius sey als praeluxi, so hat doch Hr. P. gut nachgewiesen,
dass die erstcre Wortform in des Statius Zeitalter sehr gewöhn-
lich war. Auch die Verwechselung des E und F wird durch
Verweisung auf die Erklärer zu Propert. V, 11, 30 bestätigt,
in welcher Stelle übrigens mit mehrern Handschrr. Versa ]Su-
mantinos regna loqauntur avos gelesen werden soll.
Es ergiebt sich aber ohne unser Erinnern dass durch die
zweite Zugabe das Buch in kritischer Hinsicht noch werthvol-
ler und durch die erste für den Gebrauch noch bequemer ge-
worden ist als das Original. Üiess zusammengestellt mit der
Treue und Zuverlässigkeit des Abdrucks führt zu dem Resul-
tate, dass die Ausgabe alles Lob, und Herausgeber und Verle-
ger vollen Dank verdienen. Letzterer wird sich auf diese Weise
gewiss viele Käufer erwerben , und berechtigt durch dieses
Verfahren auch zu guten Hoffnungen für zwei andere Abdrücke,
die er in einer Nachschrift versprochen hat. Er will nämlich
bei günstiger Aufnahme des Statins noch eine neue Auflage des
Drakenborchischen Süius und des Oudendorpischen Lucanus
veranstalten. Die Wahl beider Werke ist allerdings sehr zu
billigen, wenn sie auch nicht in dem Grade vermisst werden
sollten, als Markland's Statius. Namentlich haben wir bei dem
Lucanus das Bedenken, ob er nach den zwei ziemlich weit-
schichtigen Ausgaben von Weber nicht lieber mit einem an-
dern Lateinischen Dichter zu vertauschen sey. Wenigstens
würde lief, einen W lederdruck von Burmann' s Ovidius, Hader s
Martialis , namentlich wenn er mit des Scriverius Ausgabe
verbunden würde, oder Burmanns Anthologia Latina viel lie-
ber sehen. Indess wollen wir damit nicht verneinen, dass auch
Oudendorp's Lucanus vielen willkommen seyn werde. Nur ist
zu wünschen, dass bei diesen neuen Abdrücken der Preis etwas
billiger gestellt werde, als es beim Statius geschehen ist: denn
dass in diesem der Bogen zu zwei Groschen berechnet ist, diess
scheint uns selbst für seine schöne Ausstattung zu theuer zu seyn.
Auch möchte die Notenschrift etwas grösser gewählt werden ;
denn im Statius ist namentlich die Cursivschrift nicht gross ge-
nug , um ein langes Lesen , namentlich bei Licht , möglich zu
machen. Sollte übrigens der Herausgeber des Statius auch diese
zu erwartenden Abdrücke besorgen, so wünschen wir, dass er
dann nicht mit eigenen Bemerkungen so karg sey, wie er es
hier gewesen , sondern uns auch von seinen eigenen zu den La-
teinischen Dichtern gesammelten Bemerkungen etwas mittheile.
Wir meinen damit nicht, dass er nach Art mancher Herausge-
ber solcher Abdrücke hin und wieder ein Nötlein der Art an-
sprütze, das mit einem non opus es/, non liquet, conferatur und
Statu libri quinque SUvarum. Recens. Markland. 237
dergl. die Sache abzumachen gedenkt; sondern dass er nament-
lich solche Stellen erörtere, wo die behandelten Gegenstände
noch schwierig oder zweifelhaft sind, oder wo etwas Falsches
durch scharfsinnige Deduction so vertheidigt ist, dass man es
leicht für wahr halten könnte. Fälle dieser Art dürften in
Markland's Noten nicht so gar selten seyn. Auch werden wir
es gar nicht ungern sehen, wenn er seine axQiߣiu nicht so weit
treibt, dass er darüber den bequemen Gebrauch aufopfert. So
hätten wir z. B. im Statius es für keine Verletzung des sorg-
fältigen Anschmiegeiis an das Original gehalten, wenn in den
Columuentiteln des Textes neben der Zahl des Buclu auch die
des Gedichtes und in den Titeln der Noten auch die Verszahl
angegeben, oder wenn die eingeschalteten Addenda gleich mit
den Noten verschmolzen worden wären. Eben so hätten wir
die Varianten der Rhedig. Handschrift entweder unter den
Text oder doch in die Noten gestellt, damit der Leser nicht
über die Unbequemlichkeit klage, beim Gebrauch jedesmal an
drei verschiedenen Stellen nachsehen zu müssen. Endlich hät-
ten wir auch die Pariser Ausgabe nicht ganz unberührt gelas-
sen und wenigstens in der Vorrede erwähnt, wie weit Mar*
kland in ihr benutzt und was überhaupt durch sie geleistet ist.
Indess wollen wir durch diese Wünsche den Werth des Buches
nicht schmälern, und legen auf dieselben um so weniger Gewicht,
je bestimmter wir wiederholen müssen, dass Hr. S. nicht nur
die Forderungen, die man genau genommen an einen Abdruck
machen kann, alle erfüllt, sondern auch besonders durch die
nicht eben angenehme Abfassung des Index weit mehr geleistet
hat, als man billiger Weise verlangen kann. Darum heissen
wir das Buch aus Ueberzeugung willkommen, und glauben nicht
zu irren , wenn wir dem Hrn. Herausg. dafür den Bank vieler
Philologen zusichern.
J all n.
M i s c e 1 1 e n.
*u London erscheinen Tiibliographica Cantabrigiensia. in denen die
kostbarsten und merkwürdigsten seltenen Bücher der Universität Cam-
bridge beschrieben werden sollen.
In dem 6n Bande der Memoiren Je Pinstitute royal de F/ance etc.
(Paris, 182b. (»78 S. 4.) stehen folgende philologische Abhandlungen:
Coussin: (Jeher die Optik des Ptoleuiaeus; Gössel in: Ueber das
Princip, die Basis und Ausgleichung der verschiedeneu Systeme der
16*
238 M i s « e 1 1 e n.
Längenmaasse im Altcrthunie; Letronne: 1) Ueber die Bevölkerung
Athens; 2) Heber die Functionen der Mneinonen, llieromneinoncn und
Promnemonen, und die Zusammensetzung der Amphiktyon. Versamm-
lung ; 3) Kritik der Nachrichten, welche die Alten von den Messungen
der Erde durch Alexandrin. Mathematiker gehen ; Walckenaer: Ueher
die Lage der Campi Kaudii , wo Marius die Cimhern schlug , [im Di-
strict von Biandrate, vgl. Jhh. VI S. 128.] und den Weg, den diese
Völker nach Italien nahmen; Töchon d'Annecy: Ueber die zu
Philippopolis geschlagenen Münzen des Marinus. Vgl. Beck's Repert.
1826 Bd. III S. 394.
Das Sanskrit stimmt nach den Forschungen Englischer Gelehrten
mit der Griechischen Aussprache so auffallend überein, dass Casus und
Genus, Idiom und Regimen etc., ja selbst oft die Wurzeln ganz diesel-
ben sind. Auch die Prosodik desselben ist so, dass nach der Versiche-
rung von William Jones die Rede sich sehr natürlich zu Sapphischen,
Alcaeischen und iambischen Sylbenmaassen bildet. Um diese Aehn-
lichkeit recht auffallend zu zeigen, will Dan. Brown, Vorsteher des
Collegiums von Fort William , eine wörtliche Uebersetzung der Evan-
gelien des N. T. mit gegenüberstehendem Griechischen Texte heraus-
geben. Bei dieser Übereinstimmung wird in den Blatt, f. lit. Unterh.
1828 Nr. 28 S. 112 unter der Voraussetzung, dass das Sanskrit nicht
älter als das Griechische sey, sondern sich nach demselben gebildet
habe, Gibbon's Vermuthung wiederholt, dass diese Sprachähnlichkeit
vielleicht aus dem alten Verkehr der Baktrisch- Griechischen Colonie
mit Hindostan zu erklären sey. Diess bestätige sieh zum Theil schon
daher, dass offenbar sehr Vieles von Griechischer Mythologie, mit
Vorschriften und Geschichten der Bibel untermischt, im Indischen
sich finde.
Ein sehr altes Eteostichon findet man auf einem bei Padua ausge-
grabenen Cippus mit folgender Inschrift :
DIS
MANIBUS
CLAUDIA[JS]
TI[BER1I] AUGUSTI h[IBERTAE]
TOREVMAE
ANNOR[t/M] XVIIII.
Hac ego bis denos nondum matura per annos
Condor humo multls nota ToreVma jocls.
Exlguo VItae spatlo fellclter acto
Effugl crimen , longa seneeta , tuum.
Die Inschrift ist abgedruckt und erläutert im 24 (55) Bde. des Giornalc
dell' Italiana letteratura S. 309.
M i s c c I I c n, 239
In dem im Decemb. 1827 erschienenen Hefte des Ediaburger Review
stellt ci» langer Aufsatz über den gegenwärtigen Zustand der Deutschen
Literatur, der von Car Iy l e (Lleberset/cr des Wilhelm Meister) seyn
soll. Er sucht die Deutsche Literatur von der in England gewohnli-
ehen Beschuldigung des gesehmaeklosen Mysticismus und Unglaubens
zu befreien. Das wahre Wesen unserer Dichtkunst scy ein Anschauen
des Schönen und Wahren in der Natur und im Menschen, u. sey besser
als die Dichtkunst irgend eines Volks der neuern Zeit; nur als ein
Ganzes betrachtet sey die Deutsehe Dichtkunst weniger gut und stehe
unter der Englischen , Italienischen und Spanischen. Unsere Sprache
sey hart, aber männlich und voll tiefer und ausdrucksvoller Töne.
Unsere Philosophie beruhe auf genauer Zergliederung und strengen
Schlussformen, schweife aber noch im Ungewissen und könne höch-
stens als der Anfang eines Bessern betrachtet werden.
Es giebt nur fünf schöne Künste, welche den fünf Sinnen des
Menschen entsprechen, nämlich Baukunst, Bildhauerkunst, Malerkunst,
Tonkunst, Dichtkunst. Diess wird durchgeführt von Andreas Er-
hard in seinem Möron, philosophisch-ästhetische Phantasien in sechs
Gesprächen (Passau, Pustet, 1826. XIV u. 400 S. 8. 1 Thlr. 8 Gr.),
welche, Baierns edlen Jünglingen gewidmete, Schrift auch für die
Griechische Alterthumskunde nicht unwichtig ist , indem sie in den drei
letzten Gesprächen den innern Charakter der Griechischen Bildung,
das öffentliche u. Privatleben der Griechen und die epische und drama-
tische Poesie derselben behandelt (zwei Dichtungsarten, welche aus
der Betrachtung des Widerstreites zwischen Schicksal und Freiheit
entstanden sind) , auch über die Griech. Dichtkunst überhaupt und die
dramatische insbesondere , so wie über das Epos und andere Dichtungs-
arten der Deutschen gute Bemerkungen mittheilt.
Den Schulen, in welchen Klopstock's Gedichte erklärt werden,
sind besonders zu empfehlen : Klopstock's Oden und Elegien
mit erklärenden Anmerkk. und einer Einleitung von dem Leben und den
Schriften des Dichters von C. F. R. Vetter lein. Leipzig, Hartmann.
gr. 8. lr Bd. , Einleitung und die ersten 40 Oden , 1827. XVI u. 335
S. 1 Thlr. 8 Gr. 2r Bd. , die Oden 41—115, 1828. VI u. 328 S. 1 Thlr.
8 Gr. Bei der Abhandlung über Klopstock's Leben und Schriften sind
die übrigen Werke über diese Gegenstände nachgewiesen und benutzt,
und es ist eine chronologische Tabelle über des Dichters Leben und die
Bekanntmachung seiner Schriften angehängt. Die aufgenommenen
Oden und Elegieen sind aus den Jahren 1747 — 1754 und 1758 — 1781.
Der Text derselben ist nach der letzten Leipziger Ausgabe gegeben,
aber mit den frühem Ausgaben verglichen und öfters berichtigt; be-
sonders ist die Interpunktion durchaus verbessert. Die Gedichte sind
streng nach der Zeitfolge geordnet und mit einigen in der Leipziger
Ausgabe nicht befindlichen vermehrt. Jedem geht eine literarische No-
tiz voraus , welche Veranlassung , Zweck und Ideengang desselben an-
240 M i s c c 1 1 e n.
giebt und nachweist, wo es in den Ausgauen und Zeitschriften steht.
Vorzüglich schätzbar sind die Anmerkungen, die theils kritisch sind
und gemachte Textesänderungen rechtfertigen, theils die Sprache er-
läutern und einzelne Stellen erklären , theils (abgesondert) das Sylben-
maass behandeln. Sehr gerühmt wird das Werk in Beck's Repert.
1827 Bd. III S. 201 — 3.
Als neue geschichtliche Erscheinung ist zu erwähnen: die Altro-
mische und Griechische Geschichte in bildlichen Darstellungen , nach
den Originalzeichnungen des berühmten B. Pinelli in Kupfer gestochen.
Beide Geschichten erscheinen jede mit 100 Kupfertafeln in Queerquart
in 25 Heften, jedes Heft mit 4 Blättern. Zu der Römischen Geschichte
i<t ein Deutscher, Italienischer und Französischer, zu der Griechi-
schen ein Italienischer , Griechischer und Französischer Text gegeben.
Von der Römischen Geschichte sind bereits 20, von der Griechischen
19 Hefte fertig. Der Pränumerationspreis jedes Heftes in 40 Kr. CM.
in Wien bei Artaria u. Comp.
Ueber die auf Sardinien befindlichen Noraghen [d. h. alte Denk-
mäler, welche, aus verschiedenen Steinarten der Insel erbaut, beson-
ders auf kleinen Hügeln sich finden , an der Grundfläche etwa 90 Fuss
im Durchmesser und eine Höhe von etwa 50 Fuss haben und am Gipfel
in einen eingedrückten Kegel endigen , bisweilen auch von einem Erd-
walle und einer 10 Fuss hohen Mauer umgeben sind] hat L. C. F.
Petit-Radel herausgegeben : Notices sur le sN ur aghe s de
la Sardaigne , consideres dans leurs rapports avec les resultats des
recherches sur les monumens Cjclopeens ou Pelasgiques. Paris bei Dela-
forest. lr Bd. 1826. 148 S. 8. Nebst 3 lithogr. Tfln. Er leitet diese
Noraghen von den nach Sardinien eingewanderten Pelasgischen und
Heracliden - Colonieen her und lässt sie von Dädalus erbaut seyn, den
er als einen Zeitgenossen des Iphikles, Iolas, Minos II, Oedipus und
Atreus nachzuweisen sucht. Zugleich stellt er geschichtliche Untersu-
chungen über die beiden ersten Griechischen Colonieen in Sardinien
an, und sucht aus den alten Nachrichten darüber die Führer dieser
Colonieen und die nähern Umstände derselben festzustellen , und sie in
Verbindung mit den Pelasgischen Wanderungen zu bringen , denen das
Abendland seine Civilisation verdanke. Die Arkadische Colonie des Ari-
staeus (Schwiegersohns des Cadmus) wird mit der Pelasgischen Nieder-
lassung unter dem Thessalier Nanas in Italien und deren Cyclopischen
Mauern in Verbindung gebracht. Auch ist ein Memoire desselben Ver-
fassers über die Cyclopischen Denkmäler Italiens und Griechenlands
mitgetheilt. Vgl. Leipz. L. Z. 1828 Nr. 37 S. 293 f.
In Boston hat Sidney Morse A new System of modern geo-
graphy herausgegeben und der geographischen Gesellschaft in Paris
M i s c e 1 I c n. 241
zur Prüfung vorgelegt. Letztere hat jedoch entschieden, dass dieses
System keineswegs so neu scy , als der Verf. glaube.
In dem ersten, nächstens erscheinenden, Heft von Böttiger's Zeit-
schrift „Archäologie u. Kunst " wird unter andern ein Aufsatz von
Raoul-Rochette über die neuentdeckten Ilypogäen. von Corneto
(Tarquinii) rnitgetheilt. Der Verf. sah sie wenige Tage nach ihrer
Ausgrabung. Das zweite Heft derselben Zeitschrift, welches dem er-
sten ungesäumt folgen soll, wird eine Abhandlung des genannten
Französischen Archäologen über den Mars Ludovisi enthalten , die zu-
gleich als integrirender Theil eines von Hrn. R. R. jetzt vorbereiteten
grössern Werkes zu betrachten ist. Er hat nämlich auf seiner im vo-
rigen Jahr durch Italien gemachten Reise Materialien zu der Heraus-
gabe von Monumens antiques inedits in zwei Foliobänden mit wenig-
stens 200 Kupfer- und lithographischen Tafeln gesammelt, die auf seine
eignen Kosten erscheinen werden, jedoch so dass die Regierung für
den Druck in der Impriraerie royale sorgen wird. Ausser einem schon
gemachten Aufwand von 10000 Francs wird die Beendigung dieses
Prachtwerkes noch ungefähr 30000 Francs erfordern , und nach den
Versicherungen des gelehrten Herausgebers selbst soll nichts geschont
werden, was dem Werke einen bleibenden Werth verschaffen kann. Der
Commentar wird grösstenteils die Form von Sendschreiben an be-
rühmte, mehrentheils Deutsche, Archäologen haben. Ein Prospectus
wird sehr bald das Nähere über diese eben so kostspielige als uneigen-
nützige Unternehmung mittheilen. •'
In Pompeji hat man in einem kleinen, hinter der sogenannten
Crypta di Eumachia ausgegrabenen Hause folgende Wandgemälde ge-
funden: 1) Eine Darstellung des Hercules und der Iole. Hercules
sitzt auf einem Felsblock , über welchen die Löwenhaut ausgebreitet
ist, trägt einen Kranz von Eichenlaub um die Schläfe und stützt seine
Linke auf die mächtige Keule. Er zeigt in seinem ganzen Aussehen
einen aufgeregten Zustand und ängstliche Spannung der Seele und
horcht auf die Worte der Iole. Diese steht neben ihm mit dem rech-
ten Arm auf einen Pfeiler gelehnt, und streckt die Linke gebieterisch
und mit entschlossener Miene gegen ihn aus. Ein weisses durchsichti-
ges Hemde verhüllt nur schwach einen Theil ihres schönen Körpers,
über den sie zur Hälfte einen lichtblauen in geschmackvolle Falten ge-
legten Mantel geworfen hat. Ihr üppiger Gliederhau steht in schönem
Gegensatz zu dem musculösen Hercules. Das Colorit ist sehr zart,
die Gruppirung höchst edel und wahr, die Zeichnung correct, aus-
drucksvoll und abstechend, ohne grell zu seyn. Den Hintergrund bil-
det ein nur leicht skizzirtes Architekturstück. 2) Dem ersten Gemälde
gegenüber in der Mitte der Zimmerwand sieht man ein reizendes nack-
te; Weib, welche in tanzender Stellung mit ihrem rechten Arm den
Hals eines Stiers umschlingt und in der rechten Hand den Strick, wor-
an der Stier geleitet m ird , in der Linken einen blassvioletten Schleier
242 M i s c e 1 1 c n.
hält. Aehnliehe Gemälde findet man häufig in Pompeji. Mit Unrecht
hat man sie gewöhnlich vom Jupiter und der Europa gedeutet, woge-
gen die leichte Haltung des Weibes und die Abwesenheit alles Wassers
streitet. Vielmehr ist es wohl eine Bacchantinn mit dem dem Bacchus
geheiligten Stier. Der Bacchusdienst muss überhaupt in Pompeji und
den Meinreichen Gegenden Campaniens sehr verbreitet gewesen seyn;
denn die meisten aufgefundenen Gemälde und Monumente zeigen Ge-
genstände aus dem Bacchusdienste. 3) Zwei Centauren , in schwarzem
Felde gemalt. Dem ersten, welcher in Gallopp fortstürzt, hat eine
Bacchantinn die Hände auf den Bücken gebunden, kniet auf seiner
Gruppe, setzt ihm den rechten Fuss in den Bücken, reisst ihn mit der
linken Hand bei den Haaren und prügelt ihn mit dem Thyrsusstabe.
Der zweite etwas ältere Centanr an einer andern Wand desselben Zim-
mers [Chiron?] hält einen blondhaarigen Knaben [Bacchus?] in seinen
Armen und lehrt ihn , wie es scheint , die Leier spielen. Auf der
Schulter trägt der Centaur einen Thyrsus , an dem eine Cymbel auf-
gehangen ist. Die thierische Hälfte beider Centauren ist blass gold-
farben , ihr menschlicher Theil ein leichtes Braun. Die Compositum
ist sehr gefällig und geistreich, die Ausführung höchst gelungen.
4) Zwei Centaurinnen auf schwarzem Felde, im schnellen Lauf darge-
stellt , mit Schaupfennigen und Armspangen geziert und mit zarten
Mänteln bekleidet. Die erste hat ihre Haare in eine weisse Binde ge-
knüpft und galloppirt mit einem blühenden Knaben umher , den sie hin-
ter dem Bücken umschlungen hält und der ein Deckelinstrument ge-
gen ein anderes ähnliches stösst, das die Centaurinn in der rechten
Hand trägt , Mährend sie mit der linken in eine , auf die Groppe ge-
stützte, fünfsaitige Leier greift. Der Zauber der Bewegungen ist so
gross, dass Spiel und Lauf nach demselben Tacte zu geschehen schei-
nen. Der violette Mantel der Centaurinn flattert auf ihrer Groppe;
der Mantel des Knaben ist bleichblau. Die zweite Centaurinn trägt
ein junges Mädchen, das, mit dem Bücken gegen den Beschauer ge-
wendet, recht bequem auf ihrer Groppe liegt, bloss mit einer gelben
Tunika bekleidet ist, und in der linken Hand einen Thyrsus hält. Die
Centaurinn sucht mit umgewendeten Körper , doch ohne vom Galloppi-
reu abzulassen , einen grünen Feston an den Thyrsus zu heften. Auch
diese Gruppe ist vorzüglich ausgeführt. Der Körper des Pferdes bei-
der Centaurinnen ist weiss , wie ihr weiblicher Körper. [Auszug aus
der JFiener Zeitschrift für Kunst, Literatur , Theater u. Mode, 1828
St. 9 u. 10 S. 69 f. u. Ti f.]
In Herculanum haben auf königl. Befehl unter Leitung des Ban-
directors Carlo Bonucci neue Ausgrabungen begonnen. Die ersten bei-
den wurden am 2 Januar, eine 150 Fuss von der andern entfernt, an-
gestellt , und man arbeitet seitdem täglich daran , den äussern Theil
des Theaters von der Crustc und Asche zu befreien und die Zimmer
der Schauspieler nebst dem übrigen Theile des Prosceniums herzu-
stellen. Auch auf Capri sind Ausgrabungen begonnen worden, und
M i s c e 1 1 c n. 243
in Capua sind 30 Mann beschäftigt das Amphitheater zu räumen. Der
Canonicus Jorio hat zu Neapel 1827 herausgegeben: JSotizie su gli
seavi diErcolano, welche 5 belehrende Zeichnungen über die Lage
der alten Stadt, des neuen darüber gebauten Orts, des Theaters, der
Basilica u. der Curia enthält.
Die in Rom auf dem Forum begonnenen Ausgrabungen [s. Jbb.
V S. 324] haben zwar noch keine Kunstwerke zu Tage gefordert, wer-
den aber eine viel genauere Topographie des Forums möglich machen.
Man arbeitet jetzt an der ausserordentlichen Erhöhung des Bodens,
welche zwischen dem Bogen des Titus und der Kirche di S. Francesca
Romana beginnt und bis zum Colosseum sich hinzieht , und neben die-
sem so hoch ist , dass sie mit dem Karnies des Erdgeschosses desselben
gleiche Höhe hat. Durch das Nachgraben ist unter dieser Erhöhung
ein Mauerwerk zum Vorschein gekommen, in welchem sich 5 Bogen-
gänge nebst ihren Oeffnungen zeigen, welche ehemals nach hinten,
nach dem Tempel di Venere e Roma , der auf dieser Anhöhe stand,
zu, einen jetzt mit Schutt angefüllten Ausgang gehabt zu haben
scheinen. Das Mauerwerk besteht aus zerschlagenen Marmorstücken,
Peperin (Albanischem Steine) und Travertin , sämintlich ohne Ordnung
und unter sich vermischt und durch einen Kitt verbunden, welcher der
heutigen Puzzolanerde gleicht. Ein zweites Gemäuer, das aus lauter
zerschlagenem Kiesel besteht, liegt hinter diesem, nach demEsquilinus
zu, in gerader Linie mit der hier vermutheten Via sacra, also mit dem
Friedenstempel, dem Tempel des Romulus etc., und scheint ein spä-
terer Fortsatz des ersteren zu seyn. Das erstere nehmen die Römischen
Antiquare nur für die Grundmauer des Tempels der Venus und der
Roma; bei welcher Verrauthung nur die Ausdehnung des Gemäuers zu
gross ist , und die fünf Bogengänge unerklärt bleiben. Da man vor
einigen Jahren auf der entgegengesetzten Seite , neben dem Bogen des
Titus , Marmorstufen aufgegraben hat , so scheint es offenbar zu seyn,
dass diese vom Forum her auf diese erwähnte Erhöhung führten. Auch
steht nicht mehr zu bezweifeln, dass das Niveau des alten Forums mit
dem des Colosseums ungefähr auf derselben Höhe , d. h. 30 Fuss unter
dem jetzigen Niveau des Campo vaccino war, und dass zwischen ihnen
jene Erhöhung lag, auf welcher auf der einen Seite der Bogen des Ti-
tus , auf der andern der Tempel di Venere e Roma stand. Vgl. Mor-
genbl. 1828 Nr. 1 f. u. Nr. 10.
In Rom hat man am 12 Januar bei dem Ausgraben im Garten
der Canonici vom Lateran eine mehr als lebensgrosse Statue des Vespa-
sianus , der aber ein Arm fehlt, und eine Statue seiner Tochter Julia
gefunden. Beide sind aus Marmor und durch schöne Draperie ausge-
zeichnet. Am Gewände bemerkt man rothe Streifen , welche die Pur-
purfarbe der Toga pieta vorstellen. Auch einen colossalen Junokopf
im schönsten Griech. Stil hat man ausgegraben.
244 M i s c e 1 1 e n.
Der Unterricht der Kinder muss schon im zweiten Lehensjahre
(mit 18 Monaten) heginnen und in Hinsicht der Elementarkenntnisse
mit dem siehenten beendigt seyn. Den Anfang des Unterrichts müssen
dalier Mütter und Ammen besorgen , der spätere Lehrer muss nach der
Bell - Lancaster'schen Methode unterrichten. Ein solcher Lehrer kann
mit Einem Gehülfen 300 Kinder unterrichten, und es ist nicht gut,
wenn er nicht mindestens 100 hat. Diess und Aehnliches hat der Ame-
rikaner Wilderspin behauptet in einer kleinen Schrift, welche er
zu Washington herausgegeben hat.
Politische Gewissenhaftigkeit einer kritischen Zeitschrift.] Der
Recensent von Joseph von Hammer's Osmanischer Geschiöhte
in den Wiener Jahrbüchern (Bd. XLI) hatte in seiner Beurtheilung
mehrere Stellen aus dem Buche ausgezogen, welche jedoch der Re-
dacteur , Hülsemann, tilgte , weil sie den Türken ungünstig und
folglich anstössig wären. Und doch ist das Buch selbst in Wien ge-
druckt und censirt. Hammer hat dcsshalb seine fernere Theilnahme
als Mitarbeiter an diesen Jahrbüchern verweigert.
Todesfälle.
"en 9 Januar starb zu Paris der Akademiker Franz von Neufchateau.
Den 10 Jan. zu Groningen der Professor H. D. Guyot, Stifter
des dasigen Taubstummen - Instituts , 74 J. alt.
Den 11 Jan. zu Paderborn der Lehrer Rust am Gymnasium.
Den 15 Jan. zu Jena der Consistorialrath und Superintendent Dr.
Johann Gottlob Marezoll , geb. zu Plauen im Voigtlande am 25 Dec.
1761. Er wurde 1789 Universitätsprediger in Göttingen, 1790 ausser-
ordentl. Prof. der Theologie daselbst , 1794 Prediger an der Deutschen
Petrikirche in Kopenhagen und 1805 Superintendent u. Professor theol.
honor. in Jena. Nekrolog in der Jen. L. Z. 1828 Int. Bl. 6 S. 45—47.
Den 16 Jan. zu Halle der Professor und Oberbibliothekar Dr.
Johann Samuel Ersch , geb. zu Glogau am 23 Juni 1766. Ein Ne-
krolog desselben steht in Pölitz'ens Jahrbb. der Geschichte u. Staats-
kunst Hft. 3 , ein zweiter, von Gruber, in der Hall. Lit. Zeit. 1828 Nr.
35 S. 273 — 82, ein dritter in der Allgem. Zeit. Beil. 59 f. , ein vierter
in Ebert's Liter. -Blatt zur Dresdner Morgenzeitung Nr. 5. f.
Den 26 Jan. zu Königsberg der Oberlehrer Stiemer am Stadt-
gymnasium.
Den 1 Febr. zu Brandenburg der Mathcmaticus Fischer am Gy-
mnasium.
Den 16 Febr. zu Leipzig der kön. Preuss. Hnfrath Dr. Ernst
Carl IFieland, früher Professor der Geschichte und seit 1819 Prof.
der Philosophie an d. Univers., geb. zu Breslau am 22 Juli 1755.
Todesfälle. 245
Den 17 Fein*, zu Leipzig- der Domcapitular und Superintendent
Dr. Heinrich Göttlich Tzschirner , Professor der Theologie an der Univ.
und Ritter des Dancbrogordcns , geLoren in Mittweida am 14 Nov.
1778. Sein Leben und Wirken haben zwei Freunde des Verstorbenen,
Prof. Krug (Kurze Charakteristik Tzschirners als Gelehrten , Kanzel-
redners und Menschen. Lpz., Kollmann. 26 S. 8. 4 Gr.) u. Hofrath Pö-
litz (Biographie Tzsch in den Jahrbüchern der Geschichte und Staats-
kunst, 1828, Aprilheft, welche auch einzeln abgedruckt ist. Lpz.,
Hinrichs. 34 S. 8. 5 Gr.) treffend geschildert. Beide Schriften ergän-
zen sich gegenseitig und sind neben einander zu gebrauchen. Unbe-
deutend sind daneben die Nekrologe im Leipziger Tageblatt und in
der Allgem. Zeit. 1828 Nr. 68 Beil., sowie eine dritte Biographie, wel-
che in Leipzig bei Glück erschienen ist.
Den 18 Febr. zu AVartenberg der als Deutscher Dichter bekannte
geheime Ober- Finanzrath Leop. Friedr. Günther von Gö'ckingk , geb.
am 13 Juli 1748.
Den 21 Febr. zu Bremen der Prof. an der Handelsschule Dr. JF.
Th. Hundeiker im 42 J.
Den 22 Febr. zu Königsberg der Professor der Theologie und
Orientalischen Literatur u. Consistorialrath Dr. Samuel Gottlieb IVald,
geb. zu Breslau am 17 Octob. 1762.
Den 1 März zu Greifswald der Professor in der philosoph. Fa-
cultät der Universität Dr. Overkamp.
Den 16 April zu Leipzig der ausserordentl. Professor in der philos.
Facult. M. Carl Beier. Einen Nekrolog desselben werden die Jahrbücher,
an denen er ein thätiger Mitarbeiter war, nächstens liefern.
Ein Verzeichniss denkwürdiger im Jahr 1827 verstorbener Perso-
nen, mit Angabe ihrer Namen, Titel, Geburts- und Sterbezeit steht
in der Berliner Haude- und Spenerschen Zeit. 1828 Nr. 38, 40 u. 41
und im Nürnberg. Correspond. Nr. 61 — 63.
Schul- und Universitätsnachrichten , Beförderungen und
Ehrenbezeigungen.
Augsburg. Das seither vereinigte evangelisch - katholische Gymna-
sium soll nach königl. Verordnung wieder in zwei Gymnasien aufge-
löst werden. Als Dotationszuschuss zu dem neuzuerrichtenden kathol.
Gymnasium hat der hiesige Bürger Sigmund Geneve 30000 Fl. ge-
schenkt und doshalb vom Könige ein Belobigungsschreiben erhalten.
Leider ist dieser Ehrenmann bald darauf, am 9 Febr., 75 Jahr alt ge- torben.
Baden. Der weltliche Lehrer Hr. Dr. Anton Baumstark hat aus
Veranlassung seiner Ernennung zum Professor an dem Gymnasium zu
Freyburg im Breisgau eine Abhandlung de Curatoribus Emporii et Nau-
todicis apud Athenienses in der dortigen Wagner'schen Buchhandlung
(80 Seiten 8. 1828.) herausgegeben. Dicss ist die erste und , wie die
Kritik zeigen wird, ehrenvolle Erscheinung dieser Art in der Geschichte
246 Schul- und Universitätsnächrichten,
des Badischen Schulwesens. Jeder aufrichtige Freund unseres Lehr
Standes kann dabei nur wünschen , dass sie nicht die einzige bleiben
möge. Die Erfüllung dieses Wunsches hängt zuvörderst von der Bil-
dung unserer Lehrer ab, insofern diese nicht für etwas Accidentellcs
gilt , sondern eben so gut wie für jeden andern Lebensberuf im wis-
senschaftlichen Gebiete eine gründliche Fachbildung seyu muss , die
Lehrer selbst mögen übrigens geistlich oder weltlich seyn. So dachte
auch der in Ruhstand versetzte, um das katholische Schulwesen Ba-
dens hochverdiente geistliche Ministerialrath Dr. Phil. Jos. Brunner,
durch dessen Verwendung dem H. Dr. Baumstark gleich manchem an-
dern Katholiken, der kein Geistlicher, aber doch Lehrer werden wollte,
Staatsunterstützung zu Theil wurde, um sich im philologischen Semi-
nar auf der Universität Heidelberg die nöthige wissenschaftliche Vor-
bereitung zum Lehramte erwerben zu können. Seit einigen Jahren
sieht man immer Weniger Lyceisten oder Gymnasiasten sich ausschliess-
lich zum Studium der Philologie wenden, sondern diese unter den
Katholiken nur von Theologen neben ihrem Brodstudium auf der Uni-
versität Freyburg betrieben werden. — Hr. Joseph Lachmann aus Ra-
statt, welcher, nach vollendetem Studiencurse am dasigen Lyceum,
mit höherer Genehmigung u. Unterstützung aus milden Fonds sich auf
der Universität Heidelberg dem Studium der Mathematik , Naturlehre
u. Naturgeschichte widmete , um sich zum Lehrer vorzubereiten , ist,
nach Ablegung eines ganz vorzüglichen Staatsexamens aus den genann-
ten wissenschaftlichen Fächern , unter die weltlichen Lehramtscandida-
ten des kathol. Grossherzogthums aufgenommen worden.
Bamberg. Der Domcapitular Dr. Casp. Fraas ist Domdechant,
Rector des Lyceums und Professor der Theologie geworden.
Berlin. Die am Joachimstharschen Gymnasium durch des Prof.
August Versetzung [Jbb. IV S. 344] erledigte Oberlehrerstelle ist dem
bisherigen Oberlehrer am Friedrich- Werder'schen Gymnas. Dr. Passow
übertragen und demselben ebenso , wie dem Oberlehrer Dr. Conrad,
das Prädicat eines kön. Professors beigelegt worden. Bei demselben
Joach. Gymn. ist der Dr. Constantin I/gen als Alumneninspector defini-
tiv angestellt worden. Die Universität hat für den physikalischen Ap-
parat ein Mikroskop von Utzschneider in München um 580 Gulden an-
gekauft. Der Hofrath Dr. Borow , welcher sich jetzt in Rom auf-
hält, ist daselbst zum Mitgliede der Academia Romana di Archeolo-
gia gewählt worden.
Bonn. Der vormalige k. Russische Etiitsrath u. Prof. von Schlo-
zer in Moskau ist zum ausserordentlichen Professor in der philoso-
phischen Facultät ernannt.
Braunschweig. Der Director Dr. Friedemann hat den Rang ei-
nes ordentlichen Professors erhalten. Die Doctoren Brandes und
Brauns am Coilegium Carolinum sind zu ausserordentlichen Professo-
ren ernannt.
Bbescia. Der Weltpricster llieronymus de Stefani ist zum Pro-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 247
fessor der theoretischen und Moral - Philosophie am Lyceum ernannt
worden.
Brkslau. Der bisher. Gymnasialdircctor Kabath in Glatz ist zum
kathol. geistlichen und Schulrath beim hiesigen Provinzialschulcolle-
giiun ernannt.
Bromberg. Das Gymnasium erhielt zu Anfange des Jahres 1827
zwei neue Lehrer, nämlich den Candida! Plath als interimistischen
Ordinarius der sechsten Classe an die Stelle des tranken Collaborators
Kaletta, und den Französ Sprachlehrer Bouzereau de Bellemain vom
Gymnas. in Cöthen. Zur Unterstützung hülfsbedürftiger Schüler der
Anstalt besteht im dasigen Regierungsbezirk ein Verein von Wohlthü-
tern, welcher in dem genannten Schuljahre 6 Gymnasiasten unter-
stützte und am Schluss des Schuljahrs ein unangreifbares Capital von
2425 Thlrn. u. ausserdem 200 Thlr. 19 Sgr. 10 Pf. in Casse besass.
Aus dem zum jüngsten Programm gelieferten Schulberichte ist als
auffallend zu bemerken , dass im verflossenen Schuljahr zur Privat-
lcctüre für die Tertianer der Arrian und Justin gewählt wurden. Beide
Schriftsteller werden freilich auch in den öffentlichen Lehrstunden die-
ser Classe neben Sallustii Catilin. , Caesaris B. C. und Xenoph. Ami!)
gelesen.
Bruchsal. An dem Gymnasium erscheint jedes Spätjahr zu den
öffentlichen Prüfungen und Feierlichkeiten ein gedrucktes Verzeich-
niss der Lehrgegenstände , welches auch die Schüler aufzählt, ohne
jedoch der sogenannten Gäste oder der im Laufe des Schuljahres allen-
falls Ausgetretenen zu erwähnen; man erfährt also nicht, ob diese im
verflossenen Studienjahr 18§^ unter der Gesammtzahl von 75 Schü-
lern mitbegriffen sind oder nicht, sondern sieht nur, dass 47 davon in
Bruchsal selbst geboren, die übrigen 28 aber Auswärtige sind. Ueber-
haupt begreift man nicht recht, für wen die Anstalt ihr Lehrgegen-
ständeverzeichniss eigentlich drucken lässt, da sie nicht einmal die
Stundenzahl anzugeben für gut findet, sondern nur den Lehrstoff der
einzelnen Schulen aufzählt, und nicht einmal die Lehrbücher bei je-
dem Gegenstande benennt. Zur klaren Ansicht von der ganzen Schul-
einrichtung sollte das alles und noch einiges andere nicht fehlen. Ue-
brigens besteht das Gymnasium aus einer Vorbereitungsciasse und aus
andern drei Classen , wovon eine jede zwei Abtheilungen hat, also iin
Ganzen aus sieben Schulen , die wohl auf eben so viele Jahre berech-
net sind. Früher gehörte die Vorbereitungsciasse unter dem Namen
Principien noch zur Normalschule, und das Gymnasium, von Augusti-
nermönchen versehen , bestand aus Infinia (I), Grammatik (II) , Syn-
tax (III) , Poesie (IV) u. Rhetorik (V) , welche von vier Lehrern be-
sorgt wurden. Für die jetzigen sieben Schulen sind auch nicht mehr
Professoren angestellt als zwei Geistliche , Becker u. Kek *), u. zwei
') Letzterer ist erst vor kurzem als Gymnasialprofessor an die Stelle des
kränklichen geistlichen Professors Joh. Bapt. Fink getreten, und ersterer zu
248 Schul-und Universitätsnachrichten,
weltliche, JVokk u. Dr. Steidel. Das Verzeichniss nennt beim Zeich-
nen u. bei der Musik freilich noch die Hrn. Günther, Jljfermann u.
Füller, jedoch ohne weitere Bestimmung;, so dass man veranlasst wird,
diese nothwendig als Aushelfer anzusehen, und zwar lediglich in die-
sen Nebengegenständen. Die Hauptgegenstände des gesaminten Unter-
richtskreises sind folgende: Religion, Deutsche, Lateinische, Griechi-
sche u. Französische Sprache , nebst Mathematik , Geschichte , Geo-
graphie u. Naturgeschichte. Die vier Professoren werden in diesem
Gebiet durch die sieben Schulen mit ziemlich bunter Beschäftigung
durcheinandergeworfen, und die Lehrerzahl, welche früher für weni-
gere Schulen und einen sehr beschränkten Lehrkreis hinreichend seyn
mochte, kann sich bei der erweiterten Classenzahl und dem sichtbaren
Streben, den Humanismus und Philanthropismus zugleich zu befriedi-
gen, nur durch gemeinschaftliche Stunden helfen, was denn auch in
der obersten Schule , wo es gerade am wenigsten passend erscheint,
so weit geht, dass ihr bloss die Lehrstunden der Mathematik und Rhe-
torik abgesondert zukommen, alle übrigen Gegenstände aber mit der
vorletzten Schule gemeinschaftlich sind. Aus demselben Grunde ist
auch begreiflich , dass z. B. die Naturgeschichte bruchstückweise er-
scheint , dass neue Geographie neben alter Geschichte gelehrt wird,
dass von alter Geographie gar nichts vorkommt , und von der neuem
nicht alles , dass die Deutsche Sprache zuletzt in der Lateinischen und
in sogenannten freien Aufsätzen aufgehen muss, dass die Kenntniss der
Griechischen u. Römischen Literatur u. Antiquitäten wahrscheinlich in-
nerhalb der engen Gränzen der zu erklärenden Classiker stehen bleibt.
Sicht man dabei die unverkennbare Tendenz zu immer grösserer För-
derung des Studiums der Griechischen und Lateinischen Sprache , des
mathematischen Unterrichts u. der Religionslehre , wobei die Schrif-
ten des Neuen Testaments gelesen und erklärt werden, so muss es der
Anstalt um so mehr zum Vorwurf gereichen, dass sie bei ihrer all-
mähligen Umgestaltung, welche die alte Einrichtung nothwendig machte,
lieber das Quodlibet der Badischen höhern Lehranstalten vermehren,
als einer oder der andern von ihnen sich näher anschliessen wollte , da
doch des Guten vieles in ihnen vorhanden ist, was anerkannt und an-
genommen zu werden verdient.
Cöliv. Am Jesuiter- Gymnas. ist der Caplan Schwann an Smet's
Stelle zum kathol. Religionslehrer gewählt worden.
Cöslin. Als Director des Schullehrerseminars ist der Oberlehrer
Henning angestellt.
Dorpat. Am 24 Dec. feierte die Universität den Gedächtnisstag
ihrer 25jährigen Gründung und ernannte bei dieser Gelegenheit unter
andern den Prälaten und Bibliothekar Angelo Mai zum Doctor juris,
den Kammerherrn und Ritter Alexander von Humboldt zum Doctor me-
derselben Zeit definitiver Gymnasial präfect geworden, nachdem er seit mchrern
Jahren provisorischer Vorstand des Gymnasiums gewesen war.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 240
dicinae, den Professor der Chemie Berzelius in Stockholm und den
Professor der Astronomie ßessel in Königsborg zu Uoctoren der Phi-
losophie. Der akademische Senat lud zu der Feier durch ein Pro-
gramm des Ilofrath Dr. Francke [de v ita V. Juni i Juvenalis
quaestio altera] ein und Hess ein Prachtwerk mit vielen Kupfern
drucken, welches die Geschichte der Universität und eine Beschrei-
bung ihres jetzigen blühenden Zustandcs, ihrer Institute und Gebäude
enthält. Der Fonds der Universität betrug bei ihrer Stiftung 6000
Schwedische Thaler, jetzt gegen 100000 Silberrubel. Der Kaiser er-
nannte bei Gelegenheit dieser Feier den Rector der Universität zum
wirklichen Staatsrath mit dem Prädicat Excellenz, die Professo-
ren Struve , Engelhardt u. Ledebour zu Bittern des St. Annen- und
den Senior der Univers., Staatsrath Dr. Jäsche zum Ritter des St. Wla-
dimirordens. Eine ausführliche Beschreibung dieses Festes steht in
der Jen. L. Z. 1828 Int. Bl. 8 S. 57 — 62 u. in der Leipz. L. Z. Nr. 66.
Beide Beschreibungen sind aus den Bigaer Provinzialblättern 1828 Ute-
rar. Begleiter Nr. 1 genommen: welche Zeitschrift nach Sonntags Tode
der Dr. Merkel fortsetzt.
Ehfncex. Der Bepetent TFömer ist Professor an der 4n Classe
der obern und der Lehramtscandidat Osswald Präceptor an der 3n Cl.
der untern Gymnasialabtheilung geworden.
Elbing. Dem Gymnasiallehrer Merz ist die dritte Oberlehrcrstelle,
welche er bisher interimistisch verwaltete, definitiv übertragen und das
Prädicat eines kön. Professors beigelegt worden.
Fraiskfurth an der Oder. Das Friedrichs - Gymnasium ist aus
zwei gelehrten Schulen entstanden. In früherer Zeit hatte Frankfurth
zuerst eine Lutherische Schule. Das Stiftungs- Jahr derselben ist un-
gewiss , wahrscheinlich ist es , dass sie bald nach Einführung der Re-
formation in hiesiger Stadt, welche im J. 1530 erfolgte, gestiftet wor-
den ist ; gewiss aber , dass sie schon im J. 1543 einen Collegen , den
nachherigen Rector M. Vitus Bach , später Professor der Theologie an
der Universität, hatte. Zweitens hatte die Stadt eine reformirte Schule,
die vorzüglich durch die Verwendung des ordentlichen Professors der
Theologie D. Rieselrnann im J. 1604 gegründete, am 1 Juli d. J. , dem
Geburtstage Friedrich's I, an einem Tage mit der Universität Halle,
feierlich eingeweihte und nach dem Namen des Königs genannte Fried-
richs -Schule, deren erster Rector Paulus Volckmann war. — Beide
Anstalten wurden , da sie in letzter Zeit in Verfall gerathen waren und
Eine gelehrte Schule für die Bevölkerung Frankfurths hinreichte, im
J. 1814 mit einander vereinigt, und so entstand das Friedrichs - Gymna-
sium. Letzteres ist aber nicht ganz städtische Anstalt mehr, indem
zwei Lehr -Stellen an demselben ganz neu hinzugekommen und aus
dem Neu - Zellischen Fonds fundirt worden sind. — Es besteht in seiner
jetzigen Einrichtung aus 6 Classen, von denen je zwei und zwei, im
Lehrplane enger verbunden, eine höhere, mittlere und untere Bil-
dungsstufe ausmachen. Seitdem die ehemalige Stadt - Schule , nach
der Ausscheidung des gelehrten Bestandtheiles, durch allmählige, sehr
250 Schul- und Universitätsnachrichten,
zweckmässige Verbesserungen in eine musterhaft organisirte höhere
Bürger - und Elementar - Schule umgestaltet worden ist , ist unsre An-
stalt ausschliesslich Gymnasium; es sind daher alle Schüler verpflich-
tet, an allen Unterrichtsstunden Theil zu nehmen; von keiner wird
ausser nach den höhern Orts festgesetzten Bestimmungen Dispensation
ertheilt. Combinationen mehrerer Classen finden , ausgenommen im
Singen und Zeichnen , nicht Statt. In die sechste Classe werden die
Schüler gewöhnlich mit dem 8n oder 9n Jahre aufgenommen , wozu
nur die notwendigsten Vorkenntnisse erfordert werden. Die Dauer
der Schulzeit ist 8 — 10 Jahr, von denen 4 auf Secunda und Prima
kommen. Für die Aufnahme fremder Schüler besteht ein Alumnat,
mit 5 ganzen Stellen, jede zu 30 Thlrn., 5 halben zu 60 und 2 Pen-
sionsstellen zu 120 Thlrn., welches gegenwärtig unter der Aufsicht des
Conrectors Dr. Reinhardt steht. Versetzungen finden zu Ostern und Mi-
chael Statt, und nicht in einzelnen Fächern und Lectionen, sondern
von Classe zu Classe, besonders aus einer Bildungsstufe in die andere;
innerhalb derselben Bildungsstufe sucht man, wo es rathsam scheint,
das Fach- mit dem Classen-System zu verbinden. Vor der Versetzung
im Examen stellt der üirector in den Classen Privat-Prüfungen an. Das
öffentliche , mündliche und schriftliche Examen findet zu Ostern und
das Hauptexamen zu Michael Statt, wo auch in den Classen, in wel-
chen der Cursus jährig ist, derselbe neu beginnt. Jede Classe hat
wöchentlich 30 Lectionen , abgerechnet die ausserordentlichen im Sin-
gen , Zeichnen , Hebräischen und Englischen. Das Schulgeld betrug
bisher auf der ersten Bildungsstufe vierteljährig 4, auf der zwei-
ten 3, und auf der dritten 2 Thlr. Da aber in diesem Jahre der Bau
eines zum Gymnasium gehörigen Gebäudes dringend nothwendig ge-
worden war, und die Schulcasse keine Mittel dazu besass; so ist zur
Deckung der Zinsen eines, zu diesem Behufe aufzunehmenden, Kapi-
tals mit Genehmigung des königl. Consistoriums der Provinz Branden-
burg zu Berlin das Schulgeld der beiden untersten Classen um 1 Thlr.
vierteljährig erhöht und so dem der dritten und vierten gleichgestellt
worden. — Das äussere Betragen der Schüler wird durch gedruckte,
aus 33 Artikeln bestehende Schulgesetze bestimmt.
Freybiug im Breisgau. Das Programm , welches den öffentli-
chen Endprüfungen des Gymnasiums im Schuljahr 18§-£ als Ein-
ladungsschrift vorausging, enthält 1) Schulnachrichten, 2) die Lehrge-
genstände der Classen sammt der Prüfungsordnung und 3) das Schü-
lerverzeichniss. Die Schulnachrichten sagen, dass drei geistliche Leh-
rer neu angestellt wurden , nämlich der Gymnasialpräfekt Schmeisser
und die Professoren Bilharz und Haberer. Will man jedoch die Leh-
rerzahl vollständig kennen, so müssen die vorhandenen geistlichen Pro-
fessoren Schilling und ßrugger nebst den beiden weltlichen Professo-
ren JVeissgerber und Dr. Baumstark noch genannt werden , gleichwie
der Münster -Chorregent JFeiland, welcher Kalligraphie lehrt, und der
Universitätsprofessor Ge.ssler, der im Zeichnen Unterricht giebt. Diese
Lehrer haben jetzt miteinander sechs Classen, die auf eben so viele
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 251
Jahre berechnet sind , nachdem nämlich die früher abgesondert bestan-
dene Vorbereitungsciasse mit den bisherigen fünf Schulen des Gymna-
siums vereinigt wurde. Bei dieser zweckmässigen Verbindung, die
leicht durch verlängerten Aufenthalt in der Schule noch zweckmässiger
gemacht werden könnte , wird die wenig vergrösserte Stundenzahl des
Griechischen Sprachunterrichts besonders herausgehoben und durch
längst Bekanntes über Wcrth und Bedeutung dieses wesentlichen Gy-
innasialgegenstandes ganz kurz gerechtfertigt; nur die ethische Seite
findet miin gegen alles Erwarten so unverhältnissmässig lang ausge-
sponnen, dass es beinahe den Anschein gewinnt, als werde es in Frey-
burg nöthig, die classische Literatur gegen die Vorwürfe heidnischer
Buchlosigkeit in Schutz zu nehmen. So liest man dann als Anhang
zu den Schulnachrichten von ihrem Verfasser, Gymnasialpräf. Schmeis-
ser, eine nicht zu verachtende Materialiensanuulung zu einem Sopho-
klcischcn Katechismus der Sittenlehre. Die Lehrgegenstände des Gymna-
siums sind Religion, Deutsche, Lateinische, Griechische u. Französische
Sprache nebst Geschichte und Geographie , Mathematik , Kalligraphie,
Zeichnen und Gesang, grösstenteils nach dem Classenlehrersystem
vertheilt. Wer dabei bemerkt, dass der Schreibunterricht natürlich
nur die niedersten Schulen angeht, dass sämmtliche Classen zusam-
mengenommen im Zeichnen gleichwie im Gesang in zwei Abtbeilungen
zerfallen, dass endlich in jeder Schule für Religion, Geschichte, Geo-
graphie u. Mathematik wöchentlich nicht mehr als fünf Stunden noth-
dürftig anberaumt sind , obgleich die ganze Stundenzahl mit den Clas-
sen von 20 bis zu 27 aufsteigt; der dürfte nur den Französischen Sprach-
unterricht noch aus der Reihe der gewöhnlichen Schulstunden hinaus-
gewiesen sehen , um auf den Gedanken zu kommen , dieses katholische
Gymnasium im Grossherz. Baden strebe , so weit es die Verhältnisse
gestatten, den Forderungen sich zu nähern, welche Hr. Hofr. Thiersch
für Bayerns Gymnasien aufgestellt hat: wenn es nicht gar zu dem Ex-
trem sich hinneigt, welchem zufolge nur der Unterricht in der alt-
classischen, d. h. Griechischen und Römischen, Literatur als der allein
wesentliche für Gymnasien, aller andere aber lediglich als Nebensache
angesehen werden soll. Unsere Zeit sammt der Frequenzzahl von 240
Schülern dürfte sich jedoch eher mit den neusten königl. Preuss. Mi-
nisterialverordnungen über die Aufgabe der höhein Lehranstalten be-
freunden, wie sie in der Allg. Schulzeitung 1827 mitgetheilt wurden. —
An der Universität haben die Professoren Welcher, Aniann, Beck,
Schulzen. Butzengeiger den Charakter als „Hofrath" erhalten. Auch
ist der Dr. Carl Alexander Freiherr Reichli/i- Meldegg zum ausseror-
dentlichen Professor der Theologie ernannt werden , gleichwie derPri-
vatdocent Dr. Zimmermann zum ausserordentl. Prof. der Philosophie u.
der Dr. Carl Friedrich Baurittel zum ausserordentl. Prof. der Rechte.
Gera. Der Professor am Gymnasium 31. Jonathan Heinrich Trau-
gott Hehr ist zum Consistorialrath, Superintendenten und Pastor Pri-
marius an der St. Johanniskirche ernannt worden. Unter dem 29 Oct.
v. J. erhielt seine Lehrerstclle der Conrector M. Christian Gottlob Her
Jahrb. f. Phil. u. Päda&. Jahrg. III. Heft 2. 17
252 Schul- und Uni vcraitätsnach richten,
zog, das Conrectorat aher der Privatiloc. an der Univers. u. ausserordentl.
Collaborator an der Thomasschule in Leipzig M. Jdelbert Lipsius.
Glogai. Beim evangel. Gymnasium ist der Schulamtscand. C.
F. Klose [Jbb. III, l S. 116] als Lehrer angestellt worden.
Gotha. An die Stelle des verstorh. Regel [s. Jbb. III, 1 S. 111]
ist der Dr. Hühner am Gymnas. als Collaborator eingetreten.
Grätz. Am Johanncuin ist unter dem 26 Dec. v.J. der Abt des
Cisterzienserstifts Rein, Ludwig Crbphius, zum Studiendirector ernannt
worden , und der Verweser der Eisenwerke zu Kainach in Steiermark,
Joseph von J schauer, hat die neuerrichtete Lehrkanzel der technisch -
praktischen Mathematik erhalten.
Halle. Bei der Univers, ist der ausserord. Professor Dr. Kaul-
fiiss zum ordentl. Professor der philosoph. Facultät ernannt, an der
Latein. Schule des Waisenhauses der Dr. Aug. Ludw. Steinberg als
Schulcollege angestellt worden.
Heilbronn. Die Bd. IV S. 350 über das Gymnasium gegebene
Nachricht ist dahin zu berichtigen, dass dasselbe im vorigen Jahre
nicht erst zu einem Gymnasium erhoben wurde: denn es war immer
Gymnasium, von dem die Universität unmittelbar bezogen werden
konnte, und feierte als solches am 13 Nov. 1820 sein zweites Stiftungs-
jubiläum. Im J. 1827 ist es durch Allstellung einiger neuen Lehrer
nur erweitert und aus einer städtischen Anstalt in ein Landesgymna-
sium umgewandelt worden.
Jena. Die geheimen Hofräthe Dr. Eichstadt und Luden sind un-
ter dem 30 Jan. vom Grossherzog von Sachsen- Weimar -Eisenach zu
Rittern des weissen Falkenordens ernannt worden.
Königsberg. Der Oberlehrer Dr. Lucas ist Schulrath bei dem
Provinzial- Schulcollegiura und der Regierung geMorden.
Lahr. In Baden giebt es viele Pädagogien oder sogenannte Latei-
nische Schulen , z. B. zu Meersburg , Villingen , Lörrach , Müll-
heim, Emmendingen, Mahlberg , Kork, Baden, Ettlingen, Dim-
lach, Pforzheim, Eppingen, Philippsbitig , Weinheim, Mosbach,
Taitberbischofsheim u. a. m. Alle zusammen haben wohl den Vor-
theil , dass die Bewohner dieser Städte und ihrer nächsten Umgebun-
gen die Kinder nicht gleich beim Beginne der Studien an ein entfern-
teres Gymnasium oderLyceum zu schicken genötbigt sind, sondern erst
nach zwei oder auch drei und vier Jahren des Studienlaufs 5 allein
ausser dieser Zeitdauer ist von der Einrichtung und Wirksamkeit dieser
niedersten Gelehrtenschulen nicht viel mehr bekannt, als dass die mei-
sten derselben ihre Schüler dahin zu bringen suchen, an irgend einer
höhern Lehranstalt in den vollständigem grammatischen Cursus ein-
treten zu können, und dass in den protestantiseben Pädagogien das
Schuljahr gewöhnlich an Ostern sich schliesst, in den katholischen u.
gemischten hingegen im Herbste. Keines von allen macht sein Lectio-
nen- u. Schülerverzeichniss durch den Druck öffentlich bekannt, aus-
genommen das Pädagogium zu Lahr, welches in der Regel damit noch
«ine kurze Abhandlung verbindet, und auch im Spätjahr die Schulen
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 253
endigt. Sein Programm vom letztverflossenen Studienjahr 18|f ent-
hält einen neuen Schulplan, welchem zufolge in dem gewerbreichen
Städtchen die Aufgabe einer Bürgerschule und einer Gelehrtenschule
vereinigt, also in beiderlei Bücksiebt eine tüchtige Grundbildung ge-
geben werden soll. Zu dem Ende sind von den beibehaltenen drei
Schulen, die Classen heibsen und nach Art des Lyceunis zu Carlsruhe
von oben herab gezählt werden, die erste und zweite in sogenannte
formelle oder gelehrte und in reale oder nichtgelehrteAbtheilungen ge-
schieden worden. Die dritte oder unterste Ciasse bleibt auch in Zu-
kunft ein ungeteiltes Ganze mit folgendem Lehrkreis: Religion 2 St.,
Lesen u. Verstandesübung 1 St. , Rechnen 3 St. , Geographie 1 St.,
Deutsche Sprache 2 St. , Französisch 3 St. , Schönschreiben 4 St. , La-
teinisch 10 St., Zeichnen 4 St., zusammen wöchentlich 30 St. In der
zweiten Classe hat die formelle Abtheilung 36 und die Real-
abtheilung 28; in der ersten Classe jene 34 und diese 29 Lehr-
stunden. Ueber das Unterrichtsmaterial dieser beiden Classen und
seine Verth eilung unter die Realisten u. Gelehrtenschüler spricht sich
Hr. Prof. Fecht in der Beleuchtung des neuen Schulplans auf folgende
Weise aus: „Einige Gegenstände, wie Religion, Geschichte, Geo-
„graphie, Naturkunde, Mathematik, Mechanik, und auch von nun
„an Technologie, Französische Sprache, werden densäramtlichenSchü-
„lern der nämlichen Classe vorgetragen, in andern , als dringendstem
„bürgerlichen Bedürfniss, wie Schreiben, Bechnen, Deutscher Sprache,
„blos der realen Abthcilung mehrere Stunden zugeschieden, und da-
„ gegen soll die formale in diesen Sachen erleichtert werden. Iiinwie-
„derum erhält die formale Abthcilung einen reichern Unterricht im
„Latein u. Griechischen. — Die realen Abtheilungen sind streng ge-
setzlich von den alten Sprachen völlig frei; es ist jedoch den Real-
schülern der zweiten Classe gestattet, mit der gelehrten Abtheilung
„an den wöchentlichen drei Justinsstunden, und ebenso den Realschü-
„lern der ersten Classe, mit der gelehrten Abtheilung an den drei C:i-
„ Sarsstunden Theil zu nehmen." Der Lateinische Sprachunterricht geht
bis zur Uebersetzung des Virgil, Cäsar und der Briefe Cicero's, der
Griechische hingegen bis zu Jacobs Lesebuch oder der Anabasis. Da-
bei ist in allen Classen, deren jede einen zweijährigen Kreislauf hat,
durch Stundenvermehrung Vorkehrung getroffen , dass der Französische
Unterricht mit Rückübersetzung eines schwerern Schriftstellers künftig
an der Anstalt sich endigen kann, dass ferner die Deutsche Sprache
über die gewöhnliche Prosa hinaus in das rhetorische und poetische
Gebiet fortgeführt wird, dass das Rechnen noch den Wurzclkalkul mit
Quadrat- und Kubikwurzel, und den Anfang von algebraischen, lo-
garithmischen u. kaufmännischen Rechnungen nebst fortgesetzter Ue-
bitng des Kopfrechnens in sich schliesst, dass endlich der geometrische
Unterricht zuletzt die Planimetrie umfasst, und die Realabtheilung der
ersten Classe auch in der Mechanik u. Stereometrie praktisch geübt
wird. Mit solchem Lehrplan, der in dem laufenden Schuljahre mit
höchster Genehmigung ins Leben getreten ist, steht das Pädagogium,
254 Schul- und Universit ä t s n a c h r i c h t e n,
falls nicht die aufs Neue dem Lyceum zu Carlsruhe angehängte Real-
classe in Vergleich gezogen werden soll , unter allen Gelehrtenschulen
des Grossherzogthums allein da, aus demPrincip einer gemischten An-
stalt gebildet. Es hleibt freilich wahr, dass einiges von der Grund-
lage zum künftigen Gelehrten auch dem künftigen Bürger und niedern
Staatsdiener nützlich oder nothwendig ist, und umgekehrt, aber diese
Wahrheit schützt noch nicht gegen die Nachtheile der vereinigten po-
lytechnischen u. philologischen Grundbildung an einer u. derselben An-
stalt. Die Zeit muss lehren, ob die neue Einrichtung zu Lahr allen
Missverhältnissen einer Mischschule abgeholfen hat oder nicht. Viel-
leicht dürften in Zukunft die Formalisten oder Gelehrtenschüler der
ersten und zweiten Classe von der Physik u. Technologie , gleichwie
die Realschüler in der dritten oder untersten Classe schon von dem La-
tein , „einem für sie unnützen Ballast ," befreiet werden, zumal da
sie ohne fortgesetzte Grammatik in den spätem Justins - und Cäsars-
stunden wenig oder gar nichts in der Lat. Sprachkenntniss gewinnen
werden. Dann bliebe wohl zunächst der Uebelstand in der Behand-
lungsweise der vielen gemeinschaftlichen Lehrgegenstände für Reali-
sten und Gelehrtcnschüler. Erfahrne Schulmänner wollen behaupten,
dass gerade hierin auch der geschickteste Lehrer nicht allem und je-
dem Missverhältnisse zu entgehen im Stande sey , ein Grund, warum
schon früher einige unserer Gelehrtenschulen der allgemeiner verbrei-
teten Realisten ganz los zu werden suchten. Das Gedeihen der Schule
als gemischter Anstalt dürfte eben so durch allzu ungleiches Alter der
Zöglinge in den einzelnen Classen gestört werden; denn es ist nicht
wohl möglich , dass das Pädagogium als Bürger- u. Gelehrtenschule
für seine Classen ein ungefähres Normalalter gleich dem Lyceum zu
Carlsruhe festsetzen oder festhalten kann. Herr Prof. Fecht erwartet
selbst nur, es werde dem bisherigen Missstande des Pädagogiums durch
die neue Einrichtung ziemlich abgeholfen werden. Man darf erwarten,
dass die Frequenz der Anstalt, welche im letzten Schuljahre 9 in I,
25 in II u. 45 in III, im Ganzen 79 wirkliche Schüler betrug, worun-
ter 20 nicht in Lahr Gehörne waren, in Zukunft sich noch vermehre.
Aber auch ohne diess würde es zweckmässig seyn, im Schülerverzeich-
niss die Realisten von den Formalisten zu trennen, oder wenigstens an-
zugeben, wie viele Zöglinge jährlich von der ganzen Anzahl an höhere
Bildungsanstalten , d. h. Gymnasien oder Lyceen , abgingen. Die Leh-
rer selbst sind auf folgende Weise nach dem neuen Schulplane ver-
theilt: 1) Hr. Prof. Fecht für Latein durch alle drei Classen, für
Griechisch u. Deutsch in I , für Geschichte in I u. III , für Rechnen u.
Geometrie in I u. II, für Mechanik u. Stereometrie in I. 2) Hr. Dia-
conus Gebhard für Religion in I u. II, für Latein in I u. II, für Griech. u.
Gesch. in II, für Deutsch in II u. III, für Geographie in III. 3) Hr. Diac.
Kröll für Religion in III, für Latein in I u. III, für Griechisch in III
(welcher Gegenstand des neuen Schulschematism nicht in der Angabe
der Stundenzahl der dritten Classe steht), für Naturlehre u. Naturge-
schichte u. für Geographie in I u. II, für Technologie in II, für Rech-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 255
nen in Ilf . 4) Hr. von Phul für Französische Sprache in I — III.
5) Hr. Geiger für Schönschreiben in 1 — III. 6) Hr. Seiler für Zeich-
nen ebenfalls in I — 111. Die Oberaufsicht über das Ganze scheint Hr.
Decan Müller zu führen, da er den sogenannten Redeactus am Schlüsse
des Schuljahres, wozu Hr. Prof. Fecht einen einleitenden Vortrag Hielt,
mit einer Rede, Austheilung der Preismedaillen und Bekanntmachung
der Promotionen schloss.
Leipzig. Den 21 Febr. feierte der Senior der Universität, Hof-
rath und Professor Christian Daniel Heck, sein 50jäbriges Magisterju-
bilänm , unter vieler Theilnahme der Universität und Behörden , so
wie überhaupt des In- und Auslandes. Schon früher hatte ihn in Be-
zug darauf die Universität zu Erlangen zum Doctor der Theologie er-
nannt [s. Jbb. V S. 422] , und den 17 Febr. erhielt er ein Glückwün-
echungsschreiben der theol. Facultät in Jena, die ihn zum Doctor er-
wählt hätte, wenn nicht die Erlanger Facultät ihr zuvorgekommen.
Am 20 Febr. erhielt er ein Belobungsrescript von Sr. Maj. dem Könige,
begleitet von dem Wunsche , dass er sein Jubelfest als akadem. Lehrer
(1829) gesund erleben möge. Am 21 creirte er selbst als Decan der
philosoph. Facultät 11 Magistri und erhielt von dieser Facultät ein
neues Diplom , von der theolog. Facultät das Diplom eines Doctors der
Theologie, von der Universität eine Epistola gratulatoria [verfasst vom
Prof. Hermann] , von der naturforschenden Gesellschaft und von der
Gesellschaft zur Erforschung der Deutschen Sprache u. Alterthümer
Ehrendiplome. Die ehemaligen Mitglieder des Seminarii regii philo-
logici brachten ihren Glückwunsch durch eine Schrift des Rector emerit.
u. Prof. Sturz in Grimma (Novae annotationes in Etymologicon ma-
gnuni) und durch ein Latein. Gedicht vom Prof. Nobbe, die jetzigen
durch eine Lat. Ode vom Studios. Franke aus Weimar dar. Der Prof.
Beier hatte ihm dazu seine Ausgabe von Ciceronis Laelius , der Prof.
Com. Müller in Hamburg die aus Gurlitt's Nachlasse herausgegebene
Spittlerscbe Geschichte der Hierarchie gewidmet. Ueber andere Feier-
lichkeiten berichtet das Leipziger Tageblatt Nr. 64. Der Priv.itdoc.
M. Georg Justus Carl Louis Plato ist zum ausserord. Professor der Phi-
losophie ernannt. Der Privatgelehrte Dr. Lindner hat vom Könige
von Preussen für das eingesandte Exemplar seiner vergleichenden
Grammatik eine goldene Medaille erhalten.
Lemgo. Zum Rector des Gymnas. [an Greverus Stelle, s. Jbb. V
S. 218] ist der bisher. Lehrer Schierenberg am Gymn. in Detmold er-
nannt Morden.
Magdeeirg. Am Pädagog. unserer lieben Frauen ist der provi-
sorisch angenommene Schulamtscaud. Grützner wirklich angestellt
Morden.
München. Am 6 Jan. hielt die Akademie der Wissenschaften eine
ausserordentliche Sitzung, in welcher der geh. Hofrath Dr. von Schel
ling dem ältesten Mitgliede der Akademie, Lorenz vonWestenrieder,
weichet zu Ende 1827 50 volle Jahre Akademiker war, das vom Könige
ihm verliehene Ehrenkreuz des ueugestifteten Ludwigsordens (zur Be
256 Schul- und Universitätsnachrichten,
lohnung 50jähr. treu geleisteter Dienste) überreichte und eine dazu pas-
sende Hede hielt.
Offkmiukg. Das Verzcichniss der Lehrgegenstände und Schüler
des Gymnasiums, die gewöhnliche Einladung zur öffentlichen Prüfung
und Preisaustheilung , seitdem die Anstalt keine Abhandlung mehr lie-
fert, enthält in Rücksicht des Lehrerpersonale im verflossenen Stu-
dienjahre 18f 5 keine Veränderung. Es sind noch immer nur vier Leh-
rer vorhanden, nämlich zwei geistliche, Gymnasialdirector u. Prof.
Koch u. Prof. Binz, nebst den zwei weltlichen Professoren Scharpf u.
Decker, welche miteinander den wissenschaftlichen Unterricht in drei
Classen, jede mit zwei Abtheilungen, also in sechs Schulen zu besor-
gen haben. Darum hat denn jeder Lehrer wenigstens in zwei, Prof.
Scharpf aber noch mit dem Griechischen Sprachunterricht, gleichwie
Prof. Decker mit der Mathematik in allen Schulen zu thun. Lebri-
gens ist das Fach - u. Classenlehrersystem unter solchen Verhältnissen
möglichst glücklich vereinigt. Der Zeichnungsunterricht wird vom
Lehrer Bitte/mann und der Musikunterricht vom Lehrer Huber für
alle Gymnasiasten in besondern Abtheilungen ausser den gewöhnli-
chen Classenstunden ertheilt. Schüler zählte die Anstalt dieses Jahr
in der Principistenschule 9 , in der Infima 18 , in der Gram-
matik 21 , in der Syntax 20 , in der Poesie 14 und in der Rhetorik 5,
zusammen 87, die Gestorbenen und Gäste und die im Laufe des Som-
mercurses Ausgetretenen mitgerechnet. Die Schülerzahl hat sich ge-
gen früher etwas vermindert. Uebrigens ist diese Abnahme der Fre-
quenz eine Erscheinung, die sich fast bei ollen katholischen Mittel-
schulen des Grossherzogthums findet, und eben darum auf keine der-
selben ein ungünstiges Licht werfen kann. Es ist ja möglich, dass der
grosse Zudräng zum Studieren, der seit mehrern Jahren nicht ohne
Besorgniss bemerkt wurde, jetzt von selbst nachzulassen anfängt. Ge-
genüber der verminderten Schülerzahl hat sich aber die Zahl der Lehr-
gegenstände der Anstalt vermehrt. Früher enthielt sie in ihrem Unter-
richtskreise Religion, Deutsche, Lateinische, Griechische, Französische
und Hebräische Sprache in Verbindung mit Geschichte und Geographie,
Mathematik, Naturgeschichte, Kalligraphie, Zeichnung und Musik.
In dem letzten Studienjahre sind neu hinzugekommen: Naturlehre und
Archäologie und Geographie Altgriechenlands. Schade nur, dass die
letzte an der Anstalt um zwei ganze Jahre später gelehrt wird als die
Geschichte Griechenland», anstatt mit dieser verbunden zu werden,
wie z. B. am Gymnasium zu Freyburg, dass ferner die Archäologie
durch ihr Kunstgebiet den so nothwendigen Römischen Antiquitäten die
Zeit raubt, und dass endlich die Naturlehre, welche an dem Gymna-
sium auch des aller dürftigsten Apparats gleichwie der Mittel zu des-
sen Anschaffung entbehrt, mithin ohne sonderlichen Lehrerfolg bleiben
muss, am Ende gar noch den zeit-, ort- und sachgemässen Unter-
richt in den Elementen der Hebräischen Sprache für künftige Theolo-
gen entweder schon verdrängt hat oder noch verdrängen wird. So
etwas sollte um so weniger geschehen , als nicht nur die entlassenen
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 25*
Gymnasiasten während des pbilosoph. Cursus auf einer Landesuniversi-
tüL otltr auf einein Lyceum die Physik zu hören angewiesen sind, son-
dern auch der zukünftige Theolog auf der Universität seltner sieh
tun die Hebräische Grammatik viel kümmert. Die Anstalt, welche in
ihrem Lehrplan immer noch zu experimentieren scheint, sollte die Ele-
mente des Hebräischen nicht aufgeben, wohl aber die IVaturlchre, und
dann auch in Zukunft ihre liudimentistcn (Cl. I) nicht gleich zum
Willkomm mit Deutschen, Lateinischen, Französischen u. Griechischen
Sprachformen auf einmal überladen, obschon dicss auch z. B. andern
Lyceum zu Itastatt geschieht. Will das Gymnasium, welches durch
die Seculax'isation vom J. 1804 nebst andern kathol. Mittelschulen Ba-
dens aus einer Klosterschule (der Franciscaner nämlich) entsprungen
ist, mit Kecht von der frühern Einfachheit der klösterlichen Einrich-
tung nichts mehr wissen, weil diese zugleich Dürftigkeit war, so bleibt
doch dem reichhaltigem gelehrten Material der jetzigen Schulbildung
eine einfache Organisation wesentliches Bedürfniss.
Fabis. In der Akademie ist M. P. Lebrun an Francois de Neuf-
chateau's [s. S. 244] Stelle zum Mitgliede gewählt worden.
Petersburg. Die Akademie der Wissenschaften hat den Statisti-
ker Prof. Hassel in Weimar zu ihrem correspondirenden Mitgliede er-
nannt. Der Präsident der Akademie , geh. Bath und Senator Ouu'w
rou- , hat den St. Annenorden Ir Classe erhalten. Die früher in öffent-
lichen Blättern mitgetheilte Nachricht, dass auf den Russischen Uni-
versitäten die philosophischen Vorlesungen aufgehoben seven [ vgl.
Jbb. IV S. 353] , ist ungegründet.
Potsdam. Der Conrector Schmidt und der Subreetor Heiniholz
am Gymn. haben das Prädicat Professor erhalten.
Prenzlau. Am Gymnasium ist der zweite Collaborator Meinicke
in die erledigte erste, der Hülfslehrer Strahl in die zweite Collabova-
tur aufgerückt.
Pbeusseiv. Se. Maj. der König haben zum Ankauf einer Samm-
lung von seltenen Chinesischen und Mandschurischen AVerken für die
Universitätsbibliothek in Halle die Summe von 100 Pfund Sterling au-
sserordentlich bewilligt. Zur Vergrösserung des botanischen Gartens
der Univ. in Kömcsberg ist die Summe \on 2500 Thlrn. ausgesetzt, der
Etat des botanischen Gartens in Neu- Scuöveberg bei Berlin durch ei-
nen jährlichen Zuschuss von 2448 Thlrn. erhöht worden. Dem Gymna-
sium in Rasteinburg ist zur Anstellung eines Schreib- u. Zeichenleh-
rers ein jährlicher Zuschuss von 300 Thlrn., dem Gymnas. in Tilsit
zum Wiederaufbau des abgebrannten Gymnasialgebäudes die Summe
von 5000 Thlrn. aus Staatsfonds angewiesen. Zur weitern Einrichtung
der Schüllehrerseminarien in Brühl, Moers und Neuwied wurde aufs
Neue die Summe von 1345 Thlrn. bewilligt, und am Schullehr.erseminar
und der Normalschule in Mauienburg wird aus Staatsfonds eine zweite
Lehrerstelle gegründet. Ebendaher erhalten die Gemeinden zu Blax-
KE\m rg im Beg. Bez. Erfurt u. zu Tvüeiiaisen im Reg. Bez. Münden
zum Neubau ihres Schulhauses jede 500 Tlilr. Dem durch seine Aus-
258 Schul- und Universitätsnach richten,
gahe der Sehr, des Ilippokrates de morho sacro bekannten Dr. med.
Dietz sind vorläufig 150 Thlr. als Unterstützung zu einer wissenschaft-
lichen Reise bewilligt, auf welcher er zu Ilippokrates und Actuarius
neue Handschriften vergleichen will. Der Landschaftsmaler Schirmer
erhält 300 Thlr. zur weitern Ausbildung auf ein Jahr in Italien, die
Wittwe des verstorb. Professorsund Secretairs der kön. Akad. der Künste
Schumann in Berlin eine jährl. Pension von 200 Thlrn. An ausseror-
dentlichen Unterstützungen sind bewilligt: in Berlin dem Collabora-
tor Weise am Friedrichs - Wertherschen Gymnas. 100 Thlr., in Me-
6eritz dem Conrector Klähr 150 Thlr., in Naumburg dem Conrector Dr.
Müller 50 Thlr., in Nordhausen dem emeritirten Collaborator Wolfram
50 Thlr.; an Gehaltszulagen: in Berlin dem Prof. Dr. Bemhardj 100
Thlr., in Greifswald dem Prof. Dr. Parow (in der theol. Fac.)fürdie
Verseilung des akad. Procancellariats 231 Thlr., in Halle dem Prof.
Dr. Meckel (wegen eines Rufs an die neue Univ. in London) 500 Thlr.
nebst dem Prädicat eines geh. Medicinalrathes , in Meurs dem Lehrer
Vorreiter am evang. Schullehrerseminar 50 Thlr. Remunerationen er-
hielten : in Berlin der Prof. Dr. Ranke 200 Thlr., in Bielefeld der
Rector Dr. Kästner 70 Thlr. , in Bonn der Prof. in der jur. Fac. Dr.
Pugge 150 Thlr. , in Conitz der Director Müller 50 Thlr. , in Danzig
der Director der Kunst - u. Handelsschule Prof. Breysig 200 Thlr. , in
Königsberg der Universitätsmechanicus Parchem 100 Thlr. , in Ratibor
der Gymnasiallehrer Konig 30 Thlr. , in Tilsit der Director Cö'rber
150 Thlr. , die Oberlehrer List , Lenz u. Heidenreich jeder 100 Thlr.,
die Unterlehrer Schneider u König jeder 75 Thlr. Dem Gymnasialleh-
rer Oebecke in Aachen ist eine jährliche Miethsentschädigung von 50
Thlrn., dem Gymnasialprof. Besler in Erfurt eine ausserord. Gratifika-
tion von 50 Thlrn. bewilligt.
Rastatt. Der Prof. Leopold L,ump , Musik- und Principisten-
lehrer an dem hiesigen Lyceum , ist Domcaplan geworden bei dem neu-
errichteten Erzbischöflichen Sitze zu Freyburg im Breisgau.
Rinteln. Im Laufe des Jahres 1827 sind folgende Gelegenheits -
Schriften von Seiten des Gymnasiums herausgegeben worden: 1) Neun-
zehnte Nachricht über den Fortgang desselben als Einladung zur Oster-
prüfung von dem Director, Consistorial - Rath und Professor Dr. JViss,
welche zugleich eine systematische Uebersicht des ganzen Gymnasial-
Unterrichtes enthält (32 S.) ; 2) Zwanzigste Nachricht von demselben,
welche zugleich neue Disciplinar - Gesetze enthält, als Einladung zur
Michaelis -Prüfung; 3) Carmen saeculare academiae Philippuiae , ca-
nente D. JViss , obtulit gymnasium (8 S.) ; 4) Dasselbe cum notis histo-
ricis , von demselben, als Einladung zur Feier des Kurfürstlichen Ge-
burtstages (12 S ) ; 5) Theses ad solemnia ecclesiae Christianae per
Lutherum emendatae et gymnasii inaugurati anniversaria proposuit D.
Schiek (4 S.). Reden haben, ausser den gewöhnlichen , gehalten:
der Director bei einer Entlassung der Abgehenden: De magno studio-
rum academicorum momento in totius vitae salutem ; Dr. Fuldner bei
einer Versetzung der Schüler: von dem Einßuss, welchen die Bildung
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 259
des Sprachvermngens auf die Entwich elung der Vernunft hat ; Dr. Schiek
bei der Feier des Kurfürstlichen Geburtstages über den Satz , dass die
Beförderung der Wissenschaften die erste Quelle der öffentlichen
Wohlfahrt ist. Von Schülern sind zehn öffentliche Redeversuche in
Deutscher, Lateinischer und Englischer Sprache und ein Disputations -
versuch gemacht worden. Die Zahl der Schüler, welche von neun
Lehrern in vier Classen unterrichtet werden, ist 120, von denen etwa
der dritte Theil aus der Stadt selbst, ein Drittel aus dem Inlande und
ein Drittel aus dem Auslande ist.
Salzwedel. Eine Beschreibung des am 3 Jan. gefeierten Amtju-
biläums des Pastor 11 olterstorff [s.Jbb.VI S. 135, wo falsch JVoltersdorf
steht] hat der Rector Banneil (8 S. in 4.) herausgegeben , aus welcher
wir, da sie nur als Manuscript für Freunde des Jubilars nusgegeben
wird , folgendes ausheben. Christian TVolter storff ward am 3 Januar
1778 als Lehrer am Friedrichscollegium in Königsberg eingeführt, ward
1782 Rector in Memel, 1785 Rector in Salzwedel, 1799 Diaconus an
der dasigen Marienkirche und 1806 Diaconus an der Catherinenkirche.
Als Prediger behielt er im Gymnasium den ganzen Unterricht im He-
bräischen und den Griechischen des N. Test, unter dem Titel eines Col-
laborators bei, und konnte daher am 3 Jan. d. J. 6ein SOjähr. Amtsju-
biläum als Schulmann feiern. Den Vorabend dieses Festes feierte Wol-
terstorft im häuslichen Kreise der Seinen. Seine Enkel bekränzten
ihn, sein zweiter Sohn, Diaconus an der Marienkirche in Salzwedel,
überreichte ein eben erschienenes und dem Vater gewidmetes Bänd-
chen seiner Predigten, der Bruder des Jubilars aber Flank' 's Geschichte
des Protestantischen Lehrbegriffs. Ein hoher Staatsmann Preussens,
der älteste Schüler Wolterstorff's , hatte einen schöngeschliffenen kri-
stallnen Pokal mit der Inschrift: „Segen über das ehrwürdige
Haupt. Am 3 Januar 1828.", und mehrere Flaschen alten Deutschen
Weins übersandt. Diejenigen seiner Schüler, welche jetzt in Halle
Theologie und Philologie studieren, überschickten ein Prachtexemplar
von Gesenii thesaurus. Den Morgen des 3 Januars eröffnete die erste
Gesangclasse des Gymnasiums mit dem Liede: Dir dank ich für mein
Leben, und eine Deputation der Primaner überreichte folgende, vom
Selectaner Otto Bernhard Ragotzky aus Kahrstedt geschriebene, Gratu-
lationsschrift: Praeceptori suo .... Christiano Jf olterstorjf,
Pastori ad S. Catharinae aedem, diem} quo ante hos quinquaginta
annos docendi munus suseepit, redeuntem . . . gratulantur . . . so-
dales primae classis gymn. Soltquellensis , interprete Ottone Bernhardo
Ragotzky , selecti ord. cive. Inest C anticum Mosis Deut. XXXII
La t ine conversum et adnotationibus in s t r u c tu m.
Halle, gedr. b. Gebauer. 28 S. 4. Die Schüler der zweiten Classe
überreichten durch eine Deputation die vom Primus der Classe, Herr-
mann Schulze aus Böhmenzin, verfasste Sehr. : Viro s. Ven Chr.
IVolterstorjf . . . solemnia sernisaecularia . . . feliciter celebranti . .
gratulantur sodales seeundae classis gymn. Soltq., interprete Car. Aug.
Fr id. Her rm, Schulze , sec. cl. cive. Insunt Corani Surae VI ver-
2C0 Schul- und Universitätsnachrichten,
s us 74 priores ex tribus c odd. mss. adjecta lectionis
varietat e emendat i et hat ine conversi. Halle, gedr. bei
Gebauer. 15 u. 19 S. 4. *) Eben so -wurden von Freunden und ehema-
ligen Schülern des Greises allerlei Glückwünsche und Ehrengeschenke
dargebracht. Der Seminardirector Dr. Harnisch in Weissenfeis hatte
dem Jubilar seine Anweisung zum Unterricht im Christenthum , der
Director Dr. Seebode einen Band seines Archivs für Philologie u. Pä-
dag. gewidmet. Um 9 Uhr brachten das Lehrercollegium , nach ihm
die Geistlichkeit und dann die einzelnen Beamten ihre Glückwünsche.
Unter den Lehrern hielt der Senior des Collegiums, Conrector Lösener,
früher Mitschüler, dann Schüler und endlich seit 1790 Amtgenosse des
Jubilars, die Anrede und überreichte die Sehr.: Uro pietate , doctri-
na, human, excell. Christ. JVolterstorjf KallmQjjvccicp . . . dient, quo
, gratulantur . . . gymnasii Soltq. praeeeptores , inter-
prete Gud. Gliemanji, TI oltersdorßano , gymn. subconr. Praemissum
est Abu '/ Charri '/ Momallechi ad Abu H M eich um sa-
p ient em c arm en Arabicum, ex du ob u s c od d. mss. nunc
primum editum, La t ine et vernacule conversum. ad-
nota t ionibus criticis et exegeticis in s tr uc tum. Halle,
gedr. b. Gebauer. XII, 23 u. 4 S. 4. Um 10 Uhr hegann die im Gy-
mnasium veranstaltete Feierlichkeit mit dem Liede : TFie gross ist des
Allmächtgen Güte, worauf der Rector Banneil die Festrede hielt, und
dann der Superintendent u. Ritter Oldecop das von Sr. Maj. dem Könige ver-
liehene allgemeine Ehrenzeichen erster Ciasse dem Jubilar überreichte und
die in einem Briefe Sr. Exe. des Ministers von Altenstein mitgetheilte
allerhöchste Cabinetsordrc vom 20 Oct. , nach welcher der Greis seiner
Geschäfte als Collaborator am Gymn. mit Beibehaltung seines Gehaltes
entbunden ist, so wie die Glückwünschungsschreiben des Consistoriums
*) Beide in einer recht guten Latinität geschriebenen Schriften geben ein
vorzügliches Zeuguiss von den gedeihlichen Studien des Orientalischen auf dem
genannten Gymnasium, und beweisen auch die Uelesenhcit und Kenntniss ihrer
Verfasser in den classischen Sprachen. Namentlich ist die erste mit vielen ge-
lehrten Citaten und Lateinischen und Griechischen Parallelstelleu ausgestattet. Zu
der zweiten haben F. Rüdiger und der Subconrector Gliemann einige Anmerkun-
gen gegeben. Letzterer hat namentlich um die Orientalischen Studien auf dem
Gymnasium ein ausgezeichnetes Verdienst , indem er eine kleine Anzahl Schüler
(gegenwärtig C) neben den öffentlichen Lectionen privatim im Arabischen unter-
richtet. Zu dieser kleinen Schule gehört der Verf. der zweiten Schrift, der es
unter den jetzigen G Schülern am weitesten gebracht hat. In diesen Privatunter-
richt werden in der Regel nur Sectiudaucr aufgenommen, damit sie ihn wenigstens
iin Triennium gemessen können. Der aufzunehmende muss durch hervorstechende
Anlagen und vorzüglichen Flciss sich auszeichnen , entschiedene Neigung zu dieser
Sprache und gute Uekauntschaft mit den Elementen des Hebräischen mitbringen,
und darf in der Kenntniss der classischen Sprachen des Altertlmms , namentlich
im Lateinisch -Schreiben, den bessten seiner Mitschüler nicht nachstehen. Da die-
ser Unterricht gratis ertheilt wird , so dient die Aufnahme als besondere Aus-
zeichnung und den besseren Köpfen als Sporn, sich in den classischen Sprachen
hervurzuthun.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 2G1
und Provinzialschulcollegiunis und der Jfön. Regierung vorlas. Ein
vom Magistrat veranstaltete* festliches Mahl beschloss die Feier, hei
welchem dem Greise ein schön gearbeiteter silberner Pokal , die Do-
ctordiplorae von der pbilosoph. Facultät in Königsberg und von der
theolog. Fac. in Halle, ein Lateinisches Glückv ünschungsgedicht des
Gymnasiums zu Stendal und ein Deutsches dos Conrcct. Lösener über-
reicht wurden. Noch ward auch ein namentliches Verzeichniss von Freun-
den und Verehrern des Greises überreicht, welche auf Veranlassung des
Predigers Woltersdorf zu Kuhsdorf sich vereinigt hatten , den Grund zu
einem Schulstipcndiuni zu legen, das den Namen des Jubilars für ewige
Zeiten führen und sein Andenken bei der Schule erhalten soll. Bereits
sind 237 Tblr. gezeichnet und man hofft noch Vergrösserung der Sum-
me, -welche als Stipendium dem Gymnasium um so willkommener ist,
da dasselbe seit der Einziehung des Kloster- Bergischen Stipendiums
gar keinen Fonds mehr zur Unterstützung armer fleissiger Schüler be-
setzt. Bei der Rückkehr vom Festmahl erhielt Wolterstorff noch ein
Hebräisches Gedicht, das einer der Primaner ganz in der Stille gefer-
tigt hatte.
Sch.vffhai'sex. Das Gymnasium hat jetzt folgende Lehrer: denDi-
rector und ersten Lehrer für die. alten Sprachen F. C. C. Bach ; den
zweiten Lehrer für die alten Sprachen, Conrector und Prof. Harter;
den dritten Lehrer C. R. Meyner; den Lehrer der Franz. Spr., Pfar-
rer Deageler ; den L. der Religion , Prof. Ott ; den L. der Naturge-
schichte, Prof. Ziegler; den L. der Geschichte und Erdbeschreibung,
Pfarrer Zehenter ; den L. der Deutschen Spr. Max. Gözinger ; den L.
der Mathematik J. C. Enderis ; den Schreiblehrer J. J. Sigg ; den Ge-
sangl. Fr. Feggeier; den Zeichenl. J. J. Beck; den Rechenl. C. L.
Classen.
Stargarbt. Am Gymnasium wurde der bisher. Collaborator der
Hauptschule des Waisenhauses in Halle, Dr. JFilh. Gotthelf Scliir-
litz, als fünfter Lehrer angestellt.
Stralsund. Der Schulamtscandidat Teshe aus Berlin ist zum
fünften Lehrer am Gymnasium ernannt worden.
Taitjerbischofsheim. Das gänzlich in Verfall gerathene Gymna-
sium ist wieder als Pädagogium auferstanden mit drei Schulen , deren
unterste einen weltliehen Philologen als Classenlehrer mit 400 Tlilrn.
Besoldung, die mittlere aber einen geistlichen Classenlehrer mit 500
Thlrn. , und die oberste ebenfalls einen geistlichen Classenlehrer mit
600 Thlrn. Besoldung haben niuss. Ihnen wird noch ein Zcichnungs -
und Französischer Sprachlehrer mit einer Besoldung von 250 Thlrn. bei-
gegeben. Die geistlichen Lehrer haben zugleich Caplansdicnste in der
Stadt zu versehen. Der Lehrkreis des neuen Pädagogiums umfasst
yorschriftsmässig Deutsche, Lateinische, Griechische u. Französische
Sprache, Religion, Geographie, Geschichte, Naturgeschichte, Arith-
metik, Zeichnen und Schönschreiben. Ueber die weitere Einrichtung,
über Ordnung und Ausdehnung oder Verhältniss all dieser Lehrgegen-
fetändc im Schulplan ist nichts öffentlich ausgesprochen, was die Schul-
262 Schul- und Universitätsnachrichten,
nianncr um so mehr zu bedauern Ursache haben, da im Grossherzo«--
thum Baden keine höhere Bildungsanstalt his jetzt mit der andern völ-
lig übereinstimmend eingerichtet ist , und doch vier Lyceen und sechs
Gymnasien nebst einer grossen Anzahl Pädagogien im Lande sich
finden.
Tnomv. Am Gymnas. ist dem Lehrer Dr. TVernicke die durch
Schirmer's Abgang [Jbb. VI S. 130] erledigte Oberlehrerstelle, die da-
durch erledigte Unterlehrerstelle aber dem Schulamtscand. Paul über-
tragen worden.
Tübingen. Die Würtembergische Kammer der Abgeordneten hat
am 23 Jan. die Fundirung der Universität mit der Summe von jährli-
chen 80000 Fl. beschlossen und zugleich bestimmt, dass die Ersparnisse
von dieser Summe auf die einzelnen Institute der Universität verwen-
det werden sollen. Diese Summe soll, insoweit sie nicht durch das
Einkommen aus dem Stiftungsfonds der Universität an Grundeigenthum,
Gefällen und Kapitalien gedeckt ist, in einer jährlichen Rente auf die
Gesammtheit der Staatseinnahme angewiesen werden. Die unter der
genannten Summe nicht in Berechnung genommene Erhaltung der für
die Zwecke der Universität nöthigen Gebäude wird, mit Ausnahme der
Gebäude des Klinikums , auf den allgemeinen Baufonds übernommen.
Pensionen der Universitätslehrer und Beamten, vorübergehende Stipen-
dien für Kameralisten und die für einige Jahre ausgesetzten ausseror-
dentlichen Fonds zur Anschaffung eines chemischen Apparats trägt die
Staatscasse. Dieselbe tritt auch so lange, bis der Norinalstand der
Universität in den Personen und Gehalten hergestellt ist, für den die
Normalsumme übersteigenden Betrag in das Mittel. Der Stiftungsfonds
der Universität bleibt ihr Eigenthum und kann nur unter Bedingungen,
welche dessen Erhaltung in seiner Substanz sichern , von der Finanz-
verwaltung in Pacht genominen werden (was seit der Uebergabe des
Gesetzentwurfes geschehen ist). Ebenso behalten die einzelnen Insti-
tute und Facultäten der Universität ihr bisheriges besonderes Eigen-
thum. Die Fundirung nach dem gegenwärtigen Gesetz tritt jedoch erst
mit dem Jahr 18|-2 in Wirksamkeit, da die vorjährige Kammer bis
dahin den Etat der Universität festgestellt hat.
Warschau. Nach dem Jahresbericht des Rectors der LTnivcrsität,
von Szamiawski , wurden im verflossenen Universitätsjahre 638 Studen-
ten immatricilirt, wovon 28 den theologischen, 331 den juristischen
u. staatswirthschafilichen , 110 den medicinischen , 60 den philosophi-
schen Studien und 103 den schönen Wissenschaften und Künsten sich
widmen wollten. Sc. Maj. der Kaiser und König übersandten der Univ.
einen Indischen Elephanten zum Geschenk, und wiesen einen bedeu-
tenden Fonds zum Ankauf von 60 anerkannten Kunstgemälden an, wel-
che als Modelle zum Copieren dienen und den ersten Anfang einer Bil-
dergallerie bilden sollen.
Wertheim. Der Director des hiesigen Gymnasiums , Faktisch,
hat den Charakter und Rang als Hofrath erhalten.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 263
Wetzlar. Der Oberlehrer Dr. Wieäasch am Gymn. hat das Prä-
dicat Professor erhalten. Der Ileligionsunterr. am Gymn. ist dem Ober-
pfarrer Nebe gegen eine jiihrl. Remuneration vonlSOThlrn. übertragen.
Wiev. Der Hofrath und IlofdoIImctscher , Ritter von Hammer,
ist von der Gesellschaft der AÜerthunisforscher der Norniandie zu Caen
zum Mitgliede ernannt worden.
Wittenberg. Der Rector des Gymn., Professor Dr. Spitzner,
hat zum Andenken der Einweihung des neuen Schullocals dem dasigen
Magistrat 50 Thlr. Übermacht, deren Zinsen zum Bessten des Gymn.
verwendet weiden sollen. Gleichzeitig hat der Subconrector Il'ensch
sich bereit erklärt, jährlich 2 Thlr. als Prämie zum Ankauf eines Buchs
für denjenigen Primaner zu verwenden , welcher an einem von dem
Rector zu bestimmenden Tage die besste Lateinische Rede über ein
vom Rector oder von dem Geschenkgeber zu ertheilendes Thema hal-
ten wird.
Würzbvrg. An der hiesigen Studienanstalt erschien zum Schlüsse
des Studienjahrs 18§J- vom Professor Franz Xaver Eisenhof er ein Pro-
gramm: über die grammatische Periode. Würzburg, gedr.
bei Becker. 26 ( 16 ) S. 4. Die Lycealclasse zählte zu Anfange des
Schuljahrs 36 zu Ende desselben 35 Candidaten, und in ihr lehrten der
Caplan im Julius - Spitale Joseph Grube (zugleich Religionslehrer der
5n Gymnasialclasse) philosophisch- christliche Religionslehre ; der Pri-
vatdocent bei der Universität Dr. Johann Bickel (zugleich Religionsleh-
rer der drei untern Gymnasialclassen) Anthropologie, Logik, Metaphy-
sik und Lateinische Literatur; der Lniversitätsprofessor Dr. Peter lii-
charz Griechische Literatur und Weltgeschichte; der Prof. der Mathe-
matik am Gymnasium Dr. Carl Georg Christian von Staudt Mathema-
tik. In den fünf Gymnasialclassen sassen zu Anfang des Studienjahrs
267, zu Ende desselben 233 Schüler. Gymnasiallehrer waren für V(I) : der
Professor und funetionirende Studiendirector Fr. X. Eisenhof er , und
als Aushülfslehrer der Lehramtsaspirant Johann Georg Schriefer ; für
IV (II): der Professor Georg Michael Breitinger, zugleich erster Re-
ctoratsassessor und Inspector der Latein. Vorbereitungsclassen; für III:
der Prof. und zweite Rectoratsassessor Franz Joseph Dömling; für II:
der Prof. Dr. Valentin Maier; für I: der Prof. Dr. Johann Georg
Weidmann. Unterricht im Französischen ertheilte Carl Corti, im
Zeichnen A. H. Kohler, in der Tonkunst das kön. Musikinstitut. Zum
Schlüsse des Studienjahres 18§^ (d. 7 Sept.) lieferte Breitinger als Pro-
gramm Eine kleine A ehrenlese aus den Briefen desL.
Ann. Seneca. 15 (9) S, 4. In der Lycealclasse wurde durch kön. Ver-
ordnung vom 6 Nov. 1826 der Unterricht für dieses Studienjahr ausge-
setzt und die Schüler der obern Gymnasialclasse, welche das Gymna-
sialabsolutorium erhielten , wurden an die Universität zum zweijähri-
gen Studium der allgemeinen Wissenschaften gewiesen. Die fünf Gy-
mnasialclassen zählten zu Anfang des J. 264 (47, 53, 43, 56, 65), zu
Ende 252 (45, 52, 41, 54, 60) Schüler. Die Gymnasiallehrer blieben
dieselben. Vgl. jedoch Jbb. V S. 218.
266 Universitätsnach richten.
Rostock im Wint. 1827 33 akad. Lehrer, als 23 ord. h. 2 ausscr-
ord. Proff. u. 8 Privatdd., 5 Theol., 6 Jur. , 6 Med., 16 Philo«?.
Spanien im J. 1826 13677 Stud. Vgl. Jhh. III, 2 S. 123.
Tübingen im Wint. 1827 815 Stud., darunter 46 Ausländer, 216
Protestant, u. 143 kath. Theol. , 102 Jur. , 140 Medic. , Pharmaceuten
u. Chirurgen,, 176 Philos. und 38 Cameral.
Würzburg im Sommer 1827 613, im Winter 640 Studierende
[163 kath. Theol. , 124 Jur. u. Cameral. , 156 Med. u. 197 Philos.].
Utrecht im J. 1827 498 Studierende.
UpsAtA im Herbst 1827 1520 Studierende, nänil.: 7 Ausländer,
141 Adelige , 358 Predigersöhnc , 229 Bauernsöhne , 264 Söhne nicht-
adel. Civilbeamten , 68 Söhne nichtadel. Militärs, 199 Bürger- und
Handwerk e ohne.
Angekommene Briefe.
T om 31 Jan. Br. von IL a. M. [Ich werde sehen E. anderswo
unterzubringen .]
Vom 7 März Br. v. G. a. K. [Abhandlungen nehmen die Jahrbü-
cher unter den auf dem Umschlag angegebenen Beschränkungen sehr
gern auf; mehrere eingesendete entsprachen aber den zu machenden
Forderungen nicht. Die versprochene wird sehr willkommen seyn.]
Vom 24 März Packt von W. a. M. , mit Lloyd's Dictionary
etc. [Freundlichen Dank für die Beilagen und die Versicherung mög-
lichst schneller Beachtung.]
Vom 27 März Br. v. O. a. G.
Vom 30 März Br. v. Th. S. a. H. [ Freundlichen Dank. Der
Wunsch wird berücksichtigt werden.]
Zur Recension sind folgende Werke versprochen
worden.
Urelli: Inscriptionum Latin, amplissima collectio. — Curtius Rufus
von hünemann. — Van Dam : Specinien liter. inaug. in Cicer. orat.
pro Sextio. — Die Programme zu Horaz von Voss und Herbst. —
Persii satirae von Plum. — Tacitus Werke verdeutscht von Herrmann.
Taciti Agricola von Hof man - Peerlkamp. Die Programme zu Tacitus
von Altenburg , Greverus , Hess und Schober. — Krebs: Anleitung
zum Lateinischschrciben , 5e Aufl. — Xenophontis Memorabilia von
Herbst. — Sillig : Catalogus artificuin.
Inhalt
von des ersten Bandes zweitem Hefte.
Lucilii Aetna. Recens. etc. Fr. Jacob. — Vom M. Sillig in Dresden. S. 141 — 160
Piatonis Meno. Prolegg. et commentt. illustr. G. Stallbaum. — Vom Dr.
IVex in Pforta 160—175
G. de Humboldt: Lettre ä M. Abel- Remusat, de la nature des formes
grammaticales etc. — Vom Dr. Bach in Oppeln. .... 175 — 190
Krebs : Lateinisches Lesebuch. — Vom Oberlehrer Dr. Bonnell in Berlin. 190 — 194
Burchard: Lateinische Schulgrammatik. — Von demselben. . . . 194 — 199
Hanhart: Lateinisches Lesebuch. — Von demselben. .... 199 — 202
Philippi: Lateinisch-Deutsche Sprachübungen. — Von demselbea. . . 202 — 204
Jf'üllner : De ejelo epico poetisque cyclicis. — Vom Oberlehrer Dr. Bach
in Oppeln 204 — 214
Zur öffentlichen Prüfung der Zöglinge des Domgymn. in Halberstadt 1826 ladet
ein Maas. — Vom Director Müller in Cöslin 214 — 217
Nadermann : Diesen, de oda Horat. XIV lib. III. — Von demselben. . 217 — 218
Döderlein : Lectionum Homeric. spec. I. — Vom Repetent Dr. Wals ans
Tübingen. 218 — 221
Leber 9tüv iv yovvaot y.ÜTai. — Von demselben. .... 221 — 223
Agathiae historiar. libb- V. Recens. Niebuhr. — Vom Professor M. Wun-
der in Grimma. 223 — 230
Cicer. Cato Major. Herausgeg. von Billerbeck. \ Vom Director Müller in
Cicer. Laelius. Herausgeg. von Billerbeck. > Cöslin. . , 230 — 233
Statu libb. V. Silvarum. Recens. Markland. — Vom M. Jahn in Leipzig. 233 — 237
Miscellen 237 — 244
Todesfälle » 244 — 245
Schul - und Universitätsnachrichten , Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 245 — 266
«S1S1§SS£2£H2SS11E2SS22£22121EM2£1SS*!
^W^i^lii^
JAHRBUCHER
FÜR
PHILOLOGIE und PÄDAGOGIK.
Eine kritische Zeitschrift
in Verbindung mit einem Verein von Gelehrten
herausgegeben
von
M. Joh. Christ. Jahn.
Di'itter Jahrgang.
Erster Band. Drittes Heft.
Oder der ganzen Folge
Sechster Band. Drittes Heft.
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
18 2 8.
Si quid novisti rectius istis,
Candidus imperti ; si non, his ntere mecum.
Griechische Litteratur.
Grundzüge zur Metrik der Griechischen Tragi-
k e r. Von A. Mundt. Berlin , Kikolaische Buchhandlung. 1826.
VI und 62 S. gr. 8. 6 Gr.
[Vgl. Jahrbh. Bd. V S. 377.]
.Herr Mundt beginnt die kurze, fast nachlässig geschriebene
Vorrede mit den Worten : „Der Verfasser glaubte mit Gegen-
wärtigem einem wirklichen Bedürfnisse unserer gelehrten Schu-
len abzuhelfen. Es ist dem Lehrer, auch bei dem besten Wil-
len, nicht möglich, auf eine nähere Erläuterung der Vers-
inaasse einzugehen. Der eigentliche Zweck, weshalb er mit
seinen Schülern die Tragiker liest, und die beschränkte Zeit
verbieten es ihm. Daher ist nichts häufiger , als dass der lyri-
sche Theil des Dichters , wo die gewöhnlichen Verse aufhören,
ganz wie Prosa betrachtet und gelesen wird, wodurch dem Schü-
ler jene geistige , den jungen Sinn an Wohllaut und Melodie ge-
wöhnende Musik der Alten gänzlich verloren geht. Diesem, so-
weit es möglich ist, abzuhelfen, fehlt ein deutliche Kürze mit
Wohlfeilheit vereinendes Handbuch , welches die bei den Tragi-
kern üblichen Metra erläutert, woraus der Schüler sich mit
Leichtigkeit selbst unterrichten und Ruth holen könnte.'"'
HiegegenistDreierlei zusagen. 1) Wenn sich der Gymna-
siast selbst für die Unterabtheilungen der Schulstudien
einzelne Lehrbücher anschaffen soll, wo wird das Anschaffen
enden*? und wie kann er eine so grosse Masse von Büchern in
die Klasse mitbringen? Die Grammatiken vonMatthiä, O.Schulz,
ein Horaz, etwa der Baxter -Gesner-Zeune -Bothische, oder
auch der Döringsche, eine Uiade, Lacroix's Trigonometrie,
Vega's Logarithmen und eine Bibel nebst den nöthigen Heften
kann er gar leicht an demselben Vormittag brauchen; und doch
hat in grösseren Städten mancher Gymnasiast täglich mehr als
eine Deutsche Meile ins Gymnasium und wieder nach Hause
zu gehn. Sollen wir ihm zu diesen und anderen unerlässlichen
18*
270 Griechische Litt erat in
Büchern noch eine allgemeine Griechische Metrik , und eine
zweite für die Griechischen Tragiker, eine Lateinische und
eine Deutsche Metrik aufbürden'? Und wenn vollends jeder
Lehrer in seinem Fach dasselbe thun wollte! — Es wird hier
wohl nicht der unrechte Ort sein einmal auf diesen Uebelstand
aufmerksam zu machen, den man, wie es das Ansehn hat,
nicht sieht oder nicht sehen will. Die Folgen desselben sind
unschwer zu erkennen: der Schüler bringt dies und jenes Buch
nicht mit in die Klasse , oder er nimt es von dort nicht wie-
der mit nach Hause: in beiden Fällen leiden Vorbereitung und
Wiederholung darunter. Ausserdem sind der Jugend wenige
hinreichende Bücher, die sie gründlich kennen lernt, sowohl
für ihre wissenschaftliche als für ihre Charakterbildung weit
zuträglicher als eine Menge Bücher zum Durchblättern und Nach-
schlagen. Ich habe diesen Gegenstand schon 1821 in einer be-
sonderen, auch in den Buchhandel gekommenen Schrift „über
die Einheit de?' Schule" behandelt. Hier daher nur so viel. Soll
der Schüler mit den erforderlichen Büchern versehn werden, und
sollen diese Bücher nicht dies und jenes zwei- und dreimal, ande-
res aber gar nicht lehren, so darf man sie nicht von allen En-
den Deutschlands zusammensuchen — denn es passt natürlich
keins zum andern, weil keins mit Rücksicht auf das andere
ausgearbeitet ist — vielmehr sind sämmtliche Schulbücher ei-
ner Lehranstalt, und namentlich auch die Wörterbücher, nach
Einem umfassenden Lehrplane zu entwerfen. Das Format an-
langend , dürfte ein mittleres Quart — und zwar für sämmtli-
che Bücher ganz dasselbe — dem Oktavformate vorzuziehen
sein. Abgesehn davon, dass sich die Dicke der Bände hie-
durch vermindert , entsteht auch für manchen Gegenstand der
nöthige Ueberblick des Zusammengehörigen, ohne dass man
zu den unbequemen eingehefteten Foliotabellen seine Zuflucht
zu nehmen braucht.
2) Der Zeitaufwand, den die Metrik erfordert, soweit sie
Lehrgegenstand der Schulen sein darf, ist nicht so gross, als
der Hr. Verf. nach seiner obigen Aeusserung zu glauben scheint.
Wo er es aber dennoch ist , da trägt gewiss das ungeübte Ohr
der jungen Leute die Schuld, und die Schuld dieser Schuld
das Gymnasium, das die Uebung des Ohres und der mit ihm in
Wechselwirkung stehenden Sprachorgane in den Lese- und De-
klamirstunden und überhaupt in den sprachlichen Lehrstunden
der unteren und mittleren Klassen versäumt und es so an der
nöthigen Vorbereitung für die oberen fehlen lässt. Tertianer,
die — etwa nach dem zu diesem Behuf e unter dem Titel ,,//e-
'phaestion" geschriebenen Lehrbüchlein — in Deutschen Tro-
chäen, Iamben und Hexametern geübt werden, wozu Eine,
in zahlreichen Klassen zwei Stunden monatlich hinreichen, fas-
sen als Primaner mit Leichtigkeit jeden Rhythmus der Griechi-
MuncU : Grundzüge zur Metrik der Griccli. Tragiker. 211
sehe» Tragiker auf, so dass ihnen nur der Vortrag schnell und
wiederholentlich wechselnder Rhythmen Mühe verursacht.
Diese Mühe heht aber kein Unterricht, sondern nur Ucbung,
indem der Schüler die — aucli metrisch erläuterten — Chor-
gesänge auswendig lernt und in der Klasse deklamirt.
Das hier Gesagte bitte ich nicht als einen wohlgemeinten
aber ungeprüften Vorschlag anzusehn, sondern als das sichere
Ergebniss vieljähriger eigener Erfahrung. Uebrigens erkläre
ich mich nicht gegen ein Lehrbuch der Verskunst, sondern Hin-
gegen ein Lehrbuch der Verskunst der Griechischen Tragiker.
Ein Griechische, Kömische und Deutsche Verskunst umfassen-
des Handbuch , durch welches in den Grammatiken der Ab-
schnitt über Metrik erspaart wird, scheint mir vielmehr sehr
wünschenswerth.
3) Wie überaus speciell auch der Zweck des vorliegenden
Buches ist , so hat ihn doch der Hr. Verf. entweder gar nicht
oder nur sehr unvollkommen erreicht , indem sein Unterricht
theils mangelhaft , theils gar unrichtig ist. Folgende Bemer-
kungen werden dies zur Genüge darthun, ohne Hrn. M. zu
kränken, der vielleicht ein angehender Schulmann ist, und über
dessen anderweitiges Verdienst weder sein Büchlein noch mein
Urtheil abzusprechen gestattet.
Schon § 1 ist höchst bedenklich : „Rhythmus ist eine in
bestimmten , gleichmässigen Abwechslungen hinschwebende Be-
wegung, deren einzelne Theile zu einer gewissen Idee zusam-
mengeführt sind, und auf diese nach dem Verhältniss ihrer
Kräfte zusteuern. Dadurch entsteht die reizendste , harmoni-
sche Einheit in Tanz, Musik, Sprache und Metrum, welche
alle in dieser Hinsicht von einem ttnd demselben Begriffe aus-
gehn. Nur eines davon ist das Allgemeinere , nämlich die Mu-
sik , in welcher alle übrigen einen geistigen Vereinigungspunkt
finden.1''' — Ich enthalte mich aller Erörterung einer für schwie-
rig angesehenen, und wenigstens sehr verschieden gegebenen
Erklärung des Rhythmus ; aber das hier Gesagte kann wohl
niemand genügen, am wenigsten Anlangern. Wie wunderlich
filmt sich das „hinschwebe nd'-1' aus, wodurch ja gerade eine
ungegliederte , ununterbrochene Bewegung bezeichnet wird !
wie wunderlich das „zusammenführen," welches fast unwider-
stehlich an Körperliches zu denken zwingt ! wie wunderlich der
Ausdruck : „nach Verhältniss der Kräfte auf eine Idee zusteu-
ern"\ Und die zweite Periode — ist sie besser ausgedrückt'?
Welcher Schüler kann das ohne Lehrer gehörig verstehn*? und
welcher Lehrer nicht in kürzerer Zeit eine bessere Erklärung
geben als diesen Paragraphen erläutern? — Die hinzugefügte
Ableitung: §v&nog von geca, qvbco ist nicht gewiss, und,
nach meiner Ueberzeugung, falsch. Die Alten leiten Qv&fios
mit grosser Wahrscheinlichkeit von Qva (eqvco) ab. — §2
272 Griechische Liitcratur.
heisst es : „die einzelnen Theile desselben" (es geht Vers und
Metrum vorher) „nennt man Fussel Hiernach sind also auch
die einzelnen Längen und Kürzen Füsse. Weiter : „Ein Fuss,
welcher in der Arsis steht , hat den rhythmischen Accent oder
Ictus." Zwar kann ein ganzer Fuss in der Arsis stehn, aber
den Ictus hat nur die in der Arsis stehende Sylbe des einzelnen
Fusses. Wollte man aber auch dem Hrn. Verf. dies zugeben,
so durfte er doch den Ictus einzelner Sylben nicht übergehen.
— In § 3 erklärt Hr. M. im Deutschen die Auflösung der Länge
in Kürzen für unmöglich; er meinte aber offenbar nur die Auf-
lösung der betonten Länge ; denn warum man z. B. lesbar ( —
— ) nicht in leserlich ( — ^J) auflösen könnte, ist gar nicht ab-
zusehn. — §4 werden die Füsse aufgezählt und — was An-
dere mit Recht vermieden haben — sämmtlich betont, z. B. *» ~,
, obgleich die Betonung ^y, , eben so richtig
wäre. — § 5: „Werden mehrere Füsse unter einander'-'' (unter
einander?) „zusammengestellt, so entsteht eine Reihe {ordd),
mehrere Reihen bilden eine Strophe." Und was bildet denn nun
den Vers? Auch musste nicht gesagt werden, dass man die
Reihen messe, indem man zwei und zwei Füsse zusammenfasse,
obschon sich aus dem Nachfolgenden die nöthige Beschränkung
ergiebt. Was es heisse , der Anapäst werde nach Dipodien ge-
messen, und gewinne dadurch (mit dem Daktylus verglichen)
viel an Mässigung , werden die Leser wohl mit nicht mehr
Sicherheit angeben können als ich. — Gleich darauf, § 6,
heisst es : „Bei künstlichen Rhythmen achtet man vorzüglich dar-
auf passende Versfiisse als Einleitung oder Schluss zu wählen.
Im ersteren Falle heisst ein solches Versglied Basis, im lezte-
ren Katalexis." — Ich lasse mir's gefallen, dass der
Schüler nach beendigter Lesung des ganzen Buches die Einlei-
tung wiederhole, glaube aber, dass er aus dergleichen Erklä-
rungen auch dann nichts lernen werde als — sich mit Unver-
dautem begnügen. Der kürzeste und sicherste Weg in diesen
Dingen ist, sie an dem ersten vorkommenden Falle zu lehren,
beim zweiten und dritten zu erweitern und einzuprägen , und
zulezt, wenn des Schülers Kenntniss eines Gegenstandes einen
hinreichenden Umfang gewonnen hat , volle Ordnung und Voll-
ständigkeit hineinzubringen; denn so viel Ordnung schon das
Bruchstück zulässt , darf auch diesem nicht versagt werden. —
§7, wo von den verschiedenen Versschlüssen die Rede ist,
fehlt die Unterscheidung des xccTaXrjKUKÖv Big diövllaßov und
slg CvAlccßijv. Hieraus ergiebt sich die Unvollkommenheit der
Erklärung: „den überzähligen Fuss nennt man Ueberschlag-
sylbe." — § 8 erklärt der Hr. Verf. die Caesur so , dass sie der
Munclt: Grundzüge zur Metrik der Griech. Tragiker. 213
Widerstreit des Metrums und der Rede sei. Allein diese Er-
klärung ist viel zu weit. Oder ist etwa auch der Widerstreit
der Wortbetonung und der metrischen Betonung Caesur'? Me-
trische Betonung kann — wenigstens Hr. M. nicht abweisen, da
6* oben das Schema der Füsse betont hat. Auch das ist nicht
ganz zu billigen, dass die Theilung eines Worts durch zwei
Versfüsse Caesur genannt wird. Endlich ist es auch höchst
unnatürlich, mit dem Hrn. Verf. anzunehmen, dass in dem
Verse
7tQog öoftovg (3TSl%ovtcc, rtccvöcö (] xovg naosötcörag yoovg
der Abschnitt den Sinn des Ganzen auffallend hemme und durch
eine lange Pause aus einander ziehe. Ab- und Einschnitte,
die mit dem Sinn der Worte streiten, mussten vielmehr vom
Schauspieler so leise und wenig störend als möglich angedeutet
werden.
Nach dieser Einleitung folgen die Grundzüge selbst. Hier
heisst es gleich § 1 : „Demgemäss hat sich ein stehendes Vers-
maass für sie1-1" (die Handlung) „gebildet, welches nur dann un-
terbrochen ivird , wenn ein Anhauch von der Lyrik des Chors
in den Dialog hineinweht.'''' Was soll ich es verhehlen? diese
Art von Metaphern in Lehrvorträgen, welche ihrer allgemeinen
und besonderen Natur nach die grösste Einfachheit und Deut-
lichkeit fordern, ist zu aller Zeit fehlerhaft gewesen, aber
jezt, wo man von mehr als Einer Seite darauf denkt, das
Denken der Anderen aus der Gewohnheit zu bringen und ein
blaues Dunstwesen dafür einzuführen, damit jedes Ding alles
und auch nichts sei — jezt ist diese Manier vollends Gift. Es
ist so leicht und so sehr an der Tagesordnung sich durch un-
bestimmte , zerfliessende Bilder ein geistreiches Ansehn zu ge-
ben, statt bündig zu denken, dass wir unsere ohnehin ziemlich
denkscheue Jugend vielmehr zu der weit heilsameren Kyriole-
xie ermuntern als ihr das entgegengesezte Beispiel geben soll-
ten. Wie musterhaft ist in dieser Hinsicht der Stil in Her-
mann's und Böckh's metrischen Werken! — § 2. Da Hr. M. nur
von den Yersmaassen der Griechischen Tragödie handeln will,
so musste er entweder die Benennung Senar ganz übergehn,
oder den Senar vom Trimeter sorgfältig unterscheiden. Den
„mächtigen Auftritt ," der ihm hier beigelegt wird , hat er an
und für sich keinesweges. Oder was ist Mächtiges zu hören an
dem Verse :
itakai jröV löri xovx> e^iol dsdoypsvovl
Die nun, folgende nähere Angabe der Regeln des Trimeters ist
in gleichem Grade fehlerhaft und mangelhaft, und doch war
es dem Schüler besser sich eine gründliche Kenntniss der gang-
barsten , als eine oberflächliche aller Versmaasse zu erwerben.
Den Daktylus gestattet Hr. M. „an allen den Stellen, wo der
Spondeus Stattfindet," den Anapäst „nur im ersten und vor-
27-1 Griechische Litteratur.
letzten Fusse." Nichts wird gesagt von Porson's Observation
über den Kretischen Schluss, nichts von Wunder' s über den
Tribrachys des vierten Fusses , nichts von der Absicht , in wel-
cher die dreisylbigen Füsse, zumal verdoppelt und verdrei-
facht, gebraucht werden, nichts vom Unterschiede der älteren
und der jüngeren Tragödie. — Nicht besser wird § 4 der tro-
chäische Tetrameter behandelt. § 5 soll Aeschylus das Gross-
artige und Pomphafte seines Trimeters durch Spondeen bewirkt
haben. Hierin dürften ihm Sophocles und Euripides kaum nach-
stehn, wohl aber in dem Ausdruck seiner kühnen Gedanken
durch eben so kühn gebildete kolossale Wörter und ungewöhn-
liche Wortverbindungen und durch den austeren Charakter der
Composition, den Dionysius ihm , wie dem Pindar und Thucy-
dides beilegt.
Mit § 7 fängt der Hr. Verf. an die lyrischen Versarten ab-
zuhandeln, und zwar — was wohl nicht zu billigen ist — zu-
erst die logaödischen. Sophokl. Ant. 351 — 353 giebt er als
anapästisch-logaödisch in folgender Gestalt:
Xa6iuv%Bvu -fr' ijctiov vza^sxat, d(i -
(pikocpov £,vy6v, ov -
quqv t' ädprjtci tccvqov.
Erst § 10 folgen die rein - daktylischen Versarten, wobei
der Hexameter bloss als heroischer betrachtet , und dennoch
der bukolischen Caesur nicht einmal gedacht wird. Wie S. 14
der Hr. Verf. von den Versen
ßo6TQv%ov dfijtBtdöas hcarov kcctix nvBv^arcc hbXtcel
[lOVÖUV, iv a %CIQLTSS %OQ07tOlOl
sagen konnte: „Wiederum ein iambischer {in Anapästen ausge-
hender} Schlusspunkt^ ist schwer zu begreifen, wenn man nicht
t
annimt, er habe [tovöav Iv als Antibacchius ( ~) gemes-
sen; einige ähnliche Uebereilungen berechtigen allerdings zu
dieser Annahme. Eben so unbegreiflich sind die unmittelbar
darauf folgenden Worte: „Ein solcher ist natürliches Bedürf-
nisse Was denn für einer? und wann? ein iambisch- ana-
pästischer? Hier sind aber weder Iamben noch Anapästen.
Und wenn sie wirklich hier wären , so sind sie doch in hundert
anderen Schlüssen nicht. So höchst bedenklich ist es Not-
wendigkeiten nachweisen zu wollen, wo dem Dichter mehrere
gleich passende Formen vergönnt sind.
§ 11 wird wieder zu den Iamben übergegangen. Den Vers
sqcotbs vjiIq [isv äyuv mit dem Hrn. Verf. für einen iambischen
zu nehmen , dazu berechtigt die unmittelbare Folge eines iam-
bischen Verses keinesweges. Nun folgen in demselben Para-
graphen die asynartetischen Iamben, „rf. h. solche, die nicht
ganz fest zusammenhängen. — Es zerfallen diese Verse in zwei
Theile, welche durch eine gewisse Kluft von einander ge-
Mundt: Grundzüge zur Metrik der Griech. Tragiker. 275
trennt smd.u Wie hängen sie nicht fest zusammen? und was
für eine Kluft ist diese gewisse Efctft? Warum folgte doch Hr.
M. nicht lieber seinen Vorgängern'? Waren sie ihm zu gering'?
oder glaubte er dadurch zumPlagiarius zu werden'? — Wie zu
dem hier angegebenen Schema vj — ^ ~ — o der
Vers leo ico Öco^lu , Öco^a aal tiqÖ^iov passen solle, ist nicht ab-
zusehn. Ob dieser Vers ein asynartetus sei oder nicht, dar-
über will wenigstens ich nicht streiten; Hephaestiou und Her-
mann kennen ihn nicht als solchen, wiewohl lezterer, den hier
Hr. 31. nachlässig absein ich , ihn im Abschnitt von den Anti-
spasten anführt, Elem. metr. S. 232; Epitom. § 222. Es sei
vergönnt meine eigene Ansicht von diesem Verse mitzutheilen.
Brunck, Hermann, Bothe, Reisig, Wunder, und G. C. W.
Schneider nehmen ihn für ein doppeltes iambisches Penthemi-
meres , Elmsley für einen Diiambus , Creticus und Bacchius.
Ich meinestheils habe ihn immer für eine iambischeDipodie mit
nachfolgendem Ithyphallicus gehalten, und finde auch jezt noch
keinen Grund meine Ansicht zu ändern *). Ich stüze mich aber
auf Dreierlei: 1) Der Ithyphallicus ist in dieser Gattung von
Versen — man nenne sie nun asynartetische oder anders — fast
herrschend. Man vergleiche Hermann a. a. 0. oder Ilephaestion
c. 15. 2) Die Verbindung der Thesis mit der Thesis hat etwas
Unangenehmes. Vergl. Böckh de Metrr. Pind. § 175 f. Ihr
etwaniger Gebrauch lässt eine absichtliche Nachahmung der
Erschlaffung , Rathlosigkeit und ähnlicher Zustände voraus-
sezen. Mit dergleichen hat aber z B des Sophocles heiterer
Preisgesang auf Kolonos, in welchem dieser Vers sechsmal vor-
kommt, durchaus nichts zu thun. Hicnach würde es unpas-
send sein die fünft' und sechste Sylbe in diesem Vers als dop-
pelte Thesis , passend , sie als doppelte Arsis zu betrachten.
3) Nicht nur in diesen sechs Steilen ■ — Eine ausgenommen,
auf die ich nachher zurückkomme — sondern auch in sechs an-
deren aus der Antigone, in zehn Stellen aus dem Agamemnon
und in vier Stellen aus den Herakliden , welche sämmtlich von
Reisig zu Oed. Col. 694 angeführt werden, ist die fünfte Sylbe
dieses Versmaasses stets eine Länge, die sechste stets eine
*) Lange hab' ich mich vergebens nach einem Gewiihrsinanne
umgesehn. Endlich finde ich noch nach dem Thor'schlusse zu Euri-
pid. Orest. 968 , 979 Barn. :
CTQatrjlaTtov EkXäSog not ovtcav
ßgoreöv d' (f nag c'cGzü&fxrjTOs alcov. —
die Erläuterung des freilich nicht hoch anzuschlagenden Scholiasten:
ro tu. dovvuQt7]Tov f£ iafißiKjjg ßüötcos koci Tqo%KiKov i^vcpc^liyiov.
276 Griechische Litte rat ur.
Kürze. Elmsley zu Oed. Col. 700 fügt noch sechs Stellen
ans dem Agamemnon hinzu mit dem Bemerken : „Si me-
liores libros consuluisset Reisigius, non decem, sed sede-
eim ese?npla in Aeschyli Agamemnone reperisset." Allein
Reisig sagt ja am Schlüsse seines Citates ausdrücklich: „et
identidem ibidem." Uebrigens hat sich Elmsley selber nicht
die Mühe gegeben, die von ihm angeführte Blomfieldsche Aus-
gabe genau anzusehn; denn schon ein flüchtiger Blick, den
ich darauf werfe — ich habe aber die zweite 1822 zu Cam-
bridge erschienene Originalausgabe vor Augen — bietet noch
folgende von Elmsley übersehene Verse, welche ich in der Ord-
nung, wie sie einander entsprechen, hersezen will.
188) vecov xe %a\ 7tEi6[idxcdv äcpEiÖEig
201 itEKvov dccl%G> , öoficov dyaX^ia —
399) Tad' EVVETtOVXEg 66[10V TtQOCpljXCCL
41o{^T£OOlg ÖttCcdoLQ VTtVOV KtXbV&OlS
1425)ftöAot xov cchl cptgov ö' iv rjplv
144G|jtoaTos x' löoxpv%ov 8% yvvawäv —
1508 \d^ri%ava , cpoovxidcov ÖTSQTj&sig
1531 S övsLÖog tfxEt xod' dvx' ovEidovg —
1510) ona xodTtcopai , %lxvovxog o'ixov
1539)qpfp£t (pSQOvr', ekxlvei d' 6 aaivcav —
1512) xov al^axriQov' ipsxäg dl l^yEi
VbWSTtci&zlv xov sg^avxa' &e6{ilov ydg —
Auch in anderen Tragoedien gebraucht Aeschylus diesen
Vers. Sept. c. Th.911, 922; 912, 923; 916, 600 Dind. Mit
Auflösung der ersten Länge hat ihn Sophokles in der Elektra
152, 110; 153, 171 Wund.:
Ingos ö xi 6v xcöv evöov Ei rtEgiööd
[ZBvg, ög iepoga ndvxu aal xgaxvvEi —
loig 6(io&ev si nal yovä £,vvcu[iog
\co xov vnsQaXyfj ibkov ve^iovöu —
Warum sollten nun in so zahlreichen Stellen niemals die For-
men
vorkommen, wenn beide Theile iambisch wären? Die Mes-
sung
dagegen , welche schlechterdings die fünfte Sylbe kurz , und
die sechste lang fordert, erklärt jene Itegelmässigkeit auf das
genügendste.
Mundt: Grundzüge zur Metrik der Griech. Tragiker. 277
Ich komme jezt auf die oben angedeutete Ausnahme , Oed.
Col. 702:
tb [isv zig ovze veog ovze yrjQy,
wo Hermann ov vkog schreibt, während Elmsley, Reisig, Wun-
der die Porsonsche Schreibung ov vsagog aufnahmen, welche
sich auf die ältere Lesart ovze vsagog stüzt. Ov vsagog halte
auch ick für das ächte: denn einmal passt es in das von mir
wahrscheinlich gemachte Metrum, und zum andern enthält die
Auflösung des Trochäus in einen Tribrachys hier eine ange-
nehme Malerei der jugendlichen Hize des Xerxes im Gegen-
saz zu dem bejahrten Archidamus. Ov viog entspricht den
so zahlreichen Versen in diesem Metrum nicht. Electr. 1097,
worauf Hermann verweist , hat , nach dem von ihm aufgenom-
menen Zrjvog den erforderlichen Trochäus; und Philoct. 1217:
davaolg ägayog' Uz' ovÖsv slpl, ist wegen des pyrrhichischen
Auftaktes und des Unterscheidungszeichens nach agayog doch
von zu geringer Aehnlicbkeit. Nach meinem Gefühl muss Uz'
ovdev slfii allein den Schlussvers bilden, um die an Vernichtung
gränzende Verzweiflung auszudrücken. Aus eben diesem Grunde
scheint mir Sophokles auch den Gedanken selbst auf so wenige,
winzige Worte beschränkt zu haben. Auch neuere Meister
drücken inneren Schmerz , Niedergeschlagenheit, dumpfe Ver-
zweiflung und ähnliche Seelenzustände auf eben diese Art aus.
Händel, in so Vielem bewundernswerth, ist es nicht weniger
im Ausdruck solcher Gefühle. Man vergleiche nur in seinem
Judas Maccabäus gleich den ersten Chor und später die Arie :
„Du sinkst, ach armes Israel^ mit dem sich daran schliessen-
den Chorgesange ; und eben so im Samson und im Said die
Chöre: „/Ar Thränen , fliesst !u und: „Klagt, jammert laut!"
— Auch Electr. 137 und 152 wird Strophe und Antistrophe von
diesem iambischen Penthemimeres beschlossen. Einige andere
Verse, die man noch hieher ziehn könnte, wie Aj. 706 und
719, haben meines Erachtens einen logaödischen Ausgang:
— >-> ^ — ^ . Antig. 806 und 823: rjxovtia drj
Xvygoxdzav 6Xiö%ai , misst auch Wunder nicht anders. Obi-
gen Versen ist folgender nicht unähnlich: >-> ~ — ^ ,
den man so zu messen pflegt : <-> ^ — - .In Er-
wägung des bisher Gesagten, und dass die vierte und fünfte
Sylbe dieses Verses stets einen Trochäus bilden, würd' ich
ihn lieber so messen : ~ | — ~ — o Mit einem
Amphibrachys oder Amphibacchius kann er nicht anfangen,
weil er sonst von einem iambischen Dimeter nicht zu unter-
scheiden wäre. Weniger hat man auf diese Beschränkung zu
278 Griechische Litte rat m.
achten , wo statt des Trochäus ein Daktylus eintritt , wie Oed.
Col. 518:
XQy^G), £ev', oqQov ukovö^ ccxovöcu.
Diese meine ahweichende Ansicht hindert aher nicht zu erken-
nen, dass unter gewissen Umständen diese angeführten Verse,
gleich vielen anderen, eine doppelte Messung gestatten, über
welche der Inhalt und die ganze Anordnung eines Gesanges
entscheiden.
Nach dieser Avissenschaftlichen Erörterung, kehre ich zu
dem vorliegenden Werklein zurück. § 12 stelm als Beispiele
trochäischer Dimeter die Verse :
iTtuQ&kvoiöt &qßuLCCl6l,
\yalav , a viv bvülotöi —
und ein aus sieben Längen bestehender Vers wird ein iambi-
scher genannt, indem Hrn. M. steigende Spondeen geradezu als
Iamben gelten. Von trochäischen Systemen, und früher schon
von iambischen kein Wort. Eben so wenig wird der Ithyphal-
licas vom dimeter brachycatalectus unterschieden. Als trochäi-
sche Asynarteten erhalten wir aus Oed. It. 1208: a {leyag At-
ft^v avtög tJqxeöe, während der gleich folgende Vers: naiöi
aal natQi, drei gleiche Verse anzunehmen räth, womit die
Antistrophe genau übereinstimmt. Gleiche Messung ertheilt
Hr. M. den Worten: %bv öov dal^ova^ %6v <5ov , d> xKä^iav.
Den Vers — ~ ~ ^ — *- <~ theilt er nach der
fünften Sylbe, obgleich ausser anderen Gründen schon die
Länge der vierten Sylbe den daktylischen Ausgang anräth. Den
Uebergang aus Trochäen in Daktylen nennt Hr. M. eine Auflö-
sung. Was an dieser Behauptung wahr sein mag, gebort der
Musik an und kann vom Schüler aus vorliegendem Büchlein nicht
gelernt werden. — §11 erhalten wir den bekannten Iambele-
gus unter der Benennung eines „Alcäischen Hyperhatalektus."
— § 15 wird von den überall bedenklichen ischiorrhogischen
Jamben gehandelt, und dann, wider den Zweck des Buches,
eine Einschaltung über den Choliambus gemacht. — § 17 folgt
der Anapäst und das anapästische System. Wiesich aber die Sy-
steme von den Versen unterscheiden, erfährt der Schüler nicht,
und eben so wenig die bei wechselnden Anapästen, Daktylen
und Spondeen zu beobachtenden Regeln. Wenn der Hr. Verf.
in Solger's Sophokles die statt der Anapaesten gebrauchten Da-
ktylen, wie: „Ehe die Zeit naht" und „Wider geschlagenes,"
— ~ o — uv-, tadelt, weil unsere Kürzen keinen Accent dul-
den, so ist das früher auch meine Meinung gewesen. Je öfter
ich aber die anapästischen Systeme betrachtet habe, und je
Mundt : Grundzüge zur Metrik der Griech. Tragiker. 271)
mehr ich die gewaltige Verschied enheit der antiken Metrik und
der unsrigen einsehe, desto stärker wird mein Zweifel, oh die
Alten die hürzen des Daktylus auch wirklich betonten. Mir
scheint , sie trugen ein anapästisches System mit eingemischten
Daktylen so vor:
Um den Uebergang aus steigenden in sinkende Füsse, und um-
gekehrt, zu erleichtern, werden die Daktylen fast regelmässig
durch Spondeen von den Anapästen getrennt. Die Spondeen
sind nämlich in Ansehung der Betonung völlig indifferent, wenn
sie gleich nach Daktylen mehr sinkend ( ), nach Anapästen
mehr steigend ( ) gehört werden, welches also nicht in ih-
nen selbst liegt, sondern in dem so oder so angeregten und der
einmal erhaltenen Richtung folgenden Gefühle. Bei den Grie-
chen, die den Sylbenwerth nur hörten, nicht mit dem Ver-
stände berechneten , wie unsere Prosodie thut , mochte daher
der Spondeus überall gleichschwebend sein und weder steigen
noch sinken. Ich finde keinen Anstoss anapästische Systeme
nach dieser Ansicht zu recitiren ; und selbst in Deutscher Spra-
che , so sehr hier das Herkommen entgegensteht, missfällt die-
ser Vortrag meinem Ohre durchaus nicht.
Manches vollendet sich, wenn es de?' Himmlischen
Mathschluss so will; und der Sterblichen Wiz
Niemals hemmt er es, oder beschleunigt es.
Drum fort mit der Sorg um der Zukunft Nacht !
Zeus sei dein Hort, und die Götter.
§ 18 handelt vom Kretikus , dessen hier gegebene Form
— ~ — , statt — o — , um so weniger genügt, da kein Beispiel
der Auflösung beider Längen gegeben ist. — § 19 kommt der
Hr. Verf. auf den Choriambus, ohne jedoch des choriambischen
Systems zu gedenken; § 20 auf den Glykonischen Vers, der
seine Cäsur gern nach der ersten ulrsis haben soll, eine Be-
merkung, welche schon die im Buche selbst angeführten Bei-
280 Griechische L i 1 1 e r a t u r.
spiele widerlegen. Vom Systeme ist wiederum niclit die Rede.
Daher gelten denn auch folgende Verse für Glykonische:
XQEktg löta^ivca. %ag %o-
zs, näg dvguoQog avzs%Et',
während sie sich dem Ohre von selbst als ein einziger choriam-
bischer darstellen. Meines Bedünkens mussten hier und über-
all solche Beispiele gewählt werden , gegen die kein Metriker
und kein Herausgeber Griechischer Tragoedien etwas einzu-
wenden hat. — Was § 21 vom Glyconeus polyschematistus ge-
sagt wird, ist ein blosses Aggregat, keine entwickelnde Dar-
stellung der verschiedenen Formen. Den Namen anlangend,
soll diese Versart mit „yhvxvg, süss, lieblich'-'' zusammenhält-
gen. Ist denn der Dichter Glykon so unbekannt, dem Hephae-
stion ausdrücklich die Erfindung dieses Verses beilegt?
Nach dem bisher Gesagten wird wohl niemand erwarten,
dass auf gleiche Weise auch die in §§ 22 — 43 folgenden Vers-
arten durchgegangen werden: sie sind weder schlechter noch
besser als jene behandelt. Nur das bemerke ich noch , dass
die Anordnung des Ganzen nicht recht bequem ist und auch im
Einzelnen hin und wieder die Ordnung vermisst wird. So ist
z. B. § 41 die zweite Hälfte des Pentameters als eine besondere
Versart betrachtet, da sie doch als das bekannte dactylicon
penthemimeres schon § 10 ihren Plaz finden musste.
Was dem Aufänger am meisten noth thut, das vermisst
man in diesem Büchlein ganz , nämlich eine Anleitung , die ihn
dahin bringt richtige Verse auf verschiedene Weise zu messen
und die passendste Messung auszuwählen, fehlerhafte aber als
solche zu erkennen und, wo möglich, zu verbessern. Demnach
kann ich mich nicht überzeugen, dass der Hr. Verf. für jezt
diejenige Kenntniss besize, welche seine Aufgabe voraussezt:
wie hätte er wohl sonst die allgemeinen Merkmale verschwie-
gen, woran man das Ende der die Strophen bildenden einzel-
nen Verse und Systeme erkennt? und eben so wenig kann ich
sein Lehrbüchlein empfehlen; vielmehr wünsch' ich, dass er
es recht bald durch eine gediegnere Arbeit in Vergessenheit
bringen möge. Vor allem möge die liebe Jugend es unberührt
lassen; denn es sind Fehler darin, die wenigen Primanern ent-
gehn würden , und Jünglinge sind gerade am wenigsten geneigt
dergleichen zu entschuldigen. Ich habe z. B. Mühe gehabt ein
vor anderthalb Decennien erschienenes Deutsch - Griechisches
Exercitienbuch von meinen Schülern durchübersezen zu lassen,
sobald sie dem Herausgeber seine Schwäche im Accent und ei-
nigen andern Theilen der Grammatik abgemerkt hatten.
Papier und Druck sind gut, die massigen Druckfehler aber
nicht sämmtlich angezeigt.
Friedrich August Gotthold.
XevocpävToq 'AnofivrjftovsvficcTa. Edid. Herbst. 281
BevocpcovTOS IdaotiVTjllOV&vpäteti Recogniwit et illustra-
vit G. A. Herbst , Philos. Dr. , scbolae Bernbtirgensis Collega.
Halis Saxonum, e libraria Antoniana. MDCCCXWH. XII und 364 S.
8. lThlr.
[Vgl. Jbb. Bd. V Hft. 4, bibliogr. Verzeicbn. S. 10.]
Der Herausgeber berechnete laut der Vorrede seine Ar-
beit vornehmlich für Anfänger im Griechischen, welche vorlie-
gende Schrift des Xenophon zum Gegenstande ihres Privatstu-
diums wählen, oder wenigstens für solche Leser, die noch
nicht viel weiter gekommen sind , als dass sie aufgehört haben,
Anfänger zu seyn. Für die Bedürfnisse dieser schien ihm in
keiner der bisherigen Ausgaben gesorgt zu seyn. Ausgaben des
blossen Textes fand er für den Anfänger nur dann zweckmä-
ssig, wenn sie unter der Leitung eines tüchtigen Lehrers gele-
sen werden. In den grösseren Bearbeitungen ist nach seiner
Ansicht die Verbal- und Real -Erklärung nicht so vollständig,
wie es für die von ihm in's Auge gefasste Klasse von Lesern zu
wünschen wäre. Seine Absicht gieng daher dahin, aus den Vor-
arbeiten der grösseren Ausgaben, was für den Anfänger brauch-
bar ist, auszuheben, und den Text ihm zugänglich zu machen.
Rec. kann ein solches Unternehmen nur verdienstlich nennen.
Nicht ein jeder Jüngling hat das Glück einen tüchtigen Lehrer
zu finden , und auch der Lehrer kann seinem Schüler selten so
viele Zeit widmen, dass es ihm nicht erwünscht seyn müsste,
wenn seine persönliche Nachhülfe bei dem Lesen eines Schrift-
stellers durch eine angemessene Bearbeitung wenigstens zum
Theile ersetzt wird. Besonders aber dürfen sich Schüler und
Lehrer Glück wünschen, dass die Ausführung dieses Unterneh-
mens gerade in die Hände eines ihm so gewachsenen Mannes
gekommen ist, als welchen der Herausgeber sich gezeigt hat.
In dieser Ausgabe ist wirklich nicht bloss für den Schüler ge-
sorgt, sondern auch der Lehrer kann daraus noch lernen, und
selbst Xenophon hat durch sie gewonnen. Um so mehr hofft
Rec. Entschuldigung zu finden, wenn er bei der Anzeige der-
selben etwas länger verweilt.
Zuerst von dem kritischen Theile vorliegender Bearbei-
tung der Apomnemoneumata.
Nach dem Gesagten konnte es die Absicht des Herausge-
bers nicht seyn, eine durchgreifende Berichtigung des Textes
zu liefern. Uebrigens wollte er keineswegs bloss bei dem bis-
herigen stehen bleiben, sondern, wo der vorhandene kritische
Apparat etwas Besseres darböte, oder wo ihm eigene oder frem-
de Conjecturen richtig dünkten , sie ohne Bedenken in den
Text aufnehmen. An manchen Orten ist der Text des S tep ha-
rt us, wo Neuere ihn verlassen hatten, wieder hergestellt, z. B.
1 , 2, 12 an der Stelle des von Sehn eider eingeführten als-
282 Griechische Littcratur.
nxlöxatog das alte , für einen Tyrannen passendere itlsovEttxt-
öxaxog; das von Ernesti, Schütz und Schneider mit
Unrecht verstossene itEol rot)g ftsovg I , 1 , 20 ; das von
Schneider verworfene ovxsyccQ ovxs tycoys avxög I, 2, 31
nach Bornemann zur Apologie §24; das von Zeune, Weis-
ke und Schneider geänderte EJisidr) o^oAoy^öatro I, 2, 57,
wo ührigens das Activum 6/uoAoy^öat, auf welches auch zwei
Pariser Handschriften führen, um so eher vorzuziehen seyn
möchte, da auch das vorhergehende inudr} mit onokoyrjöaLTO
in 87CidLO(ioXoy^6cato zusammenschmolz, und diess mit dem
folgenden td-ehen so leicht geschehen konnte; ferner das von
Ernesti in ysvo^ieva verwandelte yiyvotiEva I, 4,4; das
von Zeune abgeänderte IniöxaGw 1 , 5, 2; das von einigen
Neueren versetzte zva%ü6&ai III, 14, 7; das von Zeune
ohne Noth durch Einschaltung eines 7} verdeutlichte nküa xav
(pvtäv IV, 3, 10; das nach Reiske von Schütz und
Schneider in rj verwandelte sl vor advvaxovfisv IV, 3, 12,
und noch so vieles Andere , was hier übergangen werden muss.
Anderswo ist der gewöhnliche Text aus den Handschriften und
alten Ausgaben verbessert. So ist an die Stelle des seit Ste-
phanus im Texte stehenden antQ dXüL^onBQOvg rtoisl, III,
3, 7, das schon von Morus und Schütz vertheidigte alte
sYrtEQ ccXxiiiatEQOvg Ttoiüv; statt des früheren öv^ßovXsvetv
und des sichtbar erst neu gemachten öv^ißovXsvöeig, III, 6, 10,
das in mehrern Pariser Hand schrr. sich findende 6v[ißovXsv<3siv;
statt des bisherigen xo ye lipoü , III, 8, 7, aus den Margina-
lien des Victorius xo xs Kt^,ov gesetzt worden u. s. w. Beson-
ders sind die von Dindorf im Texte vorgenommenen Verbesse-
rungen fleissig benutzt. Dahin gehört die Beibehaltung von
%Qog8ovvai I, 2, 29, wofür Schneider nexadovvat wollte;
die Aufnahme von itoogxvijö&ai I, 2, 29, coli. Buttmann ad
Plat. Gorg. p. 522 ; von al6%vv£xcu und oktal 1 , 2 , 32 ; die
Auslassung von {ilv bei xccvxa ovv I, 2, 55; die Wiederher-
stellung des Plurals ädsXyovg II, 3, 1; die Austilgung des Ar-
tikels vor äoxovvxa II, 3, 2, so wie vor xö fiixgov a&ov III,
11, 7 u. s. w. Nach Conjecturen ist theils beibehalten, theils
neu aufgenommen: voydöuv I, 2, 42 nach Reiske' s Vor-
schlag für Ivö^iGav ; avxovg xs für avxolg xs II , 1 , 9 nach
demselben; olg ol für dg oi III, 4, 12 mit Ernesti; sv xs
itQ<xxx£iv für ovt£ TCQttXxsiv IV, 1, 5 mit Leonclavius; ys-
vo[ievag IV, 1, 3 für yiyvo^evag nach Schneiders Vermu-
thung u. a. Weit entfernt, an Conjecturen der Art sich zu sto-
ssen, wie der Herausgeber in der Vorrede zu fürchten scheint,
wird man vielmehr in der gerechten Würdigung, die ein Bear-
beiter der Alten ihnen angedeihen lässt, den Beweis finden,
dass er , um die Art und Weise der alten Sprache und ihrer
XevocpcavTOs 'Anofivrjuovsvnara. Edid. Herbst. 283
Heroen zu erkennen, ausser den Handschriften noch andere
Hülfsquellen in sich selbst hat.
Die Zahl dieser Verbesserungen hätte leicht grösser wer-
den können. So wäre das unnöthige avxovg 1 , 2 , 49 nach
Matthiä, ausf. Gramm. § 034, 1, das eben so unnöthige xrjg
in ijzrcov xrjg xcov evavxlav III, 6, 8 zu tilgen, das unschuldige
egcoxa yovv xal aTtoxgivov^iaL I, 4, 8, vgl. Conviv. 5, 2, wieder
aufzunehmen, 7Jyrjö6fie9a I, 5, 2 für r}yrjGcdiJiS&' av wieder
herzustellen gewesen. Namentlich würde eine genauere Ab-
wägung des Werthes der Handschriften und anderer kritischer
Hülfsmittel , wie der Uebersetzung des Bessario und der Cita-
tionen des Stobäus und Klemens auf eine Menge Verbesserun-
gen geführt haben. Allein, wie schon bemerkt, es konnte die
Absicht des Herausgebers nicht seyn, überall zu helfen, und
wir nehmen daher dankbar an, was er in diesem Stücke gelei-
stet, ohne uns an dem zu stossen, was er, wie seine Vor-
gänger, unberührt gelassen hat. Nur über Einzelnes , was er
selbst berührt hat, mögen hier einige Bemerkungen folgen.
Gleich I, 2, 53 ist r£ nach Gvyyevoöv auch hier getilgt, und
dabei bemerkt, dass xal vor sieg} qp/Aov sich auf xal vor negl
naxigav beziehe. Aber warum sollen hier die qpi'Aoi eine ei-
gene Klasse bilden, da sie doch im Vorhergehenden so gut, wie
die övyyevetg an die naxigeg angereiht sind? Warum sollen
sie nicht lieber mit Ttaxegeg xe xal övyyevetg als solchen , die
schon erwähnt sind, dem xal itgog xovxoig ye gegenüberste-
hen'? Man könnte meinen, der Herausgeber habe die Verbin-
dung von xal — xe gescheut. Allein gerade diese vertheidigt
er zu IV, 2, 28. Rec. weiss ihm hierin nicht beizustimmen ; an
allen Stellen, auf die zu IV, 2, 28 verwiesen wird, bezieht
sich xe auf ein folgendes Kai, ausgenommen de rep. Laced. 15,
3, wo ein Satz mit de, also doch immer etwas, worauf sicli xe
beziehen kann, nachfolgt. Nichts desto weniger hält er xe in
unserer Stelle für richtig. Es ist nur statt des gewöhnlichen
övyyevcov xe xal cpllav durch eine leichte Anakoluthie die wie-
derholte Präposition gesetzt. Eine solche Anakoluthie findet
auch in den übrigen , ebenfalls zu Hülfe gerufenen Stellen un-
serer Schrift statt, wo xal mit einem folgenden xe in Einem
Satze pro simplici copula stehen soll. Leicht und unbedeutend
ist das Anakoluthon I, 2, 57, wo ayaftovg mit Unrecht auch
in dieser Ausgabe getilgt ist; denn dasselbe, was als neues
Prädicat zu xovg ^ev dyaftöv xi noiovvxag nachfolgen soll, wird
hier nur als Folgerung aus dem Vorhergehenden vorgetragen:
dass also, wer thätig sei, gut sei, oder thätig seyn so viel hei-
sse, als gut seyn. Eben so entspricht dem xal xoivij ä.g%ovöi
t£, IV, 4, 1, ein folgendes xal bei xal noxe tiuöxaxrjg yevofie-
vog , nur dass statt eines xal avxog xaxa xovg v6{iovg ap^ov g
ein snepelier Fall mit dem Verbum finitum angeführt ist. Be-
Jahrb. f. Phil. u. Jfädag. Jahrg. III. Heft 3. J()
284 Griechische Litteratur.
deutender wäre das Anakoluthon IV, 2, 28, wenn man dort
den Infinitiv ngotöraöftai behält, und am bedeutendsten bei xul
TaXXa xs, oöcc, II, 3, 19, wo man zu einer völligen Abbrechung
und Unterdrückung eines folgenden %u\ vielmehr seine Zuflucht
nehmen müsste. Aber gerade diese Stelle ist in kritischer Hin-
sicht unsicher. Zu 1 , 1 , 6 wird äv bei oitog äv verworfen,
quia futuri optativus cum äv junctus in rem, quae futuro
quodam tempore possit habere eventum, non vere habitura
cogitetur, cadit. Gerade darum könnte man es hier passend
finden. Es ist ja nicht von dem die Rede, wie eine wirklich zu
Stande kommende Unternehmung wirklich ausfallen werde, son-
dern im Gegensatze von ävayxaia sind xä udqla öxcog etc. sol-
che Unternehmungen, die man eben so gut lassen, als in's Werk
setzen kann, und die man nur dann in's Werk setzt, wenn mau
einen guten Erfolg hoffen zu können glaubt. Daher ist oitcog
äv ä7Coß)]öOiVTo , wie sie ausfallen würden unter einer gewissen
Bedingung, nemlich wenn man sie in's Werk setzte. In der
Stelle c. 3, 2, die man gewöhnlich für die Auslassung von äv
anführt , war kein solcher Anlass vorhanden , die Partikel äv
beizufügen. Im Folgenden 1 , 1 , Iß ist äv usl disXiysxo rich-
tig aufgenommen; dass all bei äv steht, darf nicht auffallen;
so steht auch ztolXäv.ig dabei IV, 1,2, und äst selbst bei Ari-
stoph. in den Vögeln v. 1601: äXxvovldag d' äv rjysd'' rjuigag
uil. Aber eben so wäre auch iv^vj.icö^id'a yäg , äv scprj, I, 7,
2, aus zwei Pariser Handschrr. aufzunehmen gewesen, da in sol-
chem Zusammenhange an eine willkührliche Einschiebung der
Partikel nicht zu denken ist, wohl aber die Auslassung sich
leicht erklärt, vgl. Stallbaum ad Plat. Crit. p. 52, D ; Heindorf,
ad Phaedon. p. 87, B. Bei II, 2, 1 könnte das alte xov ys wo-
für hier xovxov ys aufgenommen ist , so wie xo ys III , 10, 4,
wofür aus dem einzigen Voss. 1 xovzo ys gelesen wird , in den
aus Plato Euthyd. p. 291, A, Polit. p. 305, C von Matthiä §
246 angeführten Stellen Schutz zu finden scheinen ; allein diese
letzteren Stellen selbst sind unsicher, da in der ersten wenig-
stens ein Codex xoöi hat, in der letzteren, wie es scheint, alle,
undRec. stimmt daher dem Herausgeber an beiden obigen Stel-
len bei, bei III, 10, 4 nicht wegen des Voss. 1, sondern trotz
desselben. In IV, 2, 6 ist nach überwiegenden Auctoritäten
(irj vor TCiLQävTui zu setzen, und ov vor jca&' savxovg zu tilgen.
6vvs%s6xaxa kann zwar nicht durch naQa%Qfj[iu erklärt werden,
aber doch durch continuo , etiam abseilte praeceptore , und
wird also durch das folgende aal xa&' savxovg näher bestimmt.
Dagegen passt nsiQävxat jetzt um so besser, da man ohne die
Negation eher noiovöi erwartet hätte. In IV, 2, 10 ist wohl
das in den beiden ältesten Edd. und zwei Handschrr. fehlende
nävxa aus Conviv. 3 , 5 herübergekommen , wie aus demselben
Stelle die Variante Kya&tti yivavxai xal rig d. ß. II ] 2 , 7 her-
Xt vocfMvzog 'A7to(ivr]fiOV8V{xara. Edid. Herbst. 285
rührt. Bei weitem überwiegende Auctoritäten fordern auch I,
4, 18 die Aufnahme von avxovg Btach ejzifisfalö&ai. Die Va-
riante avxö, die nach %eiov sich leicht erklärt, und die gänz-
liche Auslassung in den Excerptensammlungen aus unserer Schrift
kann dagegen nicht in Betracht kommen , wenn man auch von
dem sonstigen Werthe der abweichenden Handschrr. ganz abse-
hen will. Wohl aber spricht für die Beibehaltung des Prono-
mens auch der Umstand, dass dadurch ein Homoeoteleuton mit
§ 17 vermieden wird.
Von den früher mit allzugrosser Bereitwilligkeit aufgenom-
menen Conjecturen hat der Herausgeber zwar manche zurück-
gewiesen, z. B. xccl xi]g xäv xoiväv 7tgdt,e(og II, 4, 6, das von
Schneider eingesetzte %%r) mit folgendem ticoXbi II, 5,
5, das von Ernesti vorgeschlagene jitTtvö^ai II, 6, 31, und
andere, die zum Theile schon oben genannt sind. Doch ste-
hen noch mehrere, die nicht zu halten seyn möchten, und ei-
nige sind neu hinzugekommen. Nur über die letzteren kann
hier gesprochen werden, dafür die Aufnahme der übrigen der
Herausgeber weniger verantwortlich ist. Vor Allem gehört hie-
her die Austauschung von xoluöe diukty6(iEvog 1,7,5 und
xoiavxcc llycov II, 1, 1. Was zur Verteidigung dieser Aen-
derung vorgebracht wird, hat unleugbar grossen Schein. Doch
ist zu bemerken, dass xoiogÖE bei Xenophon so wenig, als bei
anderen Schriftstellern ubique ad sequentia respicit. Die im
Lexicon Xenophonteum aufgeführte Stelle Cyrop. 111, 3, 35
und 38: Iv rä xotcoÖE, heisst doch schwerlich etwas Anderes,
als in dem eben jetzt vorliegenden Falle. Und so könnte auch
xoiccÖE das eben jetzt Dargelegte seyn. Ferner öiakEyö^Evog
setzt nicht nothwendig voraus, dass das, worauf es sich be-
zieht, auch in der Form einer Unterredung müsse vorgetragen
seyn, wenn es nur dem Inhalte nach aus einer Unterredung
stammt, und in diesem Sinne findet sich diahEysöftcci wirklich
auch II , 4, 1. Endlich braucht man xoluvxcc kiycov nicht auf
das Nachfolgende zu beziehen; vielmehr geht es auf das Vor-
hergegangene , wie denn ohnehin die einzelnen Bücher unserer
Schrift sich nicht so streng von einander scheiden lassen , und
man sieht nun ein, warum vorher xoiccde steht, nemlich um
das Zunächstvorhergegangene von dem Vorhergegangenen über-
haupt zu unterscheiden. Damit fällt nun freilich auch eine
Conjectur des Herausgebers: yvovg ydg xiva, II, 1, 1. Denn
yvovg ÖE bringt jetzt nicht mehr den Beweis für das Vorher-
gehende nach, wie sonst ydg , sondern behält seine volle ad-
versative Bedeutung: als er aber bemerkte, dass dennoch etc..
Auch Ivikvaixi, ort Gv ov% ogäg I, 3, 13 giebt wohl eineu
besseren Sinn, als das von dem Herausgeber hier gesetzte ort,
und ohnehin pflegt oöxcg in. einem rein adjektivischen Relativ-
satze nicht vorzukommen , so dass das unveränderte ö 6v aus
19*
286 Griechische Litteratur.
Stobäus noch hesser gewesen wäre. Das von Schneider vor-
geschlagene {iixqcjv diapccQrdvovTccg III, 9, 7, welches hier
im Texte steht , heisst : wer Kleines nicht trifft , wer in Klei-
nigkeiten das Rechte verfehlt. Diess gibt keinen Gegensatz zu
dem Vorhergehenden, wo von Fällen die Rede ist, in welchen
einer seine Grösse, Stärke und Aehnliches weit überschätzt.
Diesen Gegensatz gibt nur das alte hixqov dia^aQxävovxag. In
der Stelle y6&av6{ir]V IV, 8, 7 kann wohl nichts anstössig
seyn, als dass das Imperfect mit dem Perfect verbunden ist.
Allein warum soll der Grieche nicht, wie der Deutsche, sagen
können: diess fühlte ich bisher und noch nie habe ich mich von
dem Gegentheile überzeugt ? Die Conjectur von W e i s k e möch-
te daher mehr scheinbar, als richtig seyn, wenn er alö&avo-
{ibvos lesen möchte.
Die schon von früheren Bearbeitern der Apomnemoneumata
eingeführten Klammern für verdächtige Stellen finden sich auch
hier wieder, und zwar vermehrt, und zum Theile verändert.
Da der Herausgeber fast überall, auch wo er die früher schon
eingeführte Klammer beibehielt, seine Gründe angibt, und
zeigt, dass er sie nicht der blossen Ueberlieferung zu Liebe
beibehalten, so glaubt Rec. ihm nicht Unrecht zu thun, wenn
er ihn auch für die bloss beibehaltenen verantwortlich macht,
nnd hier die wichtigeren Stellen dieser Art einer Prüfung un-
terwirft. Denn zum Voraus lässt sich dieses Verfahren bei ei-
nem Buche von so populärem Inhalte, wie unsere Schrift, nicht
verwerfen. Nur nach Ansicht der einzelnen Stellen kann man
entscheiden. Ueber solche nun , wie xal rd xeXevo^bvov ixa-
vöv TtoisZv, II, 10, 3, worauf zuerst Schütz aufmerksam
machte, xal diaXsxtixcoTätovg , IV, 5, 12, wo erst der Heraus-
geber den Fehler zeigte, und xal ßtaLÖTazog, I, 2, 12, wel-
ches hier ganz weggelassen ist, wird wohl jedermann einver-
standen seyn. Aber bei 1,4, II: xal oipiv xal äxorjv xal
öto^icc BVE7iOi7]öav, ist wohl weiter nichts zu sagen, als dass
die Worte, wie sie jetzt dastehen, unverständlich sind, dass
keine der bisherigen Erklärungen befriedigt, und mehr hat
der Herausgeber auch nicht dagegen geltend gemacht. Daraus
folgt aber nicht, dass sie unecht sind, sondern nur, dass die
richtige Erklärung abzuwarten ist. Die Varianten über diese
Stelle, namentlich die bei Victorius geben Hoffnung, dass aus
Handschriften hier geholfen werden wird. In der Stelle Sönsg
nogvovg, I, 6, 13, braucht man nicht an eine Beziehung auf
aöavrag zu denken, welches zu erklären die Worte eingesetzt
worden seyn sollen. Man erkläre Sötisq durch gleichsam, und
es gibt einen guten Sinn : sie werden mit dem Namen Sophi-
sten als eine Art von Lohnhurern bezeichnet. In II , 1, 1 passt
itgog mi,&Vfitav allerdings nicht zu Qtyovg xal ftäXnovg xal ito-
vov, aber es passt doch zu dem, was zunächst folgt, cirov xal
XsvotpmvTog 'AnouvrifiaviVficcra. Edid. Herbst. 287
TLoxov etc. Es lässt sich daher wohl durch Annahme eines
Zeugma vertheidigen. In III, 4, 12: zo de {isyiözov — zu
xoivu, wird weiter kein Grund angegeben, warum diese Worte
eingeklammert sind. Denn dass bei Stobäus auch das Uebrige
fehle, würde, wenn es als Beweis zu nehmen wäre, zu viel be-
weisen. Der Grund kann daher wohl in nichts Anderem liegen,
als dass der Herausgeber mit Schneider in dr Stelle eine
unnütze Wiederholung findet. Allein dieses fällt weg, sobald
man zwischen aXkoig ziölv aVfrocojroig %q(ovzul und oV ukkav
piv dv&QCQTtav za lötu noürzizai , 6V ukkav de zu xotvä un-
terscheidet, wie denn auch beides wirklich verschieden ist.
Durch öV ukkcov [ilv — 6V ukkcov de wird nur im Allgemeinen
ausgedrückt, es seien keine anderen Menschen. Diess könnte
auch heissen, es seien nicht verschiedene Personen gleichen
Standes; derselbe Freie, der zu xoivü besorge, besorge auch
zu 'idiu. Durch ov ycio ukkoig ztdlv wird zugegeben, dass
zwar die öffentlichen Angelegenheiten durch Freie, die häus-
lichen durch Sklaven besorgt werden; aber, wird behauptet,
diese sind doch nicht Menschen anderer Art, als die Freien;
sie sind als Menschen dasselbe , was die Freien sind. In so fern
wird dieses durch jenes sehr gut eingeleitet. Am häufigsten
traf die Klammer das vierte Buch. Der Herausgeber spricht
sich besonders gegen die Worte (puöi de zivig — dt,du%6vzav>
IV, 4, 5, aus; wenigstens müsse man hier tpuöl öh zivsg tilgen.
Allein, was ihn hier stört, ist ein blosses Anakoluth. Statt
tÖ [tri ujtOQslv, cpüvui öi zlvuq wird fortgefahren, wie wenn
ort — UTioQEi vorangegangen wäre, ganz wie III, 13, 1: ytkolov
TO Opyt^Eöfrai, Ott Ö£ 3lSQl£zV%£g, ZOVZO ÖS kVTCEl, wo
die Variante des Vict. A. gegen die Uebereinstimmung aller übri-
gen Handschrr. und Edd. nicht in Betracht kommen kann. Frei-
lich ist an unserer Stelle der Fall in so fern wieder verschieden,
als nun nicht im Verbum finitum fortgefahren wird , sondern
wieder ein Infinitiv kommt. Allein warum sollte dieser noth-
wendig mit zo in Verbindung zu bringen seyn? Es ist ja über-
haupt oratio obliqua. In IV, 8, 3 findet der Herausgeber
nichts als Declamationen und Spitzfindigkeiten, und lässt Xe-
nophon von § 2 gleich auf § 4 übergehen. Hier muss zugege-
ben werden, dass der sonst einfach und fast mit Verleugnung
aller Subjectivität erzählende Xenophon mit einem Male hier in
Affect geräth. Aber eine solche Steigerung ist gerade an dem
Orte natürlich, wo er von dem Tode seines Lehrers spricht.
Die Spitzfindigkeit hingegen ist kaum viel grösser, als in man-
chen Argumentationen, die er den Sokrates entwickeln lässt.
Mehr , als eine solche Spitzfindigkeit , ist auch IV, 8, 9 nicht,
wo hier die Worte näg ovx u16%q6v %u\ tö uÖlxcog oziovv noi-
ilv eingeklammert sind. Sokrates schreitet nur von Splitter zu
2S8 Griechische Litteratur.
Splitter fort; eia Unterschied findet aber zwischen ddixslv und
ddixcog örtot)v 7tocelv allerdings statt.
Unter den ganz ausgelassenen Stellen ist auch IV, 6, 6:
ovxovv o'i ys xd dixcua — tycoy' eyr}. Diese Worte wiederholen
sich im Folgenden wieder; also, schliesst man, waren sie frü-
her uunöthig; folglich unecht. Mit gleichem Hechte könnte man
bei der bisherigen Ansicht von der Stelle noch Mehreres weg-
werfen. Allein die Argumentation geht nicht, wie es in der
vorhergehenden über svöeßeca der Fall ist, geradezu darauf
aus, zu zeigen, dass dlxcciog so viel ist, als 6 eidcog rä rtsgl
xovg av&Qänovg vop.i[ia. Den Begriff ölxaiog hat ja Sokrates
noch gar nicht. Er leitet daher vor Allem seinen Schüler von
dem Begriffe der Bvöeßsta aus auf den demselben im Verhält-
nisse zu den Menschen entsprechenden Begriff diaaiog, und
erst, wie er ihn hat, zeigt er, dass die duicaoövvT] im Wissen
besteht. Jener Satz ist also in diesem Zusammenhange unent-
behrlich. Mit grösserem Rechte ist xo Ss xal ccsqcc — dvex-
(pgaGrov, IV, 3, 7, ausgelassen, welches sichtbar bloss dazu
eingeschoben ist, um an die Erwähnung von Erde, Wasser und
Feuer auch noch die Luft als viertes Element anzureihen.
Beider dem Texte beigefügten scripturae discrepantia potior
hätte vielleicht da und dort mehr, anderswo weniger gegeben
werden können. Im Ganzen istjedochdieMittelstrassegut gehal-
ten. Ausser Stellen, wo die Quellen des Herausgebers nicht
rein waren, ist dem Rec. nur Eine Stelle darin aufgefallen, die
in Zukunft zu berichtigen seyn wird, nemlich II, 4, 4, wo aus
Voss. 1, Vind. 2, Paris. A Exiftsöav angeführt ist. Bei
Schneider, aus dem dieses ohne Zweifel genommen ist,
werden jene Handschrr. für die Variante iftEöav angeführt, und
das unmittelbar auf dieErwähnung der Handschrr. folgende Ixi-
&£6uv gehört als Conjectur dem Brodaeus an.
In der Interpunction folgte der Herausgeber laut der Vor-
rede 1) in d orten, bemerkt jedoch, dass er nicht selten von
ihm abgewichen sei. Wirklich ist diese Ausgabe auch von Sei-
ten der Interpunction vor manchen der früheren zu empfehlen.
Doch möchte Einiges noch zu verbessern seyn. Rec. will nur
Weniges anführen. In I, 2, 6 ist wohl nach xvgavvLxovg statt
des Kolon ein Komma, und nach övEidog statt des Komma ein
Punct zu setzen. *H6l6öov (ilv xo gehört am natürlichsten zu
kxlEyouEVOV , und mit tovto drj beginnt dann ein neuer Satz,
wie § 58 mit xccvxcc Örj avxov sfyysiö&ai. Dass kein 'Oprigov öh
rö folgt, wird gegen diese Erklärung nicht eingewendet wer-
den. In II, 1, 22 ist statt alevdtQiov yvösi, XEX0ö^i7j^8vr]V, mit
dem Komma nach qpvßffc, lieber mit Victorius, Stephanus
und L eonclavius zu interpungiren iXzv&igiov , cpvöEL xexo-
6at]^isv7]v , mit dem Komma vor cpvöti. Schon wegen des vor-
hergehenden rpuvrjvui kann kfav&tgiog nur eine Eigenschaft der
Xsvocpdivzos 'Anoiivrjtiovtvfiaza. Edid. Herbst. 289
Gestalt bezcicliiicn. Ist aber dieses, so erscheint cpvösi völlig
überflüssig neben demselben, da es durch das zu eXav&SQiog
so gut, als zu £V7iQ£nrjg gehörende iösiv schon hinreichend be-
stimmt ist. Wohl aber erhält cpvösi seine gute Bedeutung durch
die Verbindung mit xsxoö^ijfisvTjv, mit welchem es den Gegen-
satz bildet zu xsxalkco7iiö^svr]v , coörs — sqv&qoteqccv xov ov-
rog, oO'O'orEpav trjg cpvötag sivai. vgl. Aelian. V. H. XIII, 1:
dkV rjv cpvösag sgyov t; %qoicc, Herodian. I, 7: ij Tsxöynq cpv-
ösi £,av&)] , Themist. Or. 24. Gelegentlich ist hier noch zu be-
merken, dass im Folgenden xsxoö^irjpis'v^v to öä^ia xa&ctQio-
Trjta, wie hier in den Text aufgenommen ist, nicht wohl ge-
sagt werden kann, da xaftuQiörrjg keine Eigenschaft der Seele
ist, die sich im Körper so manifestirt, wie die öcoyaoövvi] im
dp^ua, oder die ulöcog in den Augen. Wohl aber ist die xcc-
ftapor^g an dem Körper bemerklich ; nur ist dieses nicht von
dem corpus a sordibus mwidum, sondern von dem corpus non
fucatum zu verstehen, welche Bedeutung xu&ccQog auch in der
angeführten Stelle des Oeconomicus hat. Noch eine Stelle, wo
die Interpunction zu ändern seyn wird, ist II, 1, 28, wo trj yveo-
/i>; v7t7]Q£i8lv von dvvatog sivai abhängig gemacht, und daher
von diesem durch kein Unterscheidungszeichen getrennt ist.
Dass Xenophon so nicht gesprochen haben kann, lehrt die Ver-
gleichung von Oecon. 17, 7: tovto (ilv (isXst^g dsltcci, äöJtsg
rolg xi&agiötaig rj #ap, oncog dvvrjzca, vtitjqstslv trj yvcjfiy.
So verstand ihn auch Cicero de Off. 1 , 23 : Kxercendum cor-
pus et ita afficiendum est, ut obedire consilio et rationi possit,
welche Stelle schon Victorius zu der unsrigen verglich. Das
Komma ist also nach dvvatog sivai zu setzen, und nach vicn-
gsrsiv zu tilgen. Auch § 18 möchte daher xal rolg öduaöi xal
xcäg Tl)V%cäg mit dvvatol zu verbinden seyn, und nicht mit dem
Verbum flnitum, wie Matthiä §42-4, 4 will. Ebenso kehrt
§ 31 advv atot, rolg öcopaöi wieder.
Der zweite Theil der Verdienste des Herausgebers um sei-
nen Schriftsteller besteht in der exegetischen Behandlung.
Für diesen Zweck hat er , was er aus Xenophon und an-
deren griechischen und lateinischen Schriftstellern so wie aus
den Schriften neuerer Philologen schöpfen konnte , fleissig zu-
sammengesucht, ohne jedoch in den Fehler zu grosser Weit-
schweifigkeit zu fallen, oder, was fremdes Eigenthum ist, sich
selbst zu vindiciren. Bei grammatischen Bemerkungen ist nicht
bloss auf die besten vorhandenen Lehrbücher, sondern auch
auf gelehrte Commentare verwiesen, um den Anfänger über
das Schulmässige zu erheben, und dem Weitergekommenen das
Fortschreiten zu erleichtern. Bei Gegenständen aus der athe-
nischen Geschichte, Gerichtsverfassung, Staatsverwaltung und
dergl. sind die Werke von Meier, Schümann, Böckh und
Anderen zu ßathe gezogen; von den vorhandenen Commentaren
290 Griechische Litteratur.
vorzüglich die Bemerkungen von E r n e s t i , Ilindenburg,
Weiske und Schneider. Auch die schätzbaren Beiträge
von Jacobs im Socrates , ob sie gleich im Verzeichnisse
der Ausgaben und Anmerkungen zu unserer Schrift so wenig als
Weiskes Ausgabe stehen, sind nicht unberücksichtigt ge-
blieben. Wenn nun Rec. das Gute, was hier sich findet, ein-
zeln herausheben wollte, so würde er die Grenzen einer Re-
cension überschreiten müssen. Er beschränkt sich daher darauf,
was ihm zweifelhaft schien, anzuzeigen.
Um von der grammatischen Erklärung auszugehen, so
macht der Herausgeber noogöovvui I, 2, 29 richtig von dso-
{ibvov abhängig; aber [irjdsvog dya%ov mit jioogdovvai zu ver-
binden als genitivus partitivus, möchte kaum zu billigen seyn,
da der Gedanke an eine Theilung gar nicht hieher passt. Frei-
lich weiss Rec. für den Augenblick auch nicht zu helfen, au-
sser dass ihm einfällt, ob vielleicht ^devog dya&cc, noch oben-
drein Dinge, die zu nichts gut sind, zu lesen sei, wie III, 8, 3:
nvQStov dyctftov , und o ^irjdsvog dya&ov löxiv. Bei I, 2, 54
wird sccvtov 6 ndvxcov ^idhöxa cpiXü durch o Ttdvxav xcov iav-
xov ^idhöxa (ptKiX erklärt. Aber hier ist erstlich der Artikel
twv hereingekommen , ohne dass man weiss, woher. Sodann
wenn der Körper, wie diess nicht wohl anders gemeint seyn
kann, als Theil und nicht alsEigenthum des Menschen betrach-
tet wird , so sieht man nicht ein , wie von Ttdvxav eccvtov die
Rede seyn kann , da doch nur zwei solche Theile existiren.
Schon der Parallelismus mit xo öcöfia xov oixsioxdxov ccv&qco-
nov lehrt hier, dass eccvtov zu ödpaxog oder wenigstens nicht
in den Nebensatz, sondern wie das folgende ccvxc5v in den Haupt-
satz gehört. Bei 1,7,5 erklärt der Herausgeber den Artikel
in xov ov iiixQov aus den Beispielen, wo das Praedicat bei den
Verbis nominandi den Artikel hat. Daraus würde nur folgen,
dass es hier ov xov ^ll%qov , ov xov eld%i6xov heissen könnte;
aber 6 ov [iixodg sagte wohl schwerlich ein Grieche in solcher
Verbindung, xovxeov, II, 4, 7, wird als genitivus partitivus
zu evsoyexGJv gezogen. Uie Construction scheint vielmehr zu
seyn: quod attinet ad ea, quae nianus etc. (so dass a — VTttjQE-
xovöi absolute stände,) ovÖsvög xovxav (sc. xc5v %£iqojv, äxcov,
6<p&(xknG)v) (piXog eveoysxcöv kEintxai , der Freund steht mit
seinen Diensten keinem von diesen nach. Bei II, 5, 5 kann xo
TtXüov so wenig majorem pretii partem bedeuten, als es diese
Bedeutung in den angeführten Stellen hat. Anab. VII, 6, 16
ist der Sinn: um euch nicht mehr geben zu dürfen, wenn er
mir weniger gäbe, nicht aber: um euch nicht den grössten
Theil geben zu dürfen. Bei Homer leiten Achills Hände nicht
den grössten Theil des Krieges, sondern nur einen grösseren,
als Agamemnon , und dennoch ist sein Ehrengeschenk kleiner,
als das des letzteren. So steht bei Xenophon Mera. I, 6, 9:
Tioxiga rt jiXelav ö^oAr), wer hat mehr Müsse, nicht: wer hat
Xtvocpcövrog 'AitofivrjfiovBvutxTa. Edid. Herbst. 291
den grössten Theil der Müsse? wo man mit Unrecht die Va-
riante «v sl'rj Tthelcov vorgezogen hat. Ganz ähnlich mit unse-
rer Stelle wegen des Genitiv s ist III , 9, 9: Ttgä^ovxccg xd /3sA-
xiw tovxgjv , um Besseres, als dieses zu thun, wo Niemand
meliorem, komm partem übersetzen wird. Bei II, 7, 4 wird
zu vij A tu supplirt ovx alö%QOV aus dem Vorhergehenden ovxovv
alöxQov. Allein die Beispiele, mit welchen diess gerechtfer-
tigt wird, sind ganz anderer Art. Bei ovx dvögeloi hol, IV,
6, 10, oder ovx äv&töTCcGcci , Conviv. 5, 1, gehört die Nega-
tion zum Verbum , in unserer Stelle gehört sie zur Frage. An
jenen Stellen wird daher die Frage durch vrj 4La bejaht, an
der unsrigen würde sie durch vrj/Jiu verneint werden. Unsere
Stelle ist vielmehr zu vergleichen mit § 14, wo vca pä
<dlu offenbar nicht dazu dient , ftavfiaöxöv TtOLtlg zu bejahen,
sondern mir einen Theil des vorhergehenden Satzes: rjfilv psv
ovdsv diöag, xä ds xvvl — [isxccdidag ov7CEQ avxög &%ug 6t-
rov , allerdings macht er es so, wie du sagst; aber er thut
recht daran; denn u. s. w. So bejaht auch an unserer Stelle
vr\ Aia nur den letzten Theil der vorhergehenden Frage: xo
ixüvov y\v — zvnoQÜv , ö£ de — Iv dnogiu tivca. allerdings
geht es jenem gut, und mir schlecht; aber diess ist kein Wun-
der. Bei III, 1, 8 wird auf die Bemerkung zu I, 2, 23 ver-
wiesen, wo es heisst: nonraro etiam subjectum caret articulo.
Allein doiöxovg ist hier nicht Snbject, sondern Prädicat, wie
in der angeführten Stelle der Cyropädie : xovg Ttocbxovg dglöxovg
ösl xäxxuv, ist so viel, als ovg jtocoxovg xdxxu xig, oder rovg
TtQcoxovg xaxxo^iivovg doiöxovg ötitivui, ganz wie II, 1, 30:
xag öxgco^vdg {icdctxdg itaou6x£vd£r]. Bei III, 5, 8 wird av
tiyov für einen Indicativus imperfecti pro optativo erklärt. Hier
würde der Optativ gar nicht passen. Der Zwischensatz richtet
sich im Modus nach seinem Hauptsatze, und hat daher bei si
mit dem Indicativ des Imperfects oder Aorists in Bedingungs-
sätzen, in welchen eine nicht stattfindende Bedingung gesetzt
wird, so gut den Indicativ des Imperfects oder Aorists bei sich,
als in optativischen Bedingungssätzen den Optativ. Die Stelle
Hl, 9, 4 wird für einen locus negligenter conscriptus erklärt.
Sie ist ganz einfach und klar: xöv yiyväöxovxa und xov sldoxct
sind Subjecte, xQ^ö^av und sv^aßelö^ai die Verba dazu, und
öocpov xs xa\ öcocpQOva ist Apposition zum Subjecte : wer das
Gute wisse, bediene sich desselben, und wer das Schimpfliche
kenne , meide es , beides in sich vereinigend den Weisen und
den Besonnenen. Anderes muss hier übergangen werden.
Ueber die Worterklärung, die hier nicht minder mit Sorg-
falt behandelt ist, hat Rec. Folgendes nachzutragen. Bei I, 1,
7 sollen na^rj^axa res, quas discere licet, seyn, und die Con-
struction wäre demnach: utdvxa xa xoiavxa üvai [icc&tftiaxcc.
Allein fia^^a kann seiner Form nach nicht wohl das Lernbare
292 Griechische Litteratur.
seyn, sondern das Gelernte, die Kunst, Wissenschaft. So
heisst die GayQOövvn in der Cyropädie ein /ua*b;^a, nicht so-
fern sie lernbar, sondern sofern sie eine Frucht der Erziehung
und des Unterrichts ist. Um jenen Sinn zu bekommen, müsste
man daher annehmen, [la&quara sei an die Stelle von p,a&rj-
td getreten, wie für fu^ra III, 10, 5 früher fw^ua-r«